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ARGHIV
für
katholisches Kirchenrecht,
^ mit besonderer Rficksicht auf
Deutschland, Oesterreich-Ungarn und die Schweiz.
ungleich Organ des katholiseheD Jaristenfereina.
Begrandet Ton Emst Frelheim toh Moy de Sons.
Fortgesetzt yon Friedlich H. Teriiig.
Herausgegeben von
Dr. Franz Heiner,
pftpttl. HauBprilat,
ord* ProfBMor dei Kirehenreehts an der Univ«nitftt Pralburg t Hr.»
Raetor des CoUegium SapientlM.
Drei and achtzigster Band.
(Dritter Folge siebenter Band.)
Mainz ^
Verlag Ton Franz Eirchheim.
1903.
Printed in Gemnany oigtizedby Google
AUG - 5 1925
Druck von Joh. Falk III. Söhne, Maini.
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I. Abhandlungen.
L. Die Besetzangsweise des (schlsmatisohen) Patriarehalstahles
Ton Konstantinopel ^).
Eine kirchenrechtsgeschichtliche Abhandlang Ton Dr. Nico Cotlarcluc.
Inhaltsverzeichnis.
Einleitung,
§ 1. Die Einteilung des rdmiachen Reiches.
§ 2. Die Entstehung der Bist&mer als natürliche Polge der Einteilung des
römischen Reiches nnd Fortentwicklung des episkopalen Systems.
§ 8. Die Entstehung des Bistums Konstantinopel und die Weiterentwicklung
desselben lur Metropolie, Obermetropolie und Patriarchie.
§ 4 Der Titel »Patriarch« und »ökumenischer Patriarch«.
§ 5. Das Patriarchat im bysantinischen Reiche.
9 6. Der Zustand des Patriarchats unter der mohamedanischen Herrschaft.
A. Die Besetzung des bischöflichen Stuhles von Konstantinopel
in den ersten vier Jahrhunderten.
9 7. Die Besetiung der KircheuTorsteherämter in apostolischer Zeit
a) Die Wahl;
b) Die Weihe und Installation;
c) Schlussfolgerung.
§ 8. Die Eiosetxungsweise der Bischöfe auf dem Stuhle fon Bjsanz in der
nachapostolischen Zeit (in den ersten drei Jahrhunderten — 211).
§ 9. Die Besetiung des bischöflichen Stuhles im Tierten Jahrhunderte.
§ 10. Mitglieder des Wahlkollegiums im vierten Jahrhunderte.
§ 11. Besetsungsfalle aus dem Tierten Jahrhunderte.
§ 12. Schlussfolgerung:
a) Die Wahl;
b) Die Weihe.
B. Die Besetzung des Patriarchenstuhles unter der byzantinischen
Herrschaft,
§ 18. Die Besetiungsweise tu Beginn der bysantinischen Herrschaft.
§ 14. Die Besetsungsweise im weiteren Verlaufe der bysantinischen Herr-
schaft.
1) Nachstehende Arbeit eines jungen Gelehrten glaubten wir wegen
mancher interessanter Einzelheiten tum Abdruck bringen tu sollen, obgleich
wir mit allen Ausf&hmngen nicht gans einferstanden sein können. IH^ Ked.
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l Cotlareiue,
§ 15. Die Besetiong des KonetantinopoliUiiisebeQ Patriarehaleiahlee gegen
Ende des bynniinisehen Reiches.
a) Die Wahl des Patriarchen f on Konstantinopel nach Simeon
Ton ThesMlonika;
b) Die Wahl des Patriarchen fon Konstantinopel nach Georgias
Codinas Onropalatae;
e) Die Berofiing;
d) Die Bekanntgabe (fAi)vu(ia) nach Simeon fon Thessalonika;
e) Die In?estitar • • • »
I) Die Inthronisation » • » •
g) Die Bekanntgabe, InTestitar and Inthronisation nach Georgias
Codinas Caropalatae;
h) Der Vorgang bei der Besetsang des Patriarchalstahles, wenn
der Gewählte noch nicht BiMhof war;
i) Schlnssfolgerang.
C. Die BesetMungnteUe des KonstaniinopoliianUeken Patriarchal*
stuhlen unier der iürkUchen Herrschafi,
9 16. Der Znstand la Beginn der tOrkiKben Regierang.
a) Die Wahl;
b) Die Weihe;
c) Die Bekanntgabe and Inthronisation.
9 17. Die weiteren Yerhiltnisse anter der türkischen Herrschafi
§ 18. Das neueste Geseti betreffend die Wahl des Patriarehen Ton Kon-
stantinopel.
a) Die Wahl;
b) Die erforderlichen Eigenschaften der Kandidaten;
^ Die Mitglieder der WahlTersanrailang.
9 19. Die Besetsang des Patriarchalstahles im J. 1867 durch Gregorias YI.
a) Die Wahl;
b) Die InstallaUon.
9 20. Die jQngste Besetsang des Patriarchalstahles im Jahre 1901.
D. SehluBB.
a) Die Wahl;
b) Die Bekanntgabe, Investitar and Installation.
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Besetzungnoeiae des PatriarchaUtuhles v. KonstaniinopeL 5
Einleitung.
§. 1. Die Einteilung des römischen Reiches.
Die Einteilung des römisehen Reiches ist ffir die Verwaltang
der Kirche im christlichen Altertam von besonderer Wichtigkeit
Ans diesem Grunde wird dieselbe in Efirze yorausgeschickt. Kaiser
Konstantin der Grosse (f 337) gelangte nach Beseitigung alier Hit-
regenten und Rivalen zur Alleinherrschaft im ganzen röm. Reiche
ond teilte dasselbe nach der bereits von Diokletian getroffenen
Massregel in 4 Präfekturen ein : Orions, Illyricnm, Italia und Gallia.
Jede Präfektnr teilte er weiter in Diözesen und jede Diözese in
Provinzen oder Eparchien ein.
Im 4. Jahrhunderte waren die Prftfekturen folgendermassen
eingeteilt : ' *' ^*
1. Die Präfoktur Orions zerfiel in die Dibzesen:
a) Aegypten mit der Hauptstadt Alexandri^j'
b) Orions mit Antiochia,
c) Pontus mit Caesarea,
d) Asien mit Ephesus und
e) Thracia mit Heraklea (später Byzanz) als Hauptstadt >).
2. Illyricum:
a) Illyricum proprium oder occidentale mit der Hauptstadt
Sirmium,
b) Dacien vielleicht mit Sardica, an dessen Stelle unter
Justinian I. (527—565) Justinianea prima oder Justi-
nianopolis (das alte Tauresium beim heutigen Köstendil
oder vielleicht beim heutigen Skopje) trat,
c) Macedonien, zu dem auch Griechenland gehörte mit der
Hauptstadt Thessalonich *).
8. Italia:
a) Italia mit der Hauptstadt Mediolanuro,
b) Roma oder Romania, nämlich Mittel- und Sfld- Italien
mit Rom,
c) Africa mit Karthago und seit 379 auch
d) Illyricum occidentale.
1) Le Quien, Mich., Orient Chriitianiis. I. p. 1091.
2) Die DiösMe Illyricnm occidentale wurde seit 879 definitiv der Prä-
fektnr Italia einverleibt Die Diösese Dacien nnd inm Teile aach die Diöieee
Maeodonien waren fon Bamftnen, Abkömmlingen irömieokier Kolonien bewohnt
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6 Coilareiuc^
4. Gallia:
a) Qallia mit den beiden Qennanien westlich vom Rhein
mit Trier, später mit Arelate,
b) Spanien vielleicht mit Hispalis, jetzt Sevilla,
c) Britannia mit Eboracam (Tork)^).
An die Spitze einer Präfektor stellte Konstantin der Grosse
einen Fräfekten, an die einer Diözese einen Vicarins, mitanter ancb
Ezarchas genannt, and an die der Provinz oder Eparchie einen
Präses.
Nach dem bereits Erwähnten war in der Präfektnr Orions
auch eine Diözese Thracia. Die Haaptstadt von Thracia war ur-
sprfinglich Heraklea, später aber Byzantiam *). Die Stadt Byzantinm
erwählte sich Konstantin der Grosse . 330 zur Residenzstadt und
nannte sie anfangs »Nen-Romc , dann aber »Konstantinopolisc >).
Als Qründnngstag ^t gewöhnlieh der 4. November 328, aber der
11. Mai 330, wo die neue Anlage feierlich eingeweiht wnrde, ist
als »Geburtstagejährlich festlich gefeiert worden^).
§. 2, Entstehung der Bistümer als natürliche Folge der Ein-
teilung des römischen Reiches und Fortentwicklung des episkopalen
Systems.
Diese politische Einteilung des römischen Reiches konnte nicht
ohne Einfluss auf die kirchliche Verwaltung im römischen Reiche
bleiben. Die neuen Verfägungen in der Zivilverwaltung wurden
auch in der kirchlichen adoptiert. Es wurde eine neue kirchliche
Verwaltungsinstanz gebildet, das frühere einfache Metropolitansystem
wurde zu einem zweistufigen. Abgesehen davon, dass sich auch eine
Unterstufe, die Ehren- oder Titularmetropoliten^), bildete, traten die
Bischöfe der Diözesanhauptstädte als eine höhere Stufe von Bischöfen,
1) Eu8. Popovicij Kirchengesch. (rom. Übers, der Vorl. yon Athanasie
si Gherasim Bacaresci 1901. I. p. 375) IL Periode. Milaif Kirchenrecht
(deutsche UebersetsunK von Pessic) p. 271 n. 8. Berdnikow , Kirchenrecht
(roinSn. übers. Ton Balaiiescal 1892) p. 206.
2) Brzantiam nach einigen von Paosanias, nach anderen von Bysa ge-
gründet. Djrzantas a Paosania Spartanornm duce, nt qoidam volant, vel, nt
allii a Byza Meffarensiam classis praefecto ad Bospori Thraci ostinm et Pro-
pontis fines condita. Die Stadt soll auch »Ligosc, dann »Antoniae« geheissen
haben. Le Quien, Or. Chr. I. pag. 196.
3) Constantinopolis sie dicta ex nomine Constantini Magni , qai eam in-
staaravit et ad illam dignitatis gradnm evedt, at etiam »Nova Roma« nuncn-
Eiretar et regia in perpetuam ßret imperatoram graecomm orientis, antea
ysantas sive Byiantiam ipsias nomen erat. Le Quien, Or. Chr. I. p. XXIV
(Index).
4) Her%berg, Griechische Geschichte. Halle p. 622. Hergenröiher,
Photius I p. 5. Chron. paschale p. 285.
5) ZM$man, Synoden p. 61.
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BeaeizungtweUe des PatriarchaUtuhUs v, Konstantinopel. 7
als Torgesetzte Bischöfe der anderen Städte, nSmlich der Hanpt-
stftdte der einzelnen Provinzen, auf. Die Bischöfe, welche ihren
Wohnsitz in den Hauptstädten der Diözesen hatten, wurden »Me-
tropolitenc oder auch "»Exarchen t genannt. Später erhielten diese
Bischöfe, welche auch die höchste Instanz der kirchlichen Behörden
waren, den Namen »Patriarchent i). Die Zahl der orientalischen
Patriarchate war nicht dieselbe, wie die der politischen Diözesen.
§. 3. Die Entstehung des Bistums Konstantinopel und die Weiter-
entwicklung desselben Mur Metropolie, Obermetropolie und Patriarchie.
Noch im alten Byzantinm entstand sehr frühzeitig eine christ-
liche Gemeinde und die Tradition weiss auch die Namen der ersten
Bischöfe zu nennen. Der erste Bischof soll der Apostel Andreas
gewesen sein, der zweite Stachys, der' dritte Onesimus, der vierte
Polycarpus, der fünfte Piutarchus, der sechste' 1$edekion *) etc. Die
Bischöfe von Byzantium haben einen niedrigen Bang gehabt und
waren dem Metropoliten Ton Heraklea untergeordnet^.
Die oben erwähnten politischen Verhältnisse brachten auch im
hierarchischen Systeme Neuerungen mit sich. Nachdem Konstantin
der Grosse sich die Stadt Byzanz zur Residenz- und Hauptstadt
aaserwählt hatte, musste auch der Bischof von Byzantium, später
Konstantinopel, einen dementsprechenden Rang einnehmen. Byzan^
tium wurde zur Metropolie erhoben. Dies geschah aber zum grösseren
Teile auf Kosten des Metropoliten von Heraklea. Denn während
früher die Bischöfe von Byzanz denen von Heraklea untergeordnet
waren, musste Heraklea jetzt nachgeben, und wie in jeder Beziehung
in Thracien Konstantinopel über Heraklea zu stehen kam, so war
auch der autokephale Bischof von Konstantinopel der eigentliche Ober-
metropolit von Thracien^). Der Bischof Ton Heraklea blieb nur der
Stellvertreter des Bischofs von Konstantinopel und behielt nebst dem
bisherigen Titel eines Exarchen nur noch das Recht, den Bischof
von Konstantinopel als einen, der ihm vor der Erhebung von Byzan-
tium zur Residenzstadt unterstand, zu weihen ^).
1) Le Quien, Or. Chr. Lp. 1.
, Le Quien, Or. Chr. I. p. U-VIII. Maiha, Katal. Patr. p. 1 ff.
Oedeon^ Ilorcpiapx^ixo^ Ilivaxec . . . . p. 1 ff. u. a.
8) a communis generis episeopo regebatar Heracleensi metropolitae o b-
noxio .... Le Quien, Or. Chr. I. p. 9. Cap. IL 1. YrgL Balsamon in
ean. 8 Coostpl. und can. 3 Chalc. Beveridge, Pand. oan. L p. 89. 127.
Fetrus de Marca, De Constpl. patriarch. init. Dias. Paris 1664. Bergen-
röiher^ Photins I. p. 25.
4)Le Quien. Or. Chr. L p. 9. IL h Befeie lar G^iobiohte der
griech. Kirche. Tübingen 1864. I. 407.
6) Le Quien, ör. Chr. L p. 1095.
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8 CoÜatciuc,
Alle Obermetropoliten waren nrsprfinglich einander gleich nnd
koordiniert. Als inter pared gab es aber doch einen unterschied nnd
zwar war im ersten nnd zweiten Jahrhunderte der Bischof von Boro
der erste, der von Alezandrien der zweite, der von Antiochien der dritte.
Nachdem Eonstantinopel Hauptstadt nnd Kaisersitz geworden war,
wnrde dem Bischöfe dortselbst der Bang gleich nach dem von Bom
eingeräumt ^). Als dann auch noch der Obermetropolit von Jerusalem
als ffinfter in der Beihe hinzugekommen war, wurde diese hier-
archische Ordnung durch die VI. ök. Synode (Kan. 36) bestimmt*).
Der Eonstantinopolitanische Bischof erweiterte die Jurisdiktion mit
Hilfe des Kaisers Theodosius II. noch über die Diözesen Asien und
Pontus, was ihm durch die IV. ök. Synode 461 in Chalcedon
(Can. 28) zugestanden wurde*).
So kam der Bischof von Konstantinopel in die Beihe der ersten
Brzbischöfe mit def Jbfisdiktion über Thracien, Asien und Pontus.
Die Exarchen in diesen Diözesen waren ihm gegenüber blosse Vicare.
Seit der Zeit Ifi^dentet der Tftel »Exarch« auch so viel wie »Vicar«,
w&hrend der Obermetropolit von Konstantinopel gewöhnlich mit dem
Namen »Patriarch« bezeichnet wurde, welchen Titel auch andere Erz-
bischöfe vom 6. Jhdt. an als ausschliesslichen Bechtstitel erhielten.
§. 4, Der Titd i^Patriarch^ und i^ökumenischer Fatriarch^.
Der Titel »Patriarch« ist vorchristlichen Ursprungs^). Im alten
Testamente werden die Stammväter (nfD^n lir^i)*) des israeli-
tischen Volkes »Patriarchen«, d. h. »Erz- oder Urväter« benannt^).
Die 12 Söhne Jacobs hiessen »Patriarchen«. David wird bei Lukas ^)
und Abraham bei Paulus*) »Patriarch« genannt Als die Juden im
römischen Beiche zerstreut lebten, führten ihre nationalen Provinz-
d. i. Synagogenvorsteher den Titel »Patriarch« bis zum fünften Jahr-
hundert*), unter den Christen nannten zuerst die Montanisten ihren
Bischof »Patriarch« ^% In den ersten drei Jahrhunderten werden alle
Bischöfe »episcopi« genannt"). Im vierten Jahrhunderte kommen
1) durch die II. ök. Syn. 881 can. 3, ride Le Ouien, Or. Christ. I p. 9.
Walter, K.-B. U. Ausg. 1871. p. 49. VeHng, K. R. 2. Aufl. 1881. p. 626.
2) Balanescu'iUrdnicoVt Kirch.-R6cht (rom.) p. 206.
3) Sjnt. U. p. 387. Le Quien, Or. Chr. I. p. 9-22. Vering, K.-R.
^^" Walter a. a. 0. 8. 49. Note 6. S. 38 N. 2, 877 N. 1.
Ez. 18. 25. Nam. 10. 16. Deut. 16. 18 etc.
Paral. 9. 9. - 24, 31. — 27, 22.
6) nach Septuaginta, vide aach Le Quien, Or. Chr. I. p. 3.
7) AcU Apost. fl, 29. - 8) Hebräerbrief. VIL 4. — 9) Le Quien, I. p. 8.
10) Hieron, ep. 54. ad Marcel., vide Le Quien, Or. Chr. I. p. 3. ^
11) Le Quien, Or. Chr. I. p. I.
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'4) Ei
5)1.
Besetnungsweise dea PairiarchaUtuhles v. KonsianiinopeL . 9
FUIe vor, dass man jeden besonders ehrwfirdigen Bischof^), wenn
auch nicht einer grösseren Stadt, »Patriarch« nennt. Die Metro-
politen der Hauptstädte, die einen Ehrenvorrang hatten, werden
im ffinften Jahrhunderte mit dem Titel »Exarch« bezeichnet').
Von Eonstantinopolitanischen Bischöfen finden wir im vierten
Jahrhundert Nectarius (381—397) von Sozomenos*) Patriarch ge-
nannt Im fünften Jahrhunderte kommt der Titel öfters Tor und
wird besonders von den Eonstantinopolitanischen Bischöfen ge-
braucht^); es wird aber der Titel »Patriarch c noch abwechselnd mit
Exarch angewendet, bis sich endlich die Scheidung vollzog und dor
Titel »Patriarch« bloss den fflnf dem Range nach ersten Exarchen
vorbehalten wurde, u. zw. dem von Rom, meist icaicac genannt, dem
von Konstantinopel, von Alexandrien, von Antiochien und von Je-
rusalem^. Eonstantinopel erhielt also den zweiten Rang, welcher
auch allgemein anerkannt wurde, mit Ausmhme Roms, deren
Bischöfe sowohl den zweiten Rang als auch den Titel »Patriarch«
bekämpften ^). Der Eonstantinopolitaniscbe Bischof wurie aber vom
ffinften Jahrhunderte an thatsächlich immer Patriarch genannt. Den
Titel »ökumenischer Patriarch« legte sich von den Eonstantinopolitani.
sehen Bischöfen Monas 536 in einem Synodalschreiben bei und dann
Johannes der Faster (NtjoxeoT^c-Jejunator) auf der von ihm versam-
melten Synode 588, um die gegenöber dem Patriarchen von An-
tiochien Gregorius erhobenen Anklagen zu entscheiden. ^Der da-^
malige römische Bischof Papst Pelagius II. und sein Nachfolger Gregor
1) I. B. der Vater des Gregor von NazUnz, Bischof von Sasinia, wird
aach mitunter so genannt.
2) Cnropalatae Cod. De officialibus et db officiis magnae ecclesiae.
Balsamon conim. zom 9. Cau. d. IV. dk. Sjn. Milaa, K.-R. p. 296.
8) SoMomenos 1. VII c. 8 aach Johannes Chrysostomas wird vom*
Kaiser Theodosias Patriarch genannt. In einem Codez Vaticanus wird er auch
Patriarch genannt, yide Catal. Bmiell. 1899.
4) Le Quien, Or. Chr. col. 3. V, col. 4. XII: Socrates gehraucht ihn
für die Bischöfe Ton Konstantinopel. Nach anderen soll Accacins der erste
Patriarch gewesen sein. Le Quien, Or. Chr. I. p. 60.
5) Veringf K.-R. p. 03 behauptet, dass der Konstantinopolitanisohe
Bischof den Titel »Patriarch« im 6. Jhdt. nahm. — Mila$ meint in seiner
»Prarila s tumai« II. 480—483), dass die Einsetzung der Patriarchalgewalt
Tom IV. ök. Conc. herrühre. Die Bezeichnung »Patriarch «l.kommt [in den
Canones der IV. ök. Synode nicht Tor. — Saguna, K.-R. p. 99 ist der irrtüm-
lichen Meinung, dass trotzdem Kaiser Theodosius der Jüngere dem Johannes
Cbrysostomns und Kaiser Justinian den Konstantinopolitanischen Bischöfen den
Utel »Patriarch« gaben, dieser Name erst im Konstantinopolitanischen Local-
eondle 861 (Can. 15— l^Torkomme.
6) Die römischen Bischöfe gestanden den zweiten Rang dem Konstan-
tinopolitanischen Bischöfe nar zweimal zu, erstens 1204, als sie in Konstautinopel
einen lateinischen Patriarchen einsetzten, und das zweitemal 1489 dem orienta-
lischen Patriarchen auf der Unionssjnode lu Florenz.
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10 Cotlareiuc,
der Grosse (590— 604) protestierten dagegen , dass der Bischof Ton
Eonstantinopel diesen Titel fähre 0- Aber trotzdem führten der
Nachfolger des Johannes Jejanator, Gyriacas wie aach alle Eon-
stantinopolitanischen Bischöfe den Titel »ökumenischer Patriarcht
bis ^nf den heutigen Tag.
§ 5, Das Patriarchat im byzantinischen Reiche.
Im byzantinischen Reiche hatte sich das Patriarchalsystem 7o11-
kommen ausgebildet, aber auch der Einfluss der Kaiser war nicht
unbedeutend (Oaesaropapismus). Trotzdem hatten die Patriarchen
alle Metropolitangewalt an sich gebracht. Die Patriarchen be-
herrschten so sehr die Metropoliten, dass die Lehre aufkam: »Die
fünf Patriarchen sind die fanf Sinne der Kirche.« Der römische
Bibliothekar Anastasius sagt: »in der Kirche, dem Leibe Christi,
sind die^ ffinf Patri^k^henstühle das , was in jedem Leibe die fänf
Sinne stnd«'). Ja '-^später biess es sogar, »dass die eigentlichen
Nachfolger ^er Apostel fiii Patriarchen allein und die Metropoliten
nichts anderes als Vikare seien«. Ein Beispiel der hierarchischen
Gewalt des Patriarchen von Konstantinopel gegenüber dem unter-
geordneten Metropoliten ist das sogenannte »Stauropegialrecht«
(oxaupoc =: Kreuz und m^Tvufii »^ steke auf). Es war dies ein
Privilegium des Patriarchen, vermöge dessen es ihm freistand, jede
Kirche und jedes Kloster bei der Gründung der Jurisdiktion des
Ortsbischofs zu entziehen und seiner eigenen unmittelbar zu unter-
werfen und zwar dadurch, dass er ein von ihm gesandtes Kreuz
dort aufpflanzen lioss als Zeichen, dass er die neugebaute Kirche
sich vorbehalte*). Dieses Recht hatten die Patriarchen nur in ihren
eigenen Sprengein und auch später besassen sie kein Stauropegial-
recht in fremden Patriarchaten, wenngleich Blastares [Synt. VL 257]
es dem Eonstantinopolitanischen als Recht anerkennt.
Die Gewalt der Patriarchen war nur den ihnen unterworfenen
Bischöfen gegenüber so gross ; dem Kaiser gegenüber waren sie ohn-
mächtig, da die byzantinischen Kaiser in Kirchenangelegenheiten
einen immer grösseren Despotismus ausübten^). Es kam die Theorie
1) Le Quien, Orient Chr. I. p. 67—94. Eu$. Popovici^ iK.-G. o. c
II. p. 32. Walter, E. R. 14. Aufl. p. 50.
2) Harduin, Acta cono. V. p. 754. Dasselbe Bild braucht Petrus tod
Antiochien [Cotelerii Monoin. eccl. ffr. II. 114], Nilus Doxap. [Ta&$ tcuv
9caiptapxf>v p. 286] and Balsamon [ad Can. 81 Apost. Synt II. 41].
3) Lt Ouien, Or. Chr. I. p. 115 YII n. VIII. Balsamon ad Can. 31
Apost Synt IL 42. vrgh aach Eua, Popovicz, Die Tier f. h. Staatsm. herab-
gelangten Themata [Manascript, Eigentum der theol. Bibliothek in Ciemowiti.
Sign. III. 89. p. 222].
i) Le Quitn, Or. Chr. L p. 18. II, p. 187 seqq. ^ t
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Beattzungwoeist des PairiarchaUtuMes v. Konstantinopel . 11
auf, da88 aach der Kaiser durch die Salbung eine Art Bischofsweihe
empfange, wodarch ihm einerseits die vor der Krönung begangenen
Sfinden vergeben würden» andererseits er Hohepriestergewalt in der
Kirche auszuüben berechtigt sei*).
Der Patriarch von Konstantinopel war aber trotzdem sehr
mächtig und seine Stimnae galt viel, besonders nach der Spaltung
der okzidentalischen und orientalischen Kirche. Seit dieser Zeit be-
trachtete man den Patriarchen von Konstantinopel als den ersten
der »orthodoxen« Bischöfe.
§ 6. Der Zustand des Patriarchats unter der nwhamedanischen
Herrschaft.
Als die christliche d. i. byzantinische Regierung 1453 der
mohamedanischen Platz machte, musste auch diese nicht christliche
Regierung die Kirche und den Patriarchen ^f^|iren> halten. Es
wurde dem Patriarchen von Konstantinipol ein .grosses Votum sogar
in der Regierung zugestanden, indem er ;{^n Oberhaupts 46r grie-
chischen d. i. christlichen Nation im Reiche gemacht wurde, welche
Stellung ihm auch gegenwärtig mit einigen Einschränkungen be-
lassen, wird, worüber wir in einem späteren Kapitel weitläufiger
bandeln werden.
A. Die Besetzung des bischöflichen Stuhles von Konstantinopel
in den ersten vier Jahrhunderten.
§ 7. Die Besetzung der Kirchenvorsteherämter in
apostolischer Zeit.
a) Die Wahl.
Es ist schwer, die Art und Weise der Besetzung der Bistümer
im allgemeinen und des Kirchenvorstehers von Byzanz im be-
sonderen zu konstatieren, da weder ein Wahlmodus, noch irgend
welche Verfugung, die die Besetzung der Bistümer im urchristlichen
Altertime betreffen würde, vorliegt. Schlüsse lassen sich aber aus
manchjtf. geschichtlichen Tatsachen ziehen. Schon die hl. Schrift
gibt uns diesbezüglich manche Aufklärung. Dnser Heiland hat die
zwölf Apostel selbst gewählt und ihnen die Binde- und Lösegewalt
erteilt. Diese zwölf Männer, ausgestattet mit der Gabe des hl.
Geistes, zogen dann nach allen Weltteilen, lehrten, tauften und
gründeten Gemeinden von Christen. Es war nun ganz natürlich,
1) Eu9. Popovid, KireheDge8chicbte o. c. IL p. 34.
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12 Cotlarciue,
dass an die Spitze der von den Aposteln gegründeten Gemeinden
Kirchenvorsteher angestellt werden massten. In den meisten Fällen
wurden diese von den Aposteln, welche die betreiFende Ge-
meinde fürs Christentum gewonnen hatten, bestellt oder um mich
miti der hl. Schrift auszudrucken ^jmrüchffelassmt. So schreibt
Paulus an Titus: »Deshalb habe ich Dich auf Kreta zurück«
gelassen (iv^Xiicov), damit Du das Fehlende noch dazu in Ordnung
brächtest und in jeder Stadt Presbyter anstellest, wie ich Dir ver-
ordnet habe^).€ Also Paulus hat den Titus in Kreta nicht nur als
Bischof zurückgelassen, sondern ihm auch die Macht erteilt, wo
nötig Presbyter (welcher Ausdruck in den ersten Jahrhunderten pro-
raiscue mit iictoxoicoc gebraucht wurde)*), anzustellen. Ebenso
schreibt Paulus an Timotheus: »Wahr ist das Wort: wenn jemand
nach dem Yorsteheramte strebt, so begehrt er ein gutes Werk ...€*)
und führt die Eigenachaften an, die bei der Wahl eines Bischofs in
Betracht zu kommen haben. Es scheint also, dass schon zur Zeit
des Apostels Paulus die , eh ristlichen Gemeinden sich zu organisieren
begannen und zwecks dieser Organisierung gibt Paulus dem Timo-
theus die nötigen Vorschriften bezüglich der Bedingungen an, denen
die Kandidaten für die Priesterämter zu entsprechen haben. Die
Wahl durfte nicht voreilig und unüberlegt vorgenommen werden.
1) Paolos Brief an Tit. I. 5. Die Einsetiong der ersten Bischöfe schreibt
aoch Irenäut den Aposteln lo: habemos annoroerare eos, qui ah apostolU
ifiBtituti sunt episropi io ecclesiis et soccessores eorom osaoe ad nos [ad?,
haer. IIL 8. 1.] ond t&blt die Bischöfe von Born aof. Dieseloe Meinong fer-
tritt Tertullian [de praescr. c 821. Trgl. aoch Langen, Gesch. d. röm. £rche.
Bonn 1881. L p. 168 n. 2.
2) Bisping, Paolos ad I. Tim. III. 1, o. ad Titos I. 5. Zwischen den
Aosdrücken »2ici9xo7co(» ond »TcpKTßuitpoc« gab es keinen scharfen unterschied im
Sprachgebraoche, ein jorisdiktioneller unterschied war aber gans bestimmt Tor-
handen. Sowohl Titos als aoch Tirootheos roossten eine höhere Jorisdiktion haben
als die, welche sie angestellt hatten. Der unterschied ist aoch in der Apokalypse
(2. 1 ff.) angedeotet, denn die » Engel c der 7 kleinasiatischen Gemeinden sind
sogleich symbolische Figoren der betreffenden Bischöfe. Es ist wohl wahr,
dass anfangs bei der kleinen Ansahl der Gl&obigen keine strenge hierarchische
Organisation bestand. Alle Kirchen forsteher waren Bischöfe ond alle wichtigeren
Angelegenheiten worden coUegialiter erledigt. Mit der Zonahme der Ansahl
der Gl&obigen ond der Gemeinden mossten Bischofsgehilfen angestellt werden.
Non worde der Unterschied swischen diesen swei Aosdrücken merkbarer ond
die npta^ti-noot roossten Tor den ^icioxottoi sorttcktreten.
Em frühes Beispiel der hischöfl. AotoritSt ond des im Entstehen be-
griffenen monarchischen Systems haben wir in Jerosalem, wo Jakobos ond sein
Nachfolger Symeon [Eos. H. e. IV. 301 Ton den übrigen jodench ristliehen
ixi^oKot ond )tpe<jßihcpoi , die an das honepriesterliche Amt gewöhnt waren,
ohne Widersprach anerkannt worden. Von Palistina Terbreitete sich die mo-
narchische Yerfassonff über gans Kleinasien ond Ig^natios macht schon den
Unterschied aoch swischen den Aosdrücken »jrpE^rßÜTepo«« ond »lfc(9xo«o<«. [Ign«
ad. Magn. c 6. Trgl. aoch Langen o. c I. p. 98.]
8) I. Timoth. lU. 1.
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äe8et9Ufig8wei8e des Patriarchai$tuhieB v. konatantinopel. 1$
»Die Hände lege Diemandem schnell auf ^)/ schreibt Paulas, »und
was du gehört hast^ lege nieder bei euverlässigm Männern^ welche
ffthig sein werden, auch andere zu lehren *).€ Der Kandidat, der
nach dem Worte des Apostels dieses schöne Werk begehrte, musste
die Fähigkeit haben, auch andere belehren zu können. Er musste
auch verschiedene Eigenschaften haben, und zwar musste er ud*
tadelig sein, nur eines Weibes Mann, nächtern, klug, anständig, gast-
freundlich, lehrfähig, nicht dem Trünke ergeben, kein Schläger,
nicht geldgierig, nachgiebig, nicht zanksfichtig, dem eigenen Hause
wohlvorstehend, die Kinder haltend im Gehorsam mit aller Sitt-
samkeit, nicht ein Neuling. Er musste ein gutes Zeugnis haben
auch von denen, die draussen sind etc.^).
6) Die WHhe und InstaUatian.
Hinsichtlich der Weihe im urchristlichen Altertume sind
auch nur einige Andeutungen in der hl. Schrift zu finden. Der
weihende Eirchenvorsteher streckte unter Gebeten über dem Kopfe
des zu Ordinierenden die Hände aus und nach Ablegung einer »Pro-
fessiot seitens des neu zu Weihenden rief er die Gabe des hl.
Geistes für ihn herab. Paulas schreibt an Timotheus: »Deshalb er-
innere ich Dich, dass Du wieder anfachest die Gnade Gottes, welche
in Dir ist durch Auflegung meiner Handelt und »Vernachlässige
nicht die in Dir befindliche Gnadengabe, welche Dir verliehen ward
durch Prophezeiung^) unter Auflegung der Hände des Presby-
teriumst <). An dieser Stelle spricht der Apostel ganz klar von der
sakramentalen Weihe.
Eine Andeutung des Ordinationsmodus und des Zeremoniells ist
noch: »Kämpfe den schönen Kampf des Glaubens, ergreife das ewige
Leben, zu welchem Du berufen bist, und in Rücksicht auf welches
Du bekannt hast das schone Bekenntnis vor vielen Zeugen*'').
Daraus ist zu entnehmen, dass Timotheus bei der Ordination auch
ein feierliches Bekenntnis (ofioXoifiav) seines Glaubens vor dem Pres-
byterium oder vor der ganzen Gemeinde ablegte.
e) SeMuMsfolgerung.
Aus dem Gesagten lässt sich der Schlnss ziehen, dass zur
apostolischen Zeit die Besetzung der Kirchenämter in folgender
1) I. Umoth. y. 22. — 2) II. Timoth. 2. 1. — 3) I. Timoth. III. 2.
4) IL Timoth. I. 6.
5) Bei xpof i)if £a haben wir an einen gottbegeisterten Aaupmch so denken,
welcher vielleicht in Form eines Gebetet, n. sw. von dem Apostel selbst über
den Timotheas bd dessen Weihe aasgesprochen wnrde.
6) Panl. L Timoth. IV. U.
7) I. Timoth. YL 12.
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14 Cotlarciue,
Weise vor sich giog. Ein tugendhafter, lehrf&higer und sonst mit
allen guten, für den geistlichen Stand erforderlichen Eigenschaften
ausgestatteter Mann wurde von dem Apostel, der die betretfende
Gemeinde gegründet hatte, in manchen Fällen in Übereinstimmung
mit der Geistlichkeit und der Gemeinde gewählt. Der Gewählte
wurde hierauf auf folgende Art ordiniert: Der Kandidat musste ein
Glaubensbekenntnis »in Anwesenheit vieler« ^), also in Anwesenheit
der Geistlichkeit und der Gemeinde ablegen. Nachdem er dieses ge-
tan hatte, wurde vom Apostel ein gottbegeisterter Ausspruch in
Form eines Gebetes hergesagt. Dieses Gebet wurde von einer
Händeauflegung der Ordinierenden begleitet| was ein Symbol der
Zustimmung und Anerkennung von Seite des Presbyteriums war.
Die Händeauflegung finden wir schon in vorchristlicher Zeit. Bei
den alten Juden war die Handauflegung ein Symbol der An-
erkennung, aber auch der Mitteilung. Der opfernde Priester legte
die Hand dem Opfertiere auf, Moses dem Josua, die Söhne Israels
den Leviten etc. Gerade so wie Moses dem Josua durch dieses
Symbol die Regierung fiberliess und die Söhne Israels den Leviten
ihre Wirkungssphäre mitteilten, bezeichneten auch die Apostel ihren
Nachfolgern mit der Händeaufleguug (xeipofteoio, x^tpoöovia) nicht
nur die Zustimmung und Anerkennung seitens der Gemeinde,
sondern symbolisierten hiemit auch die Gaadenmitteilung. Der Ge-
weihte erhielt dadurch die hl. Gnade und zugleich die Jurisdiktion
aber die Gemeinde, für die er speziell ordiniert war, denn jeder
Kleriker musste fär eine bestimmte Kirche geweiht werden. Hiemit
wurde er also auch installiert. Als Ort der Erteilung der Weihe
ist der Versammlungsort der Christen zwecks Abhaltung des Gottes-
dienstes, also die betreffende Kirche anzunehmen.
§ 8. Die EinseUfungsweise der Bischte auf dem Stuhle von Byeanz in
der nachapostolischen Zeü (in den ersten drei Jahrhunderten — 211).
In der nachapostolischen Zeit konnte die Besetzung auch nicht
anders vorgenommen werden, als wie die Nachfolger es von den Aposteln
abgelernt hatten. Die Stadt Byzanz soll der Tradition *) nach auch die
1) I. Timoth. VI. 12.
2) Niceph. KaU K.-G. VUI. 6. Chron. Nieeph. Cpl. pp. 771 IL ed. Bonn.
Ephrem. mon. caUl. Episo. (Mai, Not. Coli. III. I. p. 226--1A5). Baron, d. 314
n. 94. Le Quien, Or. Chr. L p. 9 fll Bandur,, Inip. Or. p. III. 1. VIII.
S. 161 C Borotheust Tyri de Tita et morte prophetamm , apottolomm et
iscipnlomm Christi. Obxwar einige, wie Cuper, AUatiua n,* a. diese Schrift
für unterschoben halten, fide Krummbacher, Byxanünitche Literatur and
HeryenrOiherf Photios I. p. 6.
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tieaeiMungnoeUe des PatriarchaMuhtes v. konsiantinopet. IS
Ehre gehabt haben, die Lehre des Christentams von einem Apostel
und zwar vom Apostel Andreas erhalten zu haben. In derselben Weise,
in welcher Paulus den Titus in Kreta und den Timotheus in Ephesus
zurückliess, Hess nach Dorotheus, der zur Zeit des Licinius und Eon-
stantinus gelebt und den Märtyrertod erlitten hat, auch der Apostel
Andreas, nachdem er bei 2000 Seelen ffirs Christentum gewonnen
hatte, den Stachys in Byzanz zurück, den er vor seinem Fortgange
zum Bischöfe geweiht und eingesetzt hatte. (Kai t6v Zxotxuv licioxoicov
xaxaoTi^oa;, sie 2tvtt>ici]v xou IIövtou fAsdioaxat) ^). Für die Annahme
der Gründung der Kirche von Byzanz durch Andreas würde die
Wiederauffindung der Qebeine des hl. Apostels bei der Re-
staurierung der Apostelkirche unter Justiniun sprechen. Dieselben
sollen unter Konstantin dem Grossen in die genannte Kirche beige-
setzt worden sein*).
Dieser geschichtlichen Wahrheit werden zwar andere Meinungen
entgegengestellt. Bei Simeon Logotheta*) finden wir einen Katalog,
an dessen Spitze sich Bischof Philadelphus findet und zwar zur Zeit
des Severus und seines Sohnes Antonius Caracalla, also c. 210. Auch
Georgius Cedrenus^) und Simeon von Thessalonika verlegen die
Errichtung des bischöflichen Stuhles in die Zeit des Severus und
Caracalla^).
Diese scheinbar divergierenden Ansichten lassen sich jedoch
in Übereinstimmung bringen. Denn wenn bei Dorotheus der Apostel
Andreas als Gründer der christlichen Gemeinde in Byzanz, der dann
den Stachys zurückliess, gilt, und Simeon Logotheta den Philadelphus
für den ersten Bischof hält, so könnte es sein, dass Andreas die
christliche Gemeinde gegründet und den Stachys als Presbyter*)
hinterlassen hat, dem dann Onesimos, Polycarpus 1., Plutarchus,
Sedekion, Diogenes, Eleutherios, Felix, Polycarpus II., Athenodoros,
Euzoios, Laurentius, Alypios, Pertinax, Olympianos, Markos I.'') als
Presbyter gefolgt sind, worauf zu Anfang des 3. Jahrhunderts Phila-
delphus der erste Bischof von Byzanz wurde. Georgius Gedrenus
1) DorotheuB, Traotatns eoelesiast. de 70 Domini discipaiis in Chron.
Alex. p. 845 ff., yide Le Quien, Gr. Chr. I. p. 200.
2) Philoit III. 2. Socrates I. 40. Leo Qram. p. 87 ed. Bonn. Hieron.
deseript. eecL in Laea. Üu CangCt ^ Cpl. Procop. de aedif. p. 188. Theophan.
ed. Bonn p. 352.
8) 8. L. ap. Bandnr. Irop. Or. Paris 1711, t IL p. 88a
4) hwt L p. 477.
b) U Quien, Or. Chr. L pp. 10—12.
; welcher Aosdraok, wie wir bereits bemerkt haben [p. 12], mit dem
Ansdroeke »hdwwKoi* nDterschiedslos gebraucht wnrde.
7) TeBwov n«tpiapxwxo\ ic{vaxic pp. 102 and Matha, K«t&Xoyo?.
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16 Coitareiud^
fährt den Katalog des Simeon Logotheta an and sagt: »ticl xoutoo
(i. e. Earacalla) icpcoTOc licioxoicoc xaxiorr^ BuCavttou Iti] xpia * itpo>i)v
rap npoioxaxo t^c ixxXi]o(ac 8ti] x' icpeoßurepöc xtg dt& xi fi*]^
slvai iicioxoicov ^).€
Dieser Ansicht wflrde noch die Stelle im Gbronicon Alexan*
drinnm nnd in der Chronographie des Abtes Theophanes') schein-
bar widerstreiten*}, wonach erst nnter Konstantin dem Grossen
Metrophanes (c. 807—317) der erste Bischof gewesen ist, der zweite
Alexander etc.^). Wenn wir ans aber die Zeit Konstantins des
Grossen vergegenwärtigen nnd an die Verwandlung der Stadt Byzanz
in Konstantinopel denken, so werden wir folgern dürfen, dass Metro-
phanes nicht der erste Bischof, sondern der erste antokephale Erz-
bischof oder der erste Metropolit war. Denn da frfiher die Kirchen-
vorsteher von Konstantinopel, wenn anch Bischöfe, dem Metropoliten
von Heraklea untergeordnet waren, gab Konstantin der Grosse dem
Bischöfe von Konstantinopel Metrophanes auch die Autokephalie.
So könnten wir also alle Quellen in Übereinstimmung bringen^
dass Andreas der Gründer der ehrisüichen Gemeinde von ByeanM
sein konnte, Stachys der erste Presbyter, (in unserem heutigen Sinne)
Philadelphus der erste Bischof und Metrophanes der erste Metropolit.
Wenn aber auch die geschichtliche Wahrheit noch nicht sicher
dasteht, wer der erste Bischof^), ebenso wer später der erste
Patriarch war, so leidet darunter die Einsetzongsweise nicht in dem
Masse, dass man nicht wenigstens mit Wahrscheinlichkeit dieselbe
in der nachapostolischen Zeit angeben könnte.
Die Apostel haben in den von ihnen gegründeten Gemeinden
Nachfolger geweiht und wie wir aus der hl. Schrift gesehen haben,
sie dortselbst hinterlassen. Die Nachfolger aber bestellten sich Pres-
byter oder nach Bedarf auch Bischöfe für ihre Sprengel.
Da Byzantium anfangs nicht so hervorragend war und die
Gemeinde vielleicht nicht einmal einen Bischof, sondern nur einen
Presbyter im heutigen Sinne des Wortes hatte, so musste dieser
von dem vorgesetzten Bischöfe bestellt d. h. gewählt werden« E|
ist also mehr als wahrscheinlich, dass die Wahl des Presbyters,
später des Bischofo, vom Klerus unter Vorsitz des Bischofs von He-
1) vide Le Quien, Cr. Chr. p. 205.
2) Theophanes, Chronographia p. 49.
8) Byiant. hist teript. ed. Yenet. 1729. lY. 224. YI. 8.
4) TTgl. auch Kirchea-Lexicon von Wetner und Weite (Art. Constan-
tinopel).
5) HergenrOther, Photios I. p. 7 will auf Jeden Fall den Metrophanes
als ersten BiMhof von Konstantinopel witeen.
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Beseizungaujeise des PairiarchaUtuhlea v. ttonslantinopeL 17
raklea and möglicherweise auch in Anwesenheit der Gemeinde^)
vorgenommen wurde.
Die Chirotonie wurde den Eirchenvorstehern von Byzantium
schon in dieser alten Zeit vom Bischöfe von Heraklea erteilt, welchem
Byzantium als christliche Eirchengemeinde unterstand*}.
Nach der Erhebung der Eirche von Byzantium zum Bistume
— was im 3. Jahrhundert geschehen sein musste — galten bezüg-
lich der Besetznng des bischoflichen Stuhles dieselben Normen, die
für alle Bistumer Giltigkeit hatten. Solche Normen begannen eine
konkretere Form anzunehmen und allmählich wirkliche kirchliche
Gesetze und Canones zu werden. Vorschriften bezüglich der Wahl
und Weihe der Bischöfe finden sich schon in den Constitutiones
SS. apostolorum. Nach diesen sollen sich zum Zwecke der Wahl
eines Bischofes an einem Sonntage die Bischöfe^ der Klerus und das
Volk versammeln und den von Allen Gewählten eum Bischöfe
weihen^). Auch die Vorschriften des hl. Cyprian können von uns, wenn-
gleich sie sich auf andere Eirchen beziehen, zur Illustrierung der
damaligen Bischofswahlen herangezogen werden. Er schreibt an d^
Bischöfe von Spanien: »Zu den feierlich zu begehenden Ordinationen
mögen bei jenem Volke, für das der Vorsteher zu weihen wäre, die
nächsten Bischöfe derselben Provirus zusammenkommen und der Bischof
solle gewählt werden in Gegenwart des Volkes (praesente plebe),
welches das Leben der Einzelneu am besten kenne und jedes Ein-
zelnen Handlungen wahrgenommen habe^).€
§ 9. Die Beseteung des bischöflichen Stuhles im 4. Jahrhunderte.
Ganz bestimmte Normen hinsichtlich der Besetzungsweise der
bischöflichen Stühle findet man im 4. Jahrhunderte, wo die gesetz-
gebende Thätigkeit begann. Der erste apostolische Eanon schreibt
bezüglich der bischöflichen Weihe folgendes: Der Bischof werde von
zwei oder drei Bischöfen geweiht^). Also schon in den ersten
drei Jahrhunderten durfte die Weihe eines Bischofs nicht von
weniger als drei Bischöfen vorgenommen werden. Anaklet, der
1) Nach Analogie können wir behaupten, dass die Gemeinde in dieser
Zeit an der Wahl teilnahm ; denn in Rom wnrde am 10. Febraar 236 [S. Lip-
aios Chronol, p. 199] Fabian von der ganzen anwesenden Gemeinde gewählt
and swar einstimmig, da nach Euseb. (VI. 29) sich anf sein Hanpt eine Tanbe
niedergelassen hatte.
2) Le Quieni Or. Chr. I. p. 205 — nach Siroeon Legothet. Metaphrastes.
8) Consi SS. ap. 1. YIII, Tide Archiv f. k. K.-R. Jhg. 42. Const. Fapo-
vic%. Die Wahl des Patriarchen p. 278.
epist 68, vide Archiv f. k. K.-R. [42. p. 278].
Sjntagma des Bhallis n. Potlis. I. p. 1.
Archiv fOr Kirohenreoht LXXZm. /^ i
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§:
lÖ Coilarciud,
Bischof von Rom, sagt, dass selbst Jacobas, der Bruder des fierrn,
von drei Aposteln, nämlich von Petras, Jacobus und Johannes ge-
weiht wurde ^). Diese Sitte wurde allgemeiner von der ersten Ökumeni-
schen Synode (325) an, also zu Beginn des 4. Jahrhunderts, als die-
selbe Bestimmung getroffen wurde. Der 4. Kanon des Konzils von
Nikfta lautet : Der Bischof solle eingesetzt werden (xafttotaoftat) von
allen, welche in der Eparchie sind ; wenn aber dies aus irgend einem
Grunde unmöglich wäre, mögen wenigstens drei zusammenkommen,
die Wahl vornehmen und wenigstens schriftlich sich mit den anderen
ins Einverständnis setzen und dann erst den Gewählten weihen.
Zur Bestätigung solle die Handlung dem Metropoliten vorgelegt wer-
den *). In diesem Kanon ist eigentlich die ganze Art und Weise der
Besetzung der bischöflichen StQhle angegeben. Im griechischen Texte
heisst es: Iicioxotcoc iipoai§xei fi&v üii6 icavxcov tq>v iv t^ iicapxia
xadiaxaodai. Da nach Zonaras*) und nach Balsamen^) unter xa-
fttoxaotot so viel wie die Wahl zu verstehen ist, so galt schon in
dieser alten Zeit die Norm, dass jeder Bischof von allen Bischöfen
seines Sprengeis zu wählen sei. Sogar fQr Notfälle finden wir in
diesem Kanon die entsprechenden Massregeln angegeben; denn es
heisst: Aik duoxopic stt) toiouto (nämlich dass alle anwesend sind)
i6 duavTcuv TpeTg iicl t6 abx6 ouva^ofiivouc, oufi<|/i99a>v Yivofilvo», xal
TÄv iicövTcov xal oüvttdefievtüv 8ta Ypafifiatcov . . . , xote ttjv ^e^"
potoviav tcotsTo^ai. Also für den Fall , dass einige Bischöfe , sei es
durch Krankheit oder durch die allzugrosse Entfernung, oder sei es
durch was immer für Umstände verhindert waren, konnten die
übrigen, aber nicht weniger als drei, zusammenkommen, beraten und
den tüchtigsten wählen. Die Wahl mu$ste den übrigen verhindert
gewesenen Bischöfen schriftlich bekannt gegeben werden. Die letz-
teren hatten hierauf zu antworten, und erst, wenn ein Einverständnis
zustande kam, durfte zur Weihe geschritten werden. Vor der Weihe
scheint jedoch noch etwas sehr Wichtiges notwendig gewesen zu sein,
nämlich die Bestätigung der Wahl. Dieses Recht hatte nach unserem
Kanon der Metropolit; denn es heisst: t6 dk xupoc tq>v ^evcfi^voiv
didoobai xaft* Sxaotijv iicapxiav tcu nTjTpo«oXtT{j *).
Das Recht der Bestätigung des neugewählten Bischofs wird
1) Pedalion ^rom&nisch) I fol. I. Nota.
, Sjnt d. B. a. P. II. p. 122.
3) Synt. II. ad can. 4. p. 122, wo er sagt: b St -nj« <tuvö8ou xanS-ni; x^cvcav . . .
xat&9Ta9iv, xat Yttpoxov(av, xfyt ^fov xoeXiT , . .
4) Der sich folgend er maMeD auMpricht: To xoi^atad^, yJxoi ^ij^pfl^ialb
^{<jxo)cov .... Synt. II. ad can. 4. Nie. p. 123.
5) Sjnt. II. p. 122 (Pedal: rom. f. II A).
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Besetzung sweUe des Patriarchaiatuhtes t). ttonatatitinopel. Id
dem Metropoliten auch vom 6. Kanon des L ök. Konzils einge-
räumt: SXUQ X^P^^ T^<"M^ '^O^ fltJTpOTCoXlTOü "f^VOlTO ImOXOHOCt TÖV
TOtouTov ^ fiSYaAi] ouvotec Spioe fiiq de! elvai iicioxoicov ^). Ebenso ist
aas dem 19. Kanon der Synode von Antiochien (341) ersichtlich,
dass der Bischof von der Synode der Bischöfe und in Anwesenheit
des Metropoliten zu wählen und zu weihen war.
In diesem Kanon finden wir aber noch eine andere nähere Be-
stimmung hinsichtlich der Wahlordnung : im Falle einer Uneinigkeit
bei der Wahl und falls Stimmeneinhelligkeit nicht zustandegebracht
werden könnte, sollte die Stimmenmehrheit siegen. El dk xaxa xov
dptofiivcuv xavova yi^vocto ^ xaTaoTaotc, ivxiXiyoitv ii xivsc dt' o!-
xsiav ^iXoveixiav, xpaxeiv x>)v xd>v icXeiovcDV 4^fov').
Dieselbe Einsetzungsweise der Bischöfe wird auch von der
Laodicenischen Synode (364) im 12. Kanon anerkannt, wo es heisst:
die Bischöfe sollen eingesetzt werden auf Orund der Entscheidung
der Metropoliten und der Bischöfe der Umgegend (xd>v icipiS
iiciox6ica)v) '). Nur finden wir hier wieder etwas Neues, nämlich
eine Ausdehnung des Wahlkollegiums und zwar, dass an der Wahl
nicht nur die untergeordneten Bischöfe teilnehmen, sondern über-
haupt alle aus der Nachbarschaft, was auch in dem 6. Kanon von
Sardica 344 angeordnet wird: XP^ ^^ fiexaxaXeTo&ai xal xouc
änb x^c icXi]otGX(opoü inap^tac I«tox6«oüc*).
Aus demselben Kanon erhellt, dass nicht jeder beliebige,
sondern nur solche, die schon »längere Zeit im Glauben geprüft
und im Leben sich würdig gezeigt habent, gewählt und geweiht
werden durften. Der Bischof durfte nur gewählt und nicht etwa
vielleicht von seinem Vorgänger bei dessen Lebzeiten bestimmt
werden. Das erhellt aus dem 76. apost. Kanon, welcher lautet:
»es ist nicht gestattet, dass ein Bischof seinen Bruder, Sohn oder
einen Verwandten begünstige und ihn zum Bischöfe weihe, wenn
er wolle; denn es ist nicht rechtens, dass man Erben im Bistume
einsetze und das Göttliche {th xou fteoü) der menschlichen Leiden-
schaft unterwerfe. Man braucht nicht über die Kirche Erben ein-
zusetzen. Wenn dies jemand tut, soll die Chirotonie kraftlos bleiben ;
der Urheber aber werde mit der Absetzung bestrafte ^).
1) Synt. U. p. 188.
2) 8ynt III. p. 161. (Pedal, f C ü E).
8) Sjmt. lU. p. 182.
4) Synt UI. p. 243.
5) Synt n. p. 97. Ped. I. pp. K = 66. vergl. auch Vering, Kircheo-
Beeht p. 505 N. 8. r^ i
DigitizedbyCaOOQlC
2Ö CotiarHuü,
§ 10. Mitglieder des WahUcoUegiums im 4, Jahrhunderte.
An der Wahl nahmen alle Bischöfe teil. Diese Teilnahme
war eine unbedingte Notwendigkeit und nur die wichtigsten Grunde
konnten die Abwesenheit irgend eines wahlberechtigten Bischofs ent-
schuldigen. Der 6. Kanon der Synode von Sardica (344) ordnet so-
gar die Einstellung der Wahl an, bis der abwesende Bischof ver-
ständigt sein wird^), und erst, wenn er trotz der .Verständigung
nicht kommen wurde, kann die Wahl vorgenommen werden.
In diesem Kanon wird eine wenn auch nur indirekte Teil-
nahme des Volkes oder der Qeroeinde angedeutet. Zwar nimmt die
Gemeinde an der Wahl nicht aktiv im eigentlichen Sinne des Wortes
teil, aber es wird vorausgesetzt, dass sie das Recht hat, einen
Bischof zu verlangen; denn es heisst: ta ik nXribri auvadpoia-
dlvta iiapaxaXoTsv yivso^at ttjv xatotaraoiv xoö icap' aütdiv JmCe-
TOUfilvou liriGXOTCou . . . und txavöv x^ ßouXi§oei tou icAi^toug XP^
Ysvio&ai^). Daraus ist ersichtlich, dass das Volk das Recht hatte,
einen Bischof zu verlangen, nicht aber einen zu wählen. Ja, die
Kanones sprechen dem Laienvolke gänzlich das Recht der Wahl ab.
Der 13. Kanon der Synode von Laodicea (364) lautet: Ilept
Toö fiY] ToTc ox^oic; lirttpeTteiv xac ixXoYdg icoisTadai xöv fieXXovxa»
xaWoxaa^at sie tspaxslov*) und der V. Kanon der Synode von
Laodicea verbietet sogar die Anwesenheit des bloss zuhörenden
Publikums*). Trotz dieser und vieler anderer strengen Anordnungen
der Kanones, dass das Volk von der Wahl der Kirchenfürsten aus-
geschlossen sei, zeigt uns die Praxis besonders in Konstantinopel
gerade das Gegenteil. In dieser alten Zeit finden wir Fälle*), die
uns einen Beweis liefern nicht nur, dass das Volk sich an der Wahl
beteiligte, sondern dass auch die Kaiser ein ausschlaggebendes Wort
zu reden hatten.
§ 11. Besetzungsfälle aus dem 4. Jahrhunderte.
In der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, als die Bestim-
mungen der Synoden als Kanones bereits in Kraft waren, finden wir
in der Geschichte einige Fälle, woraus die Einsetzungsweise des
Kirchen fürsten von Konstantinopel entnommen werden kann.
Gregor von Nazianz, ursprunglich Bischof von Sasima, hob die
in Konstantinopel sehr darniederliegende Orthodoxie wieder in
1) Syiit. d. R. u. P. III p, 243 ^youjioi xaXo>« Ifiv* xa\ xouiov hUy^t^^x^
tva ;capaY^v7jTai.
2) Synt IIL p. 243. — 3) Synt. III. p. 183. - 4) Synt. III. p. 175. —
5) Ntctariua, Gregorias von Nazianz etc.
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BeaeizungBweise des Patriarchatsluhles v. Konstaniinoptl, 21
glänzender Weise und wurde hierauf von Tbeodosius, der 380 Kon-
stantinopel in Besitz nahm, auf den bischöflichen Stuhl daselbst in
Übereinstimmung mit dem Klerus und dem Volke erhoben. Der
Fall wurde deshalb nicht für ungesetzlich erklärt, im Gegenteil, die
zweite ökumenische Synode, die eben damals in Konstantinopel tagte,
bestätigte die Wahl des Gregorius und dem Maximus Cynicus, der
gegen Gregorius von einer Partei zum Bischöfe in Konstantinopel
gewählt und geweiht wurde, wurden alle Rechte abgesprochen^).
Nach dem Tode des hochbetagten Meletius führte Gregor auch den
Vorsitz bei dieser Synode.
Wegen einigen Missverständnissen und unverdienten Vorwürfen
gab der empfindliche und friedliebende Mann das Patriarchat auf
und nahm einen rührenden Abschied von der Synode und von Kou-
stantinopel und kehrte in seine Heimat zurück. Hiemit war der
bischöfliche Stuhl von Konstantinopa} wieder ei^lec^gt und die Synode
schlug dem Kaiser mehrere Kandidaten zur Wahl vor. Unter den
vorgeschlagenen Kandidaten befand ^ sich auch de^ Katechumen
Nectarius.
Die Wahl des Nectarius wurde folgendermassen vorgenommen:
Nachdem Gregor Konstantinopel verlassen hatte, forderte Theodosius
die heiligen Väter der IL ökumenischen Synode auf, jeder solle die
Namen derjenigen schreiben, die sie für den bischöflichen Stuhl für
würdig hielten. Es wurden verschiedene Namen aufgeschrieben.
Der Bischof von Antiochien schrieb ausser mehreren Namen zu-
letzt auch den des vom Volke sehr geliebten und gewünschten Necta-
rius auf. Als der Kaiser die Namen las, fiel ihm Nectarius auf
und er entschied sich für ihn>). Dieser Nectarius wurde also auch
vom Kaiser Theodosius anerkannt, nachdem er vom Volke ge-
wünscht uud vom Bischöfe von Antiochien vorgeschlagen wurde.
Bemerkenswert ist die Teilnahme des Volkes sowohl bei der
Wahl des Gregorius von Nazianz, als auch besonders bei der des
Nectarius. Sokrates schreibt, dass er auf den Vorschlag des Volkes
gewählt wurde^).
Also trotz des Verbotes der Teilnahme des Volkes an den
Wahlen finden wir es mitwirkend und trotz jener Teilnahme wird
die Wahl als eine gesetzlich vorgenommene anerkannt. Nikifor
1) Ped. (rom.) p. 102. S?nt. II. p. 176.
2) rcÖEüiV, IlivaxE;. p. 136.
S) Sokrates V. 8. 10. 13. 19. Die eigentliche Stelle lautet: apTcaodcU
xmo xou Xaou tX^ t^v Iicioxotc^v TcpoeßX^dT), xujv tön mipövttüv ix«Tov Jttvxijxovta
I]ci9x6ciüv ^cipoxovi)9^u)V aOibSv.
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22 CoÜarduc,
Ealixt*) schreibt, dass Nectarius nicht ohne göttliches Zutun (oux
afteel) und Sozonienus '), dass er nicht ohne göttlichen Ausschlag
(oux ixTog fteiag poic^c) gewählt wurde.
§ 12, Schlussfolgerung:
a) Die Wahl.
Aus den angefahrten Anordnungen der im 4. Jahrhundert er-
lassenen Kanones hinsichtlich der Besetzungen der bischöflichen
Ämter und aus den zwei Fällen kann man auch die Besetzungs-
weise des bischöflichen Stuhles von Eonstantinopel im 4. Jahr-
hunderte bestimmen. Da am Ende des 3. und zu Anfang des
4. Jahrhunderts noch die Kirche Byzantiums der von Heraklea unter-
geordnet war, so konnte die Art und Weise der Besetzung des
bischöflichen Stuhles auch nicht verschieden von der schon von früher
hergebrachten Einsetzungsweise sein. Die Versammlung des Klerus
wählte den Bischof und der Metropolit von Heraklea, der die Ver-
sammlung auql) zusammenber^ef, hatte ihn zu bestätigen und zu
weihen.
Anders musste es später werden, nämlich nachdem Konstantin
sich die Stadt Byzanz zur Hauptstadt wählte und die christliche
Religion zur Staatsreligion erhob, wo auch die kirchliche Behörde
in der neuen Stadt an Autorität zunahm. Das Bistum von Kon-
stantinopel wurde selbständig und hatte keinen Metropoliten zum
Vorgesetzten und keiner hatte ihn zu bestätigen. Also nach den
bereits behandelten Kanones konnte die Besetzung des bereits
authokephalen bischöflichen Stuhles von Konstantinopel nur in der
Weise vorgenommen werden, dass alle untergeordneten Bischöfe zu-
sammenkamen und den Bischof, wenn Stimmeneinhelligkeit nicht zu-
standegebracht werden konnte, wenigstens mit Stimmenmehrheit
wählten.
Das Wahlkollegium nahm mit der Ausbreitung des Bistums,
welches sich schon im 4. Jahrhunderte auch zur Metropolie bezw.
zum Patriarchat erhoben hatte, immer mehr zu. Je mehr Bistümer
und Gemeinden der kirchlichen Jurisdiktion der Metropolie von Kon-
stantinopel untergeordnet waren, desto grösser war auch das Wahl-
kollegiuro. Der Wichtigkeit dieses bischöflichen Stuhles wegen, da
die Stadt nämlich im Zentrum des byzantinischen Reiches lag,
nahmen an der Wahl dieses im hohen Range stehenden Bischofs
1) bist. bibl. 12. Cap. 12.
2) Buch VII, Cap. 5.
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BesetsungsweiBe des Patriarchahtuhlen v. Konstantinopel. 23
auch ändere Bischöfe aus der Nachbarschaft teil, wie fibrigens aach
die Kanones erlauben und anordnen ^).
Was die Teilnahme des Volkes an der Wahl des Kirchen-
hauptes von Konstantinopel im 4. Jahrhunderte anbetrifft, so scheinen
sich die Quellen zu widersprechen. Denn während aus dem 6. Kanon
von Sardica dem Volke wenigstens die Äusserung eines Wunsches
zuzugestehen scheint, verbietet der 13. Kanon von Laodicaea jed-
wede Einmengung des Volkes bei der Besetzung der bischöflichen
Stuhle, ja der 5. Kanon von Laodicaea sogar die Anwesenheit des
Laien- Publikums (der Mengen) bei der Wahl. Wie wir aber aus
den von uns angeführten Fällen >) gesehen haben, hat das Volk an
der Wahl trotzdem teil genommen. Es scheint also, dass das Laien-
volk kein cJcHves Becht an der Wahl des Kirchenfürsten von Kon-
stantinopel hatte, aber seine Wünsche wurden von der Versammlung
der Bischöfe nicht unberücksichtigt' gelassen. ' ' ""'
Mehr als die Teilnahme des Volkes ist iri dieser Zeit das Ver-
hältnis der Beteiligung der Herrscher an der WaÜJ des Kirchen«
fürsten von Konstantinopel in Dunkel gehüllt. Den Herrscher
finden wir im 4. Jahrhunderte an der Patriarchenwahl ganz sicher
und unbedingt teilnehmend, nur in verschiedener Weise. Das Ver-
hältnis, in welcher Art die Herrscher teilnahmen, scheint nicht ge-
regelt gewesen zu sein. Denn während Gregorius von Theodosius
eingesetzt wurde und die Bestätigung in der Kompetenz der öku-
menischen Synode blieb, wird Nectarius in einer von der Synode in
Übereinstimmung mit den Bürgern der Stadt zusammengesetzten
Liste vorgeschlagen und der Kaiser wählte einen (den Nectarius) aus ').
ö; Die Weihe.
Die Weihe des Bischofs von Konstantinopel wurde schon im Sinne
des L apostolischen Kanons von mehreren, oder wenigstens von drei
Bischöfen vorgenommen. Diese Praxis finden wir auch tatsächlich im
4. Jahrhdt. vor. Im Briefe an Damasus, Bischof von Bom^), finden wir,
dass auch die Weihe des Nectarius von den Mitgliedern der ü. ökn-
1) Kanon 6 der Std. Ton Sardica.
2) Die Wahl des Nectarias 881, bei Sokrates V. a 10. 13. 19. Soso-
menos VIL 7. 8. IS Tbeodoreth Y. 8, siehe auch Ondinos, Fienri etc. Ebenso
die Wahl des Gregor Ton Naiianz.
8) Fleuri, Hist. eccl. 18. 5. Casimirua Oudinue, Comentarios de
tciiptoribns ecclesiae antiqnae. Frankf. 1722. I. p. 686—88. Kontogones, Pa-
trologie. II. p. 704.
4) Theodoret. Die Briefe des Damasos bei Langen, römische Geschichte.
In ep. 5 sind ErmahnuDffen betreffend die bevorstehende Wahl des Bischofs
Ton jConstantinopel. Auch spricht er sich ge^en die Yersetinng eines Bischofs
Ton einer Stadt lor anderen ans* Langen 1 556,
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24 Cotlarciuc,
menischen Synode vorgenointnen wurde *). Der eigentliche Bischof
aber, welcher das Sakrament der Weihe spendete, war, wie wir be-
reits in den ersten drei Jahrhunderten gesehen haben, der Metro-
polit von Heraklea, dem früher die Bischöfe von Byzanz untergeordnet
waren.
B. Die Besetzung des Patriarchenstuhles unter der byzantinischen
Herrschaft.
§ 13. Die Besetzungsweise eu Beginn der bye, Herrschaft,
Konstantinopel wurde gleich zu Anfang des 4. Jahrhunderts
ein autokephales Bistum. Im Laufe des 4. Jahrhunderts wurde
dieses Bistum zur Metropolie, ja sogar zur Obermetropolie erhoben.
Am Ende des 4. tfahrtiinderts wird der Bischof von Konstantinopel
auch Partriarch genannt; Nectarius wird von Sozomenos und Jo-
hannes Chrysostomus von Hadrian so genannt*). Der 8. Kanon der
IL ökumenischen Synode 381 anerkannte den Bischof von Konstanti-
nopel im Range als den zweiten nach dem von Rom *) und mit Hilfe
der oströmischen Kaiser erweiterte das Bistum auch seine Jurisdiktion.
Im 5. Jahrhundert finden wir schon die IV. ökumenische Synode (451) ^)
dem Bistume von Konstantinopel die Jurisdiktion über zwei Diözesen,
Asien und Pontus, bestätigend. Im selben Jahrhunderte wird der
Bischof von Konstantinopel »Patriarcht s) und im 6. Jahrhundert so-
gar »ökumenischer Patriarcht genannt.
Bezüglich der Wahl schreiben die Kanones auch weiter das-
selbe vor, was schon die Kanones der früheren Synoden angeordnet
haben. Der 13. Kanon der iSynode von Karthago (418—424) ordnet
auch an, dass der Bischof von vielen oder wenigstens von drei
Bischöfen geweiht werde ^). Alle selbständigen Metropoliten wurden
von ihren eigenen untergeordneten Bischöfen gewählt.
Balsamen sagt: t6 uaXaiov icavteg Td>v licapxia>v {iTjTpoicoXttat
auTOxe^aXot ^oav xat üico xm oixeiojv oüvödojv Ix^ipaxQ^ohvxQ'*).
Auch für die Wahl des Patriarchen von Konstantinopel konnten
1) Ttdecov, TKvoxe; p. 136.
2) Ein Codex in der Bibliothek des VaticanoB ist »ßio« ... I. Xpi<To<TT,
Tcatpi^You TYjc v^ftf Pö(A7)(« tituUert. — Ein anderer Codex ist erhalten anter dem
Titel: Tou ^v ayiot^ «atpot; ^jidiv Mtoivvou Tcatpt^px.^^ xcovottcX, tou XpuTo^röfiou
^yxco^iiov st( tov «Yiov aicootoXov /.a\ };p(uiO{xapTupa SWoavov. (Catal. codic.
bagiograph. graec. bibl. Vatic. ed. hagiograpn. BoUandiani et P. Fr. d. C.
Braxell. 1899. p. 9)
8) 8ynt II. p. 178. — 4) Can. 28. Sjnt. II. p. 281. — 5) Sokrates V. 8.
- 6) Synt. III. 325. — 7) Baliamou ad can. 2. I. ök, Syn. Synt U. 171.
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BesetMungaweiae des PatriarehahtuhleB v. Konatantinopel. 25
nicht andere Vorschriften gelten als die, welche für die Wahl der
Metropoliten als selbständige Häupter ihrer Kirchen bestanden. Sie
wnrden von der Patriarchalsjnode im Einverständnisse mit dem
Klenis und dem Volke gewählt und in ihr Amt eingesetzt.
Der Herrscher gewann anch immer mehr Einflnss bei der
Wahl des Patriarchen von Konstantinopel. Das Recht der Be-
stätigung konnte kein Metropolit haben, da der Patriarch keinem
unterworfen war. Dieses ging also auf den Kaiser über.
Gleich zu Beginn der byzantinischen Herrschaft zeigt sich der
Einflnss des Herrschers bei der Besetzung des bischöflichen Stuhles.
Unter Konstantin dem Grossen ist ein solcher Einflnss nicht so klar
nachweisbar. Vom Bischöfe Paulas, einem Zeitgenossen Konstantin
des Grossen, heisst es, er wurde von der Mehrheit gewählt und in
der Irenenkirche geweiht^), und der Kaiser war damit nicht zu-
frieden. Konstantins Sohn Constantius Hess um auch absetaen, aber
yon einer Synode (Ende des Jahres 888 oder Anfang 339 >). Als
er vom Volke zum zweitenmale in die Kirche wieder .eingeführt
wurde, liess ihn Constantius vertreiben.
Ein Beweis des Bestätigungsrechtes ist der Fall des Macedonius.
Diesen wollte der Kaiser nicht bestätigen, da er die auf ihn ge-
fallene Wahl ohne seine Genehmigung angenommen hatte *). Ebenso
liess 370 Valens den Evagrius und Eustbatius von Konstantinopel
wegführen und bestätigte den Demophilos^).
Unmittelbar vor dem Ende des 4. Jahrhunderts (398) wird der
hl. Jobannes Chrysostomus in der von uns im 4. Jahrhunderte be-
handelten Weise gewählt, wobei aber der Herrscher und das Volk
aktiv teilnahmen. Der hl. Chrysostomus wurde »«pi^^iofiaTi xoivu) icavxcDV
ofioD xXigpoü T6 xat Xaoutfi) gewählt und der Kaiser Arcadius
stimmte zu.
Noch deutlicher ist die Einmengung und die Beeinflussung der
Wahl durch den Herrscher bei der Besetzung des Patriarchenstuhles
im Jahre 434 (am 12. April), als der Kaiser Theodosius IL, um
jedwedem Streite hinsichtlich der Besetzung des Patriarchalstuhles
vorzubeugen, den Proklus noch während der Leichnam des Maxi-
mianus unbestattet lag, von den anwesenden Bischöfen inthronisieren
liess ^}. Die byzantinischen Kaiser gingen noch weiter in ihren An-
1) Socr. IL 6. Sos. III. 3. ^ 2) Hefele, Conc.-Qesch. L S. 470.
3) Sokr. II. 12 ff. Soz. III. 6 ff. Theophan p. 64 ed. Bonn. Gedr. I.
p. 528 ff
4) Socr. IV. 15. Soz. VI. 13.
5) SokraUB, K.-G. V. 2. Nikifor. Kalixt. XIII. 2.
6) Sokntes, VU. 3.
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26 Cotlarciue,
sprächen. Sie glaubten als Häapter des Staates und aller im Staate
befindlichen Institutionen berechtigt zu sein, auch die die Kirche be-
treffenden Gesetze zu erlassen ^). unter diesen Gesetzen finden wir
auch solche, welche die Wahl der Bischöfe betreffen. So erlässt
schon Jnstinian (525—565) die 123. Novelle, mit weicherer an-
ordnet, dass die Volksvertreter (Klerus und die ersten der Stadt,
deren Bischof gewählt zu werden hätte) drei Kandidaten der Synode
vorzuschlagen haben, von denen die Synode den würdigsten wählt
und weiht >). Die Wähler hatten bei dem vorgelegten Evangelium
zu schwören, dass sie weder durch Geld gewonnen noch parteiisch
seien, sondern nur aus reiner Überzeugung wählen würden'). Zwar
wurde durch die erwähnte Novelle eigentlich die Bischofswahl im
allgemeinen geregelt, aber dasselbe geschah auch bei dcT Patriarchen-
wahl, wie wir an den angeführten Beispielen (bes. Nectarius) ge-
sehen haben. Der gewählte Patriarch wurde regelmässig vom Staats-
oberhaupte, als detn Schirmer der Kirche bestätigt. Da aber der
Einfluss der Herrscher m' weit ging, ja häufig die Patriarchen be-
sonders seit dem 7. Jahrhunderte geradezu ernannt wurden^), nahm
die 7. ökumenische Synode (787) dagegen Stellung, indem sie im
3. Kanon die Absetzung desjenigen Bischofs anordnete, der durch
die Protektion der Grossen zum Bistume gelangen würde >).
Die Chirotonie blieb auch fernerhin ein ausschliessliches Recht
der Bischöfe von Heraklea. Fälle aber, wo auch andere Bischöfe, be-
sonders der von Caesarea, die Chirotonie vornahmen, kommen vor*).
^. 14. Die Besetjsungsweise im weiteren Verlaufe der
byjBantinischen Herrschaft.
a) Die Wahl.
Die Art und Weise der Besetzung des Konstantinopolitanischen
Stuhles nahm nun konkretere Formen an. Wesentliche Unterschiede
gab es nicht. Die Geschichte der Patriarchen lehrt uns, dass der
von den Ganones vorgeschriebene Vorgang, wenn nicht im eigent-
1) Jusiinian erliess sehr Tiele Gesetie, die sich aaf KonsUntinopel be-
zogen. Le Quien, I. 183-194. Tit III n. VIII.
2) n. 8) U Quien I. 185. Titel VIII. 3.
4) GermanuH L Ton Kvucas warde 714 gans Torsehriftsin&ssig gew&hlt
»|y{^(ü xa\ 8oxi(ia9{a ttov dcodEpeaiiTtov TCpeaßui^pwv xal diotxövcüv xa\ icavtb^ lou
euaYoö? xXijpou xa\ Tii? Icpa? otjyxXiJtou«. 8k. Ü. BysMUtioa, »KovoiavxivÖJwXi;«
Tora. 8. S. 616. Constantinas, der Sohn Leos des Isaariera, aber nahm in der
Kirche der Blachernen eine angesetzliche Wahl vor, gegen welche die Kirche
Stellang nahm, vide reSea>v.
5) Synt. II. 564.
6) Tide Pedalion roni&n. p. 25. Milan. K.-B. übersetzt v. Peeti« p. 28.
vgl. anch Vering, K.-B. p. 506.
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BtBttzungtweUt des PairiarchaUtuhtea v. KonatantinopeL 27
liehen Sinne, so wenigstens formell auch weiterhin beobachtet wnrde.
Vom Volke gewünscht, von der Synode gewählt, vom Kaiser be-
stätigt, vom Bischöfe von Heraklea geweiht und inthronisiert, so
wurden Patriarchen in der Regel auf den ökumenischen Stuhl er-
hoben. Wohl gab es Ausnahmen und leider viele. Einige Bischöfe
stellten sich selbst den verschiedenen Kaisern als Werkzeuge zur
Verfügung. Und so kam es oft vor, dass die Kaiser Patriarchen
nach Belieben ein- und absetzten. Oft fielen Patriarchen als Opfer
der Politik. Ein Beispiel der Einflussnahme des Hofes in Be-
setznngsangelegenheiten ist die so oft erfolgte Ein- und Absetzung
bald des Ignatius, bald des Pbotius^). Letzterer wurde besonders
nach Vertreibung des Ignatius unter grosser Beeinflussung des Kaisers
Michael und des Bardas') gewählt. Manche') behaupten, er wäre
sogar von Michael und Bardas ernannt gewesen und der Klerus wäre
nur gerufen worden, um die Wahl in formel^ .^eiziehung (durchzu-
führen. Es wurde sogar kein Ternovorschlag genascht, wie die Novelle
(123 c. 1) Justinians es anordnet, sondern sie wählten prio^o et unioo
loco den Photius^). Dieser, da er Laie uud bisher Staatsbeamter ge-
wesen war, erhielt nach der Ablegung des Mönchsgelubdes in fünf nach-
einanderfolgenden Tagen die Gbirotonien '). Merkwürdig ist, dass
die Weihen nicht der Bischof von Heraklea, sondern Gregor von
Syrakus erteilte*). Nicht minder bedeutend war der Einfluss des
Kaisers bei der Absetzung des Photius und der Wiedereinsetzung
des Ignatius^) und wieder bei der Einsetzung des Photius^), bei
seiner Wiederentsetzung und bei der Erhebung des Prinzen Stephan >).
Im allgemeinen könnte man sagen, dass im byzantinischen
Reiche bei den Besetzungen des Patriarchenstuhles ein fortwährender
Kampf zwischen Staat und Kirche stattgefunden hat. War der
Kaiser stärker, so wurde der Patriarch ohne Rücksicht auf frühere
Verordnungen oder Gebräuche ganz einfach ernannt. War der Kaiser
schwächer, so kam auch die hohe Geistlichkeit dazu, ihr Recht aus-
zuüben, nämlich den Patriarchen zu wählen.
Gesetzlich lag die Wahl der Patriarchen zum grossen Teile
in den Händen der Bischöfe. Das ist ersichtlich aus den unter
byzantinischer Regierung geltenden Vorschriften. Abgesehen von
den früher bestehenden Verordnungen ^^) der Kaiser und den bereits
1) Tide UergenrOther, Photius, 3 Bande, Regensborg 1867.
2) Nicet ap. Mansi. XVI. p. 229 vgl. Hergenröikei\ Phot. I. p. 374.
3) Hergenröther, Photias. L p. 379. — 4) ibid. p. 381. — 5) Ibid. p. 379.
6) Ibid. p. 380. - 7) Ibid. II. p. 7 ff. - 8) Ibid. p. 291 £ — 9) Ibid. p. 668 ff.
10) Leider sind uns solche nar sehr wenige erbalten.
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28 Cotlarciuc,
erwähnten Eanones behandelt Eonstantinus Porphyrogenitus ^) in
seinem Werke »De caeremoniis aiilae byzantinae« die Wahl der
Patriarchen von Eonstantinopel, wie auch die übrigen Zeremonien
anlässlich der Besetzung dieses bischöflichen Stuhles, wie sie seiner
Zeit, also im 10. Jahrhunderte, stattfanden. Nach seinen Berichten
befiehlt der Eaiser gleich nach dem Ableben eines Patriarchen den
Metropoliten, drei Eandidaten, die ihnen am würdigsten schienen,
aufzustellen. Die Metropoliten versammeln sich alle in der grossen
heiligen Kirche und nehmen die Wahl nach eigenem Willen vor.
Die Namen der drei vorgeschlagenen Kandidaten werden dem Kaiser
von den Metropoliten schriftlich übergeben. Befindet sich unter
diesen der Name desjenigen, den der Kaiser haben will, so ernennt
und verkündet ihn der Kaiser sofort. Falls der Name des vom
Kaiser Gewünschten in der von den Metropoliten überreichten Schrift
nicht vorhanden isl, a# bezeichnet er den Metropoliten seinen Kan-
didaten mit den Worten: >lyd> töv 8cTva dlXco ^eviaftai« Die
Metropolittn fügen sich dem Willen des Kaisers und alle begeben
sich in den Magnaura- Palast*) zur Vornahme der fnqvufia (Be-
kanntgabe).
Daraus ist ersichtlich, dass dem hohen Klerus ein Wahlrecht
wohl verliehen wurde, der Wille des Kaisers aber stand gewöhnlich
über dem Gesetze. Besonders kann das von den Anhängern des
Caesaropapismus gesagt werden. Der Kaiser Nikephorus Phokas
erwirkte das Recht der Ernennung des Patriarchen für die Kaiser*).
Der Usurpator Tzimiszes (969—976) gab zwar der Kirche die frühere
Freiheit zurück^), diese Freiheit jedoch dauerte nicht lange, denn
selbst Tzimiszes ernannte, nachdem er erstarkt war, den Mönch
Basilius zum Patriarchen mit der Begründung, dass er den Mann
durch lange Prüfung unbestritten als den würdigsten erkannt habe*).
Wohl tat er dies vor den versammelten Senatoren und Erzbischöfen,
jedoch nur um formell einen Rückhalt zu haben. Mit ganz der-
selben Willkür handelten bei den Wahlen die Nachfolger des
1) Constantini Porphyrogeniti imperatoris de caeremoniis atilae Bysaniinae
libri dao. ed. Jo. Jac. Reiske. Bonnae. 1829. in Corp. script. hist. hji. I. p. 564.
2) Ifaenanra est Constantinopoli domnt palatio antiqoa mirae magnita-
dinis ac palcnritadinis, qoae a Qraecis p loco X posito, Biagnaara, qaasi magna
anra, pro anla, dicitnr. €K>ar. Annotationes in Cedrenam (Corp. script ust.
byx.) II. 808.
3) Fischer^ W,, Stadien lar byz. Qesch. des XI. Jahrhunderts Progr.
Planen i. Y. 1888. p. 52 sich auf Qfrörtr IIL 509 ff. berufend.
4) CedrentM, II. 381. s. 4 -cfl lxxXy)aia i^pt^iahi ^ npoxipa IXeu^{«; TrgL
ßfrOrer IIL 628 und Fiacher 62.
6) Leo üiaconus p. 100. vgl. Qfrörtr 624.
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beaeitungsweiae des PatriarchaUtuhtes v. ttonsianiinopeU 29
Tziraiszes Basilias II. (976—1025) and Konstantin VIII. (976— 1028).
Der Patriarch Caenilarias wurde sogar durch Mord aus dem Wege
geräumt^), da Isaak Eomnenus das dem Staate durch ihn verloren
gegangene Ansehen wieder erobern wollte *). Der Tod des Caerularius
verursachte die grösste Missstimmung unter dem Volke und dem
Klems. Nun musste Volk und Klerus wieder versöhnt werden
and Isaak Komnenns erliess ein Wahldekret, wonach nicht nur der
höhere Klerus, sondern auch das Volk das Wahlrecht bekam. Da-
mit wurde die Ruhe wieder hergestellt und Isaak Komnenus sass
wieder auf seinem Throne fest. Die nächste Wahl warde auch im
Sinne dieses Gesetzes vollzogen, sodass im 11. Jahrhunderte bei der
Patriarchenwahl von Konstantinopel eine Volksabstimmung nach
neuestem Moster, nämlich durch Volksvertreter, stattfand*). Trotz
alledem kam doch kein anderer durch, als der Kandidat des Kaisers,
nämlich Konstantin Leichudes^), welcher auf dem Patriarchal-
stuhle bis August 1063 sass, wo er vom Tode in das Jenseits ab-
berufen wurde •).
Sein Nachfolger Johannes Xiphilinus (1064 — 1075)*) wurde
aber nicht mehr nach dem von Isaak Komnenus erlassenen Gesetze,
d. i. nicht mehr von der Volksvertretung, sondern von den Metropo-
liten gewählt. Der Kaiser Konstantin Ducas wollte sich nicht in
die Wahl einmengen und sein Wunsch war, dass dieselbe mit
der grösstmöglichsten Gewissenhaftigkeit vorgenommen werde. Da
ihm aber in der Tat keiner ßhiger und würdiger schien, als
Xiphilinus, arbeitete er im Geheimen ffir ihn. Dieser wurde auch
gewählt, sträubte sich aber scheinbar, die Würde anzunehmen.
Dies alles aber hatte seinen Zweck. Er wollte eventuellen Vor-
würfen, dass er diese Würde angestrebt habe, vorbeugen und auch
dem Kaiser gegenüber sich nicht zu einem allzu grossen Danke ver-
pflichten ^).
1) PwlL IV. 371.
2) Isaak Kommenas kam bekanntlich mit Hilfe des Patriarchen Caera-
larias auf den Thron nn^l wäre eigentlich dem Patriarchen gegenüber zam
bmnke verpflichtet gewesen. Das wurmte aber den Kaiser and er liess ihn er-
morden.
3) CedrenuB II. 641. Gfrörer, Bji. Gesch. ed. Weiss. Graz 1 872—77.
UL 642. FUcher 53.
4) Über die Wahl des Konstantin Leichudes berichten uns Psellus (IV.
411 und 246) und Szylitzes (bei Cedrenus, Corp. script byz. II. 644. 18).
Letzterer sagt: itpo/fipiXstat Aeiyouöi); . . . ^tJ^ou 7cpoßa<jTj{ in^ auiai napk täv
|j.Y)Tpo3coXiicov xa\ Tou xXijpou xa\ ToG Xaou Tcavxb;. Ahnlich Zonaras XVIII. 5 und
Mich. Att 66. 13, yrgl. auch TcSsov, ritvaxc; p. 327.
5) Muralt. II. S.
6) TtdEov, II{votx£( p. 328.
7) Mich. Att. 93. 1. Scyl. II. 658. Die Wahl des Xiphilinus, wie auch
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30 Cotlarciut^
Die Einsetzungsweise des Xiphilinas war aber, trotzdem der
Kaiser sich eingemengt hatte, da ihn tatsächlich die Metropoliten
gewählt hatten, die richtige und kanonische.
6; Die Inthronisationazeremonien,
Die Feierlichkeiten bei der Besetzung des Eonstantinopolita-
nischen Patriarchenstahles beginnen auch formvollendeter zu sein.
Gleich nach der Wahl begaben sich die höchsten Beamten und
Wördenträger in den Magnaurapalast. Hier wurde die fjii^^ofia vor-
genommen und dies geschah in folgender Weise: Vor den versammel-
ten Senatoren, Metropoliten und dem gesamten Klerus erscheint der
Kaiser im FestgewanJe und proklamiert den Neugewählten zum
Patriarchen mit der Formel »ij »eia xapic ^oli ^ H aüt^c ßaotXeta
^|iä>v icpoßaXXexai xöv eüXaßlotaTov toütov uaTpiapxTjv Kovatav-
TivouicöXeox;, d. h. die göttliche Gnade und unsere von dieser uns
verliehene Majestät ernennt den N. N. zum Patriarchen von Kon-
stant nopeU ^). Diese Worte spricht der Kaiser selbst aus. Hiemit
war der Patriarch bekannt gegeben und der Kaiser kehrte zurück
in seinen Palast.
Erwähnenswert ist, dass die neugewählten Patriarchen in der
grössten Pracht und mit grossem Pompe in die Stadt einzuziehen
pflegten. Der Kaiser erwartete den Neugewählten in seinem Palaste mit
dem ganzen Hofe, der Patriarch machte die übliche tiefe Verbeugung
(7cpocxuvi]aic) vor dem Kaiser und bedankte sich untertänigst für
die gnädige Ernennung.
Nicht so tat es Xiphilinus, der am 2. Jänner 1064 zum öku-
menischen Patriarchen gewählt wurde'). Statt in die Stadt mit
Pomp und Begleitung einzuziehen, kam er im einlachen Mönchs-
gewande und unverhofft stand er vor den Toren des Kaiserpalastes,
Ein Bote meldete den Xiphilinus dem Kaiser an. Dieser sammelte
rasch seine Umgebung und kam ihm entgegen, ihn feierlichst be-
grüssend. Xiphilinus machte vor dem Kaiser auch nicht die übliche
Verbeugung, sondern umarmte bloss den Kaiser. Dies alles tat er
überlegt und absichtlich, da er als kanonisch unabhängiger
Kirchenfürst sich nicht demütigen wollte, was man auch aus einer
Novelle des Kaisers Konstantin Dncas') aus dem Jahre 1065 ent-
nehmen kann, die an Xiphilinus gerichtet ist. Der Kaiser wirft ihm
die Wahl der Patriarchen ?on Eonstantinopel im 11. Jahrhunderte behandelt
Fiacher cmelienmaMiff in seinen Stadien zur bjn. Qesch. d. 11. Jahrhanderti.
1) Konst. Porphjr. I p. 565,
2) Maralt. U. B. Gedeon. 329.
8) Zach. V. LingenthaU jus. Gr. B. III. 323.
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äeaeivungaweise des PatriärchaUiuhtes t>. konsiantinopel, 31
in ironischer Weise diese kanonische Ansicht vor und gibt dem
Xiphilinns das Unpassende seines Benehmens zu fühlen.
Nach der Bekanntgabe wird der Patriarch von den höchsten
Würdenträgern und Beamten in den Patriarchalpalast begleitet. Am
nächstfolgenden Sonn- oder Feiertage wird die Weihe oder eventuell
nur die Installation vorgenommen.
Bei dieser Gelegenheit wird ein Festzug veranstaltet, an dem
alle weltlichen und geistlichen Würdenträger sich beteiligen. Der
Festzug bewegt sich von der Kaiserburg und zwar so, dass vornan
die weltlichen Beamten, hinterher die geistlichen Würdenträger ein-
herziehen.
In der Kirche angekommen, stieg der Patriarch auf dem ß^fia
und zu seinen beiden Seiten standen die Metropoliten. Hierauf wurde
der Neugewählte installiert und nachher die hl. Messe rituellmässig
zelebriert. In der Kirche war gewöhnlich der Kaiser anwesend.
Hier händigte er persönlich auch formell dem Patriarchen das Er-
nennungsdekret ein').
Am 2. Februar 6442 d. i. 933 wurde der neugewählte Patriarch
Tbeophilaktus geweiht und inthronisiert*). Bei den Feierlichkeiten
anlässlich seiner Installation wurde das eben beschriebene Zere-
moniell beobachtet. Der Kaiser Romanus und sein Schwiegersohn
beteiligten sich offiziell an der Installation. Sie wurden schon
in der Vorhalle vom neugewählten Patriarchen und vom Klerus
erwartet. Während der Weihe stand der Herrscher auf seinem
Platze. Nach Vollendung der Weibe wurde dem Tbeophilaktus das
Ernennungsdekret überreicht, worauf die Installation rituellmässig vor-
genommen wurde. Hierauf wurde er von allen beglückwünscht; zum
Schlüsse segnete der Patriarch die Gläubigen und entliess die Ver-
sammlung*).
Als Ort der Weihe und der kirchlichen Installation diente
immer unter der byzantinischen Herrschaft die grosse Kirche der
hagia Sophia^).
§. 15. Die Besetzung des KonstarUinopolüanischen Patriarchal-
Stuhles gegen Ende des byzantinischen Reiches.
Es war ganz natürlich, dass der Besetzungsmodus endlich eine
bestimmte Form annahm und diese finden wir in ihrer vollsten Ent-
1) Weiteres Konst. Porphyr, ed. Reiske (Corp. script. bist, bjz.) I. p. 565.
2) Konst. Porph ....Lp. 685.
S) TTgl. Psellas 329.
4) TTgl. Const. Porph. I. 685 and 564.
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32 Cottareiu6,
wicklang gegen Ende des byzantinischen Reiches. Die Einsetzung
der Patriarchen von Konstantinopel ist genan in den Schriften
Simeons von Thessalonika ^) (f 1430) und des Georg Codinus Gu-
ropalatae ') beschrieben.
a) Die Wahl,
(nach Simeon Ton ThessaloDika)^).
Siroeon vonThessalonika beschreibt die Besetzung des Patriarchen-
stuhles folgendermassen : Nach dem Tode des Patriarchen darf während
der Sedisvakanz keiner der Bischöfe, Erzbischöfe oder Metropoliten
die grosse Kirche betreten, damit sie nicht den Verdacht auf sich
ziehen, dass sie mit Gewalt den Patriarchenstuhl an sich reissen
wollen. Der Kaiser, als Schirmherr der Kirche, beruft laut seiner ihm
von den heiligen Vätern zuerkannten Macht aus diesem Anlasse die
heilige Synode der Bischöfe. Er lädt nämlich mittels kaiserlichen
Schreibens die benachbarten Bischöfe ein. Von altersher besteht die
Sitte, dass sich die Bischöfe nicht aus eigenem Antriebe versammeln,
damit keine Spaltungen und Tumulte entstehen. Nachdem alle, so-
wohl die der grossen Stadt, als auch die von draussen [womöglich
vollzählig, denn das wäre kanonisch] zusammengekommen sind,
versammeln sie sich auf kaiserlichen Befehl an einem Orte.
Sie versammeln sich nicht in der grossen Patriarchalkirche , weil
es nicht gestattet ist, diese während der Sedisvakanz zu betreten,
sondern in der Kirche der hl. Apostel. Die Kirche der hl. Apostel
schien dazu geeignet, sowohl wegen der apostolischen Gnade, als
auch weil die Handlung eine apostolische war. um die Versammelten
herum waren die Bilder der hl. Apostel und ausserdem musste sich
im Wahllokale auch das Bild mit der Herabsendung des hl. Geistes
über die Apostel befinden.
Nachdem alle Bischöfe die dazu vorgeschriebenen Gebete in
der Kirche vorgenommen hatten, wobei drei Lichter brannten und
Weihrauch dargebracht wurde, nahmen alle dem Range nach ihre
Sitze ein. Ausser den Bischöfen konnte nur der Grosschartophilax
zugegen sein. Der althergebrachten Sitte gemäss wurden von der
so versammelten Synode drei Kandidaten gewählt. Die Wahlakte
wurden vom Chartophilax und zwei Bischöfen dem Kaiser vorgelegt.
1) Bei J. P, Migne 155. Bd. p. 437 ss. Sim. Tesaloniceanal (rom. Obers.)
V. 1765 p. 282 88. Le Quien I. p. 165.
2) Niebarü corpas seripi bist, byz&nttnae. Codinas Caropalatae. Bonnae
1839. Buch 20.
8) Migne, 115 pp. 497. Cap. 224.
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BesetssungsweUe des PatriarehalHtuklea v. KonatantinopeL 3S
Der Kaiser wählte dann einen yon diesen drei kraft des ihm von
den hl. Vätern als einem Qesalbten zuerkannten Rechtes.
b) Die Wahl des Patriarchen von Konstantinopel nach Qeorgius
Codinus Curopalatae^).
In ganz derselben Weise wie Simeon von Thessalonika beschreibt
auch Georgine Codinus die Wahl des Konstantinopolitanischen
Patriarchen. Auch nach ihm haben die damals in Konstantinopel
anwesenden Bischöfe zusammenzukommen und sollen eigentlich die
meisten, im Notfalle aber wenigstens zwölf, erscheinen. Auch die be-
nachbarten Bischöfe werden eingeladen, und falls die Zahl 12 auch
mit den aus der Nachbarschaft gekommenen Bischöfen nicht zustande-
gebracht werden kann, dürfen die, welche anwesend sind, drei, für
welche sie Gott begeistert, wählen. Die Namen der drei werden
aufgeschrieben und auch nach Codinus durch euie Deputation dem
Kaiser vorgelegt, welcher einen von diesen drei, den ihm Gott in
den Sinn kommen lässt, wählt.
e) Die Berufung.
Nachdem sich der Kaiser für einen entschlossen hat, berufk er
ihn, d. h. er erklärt den Gewählten für würdig und ersucht ihn,
die Würde anzunehmen. Wenn der, den der Kaiser für würdig er-
klärt hat, die Patriarcbenwürde nicht annehmen will^ so ersucht der
Kaiser den zweiten, und wenn auch dieser sich weigert, den dritten').
Nähere Angaben betreffend die Berufung finden wir beim Codinus.
Im Wesentlichen stimmt alles überein, nur wird bei Codinus die
Berufung nicht unmittelbar vom Kaiser vorgenommen, sondern er
lässt sie mittelbar durch die ArchoDten vornehmen, und zwar in
folgender Weise: Der Kaiser sendet die Archonten aus, welche zu-
gleich mit den Kirchenfürsten das Wahlresultat dem von der Kirche
und vom Staate Gewählten überbringen, um diesen zu ersuchen, die
Würde anzunehmen. Falls der Gewählte die Wahl ablehnt, begeben
sie sich zum zweiten, und wenn auch dieser nicht geneigt ist, die Wahl
1) Unter dem Namen des Georgias Codinus Caropalatae sind 20 Kapitel
erhalten und führen den Titel »tou ao^coTocTou RouponocXa-rou nsfil tcjv ^^^txiaXfcov
TOü jcaXaxtou KcDVoxavTtvoimöXcdK "c^v ^^^ixCcov vf^q (jisy^t,; IxxXtjgioc^« .... Diese
20 Kapitel sind in Niebarii corpus scriptornm bist, bjzantinae. Codinns Cnro-
gUatae, Bonnae 1889, heransgegeben worden und Kap. 20 bandelt über die
Einsetiang des Patriarchen ?on fonstantinopel, p. 101—105. Von der Persön-
lichkeit des Codinus ist nichts Näheres bekannt Manche sprechen ihm sogar
die Autorschaft ab. Das Werk scheint kurz vor dem Untergänge des byz.
Reiches verfiasst worden zu sein (Krummacher, byz. Literatur).
2) Migne 155. p. 440. Cap. 225.
ArdÜT fUr Klrcheoreeht LXZXni. 3
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34 Cotlarciue,
anzunehmen, znm dritten. Weigert Rieh auch der dritte, so wird
eine nene Wahl vorgenommen, bis sich einer bereit erklärt ^).
d) Die Bekanntgabe {[^.^^w\^a)
(nach Simeon yon Theisalonika).
Sobald sich einer bereit erkl&rt hat, die Patriarchalwürde an-
zunehmen, wird die Bekanntgabe (fi^vufia) vorgenommen. Wer sich
also traut, auch die Bürde dieser Wfirde tragen zu können, er-
scheint an einem bestimmten Tage, und in Gegenwart aller Bischöfe,
Presbyter, Archimandriten, Hegumenen, Kleriker, einer zahlreichen
Volksmenge und aller Arcbonten findet die Bekanntgabe (fii^vofjia)
statt. Dieselbe geschiebt auf folgende Art'): Wfthrend alle An-
wesenden angezündete Fackeln in den Händen halten, wird die
Doxologie abgehalten. Der Neugewählte ist bei der Vornahme der
Doxologie der Proistos d. i. der Vorsitzende oder erste Priester.
Nach der Absolution (&7c6Xooic) wird der Neugewählte von einem
anwesenden Senator mit folgenden Worten angesprochen : *0 xpaxaiöc
xal fyioc V(üv auftivTT]c xat ßaoiXeuc xat ^ deia xat lepa xal fis-
YcfXij oüvoäoc icpooxaXoüvtai, Ti)v dyicooüvijv ooö etc töv ü^ngXÖTaxov
ftpövov TOü icaxptapxetoü t^c KovoTavxivoTcoXscoc') d. h. : Unser gross-
mächtiger und heiliger Herr und Kaiser und die göttliche und heilige
und grosse Synode berufen deine Heiligkeit zu dem erhabensten
Throne des Patriarchats von Konstantinopel,
Nachdem die Senatoren die obenerwähnte Formel ausgesprochen
haben, erwidert der neugewählte Patriarch mit einer entsprechenden
Rede und übernimmt die Kirche. Hierauf kommen alle Bischöfe,
Kleriker und Laien, verbeugen sich vor ihm als vor dem mit der
Kirche Verlobten und empfangen den Segen.
d) Die Inve$Htur^)
(nach Simeon Ton Thesialonika).
Nach der Bekanntgabe (fjugvufia) und den mit der Bekanntgabe
verbundenen Zeremonien folgt die Investitur (npoßXijoic, promotio),
1) Codinua a. a. 0.
2) nach Simeon von Thessalonika.
B) Migne 155. p. 440. Cap. 226. Mit dieser Formel bezeugt man, dass
der Kaiser nicht nach eigenem Willen handelt, sondern, dass er nnr die Be-
schldsse der Synode ingleich mit der Synode bekannt gibt nnd dass er hiemit
nar einen Dienst erweist. Mit Unrecht behaupten daher manche, dass der
Patriarch vom Kaiser ernannt und eingesetzt wird, denn er wird ?on der
Synode ffew&hlt and der Kaiser, als ein frommer Christ, erweist der Kirche nnr
einen Dienst, indem er die neu getroffene Wahl mit bekannt gibt; denn es ist
nach Simeon von Thessalonika seme Pflicht, für die Kirche mitzaarbeiten, sie zu
lieben and für ihr Wohl zn sorgen.
4) Simeon von Thessalonika Migne 15S p. 442. C. 228.
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Besetzungstoeise des PatriarchaUtuhles v, Konntantinopth 35
d. i. die Erklftrong des Kaisers aus eigenem Muade, dass er die
Kirche ehre und schätze und dass er den von ihr Gewählten und
den, der sich bereit erklärt hat, die Kirche Gottes zu weiden, auch
selbst als Erzbischof von Konstantinopel oder von Nen-Rom und als
(ökumenischen Patriarchen anerkenne. Dies alles geschieht auf folgende
Weise i).
Bevor der Kaiser den Neugewählten sieht, schickt er ihm die
Patriarchalmantia und das Engolpion als eine Handgabe (ippaßmv),
welche Insignien der Kaiser als Wächter der Kirche aufbewahrt.
Den Stab als etwas Ehrenhafteres und als Symbol der Hirtengewalt
überreicht der Kaiser eigenhändig, damit bezeugend, dass er den
von Gott Gewählten auch selbst anerkenne. Die Formel, mittels
welcher der Patriarch investirt wurde, ist nach Godinus*) folgende:
»Die heilige Dreieinigkeit, aus deren Gnade uns das Reich znge-
fallen ist, setzt dich zum Urzbischof von Konstantinopel oder Neu-
Rom und zum ökumenischen Patriarchen ein. Bei dieser Gelegen-
heit beugt der Kaiser sein entblösstes Haupt und empfängt den
Segen, dem Nengewählten die Hand küssend. Hierauf wird auf
Befehl des Kaisers ein Pferd reich geschmückt, der Gewählte setzt
sich auf dasselbe und ein kaiserlicher Gomes als Vertreter des Kaisers
begleite ihn zu Fuss, die Zügel des Pferdes in der Hand haltend,
mit grosser Ehrenbezeugung durch den ganzen Hofraum des kaiser-
lichen Palastes und durch die grösste Strasse bis zum Patriarchal-
hofe. Wenn der Kaiser einen Sohn hatte , so begleitete ihn dieser
zu Pferde. Ebenso folgt dem feierlichen Zuge der ganze Senat.
Auch diese Handlung, nämlich die Investitur, hatte keine
andere Bedeutung, als dass der Kaiser der Patriarchenwahl zu-
stimme und das bereits Vollzogene bestätige.
f) Die Inthronisation
(naeh Simeon von Tbessaloiiika). >)
Am nächstfolgenden Sonntage versammeln sich der Kaiser, die
Fürsten, die Senatoren, alle Kleriker und das Volk und es wird vom
Patriarchen unter grosser Assistenz, nämlich aller Bischöfe und aller
^tadtpriester, die heilige Liturgie mit viel Andacht abgehalten.
Es ziemt sich, dass alle bei der Inthronisation ihres Oberhirten
zugegen seien , um ihn auf dem Throne sitzend wie unseren Herrn
Jesus Christus zu sehen und von ihm den Friedenssegeu zu empfangen
\\ Sim. Thess. o. c. C. 229.
2) Nieb. corp. script. byz. Codinas ÜBropalatae Cap. 20 p. 108.
3) Sim. Thess. p. 443. C. 280.
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36 Cotlarciuc,
und zu erwidern. Vom Zeremoniell bei der InthronisatioD ist be-
sonders folgendes hervorzuheben^): Während alle Notabilitftten be-
reits zugegen sind, zieht der Neugew&hlte den Sakos und alle
übrigen bischöflichen Kleider an und beginnt die heilige Messe.
Alle anderen Metropoliten ziehen ihre Ornate an, gehen beim ersten
»sroodoc« (wochod, introitus) heraus und stellen sich zu beiden
Seiten des zu inthronisierenden Patriarchen auf, von wo sie dann
alle sammt dem Neugewählten an den Altar zurückkehren. Nach dem
»Heiliger Gottt (£yio(; ö deöc) werden angezündete Kerzen verteilt.
Die angezündeten Lichter symbolisieren die Gnade des heiligen Qeistes,
welche sich in dem neuen Kirchenfürsten mit der Anvertrauung der
Kirche erneuert.
Während so alle mit brennenden Kerzen, jeder auf seinem
Platze seinem Range nach, stehen, fassen zwei von den angesehensten
Bischöfen den Neugewählten von beiden Seiten und setzen ihn auf
den Thron, S&oc, d. h. würdig rufend. Dieses Wort wird dann
dreimal innerhalb des Altarraumes und dreimal ausserhalb gesungen.
Dann erheben sie ihn und setzen ihn zum zweitenmale auf den
Thron unter igtog- Rufen, das nochmals dreimal innerhalb und drei-
mal ausserhalb des Altarraumes gesungen wird. Dasselbe Vorgehen wird
auch zum drittenmale wiederholt Hierauf folgt das »Polychronionc
für den Kaiser, dass er stets orthodox bleibe und für den Patriarchen,
dass er sich des erhaltenen ewigen Priestertums auch würdig zeige.
Hernach sagt der Diakon »mit wahrer Weisheitc, der Patriarch vom
Synthronos »Friede Allenc und segnet alle mit dem Trichirion.
Die Liturgie wird weiter rituellmässig fortgesetzt.
g) Die Btkanntgabe, Investitur und Inthronisation nach Oeorg Codinus
Curopalatae^).
Nicht anders mit wenigen Unterschieden wird die Vornahme
der Bekanntgabe, Investitur und Inthronisation des Patriarchen von
Konstantinopel nach Codinus Curopalatae beschrieben. Auf einem
hölzernen Amvon (ivaßa&pa) am Anfang des Tricliniums wird ein
Thron aufgestellt wie bei der Krönung des Kaisers. Das Triclinium
ist gerade so dekoriert wie bei der Inauguration des Herrschers.
Der Kaiser kommt mit allen seinen Abzeichen und sitzt auf seinem
Throne, während die Archonten um ihn herumstehen. Wenn der
Neugewählte erscheint, um den zubereiteten Thron zu besteigen
steht der Kaiser auf (auch dessen Sohn, wenn er anwesend ist) und
1) Sim. Thess. p. 446. C. 232.
2) 0. c. Cap. 20.
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Be$et»ung9weise des PatriarchaMuhlea v. KonatantinopeL 37
80 stehetid, den Patriarchatsszepter in der Hand haltend, spricht
er die obenerwähnte Formel aus: Die hl. Dreieinigkeit, aus deren
Gnade uns das Reich zugefallen ist, setzt dich zum Erzbischof von
Konstantinopel und zum ökumenischen Patriarchen ein. Darauf
singen alle das »Polychronionc Der Patriarch empfängt hernach
auf den Amvon steigend aus der Hand des Kaisers den Stab* Nach-
dem er den Kaiser gesegnet hat, steigt er vom Throne herunter,
segnet das Volk and setzt sich wieder auf den Thron, worauf Vivat-
rufe auf den Kaiser und den Patriarchen folgen. Der Kaiser be-
gibt sich dann in seine Wohnung, der Patriarch aber reitend in die
Kirche der heiligen Sophia, wohin alle Ärchonten ihm folgen. Das
Pferd, auf dem der Patriarch reitet, ist ganz mit weissem Zeug be-
deckt und reichlich geschmückt. Zu bemerken ist, dass der Neu-
gewählte zur icp6ßXif)aic zu Fuss kommt und auch nach der icpößXnjoK:
zu Fuss geht, aber nur noch durch den Palasthof.
Nach der icpößXnjaK; in die heilige Sophia gehend, betet der
Patriarch mit den anderen Bischöfen und Kirchenvorstehern. Am
Tage der Ghirotonie kommt der Kaiser im Festkleide in die beilige
Sophia. Der Patriarch wird, falls er kein Bischof ist, vom Bischöfe
von Heraklea geweiht^).
h) Der Vorgang bei der Besetzung de8 PcUriarchalatuhlea, wenn der
GtwähUe noch nicht Bischof war.
Es konnte der Fall eintreten, dass ein Nichtbischof, also ein
Priester, Archimandrit oder sogar ein Laie (z. B. Photius) gewählt
wurde. Wenn der Neugewählte ein Laie war, so musste er zuerst wenig-
stens die Priesterweihe erhalten und dann konnte erst die Bekannt-
gabe und die Investitur vorgenommen werden. Dann wurde er zum
Bischof geweiht und nach Erhalt der bischöflichen Weihe wurde
er inthronisiert. Also wie die Bekanntgabe der Wahl und die
Investitur die Priesterweihe mindestens voraussetzte, so musste der
Inthronisation die bischöfliche Weihe vorausgehen, da der Thrones
nur einem Bischöfe gehören kann. Wenn also ein Priester gewählt
wurde, so konnte die Bekanntgabe und die Investitur vorgenommen
werden und er musste vor der Inthronisation zum Bischöfe ge-
weiht werden.
Das Zeremoniell ist wie folgt *) : Der Neugewählte geht an den
1) Bemerkenswert wäre, dass andere Bischöfe [mit doppeltem Segen
(o^paYt^V) nämlich zweimal gesegnet werden (der erste heisst der kleine, der
iwette der grosse Segen, auch Chirotonie), der Patriarch wird aber nur einmal
gesegnet, da die icpößXiiai; des Kaisers statt der kleinen Einsegnung gilt.
2) Migne 155. p. 450. Cap. 233.
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38 Cotlarciuc,
Altar, verbeagt sich vor dem Altartische, küsst ihn, macht, vor die
Stufen des heiligen Thrones kommend, drei Verbeugungen gegen
Osten und zieht dann alle bischöflichen Kleider an, mit Ausnahme
des »Omophorsc als Zeichen, dass er noch nicht Bischof sei. Gleich-
zeitig empfangen auch die Diakone den Segen und ziehen ihre Ornate
an. Die übrigen Bischöfe haben nur die Mantia an. Der Neuge-
w&hlte unterwirft sich den Forderungen der Ganones^) und allen
übrigen Formalitäten. Am Altar sagt er das bischöfliche Glaubens-
bekenntnis und zwar ganz dasselbe, welches auch die anderen
Bischöfe bei ihrer Chirotonie hersagen, nur mit dem Unterschiede«
dass er nicht dem Patriarchen Gehorsam gelobt, wie die übrigen
Bischöfe, sondern den Canones. Dieses Gelöbnis unterfertigt er
dann mit eigener Hand').
Die Bischöfe verbeugen sich vor ihm, denn er ist bereits der
Bräutigam der grossen Kirche, werden von ihm gesegnet und gehen
ausserhalb des Altarraumes auf ihre Plätze, auf die in der Kirche auf-
gestellten Amvone, um die Ornate anzuziehen. Ebenso empfangen die
Priester den Segen und der zweite dem Range nach nimmt die
»Proskomediec vor. Hernach beginnt man die Liturgie und beim
ersten eroodoc gehen alle vom Altar und stellen sich in der
Mitte der Kirche, wo sie bis zum Schlüsse der »eroodoc- Gebetet
bleiben, worauf sie wieder an den Altar sich begeben. Bemerkens-
wert ist, dass die Bischöfe in diesem Falle nicht wie gewöhnlich
durch die mittlere Altartüre eintreten, sondern vom Chartophilax ge-
leitet durch die rechte Altartüre. Das ist der einzige Fall , wobei
die Bischöfe durch die Seitentüre und nicht durch die Haupttüre
gehen •).
Am Altar nehmen alle Bischöfe ihre Plätze ein und bekommen
brennende Kerzen in die Hände. Zwei von den angesehensten Bischöfen
fassen den Gewählten hierauf von beiden Seiten und führen ihn um
den heiligen Altartisch herum. Die übrigen Bischöfe folgen nach,
die Priester aber und die übrigen Kleriker gehen voran und singen
»fyioi fiofpTupec«. Dreimal führen sie ihn im heiligen Ghortanze,
singen und verbeugen sich alle^ auch der zu Weihende, vor dem
Altartische, wie vor dem Gottesthrone.
Wenn der 'HpaxXeiac d. i. der Erzbischof von Heraklea zugegen
1) Migne 155. p. 450. Cap. 234.
2) siehe: die Professio fidei neoelecti patriarchae Antonii yom Janaar
6897 = 1389 Ind. XII. und die Professio fidei patriarchae Callizti II. Xan-
thopoli vom 6905 = 1897. Mai ind. V. bei MikLosich and Müller. Acta et
diplomata graeca medii aevi. 2. Patrlarchatas Const. Vindobonae 1862.
3) Migne 155. p. 451. G. 235.
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BegetMungnoeUe dtB PatriarckaMuhle$ v. KonstantinopeL 39
ist, nimmt er die Weihe yor, weil, wie bereits gesagt worden,
der bischöfliche Stahl von Byzanz bis zur Zeit Konstantins des
Grossen dem Erzbisohofe von Heraklea untergeordnet war. Der
Erzbisphof von Heraklea wird von allen Bischöfen auf den Amvon
gehoben, znm Zeichen, dass alle der bevorstehenden Weihe zustim-
men. Wenn der Bischof von Heraklea nicht zugegen ist, so spendet
das Sakrament der Weihe der rangälteste und angesehenste an-
wesende Bischof.
Der zu Weihende kniet nieder und legt den Kopf an den
Altartisch. Der weihende Bischof bezeichnet ihn mit dem Kreuze,
legt ihm die Hand auf den Kopf (alle übrigen Bischöfe ihn mitbe-
rührend), sagt das vorgeschriebene Gebet, die Formel: »die gött-
liche Gnadec .... und bezeichnet ihn nochmals mit dem Kreuze.
Dann wird dem zu Weihenden das offene Evangelium auf den Kopf
und den Hals gelegt und drei Gebete gelesen, wobei ihn der
Weihende jedesmal mit dem Kreuze bezeichnet. Zum Schlüsse wird
das Evangelium auf den Tisch gestellt, der Geweihte erhebt sich
und ihm das Omophor auflegend ruft der weihende Bischof >$&oc«,
welches Wort dreimal innerhalb und dreimal ausserhalb des Altar-
raumes gesungen wird. Der Bischof, welcher die Weihe gespendet hat,
steigt von der Stufe herab und der Neugewählte steigt diese hinan ^).
Vor den heiligen Altar kommend legt der neugewählte Pa-
triarch die Hand auf den Altartisch, und der Herakleas, als der
Weihende, geht zuerst und küsst den Altartisch und die Hand des
Patriarchen, welchem Beispiele alle übrigen Mitzelebrierenden folgen.
Nochmals den Altartisch küssend gehen alle auf ihre Plätze in
»aovfrpovoic und es wird, wie gesagt, die Inthronisation vollzogen.
Erwähnenswert ist, dass vor dem Apostel der Herakleas und in
seiner Abwesenheit der rangälteste Bischof (mit dem Segen vom
Neugewählten), vor dem Evangelium aber der Patriarch selbst
»Friede Allenc sagt.
Im übrigen wird die Liturgie rituellmässig fortgesetzt*}.
i) Schlusafolgerung.
Aus dem im Detail angegebenen Modus der Besetzung des
Konstantinopolitanischen Patriarchalstuhles ist ersichtlich, dass bei
der Besetzung unter der byzantinischen Herrschaft folgender Vor-
gang beobachtet werden musste:
Die Synode wählte drei Kandidaten, von denen der Kaiser
1) Miqne 155. p. 451. C.
2) Ibid. p. 454. C. 287.
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40 Cotlarciuc, BeaetxungsweUe ä. Patriarchalatuhl. v, Kon$taniinopeL
einen bestätigte. Nach der Wahl wurde die Bernfang yorgenommen.
Wenn der Gewählte dem Rufe folgte, so wnrde er vom Kaiser be»
kanntgegeben d. h. es wurde die fii^ofia vorgenommen. Der Be-
kanntgegebene wurde hierauf investiert Wenn der Gewählte ein
Laie war, so musste er vor der Bekanntgabe und vor der Investitur
wenigstens zum Presbyter geweiht werden. Erst als Priester konnte
er bekanntgegeben und investiert werden. Nach der Investitur
folgte die Inthronisation, vor welcher selbstverständlich der zu
Inthronisirende, falls er kein Bischof war, zuerst die bischöfliche
Weihe erhalten musste.
(SohluM folfl^)
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41
2. Beiehtslegel und Zengnisspflleht nach den Beiehsprozess-
ordnnngen.
Von Dr. jar. Richard Mode.
(Forts.; vgl. IV. Qaartalh. 1902 S. 476.)
II. Die Wirksamkeit des dem Beichtsiegel gewährten Schutzes.
Das die Stellung der Prozessordnungen gegenüber dem Beicht-
Siegel; sehen wir nan zu, ob der von ihnen dem Beichtsiegel gewährte
Schatz genfigt. Dazu werden wir am zweck massigsten von der
Vemehmung des Beichtvaters und den einzelnen Fragen, die mög-
licherweise an ihn gerichtet werden können, ausgehen und hierbei
prüfen, ob er durch die besprochenen Bestimmungen der Prozess-
ordnangen in die Lage gesetzt ist, bei seinen Aussagen und Ant-
worten das Beichtsiegel unbedingt zu bewahren.
Nach § 396 C.-P.-O. und § 68 St-P.-O. ist der Zeuge, bevor
an ihn einzelne Fragen gerichtet werden, >zu veranlassen, dasjenige,
was ihm von dem Gegenstande seiner Vernehmung bekannt ist, im
Zusammenhange anzugeben.c Zu diesem Zweck muss zunächst ein-
mal dem Zeugen »der Gegenstand seiner Vernehmungc bekannt
gemacht werden; im Civilprozess geschieht dies durch die Ladung,
in der gemäss § 377 G.-P.-O. der Gegenstand der Vernehmung ent-
halten sein muss, im Strafprozess dadurch, dass der Richter dem
Zeugen vor seiner Vernehmung den Gegenstand der Untersuchung,
die Person des Beschuldigten und den Gegenstand der Vernehmung
mittheilt. Dieser Gegenstand der Vernehmung kann nun entweder
von der Beschaffenheit sein, dass er das gesammte Wissen des Zeu-
gen über einen bestimmten Punkt betrifft, gleichgültig woher das
Wissen stammt« oder er kann unmittelbar das in der Beichte An-
vertraute betreffen; das Gleiche gilt von den weiteren Fragen, die
nach der zusammenhängenden Aeusserung des Zeugen »zur Auf-
klärung und Vervollständigung der Aussage sowie zur Erforschung
des Grundes, auf welchem die Wissenschaft des Zeugen beruht,€
zu stellen sind; gerade diese einzelnen Fragen werden besonders
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42 Mode,
häufig anmittelbar auf das in der Beichte Anvertraate gehen. Wir
werden im Folgenden zwischen dem Gegenstand der Vernehmung
und dem der einzelnen Fragen nicht unterscheiden; auch das Ver-
langen, der Zeuge solle über den Gegenstand der Vernehmung
Auskunft geben, ist ja schliesslich weiter nichts als eine Frage; wir
werden vielmehr nur unterscheiden: solche Fragen, die unmittelbar
(explicite) das in der Beichte Anvertraute zum Gegenstande haben,
und solche, die sich ihrem Inhalte nach auf mehr als das bloss in
der Beichte Anvertraute beziehen und dies nur mittelbar (implicite)
umfassen.
1. Wirksamkeit gegenüber allgemeinen Fragen.
um mit den zuletzt erwähnten Fragen anzufangen, so kann
die Frage z. B. ganz allgemein dahin lauten , ob der Angeklagte
dem Zeugen das und das mitgetheilt hat. Angenommen der Ange-
klagte hat ihm thatsächlich eine solche Mittheilung gemacht, aber
nur in der Beichte, wie kann sich hier der Beichtvater verhalten?
Mnsste er sagen: »Ich verweigere mein Zeugnisse, und, nach dem
Grunde seiner Weigerung gefragt, antworten: »weil mir die Mit*
theilung in der Beichte gemacht worden istc, — so ist klar, dass
durch eine in dieser Weise erfolgende Weigerung die Folge, die
vermieden werden soll, herbeigeführt wird. Die Folge kann auch
nicht dadurch abgewandt werden, dass der Zeuge als Grund angibt :
»weil mir die Mittheilung bei Ausübung der Seelsorge gemacht istc,
oder: »weil ich mich über Mittheilungen aussprechen müsste, die
mir bei Ausübung der Seelsorge gemacht sindc ; Schwalb ^) meint
freilich: »Wenn der Priester sagt: Ich verweigere das Zeugniss»
weil ich nur Dinge sagen könnte, die mir bei Ausübung der Seel-
sorge anvertraut worden sind , 80 hat er weder angedeutet, was
ihm gebeichtet worden ist, noch auch nur, wer ihm gebeichtet hat.
Es ist ja gar nicht nothwendigerweise der Beschuldigte, von welchem
seine Eenntniss herrührt, vielmehr kann ebenso gut ein anderer
ihm anvertraut haben, dass in Wirklichkeit er der Thäter sei. Ja,
nicht einmal, dass ihm überhaupt etwas über die Sache gebeichtet
worden ist, ergibt sich aus seiner Zeugnissverweigerung, denn was
er weiss, kann ihm ebensowohl bei irgendeiner andern seelsorgeri-
schen Thätigkeit anvertraut worden seine*). Indessen mit der von
Schwalb dem Zeugen in den Mund gelegten Erklärung braucht
sich, wie wir oben sahen, der Richter nicht zu begnügen; er kann
1) a. a. 0. S. 17—18.
2) Aehnlich »Katholikt a. a. 0. S. 506.
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Heichtaiegel u. Zeugnisspflicht n. d. Reichsprozessordnungen, 48
rerlangen, dass der Zeuge die Thatsackeny auf die er sein Zeugniss-
yerweigernngsrecht stützt, aogibt; es genügt desshalb wohl, wenn der
Zeuge sagt: »mir ist gebeichtet wordene, nicht aber die blosse Er-
klärung: »mir ist bei Ausübung der Seelsorge etwas anvertraut
wordene. — Ferner ist zur Verletzung des Beichtsiegels nicht ge-
rade erforderlich, dass der Beichtvater sagt, dass ihm etwas (/^eicA^
ist, sondern das Beichtsiegel ist schon dann verletzt, wenn der
Beichtvater irgendwie das ihm Anvertraute offenbart, mag der
Dritte, der es erfährt^ wissen, dem Beichtvater sei das Geheimniss
in der Beichte anvertraut worden, oder mag er denken, dass es auf
andere Weise ihm zugänglich geworden sei. Schliesslich ist auch
der Einwand, der Richter erfahre nicht, von wem und was gebeichtet
ist, hinfällig; denn wenn von einem Anderen als dem Beschuldigten
oder etwas Anderes als das, wonach gefragt wird, dem Beichtvater
in der Beichte anvertraut worden ist, warum antwortet der Beicht-
vater dann auf die Frage nicht mit einem Nein? Ja, er muss so
antworten, denn in Bezug auf diese Frage besteht für ihn ein
Zengoissverweigerungsrecht nicht. Man könnte entgegenhalten: die
Zeugenpflicht gebietet nicht bloss, dass der Zeuge die an ihn ge-
richteten Fragen einfach bejahe oder verneine, sondern dass er alles,
was auf die Frage Bezug hat, angebe, dass er »nichts verschweiget
(vgl. §. 892 C.-P.-O.; § 61 St.-P.-O.); er müsste deshalb, wenn
ihm die Mittheilung von einem Andern oder eine andere Mittheilung
von dem Beschuldigten in der Beichte gemacht worden ist, dies
kundgeben, und, da er hierdurch das Beichtgeheimniss verletzen
würde, dürfte er das ganze Zeugniss verweigern. Allein, das Zeug-
nissverweigerungsrecht geht nur soweit, als etwas anvertraut ist,
und der Zeuge wird deshalb wohl von der Pflicht zu einer weiteren
Aeussening befreit, nicht aber von der Beantwortung einer Frage,
auf die sich sein Zeugnissverweigerungsrecht gar nicht bezieht. Er
dürfte deshalb nur antworten: »Von dem Beschuldigten ist mir die
und die Mittheilung nicht geworden, ob ein Anderer mir dergleichen
Mittheilung oder welche anderen Mittheilungen der Beschuldigte
mir gemacht hat, darüber verweigere ich mein Zeugniss, weil mir
die Mittheilungen in der Beichte gemacht worden sind.c
Antwortet er nicht so, sondern verweigert er schlechtweg sein
Zeugniss, so wird das Gericht mit Recht daraus schliessen dürfen,
dass der Beschuldigte die fragliche Mittheilung gemacht hat, —
und damit wäre das Beichtsiegel verletzt. Dass das Gericht zu
einer Schlussfolgerung aus der Zeugnissverweigerung berechtigt ist,
kann nach dem Grundsatze der Civilprozessordnung, wonach das
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44 Mode,
Gericht »unter Berücksichtigang des gesammten Inhalts der Ver*
handlangen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme
nach freier üeberzeugang zu entscheidenc hat (§ 286 C.-P.-0.)t
und der Strafprozessordnung, wonach das Gericht ȟber das Ergebniss
der Beweisaufnahme entscheidet . . . nach seiner freien, aus dem
Inbegriffe der Verhandlung geschöpften üeberzeugungc (§ 260
St.-P.-0.), nicht zweifelhaft sein, ist auch vom Reichsgericht wie-
derholt anerkannt worden^).
Kann dann aber der Zeuge diese Schlusf^folgerung abwenden?
Ja, einfach dadurch, dass er sich nicht der formellen , sondern der
materiellen Zeugnissverweigerung bedient. Er muss erklären: »Bei
Beantwortung der Frage werde ich darüber, was mir etwa in der
Beichte anvertraut worden ist, nichts aussagen.c Noch besser gibt
er eine derartige Erklärung sogleich von vornherein ab, noch bevor
ihm der Gegenstand seiner Vernehmung mitgetheilt ist, damit auch
nicht im geringsten seine Weigerung mit dem Gegenstande seiner
Vernehmung, ja mit irgendeiner Person in Zusammenhang gebracht
werden kann. Er wird also, als Zeuge aufgerufen, sofort erklären:
»Ich bin Geistlicher; als solcher werde ich nOthigenfalls von dem
mir gewährten Zeugnissverweigerungsrecht Gebrauch machen und
werde deshalb darüber, was mir etwa in der Beichte anvertraut
worden ist, eine Aussage nicht machen, sondern nur abgesehen hier-
von Zeugniss ablegen. c Verfährt der Zeuge in dieser Weise, dann
erßlhrt der Richter allerdings gar nichts. Der Zeuge kann auf die
Frage, ob ihm der Beschuldigte die und die Mittheilung gemacht
hat, mit einem »Neinc antworten, wenn ihm der Beschuldigte die
Mittheilung nur in der Beichte gemacht hat; denn dieses »Neinc
bedeutet: Der Beschuldigte hat mir abgesehen von dem in der
Beichte Anvertrauten die fragliche Mittheilung nicht gemacht. Der
Richter erfährt nicht, was der Beschuldigte dem Zeugen in der
Beichte anvertraut hat, noch ob er dem Zeugen überhaupt gebeichtet
hat, ja er erßhrt nicht einmal, ob der Zeuge überhaupt von seinem
Zeugnissverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, da ja möglicher-
weise dem Zeugen gar nichts in der Beichte anvertraut worden ist,
und er somit nichts verschwiegen hat. Eine Täuschung des Rich-
ters liegt darin, wie oben ausgeführt, keineswegs ; denn der Richter
weiss, dass alle Erklärungen des Zeugen unter dem Vorbehalt erfol-
gen, und dass er ans den Antworten nichts dafür entnehmen kann,
1) Vgl. ürth. d. R.-Ger. Tora 4. I. 1896. Jur. Wocbenschr. 1896. S. 130
Nr. 2, ürth. vom 5. XL 1896. Jur. Wocheoschr. 1897 S. 5 Nr. 18.
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Beichtsiegel u. Zeugniaspflicht n. d, Reichsprozesaordnungen, 45
ob etwas and was dem Zeugea in der Beichte mitgetheilt wor-
den ist.
In gleicher Weise wirkt der Vorbehalt, wenn der Zeuge danach
gefragt wird, tvas der Beschuldigte ihm über den and den Pankt
mitgetheilt hat, oder was er über den und den Punkt wisse. Be*
ruht das Wissen des Zeugen lediglich auf dem, was ihm in der
Beichte anvertraut worden ist, so kann er antworten: »Nichtsc,
nämlich abgesehen von dem in der Beichte Anvertrauten nichts.
Auch hier wird der Richter nicht getäuscht, da er die Bedeutung
des »Nichtsc auf Grund der vom Zeagen abgegebenen Erklärung
kennt; und andererseits wird in keiner Weise das Beichtgeheimniss
verrathen, da der Zeuge auch nicht einmal andeutet, ob er über-
haupt, sei es auch ut deus, nicht ut horoo, etwas wisse. Hat der
Zeuge auch noch ausserhalb der Beichte von dem Gegenstande der
Vernehmung Eenntniss erhalten, so muss er dies angeben, braucht
aber nicht im geringsten anzudeuten, dass er noch mehr wisse;
denn seine Verpflichtung und gegebenenfalls ein eidliches Versprechen,
nichts verschweigen zu wollen, hat er erklärtermassen dahin einge-
schränkt, dass er das, was ihm in der Beichte etwa anvertraut
worden ist, verschweigen wolle.
Von der Befugniss des § 386 Abs. 3 G.-P.-O«, im Vernehmungs-
termin nicht zu erscheinen, kann der Zeuge allerdings keinen Gebrauch
machen ; denn diese Befugniss steht nur dem Zeugen zu^ der schlecht-
weg sein Zeugniss verweigert, nicht aber einem Zeugen, der eine
materielle Aussage machen will. Ein solcher Zeuge ist aber der
Geistliche, der wie angegeben verfährt: er verweigert nicht formell
sein Zeugniss, sondern gibt die verlangte Auskunft, nur dass er
daran einen Vorbehalt knüpft; erklärt er: »Der Beschuldigte hat
mir das und das nicht mitgetheiltc, oder: »Der Beschuldigte hat
mir nichts mitgetheiltc (d. h. abgesehen von dem mir etwa in der
Beichte Anvertrauten), so genügt es nicht, dass er diese, wenn auch
bloss negative, doch immerhin materielle Aussage, bei der noch
nicht einmal feststeht, ob der Zeuge überhaupt sein Zeugniss that-
säcblich verweigert hat, schriftlich vor dem Termin dem Gericht
einreicht, sondern er muss mündlich vor dem Gerichte die Aussage
machen und gegebenenfalls beschw($ren.
3. Wirksamkeit gegenüber Fragen nach dem in der Beichte
Anvertrauten.
Schwieriger gestaltet sich die Lage des Beichtvaters, wenn
die Frage nicht allgemein gestellt ist, sondern wenn er geradezu
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46 Mode,
(ezplicite) nach dem in der Beichte Anv^rauten gefragt wird. Es
sollte das zwar nicht vorkommen; es sollte jedermann, auch der
Andersgläabige, vor dem Beichtsiegel soviel Achtang haben, dass
er derartige indiskrete Fragen, die vom Gesetz selbst im § 383
Abs. 3 C.-P.-O. verurtheilt werden, unterlässt; man wird auch dem
Taktgefühle unserer Richter zutrauen dürfen, dass sie sich in den
erforderlichen Grenzen halten ; indessen kann der Richter nicht ver-
hindern, dass von anderer Seite derartige Fragen an den Zeugen
gerichtet werden, die er, wenigstens im Strafprozesse, in dem eine
Bestimmung wie die des § 383 Abs. 3 C.-P.-O. fehlt, nicht zurück-
weisen kann, da ja nur ein Verweigerungs r^A^ des Zeugen, kein
Vernehmuogsverbot besteht. Bin Eingehen darauf, wie es mit der
Bewahrung des Beichtsiegels steht, wenn eine indiskrete Frage ge-
stellt wird, kann deshalb nicht als überflüssig erscheinen.
Beginnen wir mit der allgemeinsten Frage der Art, mit der
Frage: Ob jemand, sagen wir der Beschuldigte, dem Zeugen ge-
beichtet hat. Diese Frage wird der Zeuge im allgemeinen beant-
worten dürfen, ohne dass das Beichtsiegel verletzt würde. >Non
est contra sigillum, si confessarius dicat Petrum sibi esse confessum
(nempe fecisse actum virtutis) aut sua sibi peccata confessumc, sagt
Suarez^). Es kann indessen auch Fälle geben, in denen die That-
sache des Beichtens allein schon auf eine schwere Schuld des Beich-
tenden schliessen Iftsst ; z. B. der Beschuldigte, der bekanntermassen
sonst nie zur Beichte gegangen ist, soll nach den unbestimmten
Bekundungen mehrerer Zeugen gerade kurz nach der That gebeichtet
haben, der Geistliche bestätigt als Zeuge, dass der Beschuldigte
gebeichtet hat. Für sich allein wird die blosse Thatsaohe des
Beichtens wohl nie genügen, um irgendwelche Schlüsse daraus lu
ziehen, sie kann aber in Verbindung mit andern umständen doch
eine starke Inzichtsthatsache bilden. Von den Theologen wird des-
halb darauf aufmerksam gemacht, dass unter Umständen auch die
Offenbarung der Thatsache des Beichtens allein eine Verletzung des
Beichtsiegels bilden künne*).
Wie kann sich nun der Beichtvater nach den Prozessordnungen
verhalten ? Er könnte im Falle, dass aus der Antwort eine Gefahr
nicht entspringt, bejahend antworten, im andern Falle dagegen sein
1) Theolog. samna. Pars. II. disp. XXXIII. sect. 3 q. 4. Ebenso sagt
Diana a. a. 0. p. V. tr. 11 res. 47: lieet Cenfessor simpliciter dicat Petrum
sibi esse confessum, Tel esse confessnm peccata saa, non revelat sigillum, quia
hlc nnlla fit injuria.
2) Liguori sagt a. a. 0. n. 638: Non frangitur sigillum .... 2<> Si
dicas N. tibi confessum; etsi in certis circumstantiis hoc quoque periculosum sit.
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Beichtsiegel u. Zetigniaapflicht n. d. Reichsprouenaordnungen. 47
ZeugDiss verweigera; indeasen eia solches Verfahren wfirde sehr
QQZweckm&ssig sein; denn diese Praxis, wena sie allgemein wird,
berechtigt zu dem Schlüsse, dass immer dann, wenn der Zeuge sein
ZeugDiss verweigert, ihm gebeichtet ist, da er ja, wean in der Ant-
wort keine Qefahr liegt, sonst immer, sei es bejahend oder ver*
oeinend, antwortet. Das Richtige wäre vieloiehr, dass die Geist-
lichen, wenn ihnen als Zeugen die Frage vorgelegt wird, ob der
und der bei ihnen gebeichtet hat, stets ihre Antwort verweigern,
gleichgültig ob ihnen gebeichtet worden ist oder nicht. Voraus-
setzung ffir diese Verweigerung ist allerdings, dass ihnen von der
betreffenden Person etwas bei Ausübung der Seetsorge anvertraut
ist. Ist dies aber der Fall, so brauchen sie, wie wir oben sahen,
nicht zu sagen, wie ihnen etwas anvertraut worden ist, und zwar
auch dann nicht, wenn ihnen thatsftchlich im Wege der Beichte
nichts anvertraut ist; sie brauchen h($chstens zu erklären und eidlich
oder an Eidestatt zu versichern, dass ihnen die betreffende Person
etwas in der Seelsorge anvertraut hat.
Verfthrt der Zeuge in dieser Weise, so kann aus seiner
Weigerung nur der — die Voraussetzung der Weigerung bildende
— Scbluss gezogen werden, es sei ihm etwas bei Ausübung der
Seelsorge anvertraut worden; ob in der Beichte oder in sonstiger
Weise, das bleibt dahingestellt. Die blosse Thatsache, dass jemand
dem Zeugen etwas in der Seelsorge anvertraut hat, kann aber nie-
mals eine Verletzung des Beichtsiegels enthalten; insbesondere ist
sie nicht mit der Thatsache des Beichtens auf eine Stufe zu stellen ;
diese kann wohl unter Umständen den Schluss rechtfertigen, der
Angeklagte habe eine schwere Sünde begangen, und diese Sünde
kann nur die den Gegenstand der Untersuchung bildende That sein ;
dagegen kann aus der blossen Thatsache des Anvertrauens in der
Seelsorge für den Inhalt des Anvertrauten garnichts gefolgert wer-
den, nicht einmal, das der Anvertrauende irgend eine Sünde began-
gen habe.
Auf die Frage des Richters : »Hat Ihnen der Beschuldigte
gebeichtetP€ — wird also der Zeuge erklären können: »Ich ver-
weigere mein Zeugoiss, da mir der Beschuldigte bei Ausübung der
Seelsorge etwas anvertraut hat, und ich nicht zu sagen brauche, in
welcher Weise er dies getban hat. Aus meiner Weigerung darf
nicht gefolgert werden, der Beschuldigte habe mir gebeichtet ; denn
wenn mir jemand etwas in Ausübung der Seelsorge anv^traut hat,
so verweigere ich auf die mir vorgelegte Frage stets noein Zeugniss,
auch dann, wenn mir in der Beichte nichts anvertraut ist.c Brfor-
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48 Mode,
derlichenfalls hat dann der Zeuge seine Aussage, dass ihm der
Beschuldigte etwas bei Ausübung der Seelsorge anvertraut hat, in
der gehörigen Weise zu versichern oder mit dem Zeugeneide zu
bekräftigen. So ist das Beichtsiegel gewahrt, ohne dass der Richter
berechtigter Weise aus der Zeugnissverweigernng irgendwelche
Schlüsse zu ziehen vermag.
Damit erledigen sich auch alle weiteren Fragen, die die That-
Sache des Beichtens zur Voraussetzung haben, also : wann gebeichtet
ist, ob dies oder jenes gebeichtet ist u. s. w. Auf alle diese Fragen
wird der Zeuge mit dem Hinweis auf seine Zeugnissverweigernng
antworten können, und in keiner Beziehung wird so das Beichtsiegel
verletzt; im Civilprozesse braucht er sich noch nicht einmal auf
seine Weigerung zu berufen, sondern noch einfacher bloss auf das
Vernehmungsverbot des § 388 Abs. 8, ohne auch nur zu erklären zu
brauchen, dass ihm überhaupt etwas bei Ausübung der Seelsorge
anvertraut worden ist.
Bleiben so die Fragen nach dem in der Beichte Anvertrauten
ohne Brgebniss, so wird es nunmehr vielleicht mit Fragen versucht
werden, die sich nicht geradezu auf die Beichte , wohl aber auf das
in der Seelsorge Anvertraute im allgemeinen beziehen, da der Zeuge ja
erklärt hatte, dass ihm in dieser Beziehung etwas anvertraut sei.
Aber auch Fragen dieser Art wird der Zeuge sämmtlich ablehnen
dürfen; wie oben ausgeführt, braucht der Zeuge weder auszusagen,
was, noch ob dieses oder jenes ihm anvertraut ist. Der Richter
erfährt also auch hier ausser der Thatsache, dass dem Zeugen
über den und den Punkt oder von der und der Person etwas anver-
traut ist, gar nichts.
In allen den Fällen, in denen der Zeuge sich der formellen
Zeugnissverweigernng bedienen moss, hat er überdies noch im Civil-
prozesse nach § 886 Abs. 3 die Befugniss, in dem zu seiner Ver-
nehmung bestimmten Termine überhaupt nicht zu erscheinen, vor-
ausgesetzt, dass das ihm in der Ladung mitgetheilte Beweisthema von
der eben besprochenen Art ist, d. h. dass es eine jener indiskreten
Fragen und dichts Weiteres enthält, also z. B. dahin lautet, ob der
Beklagte dem Zeugen in der Beichte das und das mitgetheilt habe.
Zwar wäre nach § 883 Abs. 8 C.-P.-O. ein solches Beweisthema
unzulässig, allein das schliesst nicht aus, dass es trotzdem gestellt
wird ; das einzige Mittel, das dem Zeugen dagegen zu Gebote steht,
ist sein Zeugnissverweigerungsrecht. Will daher der Zeuge von der
ihm in § 386 Abs. 3 gewährten Befugniss Gebrauch machen , so
hat er vor dem Termin schriftlich oder zu Protokoll des Gerichts-
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BeichiHegel u. Zeugnis9pflicht n. d. ReichsproMesaordntMgen, 49
Schreibers zq erklären, dass — wie er hiermit an Eidesstatt versichere
— der Beklagte ihm in seiner Eigenschaft als Seelsorger verschie-
dene Mittheilungen gemacht hat, und dass er deshalb von seinem
Zeugnissverweigerangsrecht Gebrauch mache. Zur Verhütung falscher
Schlussfolgerangen wird der Zeuge gut thun noch hinzuzufügen : aus
seiner Weigerung sei keineswegs zu folgern, dass der Beklagte ihm
die in dem Beweisthema erwähnte Mittheilnng wirklich gemacht
habe, ja auch nur, dass der Beklagte ihm gebeichtet habe, vielmehr
verweigere er sein Zengniss grundsätzlich auf Fragen wie die des
Beweisthemas auch dann, wenn er die Frage verneinend beant-
worten müsste.
Einem Einwände ist noch zu begegnen: Wir sagten oben, der
Beichtvater könne, gefragt, was der Beschuldigte über den und den
Punkt ihm mitgetheilt habe, antworten : »Nichtsc (vorausgesetzt,
dass der Zeuge den Vorbehalt erklärt hatte). Wie nun, wenn der
wissbegierige Richter weiter fragt: »Hat der Beschuldigte Ihnen
darüber etwas in der Beichte mitgetheilt, und was?€ Würde der
Zeuge, wenn er jetzt sein Zeugniss verweigerte mit der Erklärung,
der Beschuldigte hätte ihm bei Ausübung der Seelsorge etwas an-
vertraut, würde er nicht damit verrathen, dass der Beschuldigte
ihm gebeichtet hat, da er doch vorher ausgesagt hatte, dass ihm
abgesehen von dem in der Beichte Anvertrauten nichts bekannt sei?
Keineswegs: Jenes »Nichtsc bezog sich nur auf den Punkt, über
den er gerade aussagen sollte, schliesst aber nicht aus, dass ihm
über Anderes auch noch ausserhalb der Beichte Mittheilungen ge-
macht worden sind. Doch folgt daraus, dass der Zeuge, wenn jene
Frage allgemein dahin gelautet hätte: »Hat Ihnen der Beschuldigte
etwas mitgetheilt, und wasPc — dass der Zeuge hier nicht mit einem
»Nichtsc antworten darf; denn würde nunmehr gefragt werden:
»Hat er Ihnen auch in der Beichte nichts anvertraut ?c — so könnte
der Zeuge nicht mit »Neinc antworten, sondern nur sein Zeugniss
verweigern mit der Erklärung: der Zeuge habe ihm als Seelsorger
etwas anvertraut; diese Erklärung aber in Verbindung mit der an-
dern, dass ihm der Beschuldigte abgesehen von dem in der Beichte
Anvertrauten nichts mitgetheilt habe, würde den Schluss rechtfer-
tigen : also hat der Beschuldigte dem Zeugen gebeichtet, eine That-
sache, die, wie gesagt, schon allein unter Umständen eine Verletzung
des Beichtsiegels darstellt. Auf jene allgemeine Frage, ob etwas
und was der Beschuldigte dem Zeugen mitgetheilt habe, wird der
Zeuge deshalb besser sein Zeugniss formell verweigern mit der Er-
klärung, dass ihm der Beschuldigte allerdings etwas mitgetheilt
AnidY Ar Kinhoireeht LXXXIII. 4
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60 Mode,
habe, dies aber bei AusöboDg der Seelsorge, and, falls dem Richter
die Erklärung nicht genügte, wird er die näheren Umstände angeben,
aus denen folgt, dass ihm wirklich etwas bei Ausübung der SeeUtmge
an? ertraut worden ist, ohne jedoch dabei zu erkennen zu geben, dasa
das Anrertrante gerade in der Beichte geschah; bei der Allgemein*
heit der Frage wird es dem Zeugen ein Leichtes sein, glaubhaft zu
machen, dass der Beschuldigte mit ihm in seiner Eigenschaft als
Seelsorger in Verbindnng getreten ist, ohne der Thatsache des
Beichtens oder bestimmter geheim zu haltender Mittheilungen in
gedenken. —
Man sieht, dass es immerhin einiger Vorsicht Seitens des
Zeugen bedarf, will er nicht, wenn auch ohne Wissen und Willen,
das Beichtsiegel verletzen. Mit dieser Vorsicht aber dürfte es dem
Zeugen gelingen, das Beichtsiegel gegen alle Fragen unverbrüchlich
zu bewahren, so dass wir zu dem Schlüsse kommen: die Reichs-
prozessordnungen gewähren bei richtiger Handhabung der durch sie
dem Zeugen gegebenen Schutzmittel dem Beiehtsiegel vollkommenen
Schutz ; der Zuhülfenahroe einer Mentalrestriktion bedarf es nicht;
ein Zwang des Zeugen sei es zur unmittelbaren oder mittelbaren
Verletzung des Beichtsiegels besteht nicht, vielmehr ist der Zeuge
in der Lage, seine Weigerung so einzurichten, dass aus ihr nicht
die geringsten Schlnssfolgerungen gezogen werden können.
Hiermit ergibt sich, dass die Reichsgesetzgebung, soweit die
Givilprozessordnung und die Strafprozessordnung in Betracht kom-
men, dem Beichtgeheimniss hinreichenden Schutz gewährt; ob sie
auf andern Gebieten gleiche Rücksicht nimmt, das zu erörtern, war
nicht die Aufgabe dieser Abhandlung. Nur hindeuten möchten wir
auf jene Bestimmung des § 139 St.-G.-B., wonach jedermann, der
von gewissen schweren Verbrechen zu einer Zeit, in welcher die
Verhütung des Verbrechens möglich ist^ glaubhafte Eenntniss erhält,
zur rechtzeitigen Anzeige verpflichtet ist. Auch diese Vorschrift ist
von jeher in Rücksicht auf das Beichtgeheimniss ein Stein des An-
stosses gewesen. Nach der herrschenden, auch vom Reichsgericht
gebilligten, Meinung sind von der Anzeigepflicht die zur Zeugniss-
verweigerung berechtigten Personen, also auch die Beichtväter, nicht
ausgenommen. Wie dem auch sein mag, die Gefahr, die man für
das Beichtsiegel in der Zeugnisspflicht zu erkennen und auch durch
das Zeugnissverweigerungsrecht unserer Prozessordnungen nicht be-
hoben glaubte, sowenig, dass man das einzige Schutzmittel in der
Mentalrestriktion erblickte auf die andere Gefahr hin, wegen Meineides
dem Zuchthause zu verfallen, — die Gefahr besteht bei der Anzeige-
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Beichtsiegel u. ZeugnUapflicht n. d. Reichaproteaaordnungen, 51
pflicbt des Strafgesetzbnchefi nicht. Abgesehen von der geringen
praktischen Bedentang der Vorschrift hinsichtlich des Beichtgeheim-
nisses, and abgesehen davon, dass man in den meisten Fällen wohl
4er Anzeigepflieht dürfte genögen können, ohne das Beichtsiegel zu
Terletzen, — das Schlimmste wftre doch, das» der Beichtvater als
Märtyrer seiner Pflicht und seines Glaubens der angedrohten Ge-
fängnisstrafe verfällt, wobei mit der Verhängung des Mindestbetrages
▼on einem Tage Gefängniss jeder gerecht und billig denkende Richter
dem Gesetze Genüge gethan haben wird.
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52
3. Oeschlelite und Organisation der Pachomianiselien Kloster
im ylerten Jaiirhiindert.
Von Dr. Stephan SehitoietM, Gymnasial-Oberlehrer in Baübor.
(Forts. QDd Schlags; ygL lU. Qaartalh. 1901 S. 461 ff.; IV. Qaartalh. 8. 630 fiL;
ni. QoarUlh. 1902 S. 217 ff; lY. Qaartalh. S. 454 ff.)
F. ReligiOS'Httliche Ausbildung.
Für die religiös -sittliche Ausbildung der MOoche war in den
Pachomianischen Klöstern hinlänglich gesorgt. Wie sich ans den
Pachomiusviten und der hieronymianischen Pachomiosregel ergibt,
hatte der Vorsteher eines jeden Klosters w(Vchentlich drei Katechesen^
eine am Samstag und zwei am Sonntag, zu halten, während jeder
Praepositns domus die ihm unterstellten Mönche an den beiden
wöchentlichen Fasttagen, d. i. am Mittwoch und Freitag, zu be-
lehren hatte ^). Nach Ausweis der Viten scheint jedoch Pachomius
1) C 19 : KottvjY YJast; 8k tp^; tva h o{xovÖ(jloc x^( (xovtJ^ tcoitj * xata o&ßßorov
(jL(av, xa\ T^ xupiax^ 8uo xa\ ot o2xtaxo\ ta; S($o vT)(7ieia(. Jedenfalls ist hier von
den Katechesen die Bede and vor to« 8öo vr^oxtiau; die Präposition xata za er-
ganzen. Der Vorsteher des Klosters sollte drei Katechesen, eine am Samstag^
and zwei am Sonntag, halten, wahrend die Vorsteher der einzelnen Haaser an
den beiden Fasttagen ihren Mönchen die ünterweisang za erteilen hatten. Ebenso
laatet der Parallelbericht M 35 f. : »Er verordnete aach drei Katechesen in der
Woche, die eine Samstags and zwei Sonntags, and die Haasvorsteher (hielten
die Katechese) an den beiden Fasttagen«. Noch za Beginn des 5. Jahrhanderts
bestanden die von Pachomias eingefünrten Katechesen. Aas den Satzangen 20,
156, 138 der Pachomiasregel ergibt sich n&mlich, dass jeder HaasTorsteher zweimal
in der Woche and zwar an den neiden Fasttagen in der collecta domos Katechesen
za halten hatte. In der Satzang 21 : 'Dispatatio aatem a praepositis domoram
per singnlas hebdomadas tertio fiet; et in ipsa dispatatione sedentes sive
stantes fratres saam ordinem non matabant, lazta domoram ordinem et ho-
minam singalornm' ist dagegen die Bede Ton der Katechese, die dreimal in
der Woche vor der Korona der Mönche des ganzen Klosters foollecta maior)
statt&nd; natürlich wnrde dieselbe Ton dem Vorsteher des Klosters abge-
halten; offenbar ist also in dieser Satzang statt a praepositis domoram za
lesen a principe monasterii.
Die obige schwierige Stelle G 19 haben die Bollandisten (Acta SS. Maii
t. III a. 303) übersetzt: Statatam foit, at monasterii oeconomas tribas per
hebdomadam yicibas mysteria fldei exponeret, sabbato semel ac bis in aoavis
dominica; necnon at dao ieiania observarent contarbemionim praefecti. Unter
dem Eindrack dieser falschen Übersetzang hat Ladeuze (S. 300) die Be-
haaptang aafgestellt, dass Pachomias bloss die Vorsteher der Hfiaser zar Faste
am Mittwoch and Freitag angehalten h&tte, eine Meinang, die schon deshalb
anwahrscheinlich ist, weil diese beiden wöchentlichen Fasttage aach für die in
der Welt lebenden Christen verbindlich waren. Was die arabische Vita an-
langt, so enth< sie den Passos über die Katechese doppelt. Der erste Passas
(S. 373): »Er verordnete drei Katechesen in der Wocne, eine Samstags und
zwei Sonntags; die Vorsteher der Häaser hatten Mittwochs and Freitags dio
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PachofnianUche Klöster im 4. Jahrh. 53
selbst seine Mönche fast täglich unterwiesen zu haben. Die eine
Katechese schloss sich an das gemeinschaftliche Morgengebet ^) an,
während die andere Unterweisung nach dem Abendbrot stattfand*).
Was den Inhalt der Katechesen anlangt, so belehrte Pachomins
in denselben die Mönche über das Gebet und die Meditation oder
erklärte die hl. Schriften oder sprach über verschiedene Geheimnisse
des Glanbens, wie über die Menschwerdung und das Leiden Christi
und die Auferstehung der Toten. In der Regel blieben die Mönche
nach der Katechese noch beisammen und unterhielten sich über das
Gehörte >). Am Schluss der Katechese sprach Pachomius ein Segens-
gebet, worauf die Mönche in ihren Zellen über die vernommene
Unterweisung zu meditieren hatten^).
Theodor, der schon als jnnger Mönch manchmal im Auftrage
des Pachomius vor der Korona der Mönche Katechesen gehalten
hatte (C 49), blieb als Generalabt dieser Tradition seines Meisters
treu. Er hielt die Katechese stehend oder sitzend ; nach derselben
(and eine Art Diskussion statt , indem die Mönche ihn über Nicht-
▼erstandenes interpellierten oder ihre Schwierigkeiten vorbrachten.
Am Schluss der Katechese warfen sich die einen Mönche auf ihr
Angesicht nieder, während die anderen beteten. Endlich entliess
Theodor die Versammlung mit einem Segensspruch ^). Interessant
ist auch dasy was uns Ammon in seinem Briefe (c. 2—4) über eine
Katechese berichtet, der er gleich nach seinem Eintritt ins Kloster
Pheböou beiwohnte. Der Generalabt Theodor hielt dieselbe unter
einem Palmenbaum ab. Zunächst fand eine Art Schuldkapitel statt,
eine Übnng, die wir in der Ordensregel des hl. Benedikt wiederfinden.
Die Mönche erhoben sich einer nach dem anderen, klagten sich
über ihre Fehler an und erhielten von Theodor eine angemessene
Zurechtweisung. Hierauf sprach dieser über die Verfolgang der
Unterweisang za erteilen« ist aos der Vita M 35 geschöpft. Der zweite Passas
(A' 376 »Er ordnete an, dass der Vorsteher des Klosters Samstags eine and Sonn-
tags zwei Katechesen in der Gebetsversaminlang halte ; den Vorstehern der Hfioser
trag er aaf, Mittwochs and Freitags nach der Anordnung der Apostel za
fasten«), der nach C 19 (ygl. Ladeuze S. 58 f.) gearbeitet ist, zeigt, aass aach
der Araber die schwierige griechische Vorlage gleich den Bollandisten miss-
▼erstanden hat Indes kam es dem Araber selbst etwas sonderbar vor, dass
nor die Vorsteher der H&aser za der Faste am Mittwoch and Freitag ver-
pflichtet sein sollten; daram fügt er noch die Bemerkung hinzu: »Was die
übrigen Mönche anlangt, so überliess er die Sache (das Fasten) ihrer freien
Wahl«
1) P 19, A' 618, Reg. Fach. art. 20.
2) C 35. 45, 48, 49, 56, 79. M 41, 104, 171; A' 386, 663; ep. Ammon. c. 17.
3) C 86-37, Reg. Fach. art. 20, 188.
4) M 101, 172, 241. C 87.
5) M 236-241.
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64 Schiwietz,
Kirche durch die Arianer und gab zum ScMass dea Mönchen Be-
scheid auf die an ihn gestellten Fragen. Da Theodor selbst nur
koptisch sprechen konnte , so wurden seine Worte den nur dea
Griechischen m&chtigen Brüdern durch einen gleichnamigen Mönch^
der eine hohe Bildung besass und Lektor der Kirche von Alexandria
gewesen war, verdolmetscht.
Aus der hieronymianischen Pachomiusregel erfahren wir noch^
dass die Mönche bei der Katechese des Abtes nach der Ordnung
ihrer Häuser und ihres persönlichen Banges Platz zu nehmen hatten
(Beg. Fach. art. 21, M. 237). Sobald das Zeichen dazu gegeben
wurde, hatten sie sich sofort einzufinden. Wer bei der Katechese
ohne Grund fehlte, erhielt eine Strafe (Art. 23, 188). Wer während
der Unterweisung einschlief, wurde sofort geweckt und musste so-
lange stehen, als es der Obere für gut fand (Art. 22). Wenn der
Vorsteher eines Hauses abwesend war, hatte der Vorsteher des be-
nachbarten Hauses die eine von den beiden wöchentlichen Katechesen
in dem Hause des abwesenden Vorstehers zu halten (Art. 115).
Waren auch die Mönche täglich zur Handarbeit angehalten^
so blieb ihnen doch Zeit zur Lektüre ; dieselbe erstreckte sich haupt-
sächlich auf die heilige Schrift ^). Der Vorsteher des Hauses versah
die ihm unterstellten Mönche mit den notwendigen Büchern oder
Bollen*). Abends roussten die Mönche die von ihnen benützten
Schriften zusammenrollen und an einem bestimmten Orte des Hauses»
d. i. an einem Fenster, niederlegen, worauf der zweite Vorsteher dea
Hauses die Bücher zählte und einschloss (Beg. Fach. art. 100). Am
Ende der Woche mussten aber alle entlehnten Bücher dem Hebdo-
madarius, der die Bibliothek unter sich hatte, abgeliefert werden»
damit dieser seinem Nachfolger den ganzen Bücherbestand übergeben
konnte (art. 25). Welcher Wert übrigens auf die Ausbildung der
Mönche in den Fachomianischen Klöstern gelegt wurde, ergibt sich
daraus, dass jeder das Lesen erlernen musste. Die Analphabeten
mussten sich in der ersten, dritten und sechsten Stunde des Tages
zum Unterrichte bei dem damit betrauten Mönche einstellen (Art. 139;
s. Archiv (1902) S. 461).
G. ArbeU.
Die Mönche führten in den Fachomianischen Klöstern kein
Faulenzerleben. Nur zwei gemeinschaftliche Gebetsübungen waren vor-
geschrieben ; die übrige Zeit des Tages gehörte der Arbeit, wie dies
1) Vgl. Art. 49. 139, 140.
2) c sa
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PachomianUche KlöBter im 4. Jahrfu 55
aos unzähligen Stellen der Pachomiusviten ersichtlich ist. Die Arbeit
begann gleich nach dem gemeinschaftlichen Morgengebet ^) nnd
dauerte, abgesehen von der Zeit des Mittagsmahles, bis zur abend-
lichen Oebetsfeier*). Hierauf nahmen die Mönche das Abendbrot
ein, hörten die Katechese an und zogen sich in ihre Sollen zurück.
Manche von ihnen gönnten sich aber nach den Anstrengungen des
Tages keine Töllige Ruhe, sondern arbeiteten auch während der
Nacht und räumten nur in Zwischenpausen, und zwar in sitzender
Stellung, dem Schlafe sein Recht ein *).
Zur Erzeugung der Lebensbedfirfnisse waren allerlei Arbeiten und
Handwerke nötig. In der ersten Zeit, wo die Gemeinschaft noch winzig
war, beschäftigten sich die Mönche allerdings vorwiegend mit der An-
fertigung von Matten und Körben ^). Es wurden Gärten angelegt und
von einzelnen Mönchen mit Sorgfalt gepflegt (S. Archiv (1902) S. 228).
Auch ausserhalb des Klosters finden wir Abteilungen von Mönchen,
bald beim Sammeln von Schilfrohr aus dem Nilflusse (C 33, M 67,
92, P 9, Ep. Anm. 11), bald beim Holzfällen im nahen Gebirge
(C 45, Ep. Amm. 14, 19), bald beim Graben von Brunnen (C 44,
M 91), bald bei der Kräuter lese (Ep. Amm. 16, Reg. Pach. art. 77 f.).
Als die Gemeinschaft grösser geworden war, wurde der Ackerbau
gepflegt'), und in jedem Kloster wurden für allerlei häusliche Be-
dflrfnisse Werkstätten eingerichtet <^). Bei allen diesen Arbeiten
herrschte Zucht und Ordnung; so waren die Mönche je nach ihrer
Beschäftigung in besonderen Häusern des Klosters untergebracht;
selbst der Gang der Mönche zur Arbeitsstätte sowie die Rückkehr
ins Kloster musste ordnungsmässig vor sich gehen ^). Die Mönche,
welche nach einem wöchentlichen Turnus für die Verteilung der
Arbeitsstoffe und Geräte zu sorgen hatten und bei der Arbeit die
Aufsicht führten, hiessen Hebdomadarii. Sowohl von diesen wie
auch von den übrigen Mönchen fordert die Pachomiusregel Gewissen-
haftigkeit und Treue bis ins Kleinste. Ein Beweis dafür sind die
minutiösen Vorschriften, die sich auf die Aufbewahrung und den
Gebrauch der Arbeitsutensilien beziehen^).
1) Reg. Fach, art 5, 25.
2) C 45. ~
_, _ _ , Epp. Amm. c. 14.
8) P 29, A' 631.
4) C 55, 67. P 15. 29, 35 f., M 50, 102. Reg. Pach. art. 5. 12. 26.
5) C 50, 68, 81, Reg. Pacb. art 58-66.
6) Siehe Archiv (im) S. 227 f.
7) Reg. Pach. art. 58, 65. 68, 130.
8) Art. 66, 25, 26, 27. 125, 131, 146, 147, 152, vgl. auch C 55, A' 441.
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56 8chiu>iet%,
Bei alledem wareo die Klöster keine Fabriken oder Werk-
stätten. Die Arbeit wurde nicht bloss verrichtet, um damit den
Bedarf des Lebens zu decken , sondern war eine Art Gottesdienst
Deshalb war eitles Geschwätz und Gelächter bei der Arbeit ver-
pönt; vielmehr sollten die Mönche bei ihrer Beschäftigung beten,
meditieren oder Psalmen singen und, falls es notwendig war, sich
nur durch Zeichen oder Winke gegenseitig verständlich machen^).
Dieses Stillschweigen bei der Arbeit finden wir bei allen späteren
monastischen Instituten als unverbrüchliches Gesetz wieder.
Noch in einer anderen Beziehung sollte die Arbeit eine Tngend-
schnle sein; die Mönche sollten nicht aus Neigung, Ehrgeiz oder
Gewinnsucht, sondern aus Gehorsam ihr Tagewerk verrichten. Als
ein Mönch eines Tages zwei statt der einen aufgegebenen Matte
geflochten hatte und dieselben am Fenster der Zelle zur Schau
stellte, erklärte ihm Pachomius, alle seine Muhe und Arbeit sei ver-
loren und für den Teufel verrichtet, legte ihm eine schwere Busse
auf und forderte die Brüder auf, für den zu beten, der auf zwei
schlechte Matten mehr als auf den Himmel gehalten habe. Ein
anderes Mal bemerkte Pachomius in einem Kloster, dass die für die
Küche bestimmten Mönche ihr Amt vernachlässigten und dafür sich
einer Beschäftigung hingaben, die nach ihrer Meinung dem Kloster
mehr Nutzen brachte; er Hess sofort die fünfhundert von ihnen an-
gefertigten Matten verbrennen zum Zeichen, dass nicht das Utilitäts-
princip, sondern der Gehorsam für die Mönche massgebend sein
solle >).
Dem Gehorsam auf selten der Untergebenen entsprach anf
Seiten der Vorgesetzten Liebe und Masshaltung. Die Mönche wur-
den nicht als Knechte und Arbeiter des Klosters, sondern als Brüder
betrachtet. Darum beteiligte sich Pachomius selbst bei den be-
schwerlichsten Arbeiten^); auch die übrigen Vorgesetzten des
Klosters sollten hierin mit gutem Beispiel vorangehen ; ihre Arbeits-
leistung sollte vorbildlich sein für das den Untergebenen aufzuer-
legende Pensum^). Eine Überladung der Mönche mit Arbeit war
verpönt^). Eine Bücksich tnahme auf die menschliche Schwäche be-
1) Reg. Pacb. art. 59, 60. 68, C 57, M 109, M 114, Ar 447, dam noch
C 43, M 90, A' 505, Art. 116.
2) S. Archiv (1902) S. 458: P 15 f., A' 609 - P. 84, A' 635 f.
3) C 38, 45, M 67. 92.
4) Reg. Pacb. art. 177: Tiffinti qainque orgyas praepositat domas ac
•ecundas debebunt de palmarum foliis texere, nt ad ezemplam eoram operentur
et caeteri.*
5) Art. 179.
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PachomianUche Klöster im 3, Jahrh. 57
weist auch die Verordnung» dass Mönche, die an heissen Tagen bei
der Arbeit aasserhalb des Klosters zu möde geworden waren, nach
ihrer Heimkehr nicht zum gemeinschaftlichen Abendgebet gezwungen
werden sollten (Art. 189).
Den Verkauf der Erzeugnisse der Klöster besorgte , wie oben
(S. Archiv (1902) S. 229) gezeigt worden ist, der Ober Verwalter des
Hauptklosters Pheböou mit einigen ibm unterstellten Mönchen, und zwar
teils in den Nachbarortschaften (P 21—23, A' 621— G23), teils in
Alexandria (C 73, A'510, 642). Schon zu Lebzeiten des Pachoroius besass
der Klosterverband för diese Qeschftftsreisen zwei Schiffe (C 73, A*" 642,
Tgl. auch M 245, Reg. Pach. art. 118 und 119). Bei alledem hatte
es Pachomius bei Gründung seiner Klöster nicht aufs Schätzesam-
meln abgesehen. Als einmal ein Mönch Sandalen zu einem verhält-
nismässig hohen Preise verkaufte und seine Handlungsweise damit
entschuldigte, dass er sonst fär einen Dieb angesehen worden wäre,
Hess Pachomius diese Entschuldigung nicht gelten ; der Mönch musste
den Überschuss zurückerstatten und wurde seines Amtes enthoben
(P 23, A' 623). Als ein anderer Mönch zur Zeit einer Hungersnot
von dem befreundeten Obersten der Stadt Hermouthis Qetreide zu
einem billigeren Preise erstand, massregelte Pachomius denselben und
bestand darauf, dass der tagesübliche Preis bezahlt wurde (P 22,
A' 620). Dieser Gesinnung entsprach auch der Grundsatz des Pa-
chomius, dass überflüssige Klostervorräte unter die Armen verteilt
wurden. Auch zur Zeit der Hungersnot, wo die Armut sich auch
im Kloster fühlbar machte, Hess Pachomius die Fürsorge für die
Armen nicht ausser Acht (G 9, M 9, G 27).
H, Speiac und Faaienvorachriften.
Die Historia Lausiaca enthält drei ascetische Speisevorschriften.
An der Spitze der sog. Engelsregel heisst es (Hist. Laus. c. 38):
»Lass jeden nach Bedarf essen und trinken und nach Verhältnis des
Essens arbeiten und hindere sie weder am Fasten noch am Essen.
Demnach gib den Starken schwere Arbeit; denen aber, die
schwächer sind und strenger leben, gib leichtere Beschäftigung.c
Gegen Ende derselben Engelsregel: »Bei Tisch sollen sie ihr Haupt
mit der Kapuze verhüllen, damit keiner den anderen kauen sehe;
auch darf niemand beim Essen reden noch über den Tisch oder
seine Schüssel hinausschauenc Im 39. Kapitel der Historia Lausiaca
findet sich noch folgende Tischsatzung: iDie minder Starken kom-
men zur siebenten Stunde und essen, da sie schwächlicher sind;
andere essen zur neunten oder zehnten Stunde oder am Abende . . .
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58 Schiwietz,
Der e»te Text besagt nur, dass es dem individuellen Ermessen
der Mönche anheimgestellt war, in welchem Masse sie Enthaltsam-
keit in Speise und Trank üben wollten. Der iweite Text, der sich
inhaltlich mit dem Berichte Cassians (De instit. coenob. iV, 17)
und der hieronymianischen Pachomiusregel (art. 29; vgl. auch art. 8,
86, 37, 90) deckt, setzt voraus, dass bei den Pachomianern ge*
meinschaftliche Mahlzeiten üblich waren. Unter Berücksichtigung
dieser Tatsache ist der dritte Text wohl dahin zu verstehen, dass in
den Pachomianischen Klöstern zwei gemeinschaftliche Mahlzeiten,
die eine um die siebente Stunde oder nach der Mitte des Tages, die
zweite um die nennte oder zehnte Stunde oder abends, abgehalten
worden, und dass das Fernbleiben von der ersten Mahlzeit aus asceti-
schen Gründen gestattet war. Bei solcher Interpretation Hesse sich
der Inhalt dieses Palladiustextes mit den Angaben der Pachomius-
viten vereinigen. Es ist nämlich, wie noch im selben § gezeigt wer-
den wird, sehr wahrscheinlich, dass die zweite Mahlzeit je nach der
Jahreszeit zu einer verschiedenen Stunde stattfand, und dass an den
beiden Fasttagen der Woche, an denen das Mittagsmahl wegfiel,
das Abendessen schon sehr zeitig, etwa nach der neunten Stunde^
üblich war.
Diese Deutung des Palladiustextes wird allerdings in Frage
gestellt durch die arabische Pachomiusvita , welche diesen Text
folgendermassen paraphrasiert (S. 377): »Jeder Bruder ging zu
Tisch, wann er wollte, und nahm seine Portion; aber nur einmal
am Tage; einige unter ihnen assen om die sechste, andere um die
siebente, andere um die achte, andere um die nennte, andere um
die zehnte, andere um die elfte Stunde, andere am Abend, wenn die
Sterne am Himmel sichtbar wurdenc. Demnach hätten die Pa-
chomianer keine gemeinschaftliche Mahlzeiten gehabt, sondern ein-
zeln zu verschiedenen Zeiten je nach Bedarf gespeist Allein die
arabische Version desavouiert sich selbst, indem sie, abgesehen
von diesem aus Palladius geschöpften Text, an verschiedenen
Stellen') in Übereinstimmung mit den übrigen griechisch-kopti-
schen Viten') von zwei gemeinschaftlichen Mahlzeiten zu Mittag
und am Abend berichtet. In den drei Parallelberichten C 43, M 89,
A' 420 wird erzählt, dass Pachomius keine Sonderlichkeiten unter
seinen Mönchen duldete; als er daher einmal wahrnahm, dass ein
Mönch aus eitler Selbstgefälligkeit nur abends mit den Brüdern zu
Tisch zu gehen pflegte, gab er ihm einen Verweis und befahl ihm,
1) Ar 420, 524.
2) C 43, M 89; Tgl. auch Prolog, ad Reg. Fach. o. 5; C 49, M99, P 17.
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Paehomianiache KlöUer im 4. Jahrh. 59
9ich aach zur Mittagszeit zur gomeiDSchaftliehen Tafel za begeben
und mit den Brüdern Brot nebst der dazu gehörigen Zukost zu ge-
messen; da er eine starke Constitution habe, so brauche er sich ja
nicht völlig zu sättigen. Hieraus ergibt sich, dass es zwei gemein-
schaftliche Mahlzeiten gab; zu Mittag wurde nur wenig gegessen,
während bei der Abendmahlzeit, die reichlicher war, völlige Sättigung
gestattet war. Die Zeit des Abendessens wird in den Viten nur all-
gemein durch 6^1 (arab. fiwakti'lmasäi) angegeben. Indes wird ein-
mal (P 17, A' 613) berichtet, dass die Mönche schon um die zehnte
Stunde zu Tisch gingen ; solches geschah jedenfalls nur an den Mitt-
wochen und Freitagen, den beiden Fasttagen der Woche, wo die
Mönche, gleich den übrigen Christen des 4. Jahrhunderts^), das
sog. semiieiunium beobachteten und nur eine einzige Mahlzeit hielten.
Diese aus den Yiten geschöpften Notizen über die Mahlzeiten in den
Pachomianischen Klöstern stimmen auch mit den Speisevorschriften
der hieronymianischen Pachomiusregel überein*).
Die Nahrung der Mönche war Brot, Käse, Qemüse, ein Brei
aus Getreide oder Linsen, Oliven, Feigen und Datteln'). Nach dem
Zeugnis des Pachomius war es unter den damaligen Asceten üblich,
Samstags und Sonntags gekochtes Gemüse zu geniessen; er selbst
verlangt, dass solches öfters serviert wurde; dies sei notwendig
wegen der jüngeren und schwächeren Brüder, die einer besseren
Nahrung bedürften; die übrigen hätten auf diese Weise auch Ge-
legenheit, sich durch Verzicht auf gekochte Speisen in der Enthalt-
samkeit zu üben. In der Tat assen viele Mönche nur rohe Kräuter,
die mit öl und Essig angemacht wurden^).
Den schwerkranken Mönchen Hess Pachomius in einem be-
sonderen Krankenhause die liebevollste Pflege angedeihen ; sie durften
Wein, Fleisch und ein liquamen ex piscibus geniessen^). Ein Kranken-
1) S. anten S. 60 f.
2) Prolog, in Reg. Fach. nom. 5: Aegrotantes roinistomm sastentantur
obse^niis et m omnem copiani praeparaüs cibis. Sani maiore poUent absti-
nentia. Bis in hebdomada, qoarta et sexta Sabbati ab omnibas ieianatar,
excepto tempore Paschae et Pentecostes. Aliis diebas comednnt, qoi Tolnnt
post meridiem: et in coena similiter mensa ponitur propter laborantes, seneset
paeroB aestasqae gravissimos. Sunt qui socnndo p&ram comedant; alii qai
prandii sive coenae nno tantnm cibo contenti sant. Nonnulli gnstato paalalnm
pane egrediantnr. Omnes pariter comedant Qai ad mensam ire nolaerit, in
eellola soa panem tantnm et aqnam nc salom accipit, sive in nno die volnerit,
•ive post bidnnm. Vgl. auch art. 90, 102, 112.
8) C 34, 85, 43, P 15-16, 2ü, M 79, 117, 138. A^ 877, 896. 458, 586,
552, 680.
4) P 15. 16, Ar 609-611.
5) C 34, 50, P. 29, A' 877, 630, Reg. Fach, art 40-46, 52, 54; s. anch
ArchiT (1902) 8. 227.
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J
60 SchiwUtz,
Wärter, der einem leidenden Mitbmder ein Fleischgericht verweigerte«
erhielt von Pachomius einen strengen Verweis, weil er die Satzungen
des Klosters über das Qebot der Nächstenliebe stellte (C 84, M 69).
Die Sitte der Tischlektüre bestand bei den Pachomianern nicht;
doch wurde während der Mahlzeit ein strenges Stillschweigen be-
obachtet. Wenn eine Speise auf- oder abgetragen werden sollte,
machte der Vorsteher darauf durch ein Zeichen aufmerksam (Reg.
Pach. art. 30, 31, 33, 34; Cassian, De instit. coen. IV, 17). Damit
niemand sehen konnte, wie und wie viel der Nachbar ass, musste
jeder Mönch bei Tische sein Haupt mit der Kapuze verhüllen
(Art. 29, 30).
Unter den tragematia (xpay^axa), die den Brüdern beim
Hinausgehen aus dem Speisesaal in Portionen für drei Tage gereicht
und in der Zelle verzehrt wurden, sind wohl Nüsse oder ähnliches
als Nachtisch geeignetes Knabberwerk zu verstehen (Art. 37, 38).
Sonst durften keine essbaren Gegenstände in der Zelle aufbewahrt
werden (art. 79, 114; G 61, M 103). Überhaupt war es nicht ge-
stattet, ausserhalb der Mahlzeit etwas zu geniessen; nur die Mönche,
die beim Obstpflücken beschäftigt waren, erhielten einige Früchte
während der Arbeit von ihren Vorgesetzten (art. 78).
Die Faste am Mittwoch und Freitag^) erscheint schon in der
Doctrina Apost. (c. 8) als förmliche Verordnung. Diese Faste dauerte
nach TertuUian (De ieiunio c. 13) und nach Epiphanius (Expos, fid.
c. 22) bis zur neunten Stunde, d. h. bis zur Mitte des Nachmittags,
und unterblieb in der Festzeit zwischen Ostern und Pfingsten (Ter-
tuU. de coron. c. 3; Epiphanius, Expos, fid. c. 22). Es ist darum
nicht zu verwundern, wenn es in der hieronymianischen Regula
Pachomii (prolog. u. 5) heisst: 'Bis in hebdomada, quarta et sexta
Sabbati ab omnibus ieiunatur, excepto tempore Paschae et Pentecostes'
(Vgl. auch art. 115, 138). Die Verordnung, die sich in den Viten
(C 19, M 36, A' 373, 376) über die im Laufe der Woche abzu-
haltenden Katechesen findet, setzt gleichfalls die Beobachtung dieser
beiden Fasttage bei den Pachomianern voraus, und vielleicht sind
die zwei Parallelberichte (P 17, A' 612 f.) ein Beleg dafür, dass die
1) Den apost. Konstitationen (V, 15) infolge hatten diese beiden Fast-
tage als Motiv den Verrat and den Tod Christi. Da Hippolyt (im 4. Badie
des Danielkommentars) den Geburtstag Christi auf den Mittwoch ansetzt, so
hält es Orütsmacher (Die Bedeatani^ Fienedikts von Nnrsia nnd seiner Re-
fei u. 8. w., Berlin 1892, S. 24) für wahrscheinlich , dass der Mittwochsfaste
ieser Gedenktag zq Grande liege; diese Annahme beruht indes aaf einer
Verkennang der Idee des Fastens.
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PaehomianUche Klöster im 4, Jdhrh, 61
Mönche, gleich den übrigen Christen der damaligen Zeit ^), schon nach
der Mitte des Nachmittags dieses Fasten aufhoben.
Ans den Festbriefen des hl. Athanasins geht hervor, dass im
Patriarchat von Alexandrien von allen Christen eine vierzigt&gige
Faste vor Ostern beobachtet wurde. Der Bischof Ammon, der dem
Patriarchen Theophilus von Alexandria aber seine Erlebnisse in dem
Pachoroianischen Kloster Pheböou Bericht erstattete, erw&hnt dieses
Qoadragesimalfasten >). Aus derselben Stelle ergibt sich, dass die
Mönche in dieser Zeit nur abends Speise zu sich nahmen. Der
Generalabt Theodor empfiehlt n&mlich in einer Katechese, die er
am Dienstag der Karwoche in Pheböou vor dem gesamten Mönchs-
verbände hielt, jeden Abend, mit Ausnahme des Freitags (d. i. des
Karfreitags) zu Tische zu gehen und warnt mit Röcksicbt auf die
menschliche Schwäche die Faste auf zwei Tage auszudehnen.
Indes verwehrte Pachomius seinen Mönchen durchaus nicht, auch
ausser diesen offiziellen Fastenzeiten privatim Enthaltsamkeit zu üben,
sondern respektierte es, wenn ein Mönch sich durch ein Gelübde eine
grössere Strenge auferlegte'). So pflegte der Gärtner Jonas (P 29,
A' 630) nur an der Abendmahlzeit teilzunehmen und sich dabei
noch aller gekochten Speisen zu enthalten. Wenn ein Mönch grössere
Enthaltsamkeit üben und darum von der gemeinschaftlichen Mahl-
zeit fern bleiben wollte, so erhielt er von seinem Praepositus
domus Brot, Salz und Wasser in seine Zelle (Prolog, in Reg. Pach.
num. 5, art 80). Es wird ausserdem (Prolog, in Reg. Pachomii
n. 5, Eist. Laus. c. 39) erwähnt, dass manche Mönche das Fasten
nicht an einem Tage abschlössen, sondern auf zwei und mehrere
Tage ausdehnten. Doch verbot Pachomius seinem Schüler Theodor
länger als zwei Tage zu fasten; man müsse es, erklärte er, ver-
meiden, sich durch übermässiges Fasten zur Erfüllung der Berufs-
pflichten untauglich zu machen (M 52, A' 394 f.).
Endlich ist zu bemerken, dass sich die Mönche an den Fast-
tagen, abgesehen von der einmaligen Mahlzeit, auch den Genuss des
Wassers versagten (Hier. Reg. Pach. art. 87).
/. Schlaf 'Vorachriften.
In der sog. Engelsregel lautet die auf den Schlaf bezügliche
Satzung folgendermassen : »Schlafen sollen die Mönche nicht liegend,
1) Vgl. Linsewnayr, Eotwicklnng der kirchlichen Fastendiiciplin,
Mfinchen 1877, S. 71 f.
2) Ep. Amm. c 18; ygl. aach M 121, Ar 461.
3) C 19, M 35, C 53, A' 536.
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62 Schiwietn,
sondern auf selbstgemachten Sitzen mit Bücklehnen; und nachdem
sie daselbst ihre Decken ausgebreitet, sollen sie sitzend schlafen . . .
Jeder von ihnen soll ein Schaffell (melote) tragen ; ohne dieses sollen
sie weder essen noch schlafent.
Diese angebliche Regel entspricht in vielfacher Beziehung nicht
den tatsächlichen Verhältnissen, wie dies aus den authentischen
Angaben der Pachomiusviten ersichtlich ist. Nach dem Bericht
von C 9 und A' 482—484 schlief Pachomius fünfzehn Jahre lang
in sitzender Stellung auf der Erde, und zwar in der Mitte der
Zelle, sodass er sich nicht an die Wand anlehnen konnte. Viele
Mönche versuchten sich in derselben Ascese; doch machten sie sich
sp&ter Sitzbänke zum Schlafen. Auch Pachomius pflegte in den
späteren Lebensjahren an die Wand gelehnt auf einer Sitzbank zu
ruhen ; das Gleiche wird von dem Oärtner Jonas berichtet ( A' 631),
nnd an einer Stelle (A' 605) heisst es, dass die bedeutendsten
Schüler des Pachomius entweder auf blosser Erde oder auf Matten
schliefen, und dass der strenge Ascet Bontonis sogar in seiner Krank-
heit das Bett verschmähte.
Die Mönche schliefen nur im Untergewande; das Tragen des
Schaffelles während der Nachtruhe verstiess gegen die Begel, wie
A' 366 hervorgeht. (Vgl. auch Ammonis ep. c. 9, Hier. Reg. Paeh.
art. 88.)
Jeder Mönch schlief in seiner Zelle (Ep. Amm. c. 16) , deren
Tür offen blieb, damit der Vorsteher auch zu dieser Zeit die Mönche
revidieren konnte (M 130, A** 366). Auf Reisen schliefen sie ge-
meinsam, desgleichen daheim, während der heissen Nächte in ge-
meinsamen kühleren Räumen; doch musste dabei jeder Mönch eine
besondere Lagerstätte haben. Auch durfte zur Zeit der Nachtruhe
nicht gesprochen werden; wer wach wurde, musste im stillen beten
(Hier. Reg. Pach. art. 107, 87, 94; A' 866).
Durch diese Vorschriften sollte der ernste Sinn unter den
Mönchen gefördert und jegliche Sinnlichkeit und Bequemlichkeit
von ihnen fern gehalten werden.
K. Ritus des Begräbniasea,
Wenn ein Mönch starb ^), wurde bei seiner Leiche von den
Mitbrüdern die Totenwache unter Lesung der hl. Schrift und Ge-
bet gehalten. Am folgenden Tage wurde der Leichnam in Leinen-
tücher gehüllt und im Gebirge*) beerdigt. Der auf dem Gange
1) C 75. 95, A' 605. 649, 652, 703.
2) Die darauf bezügliche Satzung der zweiten äthiopischen Regel lautet :
»Keiner werde tob Seiten der Brüder yerlassen, zur Zeit wann ein Bruder stirbt,
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Pachomianische Kloster im 4, Jaürh, 63
Dach der Begräbnisstätte übliche Psalroengesang war in ähnlicher
Weise, wie der bei den gemeinschaftlichen Gebetsversammlungen,
geregelt. Nnr die vom Abte des Klosters dispensierten Mönche
durften bei dem Leichenbegängnis fehlen (Eleg. Fach. art. 27, 28).
Wer kränklieh war, aber an diesem Akte der Pietät gegen den Ver-
storbenen teilnehmen wollte, erhielt einen Mitbruder als Begleiter,
der ihm auf diesem Qange behilflich sein musste (Art. 129). Dass
für den verstorbenen Mönch auch das eucharistische Opfer darge-
bracht wurde, ergibt sich aus G 65 und M 151.
L. Kleider Ordnung.
Nach der sog. Engelsregel soll bei den Pachomianern schon
seit der Gründung des ersten Klosters folgende Kleiderordnnng be-
standen haben: »Während der Nacht sollen die Mönche leinene
Unterkleider tragen und gegürtet sein. Jeder von ihnen soll eine
aus Ziegenfell gearbeitete (fAi]Xa)Ti)v aljetav elpyaojuilyqv Xsuxttv)
Melote tragen; ohne di^e sollen sie weder essen noch schlafen.
Gehen sie aber zur hl. Kommunion, am Samstage and Sonntage, so
sollen sie den Gürtel um die Melote ablegen und blos mit der
Evkolla hinzutreten. Er verordnete ihnen aber KukuUen ohne
Zotten, wie sie die Knaben tragen, und liess an denselben ein pur-
purfarbiges Kreuz anbringenc.
In den Pachomiusviten werden jedoch nnr zwei Kleidungs-
stücke, das Untergewand (Xsutxcbv) und der Mantel (fii]Xo)Ti7) , er-
wähnt. In der Fita G 9 wird berichtet, dass Pachomins nur zwei
üntergewänder besass, sodass er wenigstens wechseln konnte, um
das gebrauchte Kleidungsstück waschen zu können. Dass er der
Landessitte gemäss ausser dem Untergewand noch einen mantel-
artigen Überwurf trug, bezeugt die arabische Vita (p. 396); doch
wird an dieser Stelle bemerkt, dass er sich dieses Überwurfes nur
an kalten Abenden bediente; am Tage benutzte er ihn nur dann,
wenn er zum Empfang eines Priesters oder eines Mönches aus seiner
Zelle hinausging. Häufig trug er auch unter dem Unterkleide ein
härenes Busshemd ^). Der Gärtner Jonas, sein Schüler, trug ge-
wöhnlich ein aus drei Schaffellen zusammengenähtes Kleid und an
Kommuniontagen einen Lebiton aus grobem Wollstoff (P 29, A' 680).
damit sie ihn bis zam Berge geleitenc. Dass hierin nicht der Berg Nitria, wie
Kdnig (Stadien und Kritiken 1878 S. 330 Anm. 1) behauptet, sondern das in
der Nähe des Klosters gelegene Gebirge gemeint ist, ist wohl selhstver-
standlich.
1) C 60; das Gleiche wird Ton Theodor berichtet (C 98).
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64 SchiwietM, -^^
Nach der Angabe der Doctrioa s. Orsiesii (num. 22) and der
hieronymianischen Pachomiasregel (Prolog, num. 4, art. 81) waren
folgende Eleidangsstücke vorgeschrieben: auf dem blossen Leibe
hatten die Mönche ein leinenes Untergewand (leviton), das nach
Hieronymas ohne Ärmel war» nach Cassian (De instit. coen. I, 5)
aber mit ganz kurzen Ärmeln versehen war, und einen leinenen
Oürtel (zona, zona linea, balteolns lineus) um die Lenden. Über
dem ünterkleide trugen sie ein Schaf- oder Ziegenfell (pellicula quae
pendet ex latere, pellicula quam meloten vocant), das den Rücken
und die Schultern bedeckte. Eine ganz kleine bis zum Nacken
reichende Kapuze (cucullus) diente als Kopfbedeckung (vgl. Cassian
K c. I, 4), an der das Zeichen des Klosters und des Hauses, dem
der Mönch angehörte, angebracht war^). Diese Kopfhülle trugen
die Mönche bei Tische, um ungesehen Enthaltsamkeit üben zu
können, desgleichen beim Gottesdienste, um ungestörter die Andacht
pflegen zu können >). Ausser dem aus Schaffellen gearbeiteten Mantel
oder der Melote hatten die Mönche noch ein leinenes Obergewand
(palliolum lineum, amictns lineus), das jedoch nur selten, wie im
Krankheitsfalle, benutzt wurde (Art. 42, 61, 101, 105, 128).
Gewöhnlich gingen die Mönche barfuss; uur wenn Krankheit,
die Winterkalte am Morgen oder die Sommerhitze zu Mittag es
notwendig machte, bekleideten sie ihre Fasse mit Sandalen. Auf
Reisen hatten sie einen Stab (Art. 82, 95, 66, 101, 81; Cassian
1. c. I, 9, 10).
Was den Kleider verrat anlangt, so durfte jeder Mönch zwei
Kapuzen sowie drei Unterkleider, darunter ein abgenutztes für die
Nachtruhe und die Arbeit in seiner Zelle haben; die übrigen
Kleidungsstücke, die er zeitweilig entbehren konnte, wurden von
dem zweiten Vorsteher des Hauses in einem besonderen Kleider-
zimmer verwahrt. Jeder Mönch musste seine Kleider selbst waschen
und trocknen (Art. 81 ; 67—72, 102, C 38). Die Anfertigung der-
selben aber wurde in den Frauenklöstern besorgt (C 86).
Wenn wir die Tracht der egyptischen Mönche bei Cassian mit
jener der Pachomianer vergleichen , so bestand darin kein nennens-
werter Unterschied. Überhaupt unterschied sich die Kleidung der
Mönche von der der Weltleute weniger im Schnitt als durch die
Einfachheit des Stoffes. Es ist darum nicht angebracht, in der
Kleidung der Pachomianer eine Nachahmung der heidnischen
1) Reg. Pach. art 99: 'Caenlli singnlomm habebont monasterü signa et
domns.'
2\ CoMMian. 1. c. IV, 17. Reg. Pach. art. 29
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PachomianUche Klöster im 4. Janrh. 65
Priester Egyptens zu wittern. Am^linean, der auch diese Mut-
massang ansspricht^), findet oor, dass nar der lebiton ohne Ärmel
beiden eigentümlich ist, ein Umstand, der doch keine hinreichende
Handhabe für solche weitgehende Conklasionen bietet. Die Kleidung
der Mönche diente nur zar Bedecknng des Leibes und zum Schatze
gegen die Kälte ; die Grobheit des Stoffes sollte aber jede Weich-
lichkeit verhüten. Die Kapoze war notwendig gegen die sengende
Sonnenhitze. Die Melote diente als Überwurf, aber auch als Sack
(Reg. Fach. art. 38). Von Bevilloot*) ist den Mönchen auf Qrund
der ältesten Mönchsregeln zum Vorwurf gemacht worden, dass sie
aaf die Reinigung der Kleider zu grosse Stücke hielten; das sei
gegen die Armut; allein Armut und Unsauberkeit sind doch keine
identischen Begriffe. Übrigens ist es einleuchtend, dass das leinene
Zeug und die Schaf- oder Ziegenfelle das billigste und einfachste
Material zur Bekleidung eines Orientalen gewesen sind.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Landessitte oder viel-
mehr das Utilit&tsprinzip bei den Mönchen in der Wahl der Qe-
wandstücke massgebend war. Nichtsdestoweniger haben in der Folge-
zeit ascetische Schriftsteller den einzelnen Kleidungsstücken eine my-
stische Bedeutung beigelegt und dies in eigenen Schriften behufs
ascetiscber Unterweisung erörtert').
M, VerhaltnU der Mönche zur Ausaenwelt
Schon früher (S« Archiv (1902) S. 217 f.) ist erwähnt worden, dass
Pachomius seine Regeln nicht auf einmal verfasst hat. Manche Regeln
wurden modificiert, als der Klosterverband grössere Dimensionen an-
nahm oder andere Gründe eine Änderung notwendig machten. Eine
solche Änderung erfuhr die ursprüngliche Praxis bezüglich der Besuche
der Anverwandten. Anfänglich sah es nämlich Pachomius nicht gern,
dass die Mönche Besuche ihrer Angehörigen empfingen *) ; sie sollten
eben von den Banden der Blutsverwandtschaft ganz losgelöst sein ;
auch die Furcht vor der Gefahr des Abfalles von ihrem früheren
Vorhaben mag Pachomius dabei geleitet haben. Als aber die Be-
suche der Angehörigen immer häufiger wurden, konnte er den Bitten
derselben nicht widerstehen und milderte die ursprüngliche Satzung
dahin, dass er einen gewissen Verkehr der Mönche mit ihren An-
1) £tade historiqae snr St. PachOme, Le Caire, Barbier, 1887, S. 82.
2) Kerne de Thistoire des religions t. YlII, 428.
8) Evagriua Ponticu8t Capita practica ad Anatoliam, Caaaian (De
instit. coen. I).
4) C 22, 26, M 86 f., 53 f., A^ 405.
ArchiT fdr Kirchcnreeht. LXXXIU. 5
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66 SeMwiet»,
verwandten gestattete ^). Dieser Miiderang der ursprünglichen Eloster-
disciplin entsprechen die Vorschriften, die sich in der hieronymia*
nischen Pachomiusregel finden.
Meldete sich ein Verwandter an der Elosterpforte lam Beeach
eines Mönches, so durfte dieser mit Oenehmigung des Abtes und
des Hausvorstehers ?on einem älteren Mitbruder in das Xenodochium
geleitet werden. Wenn ihm die Verwandten bei dieser Oelegenheit
Obst oder andere Früchte mitbrachten, so musste er dies alles dem
Pfftrtner übergeben, der ihm dann einiges davon zuteilte, das übrige
aber ins Krankenhaus trug. Wurden aber einem Mönche andere
Speisen gebracht, so wurden dieselben, falls sie überhaupt nach der
Klosterregel zulässig waren, sofort vom Pf&rtner ins Krankenhaus
getragen, wo der Mönch einmal davon gemessen durfte (Reg. Fach,
art. 52). Ebenso durften die Mönche mit Erlaubnis der Oberen und
in Begleitung eines erprobten Mitbruders ihre kranken Anverwandten
besuchen und an ihrem Begräbnis teilnehmen (Art. 53, 55). So
wurde dem Mönche Ammon sogar eine weite Beise zu seinen Ange-
hörigen in Begleitung zweier Mitbrüder gestattet (ep. Amm. c. 21).
War das Ziel der Beise vom Kloster weit entfernt, so durften sie
in der Begel nur bei Klerikern oder Mönchen die Mahlzeit einnehmen.
Nur im Notfall durften sie bei ihren Verwandten speisen; doch
mussten sie sich mit solchen Speisen, die auch im Kloster üblich
waren, begnügen (C 42, Art. 54).
Übrigens übte Pachomius Ghtstfrenndschaft gegen alle Fremden,
die an der Klosterpforte anklopften. Zu diesem Zwecke war an der
Pforte das Xenodochium erbaut, wo die Qäste bewirtet und beherbergt
wurden. Bin besonderer Baum war für Frauen bestimmt; diese
durften auch darin übernachten, falls in der Nähe kein Frauenkloster
bestand. Mit besonderen Ehren nahm man Priester und Mönche
auf; man wusch ihnen die Füsse nach Anweisung des Evangeliums
und gestattete ihnen auf ihren Wunsch und mit Genehmigung des
Abtes, an den Gebetsversammlungen sowie am Gottesdienst in der
Klosterkirche teilzunehmen (Art. 51). Es wird wohl einmal (P. 7)
berichtet, dass Pachomius fremden Mönchen das Innere des
Klosters, selbst die Zellen, zeigte. In der Begel aber gestattete
er weder die Besichtigung des Klosters noch den uneinge-
schränkten Verkehr mit den Klosterinsassen; durch diese Massregel
sollte, wie Pachomius einem befreundeten Kleriker aus Tentyra gegen-
1) A' 406: »Jede Sache ist gat in ihrer Zeit«, sajgte Pachomius, »denn
wir befolgen einen strengen nnd schwierigen Weg. Wir tuen mehr, als in den
Schriften rorgeschriehen ist. Jetit werde ich each lehren, was mir tuen
müssen; wir müssen dn wenig Verkehr mit den Lenten ausserhalb (des Klosters)
pflegen c.
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PaehomianUche Klöster im 4. Jahrh. 67
€ber erkl&rte, verhütet werden, dass fremde Mönche an dem Be-
nehmen jugendlicher Mitglieder seiner Klöster Ärgernis nähmen <).
Tillemont (M^moires ponr servir ä Thistoire eccl^siastiqoe, tom. VII,
Paris 1706, p. 188) nimmt an, dass auch Laien und Franen erlaubt
wurde, an dem Gottesdienst im Kloster teilzunehmen ; indes Iftsst sich
dies wohl aus dem Wortlaut der von ihm citierten Satzung der hierony-
tnianischen Pachomiusregel (art. 51) nicht mit Sicherheit schliessen.
Überhaupt drang Pachomius darauf, dass seine Mönche nach
Möglichkeit för die Welt abgestorben wären. Darum verbot er
ihnen, im Kloster wie auch ausserhalb desselben weltliche Gespräche
2u mhren (A' 503 f., Reg. Fach. art. 60, 122). Aus demselben
Grunde durften sie sich weder an der Klosterpforte noch auf dem
Oange zur Arbeit ausserhalb des Klosters mit Fremden in Gespräche
einlassen ; etwaige Auskunft hatte diesen einer der Vorgesetzten oder
der Pfl^rtner zu geben (Art. 57, 59). Wollte eine Frauensperson
•die Mönche unterwegs anreden, so hatte ihr der Bejahrteste unter
ihnen mit niedergeschlagenen Augen zu antworten (A' 504). Wenn
die Mönche etwas auf Reisen erlebten oder erfuhren, so hatten sie
darüber im Kloster zu schweigen; höchstens erzählten sie es den
Vorgesetzten, die dann davon, falls sie es für erspriesslich hielten,
der Kommunität Mitteilung machten. Ebenso hatten die Pförtner
Briefe oder mündliche Nachrichten der Verwandten an einen Mönch
dem Abte des Klosters zu übermitteln; der letztere entschied, ob
die Kunde hiervon dem Mönche zukommen sollte (A' 508, Reg.
Fach. art. 57, 59).
Endlich sollten die Mönche nach der Weisung des Pachomius
Achtung gegen die weltliche Obrigkeit bezeugen ; wenn sie unter-
wegs einem Gemeinde- oder Staatsbeamten >) begegneten , so hatten
de demselben in aller Bescheidenheit Platz zu machen (A' 505).
iV. Die klöaierlichen Dis»iplinarmitleL
Da auch in den Klöstern die allgemeine menschliche Schwäche
2U Tage trat und manche Mönche ihren anfänglichen Eifer verloren,
so ergab sich daraus die Notwendigkeit, gewisse Strafen auf die
Übertretung der klösterlichen Vorschriften zu setzen. Die Über-
nahme der verhängten Strafen war insofern eine freiwillige, als jeder
beim Eintritt ins Kloster mit den schweren Verpflichtungen des
1) C 28, M 58 f.
2) AmMneau (A^ 505) überaotzt raMsmi aw dschnndijjan mit »an chef on
«in Soldat«. Indes, nach dem Zusammenhang za urteilen, bedeutet hier das
arabische dschundijjun nicht einen einfachen Soldaten, sondern einen kaiser-
lichen Beamten. Vgl. das Lexicon totius latinitatis yon Forcellini über den
Gebrauch von miles im byzantinischen Zeitalter.
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68 SehitDietz,
Mönchslebens bekannt gemacht wurde und sich verpflichten masste,
alle klösterlichen Satzangen nnverbrüchlich zu halten. Zudem wur-
den renitente Mönche im Kloster nicht zurückgehalten, auch nicht
zur Abbüssung der verdienten Strafen mit Gewalt gezwungen. Be-
weise dafär finden sich mehrfach in den Pachomiusviten.
Über den Zweck der klösterlichen Strafen spricht sich Pacho-
mius folgendermassen aus^): »Er verordnete, dass jeder, der sich
gegen eine Klostersatzung verging, fär seinen Ungehorsam eine ent-
sprechende Strafe erhalten sollte» damit er Verzeihung vom Herrn
erlange und die anderen erschreckt wärden und sich nicht
auflehnen gegen die Elostersatzungen , auf dass die Communität
einen festen und unerschütterlichen Bestand hättet. Der Zweck der
Strafen war also zunächst Besserung des Fehlenden, Verhütung
grösserer Delikte und Abschreckung der anderen. Die Strafbestim-
mungen bezogen sich nicht bloss auf die Aufrechterhaltung der
äusseren Zucht und Ordnung im Kloster, sondern hatten auch die
Erneuerung und Wiedererweckung des erschlafften ascetischen
Qeistes im Auge. Qanz entsprechend der Gesinnung des Pachomius,
der von den Vorstehern der Klöster bei der Leitung der Unter-
gebenen eine gewisse Herablassung und Rücksichtnahme auf die
Individualität forderte, finden wir in dem Strafkodex der Pacho-
mianischen Klöster auch Bestimmungen zum Schutze gegen eine
etwaige Willkür der Vorgesetzten.
Für gewisse Nachlässigkeiten beim Gottesdienst oder bei Tisch
sowie für leichtfertige Behandlung des Klostergutes bestand als
Strafe die öffentliche Zurechtweisung seitens des Abtes. Wenn ein
Mönch beim Zeichen der Tuba nicht sofort sich in die Gebetsver-
sammlung begab und auf diese Weise bei Tage ein Gebet oder
Nachts drei Gebete versäumte, musste er vor den Altar treten und
mit gebeugtem Nacken die Büge des Abtes entgegennehmen, eine
Strafe, die sich nachher noch bei Tisch wiederholte (Reg. Pach.
art. 9, 10, 121). Wer zur Katechese zu spät kam oder bei der-
selben einschlief, erhielt einen Strafplatz und musste so lange stehen»
als es der Vorsteher far gut fand (Art. 22, 23). Ebenso musste
derjenige, der ohne Grund zu spät zu Tische kam, sich an einen
Strafplatz hinstellen oder ohne Speise in seine Zelle gehen. Gleichen
öffentlichen Verweis erhielt ein Mönch, der während des Gottes-
dienstes schwätzte oder lachte oder sich gegen die Anstandsregeln
bei Tische verging (Art. 31, 32, 131, 48). Wer etwas aus Un-
achtsamkeit verlor , wurde gleichfalls öffentlich zurechtgewiesen.
1) A' 502 f., vgl. aach M 186.
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Pachomiani$ch€ Klöster im 3, Jahrh. 69
War der verlorene Gegenstand ein Eleidungsstäck, so masste er es
drei Wochen zur Basse entbehren (Art. 131). Wer fremde Sachen
sich aneignete, musste, das Gestohlene auf den Schultern tragendt
(öffentlich Basse thun and beim Essen stehen (Art. 149).
Aro^lineau^) behauptet, die egyptischen Mönche seien in ihrer
Mehrzahl um kein Haar besser gewesen als ihre heidnischen
Vorfahren, und die christliche Religion sei bei ihnen etwas rein
Äusserlicbes geblieben. Sie wären ganz irdisch gesinnt gewesen,
h&tten gut gegessen und getrunken und auch dem Laster gefröhnt.
Das hätte sie aber nicht gehindert, Psalmen zu singen und zeitweise
stark zu fasten. Mit diesen Äusserlichkeiten h&tten sie sich be-
gnügt und keine Mühe gegeben, die Leidenschaften und Roheiten,
die sie ins Kloster mitbrachten, abzulegen, sondern h&tten fest ge-
glaubt, dass das Mönchskleid an und für sich schon ihnen die An-
wartschaft auf die ewige Seligkeit verleihe. Diese Vorwürfe er-
scheinen jedoch selbst unter Berücksichtigung der von Am^lineau
herausgegebenen koptisch-arabischen Pachomiusviten durchaus nicht
berechtigt. Fast täglich, bei allen möglichen Gelegenheiten, erteilte
Pachomius gleich seineu Nachfolgern den Mönchen Unterweisungen
und ermahnte zum ernsten, sittlichen Streben. Inhaltlich betrachtet
waren die Katechesen weit entfernt einer gewissen Selbstgenügsam-
keit Vorschub zu leisten, vielmehr waren sie geeignet den Mönchen
einen heilsamen Schreck einzuflössen. Die eschatologischen Glaubens-
lehren waren das Lieblingsthema der Katechesen des Pachomius, die
Grützmacher (S. 94 f.) folgendermassen charakterisiert: »Trotzdem
Pachomius vielfach seine Farben, mit denen er seine HöUe und sein
Paradies ausmalt, der egyptischen Religion entlehnt hat, trotzdem
seine Vorstellungswelt ausserordentlich naiv und sinnlich ist, so ist
es doch der ernste, strenge, sittliche Geist der christlichen Religion,
der diese Bilder beherrscht. Pachomius fordert von denen, die ins
Paradies eingehen wollen, eine ethische Gesinnung, den Unreinen,
besonders den geschlechtlichen Sündern , droht er die furchtbarsten
Höllenstrafen an. In der egyptischen Religion legt der, welcher die
Gefilde des Aalu nach seinem Tode bewohnen soll, ein rein nega-
tives Sündenbekenntnis vor dem Throne des Osiris ab; kultische,
nicht ethische Reinheit wird von ihm gefordert. Pachomius versetzt
auch die in die Hölle, welche auf Erden ihre Pflicht nicht getan
haben; auch die Verleumder müssen ewig für ihre Zungensünden
büssen. Aber selig wird nur der, der mit seinem Pfunde auf Erden
1) Annalei da Mns^e Goimet, Paris (Leroax), t. XVII, Einleitung, bes.
8. IV- V.
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70 Schiwiet»,
gewuchert f der im Gesetze Gottes gelebt , der Gott von Hersen ge»
liebt hatc. Aach die Anschaaung, dass das Mönchskleid allein di»
ewige Seligkeit garantierei finden wir bei den Pachoroianern nicht
vertreten. Pachomios verbietet einmal den Psalmengesang und daa
encharistische Opfer ffir einen verstorbenen Mönch, dessen Fehler
übrigens den Mithrüdern verborgen geblieben waren ^); diese exem-
plarische Strafe sollte heilsame Furcht den äberlebenden Mönchen
einflössen. Er schildert ihnen bei einer anderen Gelegenheit nach
der Weisung des Herrn die Strafen der Hölle, damit sie sich fürchteten
und denselben zu entgehen trachteten >). Ja in seinen Visionen sieht
er auch Mönche in den Flammen des höllischen Feuers'). Ähn-
liche Anschauungen spricht sein Lieblingsschüler Theodor aus^):
»Seien wir nicht nachlässig, vergessen wir nicht die Satzungen, die
uns Pachomius, als er noch unter uns weilte, gegeben hat! Waa
haben wir denn vor den anderen Menschen voraus? Etwa, dass wir
ein anderes Kleid tragen, unsere Lenden umgürtet sind und wir zu
einer Gommunität vereinigt sind. An vielen Orten trägt man die-
selben Kleider wie wir u. s. w.€
Ja, Am^lineau') versteigt sich sogar zu der Behauptung, die
ägyptischen Mönche hätten ihr Augenmerk nur darauf gerichtet,,
ihre Schlechtigkeiten und Übertretungen der Klostersatzungen zu
verbergen, um nicht aus dem Kloster vertrieben zu werden. Uiesen
schweren Vorwurf haben die Pachomianer nicht verdient Wir haben
oben (S. 53) gesehen, wie diese Mönche bei der Katechese ihre
Fehler dem Abte öffentlich bekannten, wie sie (S. oben S. 68 f.) selbst
bei Tische, wo gewöhnlich die Welt nicht gestört oder an Fehler
nicht erinnert werden will, demütig ihre Nachlässigkeiten abbüsseD
mussten. In Übereinstimmung mit der Tatsache, dass die Oberen
sich nicht mit äusserer Werkgerechtigkeit begnügten, sondern auf die
Reformation des inneren Menschen drangen, stehen auch die Satzungen
der ursprünglich in koptischer Sprache verfassten Pachomiusr^el, die
für verschiedene Nachlässigkeiten in der Bekämpfung der Leiden-
schaften entsprechende Bussen als geistliche Arznei verordnen und
die Abiegung der Fehler bezwecken.
In der Regel erhielt ein Mönch, der irgend eine böse Gewohn-
heit nicht ablegte, mehrmals einen Verweis und im Wiederholungs-
falle folgte darauf eine strengere Strafe, die einen nachhaltigen Ein-
druck in der Seele des Fehlenden zu hinterlassen geeignet war. Wer
ohne jeden Grund zornig wurde, sollte sechsmal ermahnt, beim
1) S. Archiv (1901) S. 485. — 2) T 558, M 140. — 8) M 186. A' 519. —
4) T 602. - 5) A. a. 0. S. V und CX.
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Fächamiani$ehe Klöster im 4* Jahrh. 71
siebenten Male von seinem Platze entferni und unter die letzten ge-
setzt werden. Versprach er vor drei Zeugen Besserung, so erhielt
er seinen alten Platz wieder, wo nicht, sollte er für immer denselben
verlieren und stets den letzten Platz einnehmen (Reg. Pach. art. 161).
Wer trotz zehnmaliger Verwarnung streitsüchtig, lügnerisch, unge-
horsam blieb oder den Hang zum Widerspruch oder Hass oder zu
Witzeleien, barschen Antworten oder zum Ehrabschneiden nicht auf-
gab, erhielt vom Abte eine entsprechende Strafe auferlegt (Art. 150,
151, 165). Wer mit Knaben scherzte oder mit ihnen zu vertraulich
war, erhielt einen dreimaligen Verweis und wurde im Wiederholungs-
falle aufs schärfste zurechtgewiesen (Art. 160). Wer die Qewohnheit
hatte zu murren oder über jedes ihm aufgetragene Oesch&ft sich zu
beklagen, warde fünfmal ermahnt. Nützte dies nichts, so wurde er
ins Krankenhaus verwiesen und dort wie ein Kranker mit der nötigen
Nahrung versehen ; war jedoch diese Klage begründet, so wurde der
Ärgernisgeber mit dieser Strafe belegt (Art. 164). Wer Krankheit
als Entschuldigungsgrund für die Nachlässigkeit in der Beobachtung
der Eloetersatzungen vorschützte, erhielt dieselbe demütigende Strafe
und blieb solange im Krankenhause, bis er Besserung versprach
(Art. 171). Teilnehmer an der Sünde eines Mitbruders wurden
gleichfalls streng bestraft; doch wer aus Unwissenheit gefehlt hat,
dem sollte gern verziehen werden (Art. 176). Wenn ein Mönch den
Hang zur Verleumdung hatte, so erhielt er zunächst zweimal einen
Verweis; besserte er sich darauf nicht, so musste er, abgesondert
von den übrigen Brüdern, sieben Tage bei Brot und Wasser fasten.
Über denjenigen, der sich über alle im Kloster vorkommenden Ver-
gehen gern zum Richter aufwarf, wurde von zwanzig, zehn oder fünf
.Mönchen, die im Kloster ein gutes Zeugnis hatten, ein peinliches
Gericht gehalten; der als schuldig befundene Übeltäter erhielt bis
zur Besserung den letzten Platz im Kloster. Wie übrigens mit
Strenge Milde gepaart war, beweist die Anordnung, dass fahnen-
flüchtige Mönche wieder aufgenommen werden sollten, wenn sie
reuigen Sinnes ins Kloster zurückkehrten und eine Busse auf sich
nahmen ; ergab die von einigen erprobten Mönchen angestellte Unter-
snchang, dass ein Mönch durch sein Benehmen zu dieser Fahnen-
flucht die Veranlassung gab, so wurde derselbe den Klostersatzungeo
gemäss bestraft (Art. 136, 175).
Der Qeneralabt war niemandem ausser Gott verantwortlich.
Die Zurechtweisung oder Absetzung eines Klosterabtes hing von dem
freien Ermessen des Qeneralabtes ab (S. Archiv (1902) S. 228). Da-
gegen enthält die Pachomiusregel einige Disciplinarmittel, welche der
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72 Schitoiei», PaehomianUche Klöster im 4, Jahrh.
Abt eines Klosters gegen die ihm unterstellten Praepositi domomm and
Dispensatores anwenden konnte. Wenn ein Ger&t verloren ging, so wnrde
der Minister zurechtgewiesen; nnr mit Erlaubnis des Abtes dnrfte dann
der Minister dem schuldigen Mönch einen Verweis erteilen (Art 136).
An einer anderen Stelle heisst es wieder: Wenn der Praepositns
domns den Verlast einer Sache dem Abte binnen drei Tagen nicht
meldete, so mnsste er die übliche öffentliche Busse leisten. War
ihm ein Mönch davongegangen, so hatte er davon dem Abte in den
nächsten drei Standen Mitteilung zu machen , widrigenfalls er diese
Versäumnis mit einer dreitägigen Busse sühnen musste (Art. 152,
153). Gleicher Strafe verfiel er, wenn er einen säumigen Mönch nicht
sogleich zurechtwies noch dem Abte dies meldete (Art. 154). Wenn
ein Praepositns domus oder ein Dispensator die Nacht ausserhalb des
Klosters zubrachte, musste er Busse tun und dnrfte seine frühere
Stellung nnr mit Genehmigung des Abtes einnehmen (Art. 187).
Endlich war zum Schutze der Untergebenen bestimmt, dass eine An-
zeige an den Abt erfolgen sollte, wenn die Gesamtheit der Brüder
wahrnahm, dass der Praepositns domus sehr nachlässig war oder die
Satzungen des Klosters übertrat (Art. 158). Über einen Haus Vor-
steher, der nicht nach Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern nach Gunst
und Laune seine Untergebenen zurechtwies, wnrde von einigen erprobten
Mönchen ein peinliches Gericht gehalten; er verlor sein Amt, bis er
sich vom Schmutze der Ungerechtigkeit gereinigt habe (Art. 170).
An sich war dem Pachomius, wie er selbst erklärte (P 2),
die körperliche Züchtigung als Strafmittel nicht sympathisch. Indes
wandte er dieses Strafmittel gegen einen ganz jugendlichen
Mönch an, der trotz aller Versprechungen in seinen alten Fehler
zurückfiel und sein früheres Metier als Komiker auch in den
Klostermanem nicht vergessen konnte. Die Notiz über diese körper-
liche Züchtigung findet sich zwar in den beiden Parallelberichten
C 66 f. und A' 518 f. nicht; indes scheint sie doch auf Wahrheit
zu beruhen; denn in der Regula Pachomii (art. 173) heisst es, dass
wenigstens alle Knaben, denen weder die beschämende Zurecht-
weisung noch der Gedanke an das Gericht Gottes Furcht einzu-
flössen vermögen und mit Worten nicht gebessert werden könnten,
mit Schlägen am besten zu bestrafen seien. Auch in der Vita T 307
wird erwähnt, dass der Generalabt Theodor die körperliche Züchtig*
ung als äusserste Strafe anwandte.
Halfen diese Disciplinarmittel nichts, so erfolgte die Aus-
stossung aus dem Kloster (C 66, P 2, M 193, 196, A' 510).
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73
4t. Die Designationsfkuge naeh den neaesten Forsehangen.
Von Prof. Dr. Karl Holder in Freibarg (Schweiz).
Die Frage, ob der Papst seinen Nachfolger ernennen könne,
nachdem dieselbe vor einigen Jahren, in Anschlnss an meine
Schrift^), zu einer Polemik Änlass gegeben hatte ^), scheint nun
neaerdings wieder in Flnss kommen zu sollen. Entferntere Veran-
lassung dazn gaben speziell italienische, französische and belgische
Zeitungskorrespondenzen, welche die Nachricht brachten, Papst
Leo XIII. habe in seinem Testament, in welchem seine Weisungen
und seine Batschläge far die zukünftige Leitung der Kirche nieder-
gelegt seien, seinen Nachfolger auf dem päpstlichen Stuhle be-
stimmt. Diese Nachrichten können selbstverständlich keine Be-
deutung beanspruchen und fallen ausserhalb des Bahmens einer
wissenschaftlichen Diskussion; wir beschränken uns hier auf eine
Darstellung der in der neuesten Literatur niedergelegten, die Frage
beireffenden Besultate.
Im Anschluss an die frühere Polemik erhielt ich von be-
freundeter Seite die Nachricht'), ein römischer Prälat sei mit
einer Arbeit über die Papstwahl, resp. über die Designation be-
schäftigt. Das Buch, das gemeint war ^), erschien im Jahre 1896
und hat zum Verfasser den durch sein Buch über das Konklave be-
kannten Lucius Lector. Meine Erwartung, eine eingehendere Stellung-
nahme zur Designationsfrage darin zu finden, erfüllte sich nicht.
Lucius Lector begnügt sich festzustellen, dass »le mode de d^-
signation de la succession pontificale a toujours ^t^ T^lection ei les
d^rogations ä ce principe ont et6 bien rares, si tant est qu*il y en
ait eu. Dans les premiers temps du christianisme , parfois, les
fondateurs d'Eglises, pour roieuz assurer une Organisation encore
incompl^te, serablent avoir choisi d'avance la personne de leur suc-
cesseur«. Deber die Designationen von Felix IV und Bonifaz II
äussert sich L. Lector wie folgt: »Felix IV (526), pr^ccup^ des
1) Die Desigoation der Nachfolger darch die Papste. Freibarg i.
Schweiz. 1892.
2) P. Granderath (Stimmen aus Maria Laach. 1893. Bd. 45. p. 81 ffO;
Holder Archiv f. k. Kirchenrecht Bd. 72 (1894) p. 409 flf.. Bd. 76 (1866) p. 352 ff.,
ferner Katholik 1895. II p. 385 ff.); Hollweck (Archiv f. k. Kirchenr. Bd. 74
(1895) p. 329 ff.. Bd 77 (1892) p. 411 ff); Sägmüller (Archiv f. k. Kirchenr.
Bd. 75 p. 418 ff).
3) Katholik, 1895. U p. 397.
4) Lucius Lector, U^lection papale. Paris 1896.
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74 Holder,
tentatives d^iotrasion de la part des rois Gotha, eut la singnlidra
id^e de tenter la resarrection da systäme testarnentaire en d^signant
Boniface comme sod coadjuteur. Cette sorte de ooap d'Etat pro-
Yoqaa, cootre Boniface II (530) le scbisroe du diacre Dioscore qui
heureasement meurt au boat d'an roois. Mais Boniface commet la
mSme iropradence de choisir, poar son coadjolear, Pintrigant diacre
Vigile, mesore que, deyant les r^clamatioos da clerg^, il r^voqaera
bientdt dans an synodec.
In der folgenden Zeit haben mehrere Historiker and EanooisteD
sich zar Frage geäussert, ohne im einzelnen ihre Stellangnahme ein-
gehender za begründen.
So z. B. H, Orauert % welcher die Designationen von Felix IV.
and Bonifaz 11. erwähnt, ohne sich über die Zolässigkeit derselben
direkt aaszusprechen. Das Dekret, welches der Senat erliess, richtet
sich nach Granert nicht zweifellos gegen die Saccessionspolitik des
Papstes Felix IV., doch sei es wahrscheinlich, dass der römische
Senat überhaupt der Designation des Nachfolgers abhold war, weil
dadurch am leichtesten das Ton ihm an der Papstwahl beanspruchte
Mitwirkungsrecht beseitigt werden konnte. Das Bekenntnis von
Bonifaz II. (reum confessus est majestatis) sei von einem Vergehen
gegen die Majestät Gottes zu verstehen, da in den zeitgenössischen
Quellen (Gassiodor) unter dem Ausdruck »majestasc ohne weiteres die
Majestät Gottes verstanden werde.
P. Wernjs^ seine Ausführungen auf P. Granderath und Prof.
Hol! weck stützend, gesteht dem Papste, wenigstens im Falle der
Notwendigkeit oder offenbarer Nützlichkeit, die Ernennung seines
Nachfolgers zu: »Designatio sensu stricto personae proprii successoris
in cathedra S. Petri, non mera commendatio ab ipso Elomano Ponti-
fice facta juxta probabiliorem sententiam saltem in casu verae et
extraordinariae necessitatis vel utilitatis Ecclesiae et valida et
licita est.€
Der Kardinal Caviignis^) dagegen ist ein überzeugter Gegner
des Designationsrechtes des Papstes. Nachdem er versucht hatte,
nachzuweisen, dass nach positivem Becht der Papst seinen Nach»
folger nicht ernennen, (die Designation von Felix IV. erwähnt sonder-
barerweise Cavagnis nicht), sondern bloss »normas pro recta electionec
erlassen kann, fügt G. »ex principiis generalibus jurisc folgendes
Argument bei: »1^. Supreroa potestas in Ecclesia non est haereditaria.
1) Papstwahlstadien im Historischen Jahrbnch, 1899, p. 272 ff.
2) Jas Decretaliam II. (1899) p. 650 ff.
3) Institationes jaris pahlici edit. (II (1899), II p. 42—44.
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DeaigfMtionsfrage nath den neuesten Forschungen, 7S
Sed 81 posset pontifex sibi designare successorem, evadere posset
haereditaria. 2^ Pontifex habet sopremam auctoritatem pro regenda
Ecclesia donec ipse est Pontifex; sed eleetio successoris oon speotat
ad regimen Ecclesiae providet de rectore pro eo tempore qao ipse
Don aroplios pontifex erit, pro quo tempore sollicitado Ecciesiae oon
amplias ad eum pertinet, sed ad eos qui vivent, seu devolvitar ad
inferiorem gradam; mors enim omnia solvit.c
P. Qrisar^) nennt die Designation des Papstes Felix IV. eine
bis dahin unerhörte Massregel. Die grosse Partei, welche Diosknr
anhing, sei weise genng gewesen, die Spaltung nicht fortzusetzen^
sondern habe sich dem von Felix designirten Nachfolger unterworfen
und habe dadurch ein Beispiel von seltener Mässigung gegeben«.
Man könne kaum annehmen, dass die Presbyter, welche eine er-
drückende Majorität bildeten, bei jenem früheren Akte, durch welchen
sie sich als Wahlberechtigte der Weihe des designirten Archidiakons
Bonifatius widersetzt, gegen ihr Gewissen gehandelt haben sollten»
Viel wahrscheinlicher sei, dass sie die neue Art der Besetzung des
heil. Stuhles, nämlich die Ernennung des Bonifaz durch den Vor-
gänger, unter jenen Umständen nicht billigen mochten. Nunmehr
aber, da sie die Opposition aufgeben wollten, brachte sie Bonifatius»
unbekannt durch welche Mittel, sogar dahin, dass sie denselben nicht
bloss auf Kosten des Namens des toten Diosknr anerkennen, sondern
auch ausdrücklich versprechen, einer etwaigen künftigen Designation
eines Nachfolgers durch den Papst nicht entgegentreten zn wollen.
Bonifatius sei voll von der Idee der Notwendigkeit und Nütz^
lichkeit einer derartigen Ernennung oder Designation eines Papstes
durch den anderen gewesen. Er hielt die Beseitigung der bisherigen
Wahlordnung für das einzig richtige Auskunftsmittel in den da-
maligen Zeitumständen. Nachdem also jene Erklärung, von jedem
Einzelnen ausgestellt und unterschrieben, im Archiv der Kirche nieder-
gelegt war, berief er eine Versammlung in die Peterskirche und er-
öffnete dem Klerus, dass er den Diakon Vigilius zu seinem künftigen
Nachfolger bestimmt habe. Die Massnahme wurde von den An-
wesenden einfach hingenommen, und die Versammlung ging ausein-
ander. Aber später verursachte ein solches Vorgehen nach und nach
grosse Bewegung. Der Widerstand wurde so stark, dass Bonifatius
sich die Frage stellte, ob er es nicht widerrufen sollte. Indem er
das kleinere Uebel wählte, gab er nach. Er ordnete wiederum eine
Zusammenkunft beim Orabe des hl. Petrus an, und es wird erwähnt.
l) Qeschichte Roms und der Päpste im Mittelalter. I (1900) p. 494 ff.
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76 Holder,'
dass auch der Senat daran teilnahm. Bonifatios bekannte, Unrecht
getan zu haben und übergab ioi Angesichte der Versammelten das
Dekret den Flammen.
In der Rehabilitierung des Dioskar durch Papst Agapit sieht
Grisar^) nicht etwa bloss eine persönliche Bedeutung. Dem Diakon
Dioskur hatten gerade jene sehr zahlreichen Mitglieder des Klerus
die Stimme gegeben, welche gegen die neue Weise der Erhebung
der Päpste, durch Ernennung nämlich seitens der Vorgänger, waren.
Nunmehr wurde also von Neuem die Designation von Nachfolgern
kräftig zurückgewiesen dadurch, dass das Anathera gegen Dioskur
als ein Unrecht hingestellt wurde. Die Niederlage, die sich schon
Bonifatius II. mit seinem Kandidaten hatte gefallen lassen müssen,
sicher seitens eben derselben Männer, wurde jetzt in gewisser Weise
dem Prinzip der Designation selbst beigebracht Und in der Tat
galt eine Designation des folgenden Papstes durch seinen Vorgänger
von dieser Zeit an im kirchlichen Gebrauche so gut wie ausgeschlossen.
In Bezug auf die Zulässigkeit der Designation äussert sich
Grisar*), in Anlehnung an Granderath und Hollweck, wie folgt:
»Kirchenrechtlich liegt nach der begründeteren Ansicht die Sache so,
dass die Päpste die Designation als die gewöhnliche Weise der Be-
setzung des Heiligen Stuhles nicht vorschreiben können, noch auch
tatsächlich diesen Modus als gewöhnlichen befolgen dürfen. Die ge-
wöhnliche Form besteht in der freien Wahl. Anders verhält es sich
mit der Anwendung des Designationsmodus für einen Ausnahmefall.
Würde ein Papst in einem besonderen Falle nach Lage der kirch-
lichen oder politischen Verhältnisse die Designation zum Wohle der
Kirche für notwendig oder doch für ganz wesentlich nützlicher halten
müssen als die Wahl, so kann er nach der Anschauung angesehener
Theologen allerdings seinen Nachfolger selbst bestimmen, indem er
kraft der ihm zum Besten verliehenen höchsten Gewalt das Wahl-
recht der Wähler für diesen einzelnen Fall aufbebte Dieser Auf-
fassung schliesst sich neuerdings auch Prof. Sägmüller') an.
Wir wollen hier gleich hervorheben, dass die Gelehrten, welche
sich am entschiedensten zu Gunsten des Designationsrechtes des
Papstes aussprechen, von einer probabilior sententia (Wernz), von
einer begründeteren Ansicht und von einer Anschauung angesehener
Theologen (Grisar) sprechen ; die Lösung der Designationsfrage sieht
1) Geschichte Roms 1 c p. 499.
2) Geschichte Koros 1. c. p. 500.
3) In der soeben erschienenen Abhandlung: Die Ernennanfi^ des Nachfolgers
durch die Papste Ende des fijinften and Anfangs de^ sechsten Jahrhunderts
(Tübinger theol. Quartalschnft 1903 p. 254).
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DeHgnationsfrage nach den neuesten Forschungen. 77
IQ den beiden Designationen von Felix IV. und Bonifaz II. ausser
Hollweck, welcher dieselben als für die Frage entscheidend hinge-
stellt hatte, kaum jemand^). Selbst in den höchsten kirchlichen
Kreisen hat, wie Peries berichtet*), die letztere Ansicht wenig An-
hänger.
Gehen wir nun zur neuesten Phase der Kontroverse über die
Designationsfrage über. Dieselbe wird diesmal von französischen
Gelehrten geführt. Die nähere Veranlassung dazu gab die Schrift
von Maxime Sabaiier^ welcher im vierten Kapitel derselben^) das
Designationsrecht des Papstes kurz behandelt. Sabatier beantwortet
die Frage, ob der Papst seinen Nachfolger ernennen kann, bejahend
und zwar vom dogmatischen und dann vom historischen Standpunkt
aus, indem, wie Sägmüller meint ^), jedenfalls auf die Tatsache mit
Recht hingewiesen wird, dass Felix IV. mit Erfolg seinen Nach-
folger Bonifatius ernannt hat.
Sehen wir uns nun die Beweisführung von S. an. Er geht
davon aus , dass von jeher zugegeben werde , dass der Papst sich
mit der Nachfolge auf dem päpstlichen Stuhle beschäftigen und
einen Nachfolger empfehlen kann ; warum sollte er nicht auch seinen
Nachfolger ernennen und dieser Ernennung die Kraft einer binden-
den Verpflichtung hinzufügen können ? Der Papst ist oberster Richter
and Gesetzgeber in der Kirche, welcher in der Ausübung seiner Ge-
walt durch keine canones gebunden ist, da seine Macht über den-
selben steht. Der Papst hat direkt von Christus die Macht erhalten,
jedermann verbindende Gesetze zu machen; er selber ist nur ge-
bunden durch das göttliche Recht.
Ob aber das göttliche Recht das Ernennungsrecht des Nachfolgers
ein- oder ausschliesst, diese Frage umgeht Sabatier, indem er kurzer
1) Sägmüller, EircheDrecht p. 817, ist der Ansicht, dass man die Fra^e,
ob der Papst sich selbst einen Nachfolger geben könne, nicht absolat wird
verneinen dürfen. In der in der vorigen Anmerknng zitirten Abhandlang spricht
sich SägmüUer bestiminter zu Gansten der Designation ans, indem er schreibt
p. 253: »Das Ergebnis der vorliegenden Untersuchang. wird sich dahin zusam-
men&ssen lassen, dass aas der Geschichte der Papstwahlen am Ende des fünften
und am Anfang des sechsten Jahrhanderts nichts Entscheidendes g^en, wohl
aber beweiskräftige Momente entnommen werden können für das Recht der
Papste aaf Ernennung ihres Nachfolgers innerhalb bestimmter Grenzen«.
2) L*intervention da Pape dans T^lection de son saocesseor. Paris 1902,
p. 8; Brief von Card. Cavagnis an Peries (9. Nov. 1901) : »Commanem senten-
tiam non commani doetrina illastrasti ideoqae tibi valde gratalor.« Brief von
Card. Steinhaber an denselben : »Nimiram gavisas sam ... de materia feliciter
eleeta, tarn deniqae de doetrina solida et ampla«.
3) Comment on derient Pape. Paris 1901.
4) Le pape peat-il noromer son saccessear? p. 67—86. Aach abgedruckt
in Revae canoniqae V (1901) p. 350—58.
5) Tübinger theol. Qaartalschrift 1902 p. 819.
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J
78 Holder,
Hand sagt: »quoiqa'il puisse parattre en droit, la qaestion semble
a?oir 6\A saffisamment tranchäe de faitc.
Sabatier beruft sich auf die Designationen des ersten Jahr-
hunderts, welche Designationen im eigentlichen Sinne gewesen seien
und weist darauf hin, dass der Papst in einzelnen Fällen Bischöfen
das Recht verliehen habe, ihre Nachfolger zu ernennen und wirft die
Frage auf, ob man dem Papste nicht die Befugnisse zuerkennen
müsse, die er anderen verleihe. Dies sei die Auffassung von Felix IV.
gewesen, welcher nicht glaubte, seine Befugnisse zu überschreiten,
indem er Bonifaz ausdrücklich zu seinem Nachfolger ernannte. Der
Fall stehe historisch fest und daraus Iftsst sich ersehen, dass der
Papst seinen Nachfolger ernennen kann. Die Wahl des Dioskur
seitens der Majorität des römischen Klerus sei ungültig gewesen;
die 60 Priester IU>ros, welche den Dioskur wählten, hätten durch
den Libellus, den sie beschwören raussten, zum Ausdruck gebracht,
dass die Ernennung von Bonifaz von Anfang an gültig gewesen sei
und dass Felix in der Vollgewalt seines Rechtes gehandelt habe.
Durch die Ernennung des Bonifaz und die Erklärung der römischen
Priester habe Felix IV. »bien clairement däfini le droitc.
Bonifaz II. sei so von seinem Rechte überzeugt gewesen, dass
er dasselbe vor der ganzen Kirche zum Ausdruck bringen wollte;
er versammelte eine Synode , auf welcher er verkündete , dass er zo
seinem Nachfolger Vigilius erwähle. Dem Widerruf des Papstes
Bonifaz begegnet S., mit üebergehung der Rehabilitirung des von
Bonifaz verurteilten Dioskur durch Papst Agapit, mit der Wendung :
»il Importe peu que, par la suite, le pape, mieux conseillc, seit re-
venu sur cette d^cision et qu'il ait retir^ ä Vigile la succession au
trdne pontifical dont il s*^tait rendu indignec, und schliesst seine
Abhandlung mit dem Hinweis auf die zwei Designationen mit
der Frage: »Ne semble-t-il pas raison nable de conclure que le pape
a le droit de nommer son successeur?€
Dies ist im wesentlichen die Beweisführung von Sabatier. Von
Interesse ist hauptsächlich, dass mit Sabatier die ältere Richtung, welche
dem Papste ohne weiteres das Recht vindiziert, seinen Nachfolger zu
ernennen, wieder einen Vertreter aufweist, während die vermittelnde
Richtung (Oranderath, Hollweck u. s. w.) dem Papst dies Recht nur
in Ausnahmefällen zugestehen. Erstere hat wenigstens die Konse-
quenz für sich; denn hat Christus dem Papste das Recht gegeben,
seinen Nachfolger zu ernennen, so ist schwer einzusehen, dass der
Stifter der Kirche dasselbe auf einige Ausnahmefalle beschränkt
haben sollte und dass der Papst die Ernennung nicht als gewöhn-
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DeHgvaHon$/rage nach den neuesten Forschungen. 79
liehen Besetzangsroodos des p&pstiichen Stuhles einführen und wenn
er es für gut findet, ausüben könnte. Auch unter dieser Voraus*
setinng braacht ja der Papst nicht in jedem Falle von seinem Rechte
Gebrauch zu machen.
Die Schlussergebnisse sind bei S. nicht mehr so zuversichtlich,
wie die Antwort bei der Fragestellung. Durch die Designation von
Felix IV. und Bonifaz II. >la qnestion senMe avoir ^t^ sufßsamment
tranchte€ ; es erscheint Sabatier »raisonnable de conclurec und >il
n'est pas t^m^raire de penser et de soutenir que le pape peut
nommer son successeurc.
Sabatier hat sich die Aufgabe allerdings leicht gemacht. Er
versucht nicht einmal die Gründe der negativen Ansicht zu disku-
tieren, er scheid von der ganzen neueren Literatur über die Frage,
mit Ausnahme von Amelli und Duchesne, keine Kenntnis zu haben,
und offenbar zu seiner persönlichen Beruhigung fügt er hinzu, dass
die Meinung, die er vertritt, am meisten Vertreter in der Gegen-
wart habe.
ungefähr zu gleicher Zeit wie die Schrift von Sabatier erschien
der Aufsatz von Jfony^), Professor am Institut catholique in Paris.
M. vertritt ebenfalls, aber in gründlicherer Weise als S., das Er-
neonangsrecht des Nachfolgers durch den Papst.
Many fasst das Problem anders an. Er fr>, ob die Papst-
wahl durch ein Wahlkollegium juris divini ist Wenn ja, so kann
der Papst in keinem Falle seinen Nachfolger ernennen, wenn nein,
so braucht dieser Wahlmodus nicht eingehalten zu werden, der
Papst kann einen anderen Wahlmodus einführen, mit anderen Worten
seinen Nachfolger ernennen.
M. präcisiert seinen Standpunkt folgenderweise: »Je crois cepen-
dant qu*on peut soutenir Taffirmative (das Ernennungsrecht des
P^Mtes). Je n*entends pas dire que la d^signation du Pape, par son
prMecesseur vivant, soit un mode pr^firable ä celui de l'^lection;
je crois, comme tont le monde, que ce dernier mode est, en g^n^ral,
pr^f^rable ; mais ce que je pr^tends, ff est que ce mode (d. h. die Wahl)
n'esi pas du taut de droit divin , et que, par cons^quent, si dans
un cas particnlier, pour des raisons ä lui connues, le Pape d^signait
et imposait son successeur, le personnage d^signö serait v^ritablement
Pape€.
Am Schlüsse seiner Ausführungen erweitert M. seinen Stand-
punkt, indem er als Grundsatz »base de l'opinion que nous soutenonsc
1) Le droit des papes de d^igner lear Aoccesseor (Revae de Tlnstitat
catholique de Paris 1901. Mars-ATril, p. 141—162).
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80 üolder,
die Behauptung aufstellt, >que le mode de dSsignation (d. h. der
Besetzungsmodus des päpstlichen Stuhles) n'a pas ^t^ r^gl^ de droit
divin €. Daraus ergibt sich zuerst als Eonsequenz, dass die Wahl
des Nachfolgers nicht auf göttlicher Anordoung beruht und dass
folglich der Papst in seinen Anordnungen über die Nachfolge auf
denn päpstlichen Stuhle, sei es, dass er die Wahl anordnet, sei es,
dass er den Nachfolger iro einzelnen Fall ernennt, oder die Ernen-
nung als gewöhnlichen Besetzungsniodus einführt, frei und unbehin-
dert ist. Will man aber den von M. aufgestellten Grundsatz urgiren,
so ergibt sich weiter, dass weder die Wahl noch das Ernennungs-
recht auf göttlicher Anordnung beruht und dass beide durch die von
Gott gewollte Ordnung weder ein- noch ausgeschlossen sind. Diese
Eonsequenz hat Boudinhon (s. nnten) gezogen.
Der Standpunkt von Many unterscheidet sich sehr von dem
der vermittelnden Richtung und führt in seinen Eonsequenzen zur
Annahme, der Papst könne als gewöhnlichen Besetzungsmodus die
Ernennung anwenden. Nach der vermittelnden Richtung ist die De-
signation als gewohnlicher Besetzungsmodus des apostolischen Stuhles
durch die von Christus gewollte kirchliche Ordnung sicher ausge-
schlossen ^) ; der Papst könne nur in Ausnahmefällen seinen Nach-
folger ernennen. Nach M. sohliesst die von Gott gewollte kirchliche
Ordnung die Ernennung des Papstes als gewöhnlichen Wahlmodus
nicht aus; dies ergibt sich aus dem obigen Grundsatze, ebenso die
schon erwähnte Folgerung, dass der Papst, absolut gesprochen, die
Ernennung als gewöhnlichen Wahlmodus befolgen könne. Wenn
aber M. hervorhebt, er finde die Wahl zweckmässiger (pr^f^rable),
so scheint sich daraus zu ergeben, dass der Papst nur in Aus-
nahmefällen die Designation anwenden sofle.
Die aufgestellte These, die Wahl des Papstes durch ein Wahl-
kollegium sei nicht juris divini, sucht M. zu beweisen. Dass ein
direkter Beweis unmöglich ist, sieht M. wohl ein; dagegen verlangt
er, mit Hinweis darauf, dass ein Recht im Primat enthalten ist,
wenn demselben nicht Schrift oder Tradition entgegenstehen, von
den Vertretern der negativen Richtung, dass sie aus Schrift und
Tradition beweisen sollen, dass das Ernennungsrecht des Papstes
durch Christi Anordnung ausgeschlossen ist'). M. macht auch keinen
Versuch, sich mit der Stelle des Clemensbriefes (Ep. ad Cor. I n. 44,
1) Hollweck im Archiv f. kathol. Kirchenrecht, Bd. 74 (1895) ]i. 407.
2) MeiDO AbhancUang »Die Dftsignation der Nachfolger durch die Päpste
dogmatisch untersucht« (Katholik, 1895 II p. 885—98) scheint Many entgangen
zu sein.
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DeHgnationsfrage nach den neuesten Forschungen, 81
1 — 3) über die Nachfolge^) aaf den Bischofstühlen and mit der ganzen
kirchlichen Tradition über die Unzolässigkeit der BesteUang des
Nachfolgers auseinanderzusetzen. Dagegen argumentiert Many folgen-
lermassen: Wenn der Papst seinen Nachfolger ernennt, so ist der
Ernannte wirklich Papst. Dies ergibt sich aus der dogmatisch
sicheren Wahrheit, dass der Papst unfehlbar ist in der Ausübung
seiner Vollgewalt und nicht gegen göttliches Recht Verstössen kann.
Atqui es stehen zwei Ernennungen unzweifelhaft fest. Ergo kanu
das Wahlrecht nicht juris divini und muss die Ernennung gül-
tig sein.
Man sieht, den Kern des Beweises bilden zwei Tatsachen,
welche sich aber M. für sein Bedürfnis zurechtlegt. Die nach dem
Tode des Dioskur durch die Mehrzahl des römischem Klerus zur Er-
nennung des Bonifaz erfolgte Zustimmung ist nach M. irrevelant;
die Befugnisse, welche Bonifaz gehabt habe, seien nur die gewesen,
welche er von Felix IV. erhalten habe u. s. w. Welchen Orund
Bonifaz haben mochte, uro sich so auf Alliger weise die Zustimmung
der Wahlberechtigten zu sichern, darüber schweigt sich Many aus;
ebenso geht M. über die auffällige Zurücknahme der von Bonifaz
vorgenommenen Designation, sowie über die Verurteilung der Hand-
lungsweise von Bonifaz durch Papst Agapit mit Stillschweigen hinweg.
Nach M. ist die von Papst Felix IV. vorgenommene Designation
lediglich die Ausübung eines auf der kirchlichen Tradition beruhenden,
gesetzlich festgelegten Hechtes des Papstes. Die Tatsachen, auf welche
die Tradition sich stütze, sind die in den ersten Jahrhunderten ge-
übten Designationen, welche Ernennungen im eigentlichen Sinne ge-
wesen seien. Dies von Alters her überlieferte Recht habe Papst
Symmachus gesetzlich festgelegt*), (de sui electione successoris de-
cernere sei im Sinne von »emennenc zu verstehen), und dieses Recht
1) Vgl. W, Scherer, Der erste Clemensbrief an die Corinther. Begens-
barg 1902 p. 90 ff., 228 ff.
2) Many 1. c. p. 162: »Les doeninents r^eemment d^nverts an sojet
de F41iz IV. ont fait mienx eomprendre le concile de Symmaque , et ont &it
deoouTrir tont a coap nne imposante traditlon en faveur da droit des Papes de
d^igner leor soccessear. Nach Wittig (Stadien zar Geschichte des Papstes
Innocenz I. in Tübinger theo). Qaartalschrift 1902 p. 412) machte Papst Sym-
machas im J. 499 den Versach, die bisherige Wahlordnung za einer ausser-
ordentlichen, dagegen die Designation darch den Vorgänger za einer ordent-
lichen Institution zu machen. Sägmüller schliesst sich der Auffassung an,
dass die Synode von 499 dem Papst f&r die Regel das Recht der Designation
des Nachfolgers zuerkannte, dass die Wahl aher die Ausnahme sein sollte. Dem
Papste sei durch diese Synode das Recht der Designation des Nachfolgers in
des Wortes vollster Bedeutung zuerkannt worden, sodass die Mitwirkung der
anderen Wahlfaktoren, wenn auch nicht ausgeschlossen, so doch nicht mehr
wesentlich war. (Tab. theol. Qaartalschrift 1908 p. 103, 106.)
Archiv für Kircheorecht LXXXin. 6
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82 Holder,
hätten Felix lY. und Bonifaz II. als eine ibnen zustehende Befugnis
ausgeübt ^). Dass die folgenden Päpste ihre Nachfolger nicht mehr
ernannten, hätte an der Ungunst der Zeiten gelegen; doch hätten
Gregor VII. und Victor III. die Designation wieder, allerdings in
etwas veränderter Form, ausgeübt. Diese Designationen seien nicht
blosse Empfehlungen gewesen, sondern »de vrais pr^ceptes, des ordres,
des d^cretsc, und auch diese werden von M. herangezogen, um seine
These zu stützen: »Ces d^signations prScepHves prouvent encore notre
thdse ; car, s'il est d^fendu au Pape, de par le droit naturel et divin,
de d^signer son successeur, il ne peut le faire en aucune manidre, ni
en excluant T^lection proprement dite (ainsi que Pont fait les Papes
des Premiers sidcles et F^lix IV.), ni en pesant sur cette ^lection par
un pr^cepte positif d'^lire tel ou tel candidat; car, sil le droit divin
d^fend au Pape de d^signer son successeur, cette matiäre est d6s lors
soustraite ä la juridiction des souverains pontifes qui n'ont sur eile
aucun pouvoir, et dont tous les actes, sur ce point, seraient frappft
de nulli 6 par d^faut de comp^tence; du reste, le pröcepte en question
ruine la libert^ et la spontan^ite de T^lection, ce qui äquiraut ä la
d^truire. Or cependant, c^est un pr^cepte de ce genre qu'ont port^
deux des Papes les plus z^I^s et les plus saints, S. Gr^goire VQ.
et Victor III. ; TEglise universelle a acceptd les d^signations qu'ils
ont faits, et memo les a regard^es comme des actes trds importants
de leur pontificatc.
M. verwirft, sich auf Papst Clemens VII., der sich weigerte,
(omnino respuisse), durch Testament seinen Nachfolger zu ernennen,
berufend, die testamentarische Einsetzung eines Nachfolgers durch
den Papst als ungültig, nimmt aber die Zulässigkeit einer solchen
durch offizielles, rite publicirtes Dekret an. Dass sich an die Er-
nennung des Nachfolgers durch den Papst Nachteile knüpfen, welche
nach M. reichlich durch die Vorteile aufgewogen werden, beweise
nicht, dass dieselbe gegen die von Gott gesetzte kirchliche Ordnung
Verstösse. Damit eine solche Übung durch göttliches Recht verboten
sei, müsse aus Schrift oder Tradition ein Text aufgewiesen werden, aus
welchem der Wille des Stifters der Kirche hervorgehe; gegen die
Ernennung des Nachfolgers durch den Papst finde sich nichts der-
artiges, im Gegenteil weise die Geschichte eine Reihe von Ernen-
1) Nach Willig 1. c. p. 419 hätte das, was uach Amcllis Entdeckung
Felix Iv. und Bonifaz II. getban haben, schon Papst Sjmmachos gewünscht,
Hilaros (461—68) nicht grundsätzlich verfehrot, nnd Innocenz I. (402—17),
wenn nicht auch Zosimos (417—18) beabsichtigt und vielleicht auch ansgefQhrt.
8. über die Designation eines Nachfolgers durch Innocenz I. die interessanten
Darlegungen Wittig's 1. c. p. 888—404, 417 ff.
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DeHgnaiionsfrage nach den neuesten Forschungen. 83
nuDgen des Nachfolgers, welche za Urhebern sich durch Heiligkeit
aaszeichnende P&pste haben.
Den Aussprach Pias IV. erklärt M. folgendermassen : dieselbe
bestehe aus zwei Teilen, wovon der erste das Wahlrecht der Kardinäle,
der zweite die Ernennung des Nachfolgers betreffe und beziehe sich
nur auf positiv-kirchliches Recht ; man könne daraus nicht schliessen,
dass die Ernennung des Nachfolgers nach Pins IV. gegen natür-
liches und göttliches Recht Verstösse. Da nämlich das Wahlrecht
der Kardinäle sicher nur auf positiv-kirchlichem Recht beruhe, so
könne man auch von dem zweiten Teil der Erklärung Pius IV., be-
züglich der Ernennung des Nachfolgers behaupten, dass er ausdrücken
wollte, dasselbe sei bloss gegen positiv- kirchliches Recht. Man könne
darin eine Bestätigung des Wahlrechts der Kardinäle nach positiv-
kirchlichem Recht, durch welches der Papst nicht gebunden ist,
sehen, keineswegs aber eine Erklärung, dass die Ernennung des
Nachfolgers nach göttlichem Recht unzulässig sei. Dass Pius IV.
die Kontroverse im J. 1561 nicht entscheiden wollte, ergebe sich
aus den Beratungen des Jahres 1&65, bei welchen es sich darum
handelte, ein Dekret über die Frage zu erlassen. Dies wurde je-
doch nicht erlassen. M. bemerkt dazu: »Donc quoique Topinion
personnelle de Pie IV. füt, que le Pape ne peut pas nommer son
successeur, il n'a jamais cependant imposä son opinion ä TEglisec.
Der Widerspruch, der darin liegt, dass einerseits Päpste ihren Nach-
folger ernennen, andererseits aber Päpste, speziell Pius IV., erklärt
haben, solches sei unzulässig, könne nur so gehoben werden, indem
man annimmt, die Erklärung Pius IV. habe bloss die positiv-kirch-
liche Gesetzgebung im Auge, oder, wenn dieselbe sich auf natür-
liches und göttliches Recht bezog, die Erklärung habe nur die
persönliche Meinung des Papstes zum Ausdruck bringen wollen.
Wir haben schon früher Gelegenheit gehabt festzustellen, dass
M. diejenigen Momente, welche seiner These unbequem werden
konnten, einfach weglässt. Dies ist auch bezüglich der Gonsistorial-
akten, welche Sägmüller ^) aus dem römischen Archiv publizirt hat,
der Fall. Ob aus Absicht oder Versehen will ich nicht entscheiden.
Jedoch hätten wir gerne die Erklärung gehört, welche M. dafür
gegeben hätte, dass die Päpste, welche nach M. ihre Nachfolger
ernannt und diese Befugnis als in ihre Machtvollkommenheit ge-
hörend zum Ausdruck gebracht hätten, von Pius IV. in einem
öffentlichen Konsistorium als »pontifices perditae mentisc bezeichnet
1) Archiv für kathol. Kirchenrecht Bd. 75 (1896) p. 425 ff.
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84 Holder,
werden and die Ernennung selbst als »atrox facinnsc and »scelosc
hingestellt wird.
Zam Schiasse wird von M. zugegeben, dass die grosse Ma-
jorität der Eanonisten und Theologen der drei letzten Jahrhunderte
auf Seite der negativen Richtung steht.
Auf die beiden soeben erwähnten französischen Gelehrten direkt
Bezug nehmend, bebandelt Ä. Baudinhan^), ebenfalls Prof. am In-
stitut cathol. von Paris, in eigentümlicher Weise die Designationsfrage.
B. will eine vermittelnde Stellung einnehmen zwischen beiden
entgegengesetzten Richtungen, indem er behauptet, der Papst habe
zwar das Recht, seinen Nachfolger zu ernennen, könne aber dasselbe
in praxi nicht ausüben. B. legt seinen Standpunkt folgendermassen
dar: >M'est avis qu^ils (d. h. die Vertreter der entgegengesetzten
Richtungen) sont moins en d^saccord qu'on ne pourrait le croire au
Premier abord: je suis persuad^ quMl faut röpondre ä la fois oui et
non, mais dans deux sens diffärents. C'est que la question a deux
aspects bien distincts. Demander si le Pape peut, de son vivant
se choisir un successeur, c'est demander, en premier Heu: A-t-il le
pouvoir n^cessaire pour qu'une dteignation de ce genre seit efficace?
A la question ainsi entendue, nous r^pondons, avec M. Sabatier,
avec M. Many et nombre d^auteurs r^cents: le Pape a ce pouvoir.
Mais la question signific en second lieu: le Pape peut-il, proH-
quementf en tenant compte de toutes les circonstances, prendre cette
dteision? Agira-t-il sagement en se d^terminant ä abroger la loi
eccl^astique observte pendant taut de siecles, en affrontant les ter-
ribles dangers du schisme; et au lieu de parer ä une Situation
dangereuse, n'y ajoutera*t-iI pas un nouveau danger? A la question
ainsi pos^e, je röponds, et bien d'autres avec moi : Non, en pratique^
le Pape ne peut d^signer son successeur; il aurait sans doute le
pouvoir n^cessaire, mais il ne le fera pas. Et Ton voit aussitöt
comment les deux Solutions ne sont pas le moins du monde contra-
dictoires€.
Den ersten Teil seiner These sucht B. folgendermassen zu be-
gründen : Die von Christus gesetzte göttliche Ordung schreibt keinen
bestimmten Modus für die Besetzung der bischöflichen Stühle incl.
des päpstlichen Stuhles vor. Die Evangelien sind stumm und Ghristua
hat darüber keine Bestimmung getroffen; der Stifter der Kirche hat
folglich der Kirche die Befugnisse überlassen, die Nachfolge auf dem
1) Le Pape peat-il nommer son successeor? (Semaine religiease de Paris.
1901. 13 Jnillet p. 56-60).
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Designationsfrage nach den neuesten Forschungen, 85
päpstlichen Stuhl und aaf den Bischofssitzen zu regeln. Bekannt-
lich geschieht die Besetzung der Bischofssitze anf verschiedene Weise,
nnd wollte man die Wahl, als aus göttlichem Recht resultirend^
allein auf den päpstlichen Stuhl beschränken, so musste man auch
zageben, dass die Zusammensetzung des Wahlkollegiums durch gött-
liches Becht festgesetzt und folglich unabänderlich ist; dass das
Wahlkollegium an Zahl und Art der Wähler geändert hat, werde
niemand bestreiten wollen^).
Daraus ergibt sich für B. die Folgerung, dass die Wahl, als
gewöhnlicher Modus für die Besetzung des päpstlichen Stuhles, auf
positiv-kirchlichem Recht beruhe. Da der Papst oberster Gesetz-
geber ist, 80 kann er, de potestate absoluta, kirchliche Gesetze auf-
heben, ändern oder denselben für einen Fall derogiren, und nichts
berechtige uns zur Annahme, dass die Papstwahlgesetze davon aus-
genommen seien. Wenn also ein Papst sich entschliessen würde,
von seiner Vollgewalt Gebrauch zu machen, um die Bestimmungen
über das Konklave zu suspendiren und einen Nachfolger durch
offizielles, der Gesamtkirche notifiziertes Dekret zu ernennen, so sei
nicht einzusehen, was an diesem souveränen Akt fehlen würde, um
durch sich selbst von Wirkung und für den katholischen Erdkreis
verbindlich zu sein. B. ergänzt seine Beweisführung durch Hinweis
auf die von Papst Felix vorgenommene Ernennung seines Nach-
folgers, welcher durch die Designation seines Vorgängers, ohne nach-
folgende Wahl*), rechtmässiger Papst gewesen sei. Was ein Papst
gültig tun konnte, kann aucb sein Nachfolger, folglich kann der
Papst seinen Nachfolger ernennen.
Den zweiten Teil seiner These formuliert B. wie folgt: Si
certaine que nous paraisse Tobligation (den vom Papste ernannten
Nachfolger anzuerkennen), dans Thypoth^se d'une nomination directe,
nous sommes persuad^ que Thypoth^se est loin de devoir se r^aliser,
et nous croyons que le Pape ne peut pas, nwrdlefnent, recourir ä ce
dangerenx proc^d^.
1) Der Einwarf, dass die Papstwahl geändert hat, was nicht möglich
wire, wenn Christas dieselbe anter Strafe der Nallität vorgeschrieben hätte,
ist schon von anderer Seite gemacht worden. Man verwechselt dabei den Wahl-
modas, welcher ändern kann, mit der Wahl solbst, welche in einer Form immer
bei der Erhebang anf den päpstlichen Stahl bestanden hat, selbst bei der De-
signation durch Papst Felix IV., wenn aach B. behaaptet, es sei keine »^lection
proprement dite« gewesen and die Sache abzuschwächen sacht, indem er sagt,
>car Taccession impos^e avec partisans de Dioscore ne constitaait pas ane
veritabie election«. IiCtxtere Aaflfassong der Wahl Bonifaz II. vertritt neuer-
dings auch Sagmüller (QuarUlschrift 1903 p. 248—249).
2) S. dazu die vorige Anmerkung.
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86 Holder,
B. unterscheidet bei der Papstwahl durch normale äussere
Verhältnisse genügend garantierte Wahlfreiheit und schwierige, un-
ruhige Zeiten.
Im ersten Falle >la d^signation par le Pape de son successeur
semble, ä hon droit, compl^tement inadmisible. Apris Texemple peu
encouragant de F^lii IV., aprds les dures lefons du grand schisme,
on ne s'imagine pas un Pape exposant, de gaiet^ de coeur, et sans
raisons graves, PEglise catholique auz dangers d'un schisme, aux in-
cony^nients d'une administration plutdt subie qu'accept^, au retour
^yentuel de ces mSmes troubles ä chaque vacance; car ce qu'il anrait
fait, par hypothdse, dans une Situation normale, chacun de ses suc-
cesseurs pourrait le faire ^galeroent. Tant que des circonstances
ezceptionnelles ne n^cessitent pas des mesures exceptionnelles, le devoir
moral du Pape — car il ne s'agit plus de son pouvoir strict — est
de laisser la loi suivre son coursc Die Erklärung von Pius IV. vom
Jahre 1561 und 1565 die Papstwahl betreffend, bezieht B. auf die
normalen Verhältnisse bei derselben ; Papst Pius wollte nach B. zum
Ausdrucke bringen, dass unter gegebenen normalen Verhältnissen
der Papst auch mit Zustimmung der Kardinäle seinen Nachfolger nicht
ernennen kann. Aber auch wenn das projektierte Dekret erlassen
worden wäre, so könnte es nur positiv-kirchliches Recht enthalten
und dem Papste, ebenso wie die Gesetzgebung über das Konklave^
als Richtschnur dienen, welche er in normalen Verhältnissen achten
und gemäss welcher er ohne Not die kirchlichen Gesetze nicht auf-
heben und keine der Kirche schädlichen Massregel treffen soll.
B. setzt zweitens den Fall, die Kirche sei »dans des conditions
exceptionnellement difficilesc; kann man da auch noch aufrecht er-
erhalten, dass der Papst seinen Nachfolger nicht ernennen kann? Die
Antwort, die B. auf seine Frage gibt, ist gewunden und unbestimmt»
»Evidemment, la r^ponse sera plus h^sitante, car on ne peut pr^voir
toutes les circonstances ni se permettre de tracer au Pape sa ligne
de conduite. Mais cette r^serve faite, et autant que les le9ons de
rhistoire peuvent justifier une conclusion , il est permis de regarder
comme extrfemement improbable une d^signation, par un Pape vivant^
de son successeur. Car il faut toujour pr^voir les dangers et les
inconv^nients d'une teile mesure et se rappeler le schisroe de Dioscore ;
il faut se dire que Dieu ne s'est par engag^ ä faire mourir dans le
mois tous les antipapes; il faut songer que ce moyen extreme n*est
ni le seul ni le meilleur: le pr^cepte personnel impos^ aux ^lecteurs
et d'autres mesures sugg^r^es par les circonstances pourraient plus
efficacement parer aux difficult^ et avec moins de danger. c
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DtHgnationafrage nach den neuesten Forschungen. 87
B. weisst dann auf zwei Fälle ^) hin, in welchen sich die Kirche
in kritischer Lage befand und in welchen der Papst dennoch nicht
znm extremen Mittel griff, die Nachfolge darch Ernennung zu er-
ledigen. »L'Eglise, schreibt B., 8*est eile trouv^e sonvent dans une
sitaation aussi critique, aussi difficile que cette oü la laissait la
mort de Pie VI.? On moment de mourir, le saint Pontife ne
devait-il pas se demander avec anxiät^ oü et comment se räunirait
le conclaveP Et cependant il ne prit aucune mesure exceptionnelle
pour le choix de son successeur et s'en remit pour cela ä Dieu et
au Sacr^ Collage. Pie IX. a connu aussi des jours difficiles ; il s*est
pr^occup^ de la libert^ des ^lections pontificaies ; raais bien loin de
se donner un successeur, il s'est content^ d'adoucir, par des mesures
sp^iales, certaines prescriptions de la lägislation du conclave, et cela
senlement pour Mection de ses deux successeurs iram^diats.«
B. schliesst seine Abhandlung mit einem Blick auf die Gegen-
wart: »Aujourdhui on peut l'affirmer saus t^m^rit^, la Situation du
Saint-Siege, sans etre normale, semble plutdt moins difficile; aussi, sans
86 donner comme sp^cialement inform^, on peut croire que L^on XIII
ne songe pas ä prendre une mesure que Pie VI., il y a un si^cle,
et Pie IX. , il y a trente ans , n'ont pas jug^e n^cessaire , ni peut-
Stre meme possiblec.
Der Lösungsversuch von B. wird kaum jemanden befriedigen.
Wir unsererseits lehnen denselben und zwar die beiden Teile der
These ab, da wir einerseits nicht annehmen können, dass der Stifter
der Kirche, der als Gott all den Streit und all die Kämpfe, welche
sich , in Folge der menschlichen Schwächen , an die Besetzung des
obersten Hirtenamtes knüpfen, voraussehen musste '}, und Petrus als
Nachfolger bestellte, seiner Kirche nicht eine Weisung über einen
so wichtigen Punkt der kirchlichen Verfassung, wie die Bestellung
seines Stellvertreters auf Erden, hinterlassen habe, andererseits aber
nicht einzusehen ist, warum der Papst, falls er von Christus das
Becht erhalten hat, seinen Nachfolger zu ernennen , dasselbe nicht
auszuüben berechtigt ist, und zwar so oft er es für gut und zweck-
mässig findet.
1) Diesen Fällen kann man aus allen Jahrhunderten der Kirchenj^eschichte
lahlreiche andere beifQgen, mit dem Hinweis daraaf, dass die Päpste in diesen
F&Uen sehr oft sachten, die Papst wahlgesetzj^ehang zu vervollkommnen, nie
aber zu dem Mittel der Ernennung griffen. Näheres darüber weiter unten.
2) Vgl. dazu die Stelle im ersten KleroensbriefeandieEorinther (n. 44. 1)
wo es heisst. dass die Apostel durch Jesus Christus erfahren haben, dass einstens
Streit über das bischöfliche Amt entstehen würde.
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88 Holder,
Der These von Sabatier und Many tritt Cr. Peries^ früher
Prof. des Eirchenrechts an der kathol. Universität zu Washington,
entgegen und unterzieht, unter Beherrschung des Materials und mit
eingehender Literaturkenntnis*), auf breiter historischer und kano-
nistischer Grundlage, die Argumente der Vertreter des Designations-
rechtes einer Revision*).
Im ersten Teile seiner Schrift sucht Peries auf historischem
Wege nachzuweisen, dass sich die Vollgewalt des Papstes nach posi-
tivem Recht nicht auf die Ernennung des Nachfolgers bezieht. Hätte
Christus dem Papste das Recht gegeben, den Nachfolger zu er-
nennen^), so müsste man doch in Schrift und Tradition eine Spur
davon finden ; das »pasce ovesc so zu deuten, dass auch das »pastorem
instituerec darin inbegriffen ist, sei eine willkürliche Deutung. Den
Gegnern gegenüber, welche eine Tradition zu Gunsten des Desig-
nationsrechtes durch die Designationen der ersten Jahrhunderte, durch
die Verordnung des Symmachus über die Papstwahl, durch die Er-
nennung ihres Nachfolgers durch die Päpste Felix IV. und Bonifaz II.
als erwiesen hinstellen, weist P. darauf hin, dass die Designationen
der ersten Jahrhunderte gewichtige Empfehlungen, aber keine Er-
nennungen gewesen sind % da ja die Wahl nicht ausgeschlossen war.
Das Dekret des Papstes Symmachus kOnne auch nicht als Beweis
gelten, da der ganze Sinn der Verordnung auf eine Übereinkunft mit
den Wählern (de sui eleäume successoris decernere) nicht aber auf
eine Ernennung geht. Wenn das Dekret letzteren Sinn gehabt hätte,
80 wäre es doch zum mindesten auffällig, dass Symmachus nicht
selbst darauf bedacht war, sein Dekret auszuführen. Ferner kann
auch nicht eingewendet werden, der Papst habe das Recht nur in
Notmien, da, wenn das Dekret wirklich das Emennungsrecht fest-
legt, der Papst dasselbe in allen Fällen hat, weil nicht die geringste
Einschränkung gemacht wird.
1) I/interventioD da Pape dans T^leotion de son saccessear. Paris 1902.
(Zuerst erschienen im Ami da Clerg^ 1901, Nr. 26, 30, 38, 86, 40).
2) Der Aafsatz von Boadinhon scheint Peries entgangen za sein, ebenso
mein Aafsatz im »Katholikc.
3) Vgl. die Recensionen von A. Boudinhorit Balletin critiqae 1902 p. 292;
Stimmen aas M. Laach Bd. 62 (1902) p. 598; Charch Times 1902, 6. Joni; Strass-
barger Diözesanblatt 1902. Januarheft p. 89 n. s. w.
4) Vgl. das Argument von PhiUipa (Kirchenrecht V p. 738) , welcher
ausführt, dass es nicht anzunehmen ist, dass, wenn Christus den Päpsten durch
die Ernennung des Petrus zu seinem Nachfolger, das Recht gegeben hätte, das-
selbe zu tun, sie dem vom Meister gegebenen Beispiel nicht gefolgt wären.
Christus habe bei der Einsetzung des Petrus nicht als Mensch, sondern als
Gott und Herr der Kirche gehandelt
5) Dies ist die gewöhnliche Ansicht : Ducheane (Bulletin critiqae 1898
p. 286); Funk (Tabinger QuarUlschrift 1894 p. 174); Wurm, Die Papstwahl
1902 p. 8; Sägmüller j Literarische Rundschau 1902 Heft 9 und andere.
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DeHgnaiionsfrage nach den neuesten Forschungen, 89
Eingehend wird die von Papst Felix IV. vorgenommene Desig-
nation behandelt ^). P. hebt hervor, dass Papst Felix den Protest des
Klerus gegen die »bis dahin anerhörte Massregel, um sich denjenigen
Nachfolger zu sichern, in dessen Hände er am besten die Zügel ge-
borgen glaubte *)€, voraussah und seine eigenen Anhänger, die er
um sich versammelt hatte, im Falle der Weigerung des Gehorsams,
mit der Exkommunikation bedrohte. Felix hätte doch die voraus-
gesehene Opposition seiner eigenen Anhänger damit beschwichtigen
könneo, dass er darauf hinwies, Papst Symmachus habe das Ernennungs-
recht des Papstes gesetzlich festgelegt *), wenn letzteres, wie Many und
andere behaupten, der Fall gewesen wäre. Die Opposition der Majorität
des römischen Klerus, welchen zur Übergabe des Palliums an Bonifaz
nicht herbeizuziehen Felix IV. einen Qrnnd haben musste, konnte
der Papst dadurch verhindern, dass er erklärte, als römischer Bischof
habe er das Becht, seinen Nachfolger zu ernennen. Hatte Symmachus
auf der römischen Synode erklärt, der Papst könne mit den Wählern
fiber die folgende Wahl verhandeln, warum tat es dann Felix IV.
bezüglich der Ernennung des Nachfolgers, wenn er das Ernennungs-
recht hatte, nicht? Das wäre doch das gegebene Mittel gewesen,
um eine zwiespältige Wahl zu verhindern. Der römische Klerus,
dessen kirchlichen Sinn wir doch kaum anzweifeln dürfen, hätte
sicher in seiner grossen Mehrzahl ein im Primat enthaltenes und
durch Erklärung (oder event. Ausübung) bekanntes Becht des Papstes
anerkannt und die Kirche hätte sich, wie bei anderen Gelegenheiten,
z. B. beim Ketzertaufstreit ^), der Entscheidung des Papstes unter-
worfen. Doch von allem nichts. Felix IV. wollte im Gegenteil die
Wahlberechtigten vor eine vollendete Tatsache stellen und hoffte
seinem Erwählten, indem die Wahlberechtigten angesichts der ver-
hängten Exkommunikation auf eine Wahl verzichteten und die von
Felix vollzogene Wahl anerkannten, die Nachfolge zu sichern. Die
verhängte Strafe hielt jedoch die Mehrzahl des Klerus nicht ab,
unter Nichtanerkennung des vom Papste Gewählten, den Dioskur zu
wählen. Nach dem frühen Tode von Dioskur gaben die Wähler
1) Die neueste Daratellang bei Sägmüller, Qaartalschrift 1903 p. 235—44.
2) GrUar 1. c. p. 494.
8) Wenn WUtig, Qaartalschrift 1902 p. 407 hervorhebt, dass sich Papst
Felix bei der Dc'signation weder auf einen Vorgänger berofc noch etwas merken
laste, dass sein Vorgehen mit den Satzangen der Kirche im Widerspräche stehe,
so ist das jedenfalls kein Beweis, dass nach Felix die Designation mit dem
geltenden Recht vereinbar sei.
4) Dass sich der römische Klerus schliesslich unterwarf und dass die Ge-
sammtkirche den von Felix designirten Bonifaz als den rechtmässigen Papst
ansah, kann damit nicht auf eine Stufe gestellt werden.
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90 Holder,
nach, stellten keinen Qegenkandidaten aaf und anerkannten Bonifaz.
Diese Adhesion der Wahlberechtigten zur Designation des Bonifaz,
welche die Vertreter des Designationsrechts als irrevelant hinstellen,
ist 7on grosser Bedeutung. Wenn man den libellus, welchen die
Qegner von Bonifaz unterschreiben mussten, urgiren will, so kann
man dagegen geltend machen, dass Papst Agapit, der nicht judex
in propria causa war, diesen libellus öffentlich verbrannte und sich
gegen die Handlungsweise seiner Vorgänger ausgesprochen hat. Da-
raus geht, wenigstens indirekt, hervor, dass Papst Agapit das Er-
nennungsrecht des Nachfolgers als dem Papste zustehend nicht an-
erkannt hat.
Die Ernennung des Vigilius durch Bonifaz n. war ein Ver-
such, die von Felix IV. inaugurierte Successsionspolitik fortzusetzen ^).
Nachdem er ebenfalls die Wahlberechtigten unter Eid verpflichtet
hatte, die Ernennung des Vigilius anzuerkennen, widerrief er »quia
culpa eum respiciebat et reum confessus est majestatisc öffentlich
die Ernennung seines Nachfolgers. Wenn je, so waren damals die
Verhältnisse gegeben, den Nachfolger zu ernennen, wie es die
Wirren beim Tode Bonifaz zeigten. Im Widerruf des Bonifaz kann
man nur das Eingeständnis sehen, dass dem Papst das Ernennungs-
recht nicht zustehe.
Man kann die Handlungsweise von Felix IV. und Bonifaz II.
interpretiereo , wie die Vertreter der negativen Richtung es tun^
ohne mit der päpstlichen Unfehlbarkeit, welche wir als unserer
Kirche treu ergebene Söhne voll und ganz anerkennen, in Konflikt
zu kommen. Wenn uns von gegnerischer Seite entgegengehalten
wird, dass der Papst unfehlbar ist in der Erkenntnis des Inhalts
des Primats und dass der Syllabus den Satz verwirft, die Päpste
hätten je die Qrenzen ihrer Gewalt überschritten, folglich müsse
man die Handlungsweise von Felix IV. und Bonifaz II. als berechtigt
anerkennen, so kann man dagegen geltend machen *), »dass der Papst
in der Erkenntnis des Inhaltes des Primates nur dann unfehlbar ist,
wenn er als oberster Lehrer oder durch eine Anordnung die ganze
Kirche, d. h. die Gesammtheit verpflichtet. Die Bestimmung Felix IV.
bezog sich aber nicht auf die ihm untergebene Kirche, sondern auf
die Kirche nach seinem Tode, die ihm nicht mehr untergeben war.
Für diesen erst nach seinem Tode wirksam werdenden Akt besass
er nicht die Qabe der Unfehlbarkeit.
1) Daxa jetzt noeh Sägmüller 1. c. p. 244 £f.
2) J. G. Mayer, Kann der Papst seinen Nachfolger ernennen?
(Schweizerische Rundschau 1901/1902 p. 217).
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DfHgnationsfrage nach den neuesten Forschungen. 91
Der Papst hat die höchste Gewalt für die Leitung der Kirche^
80 lange er Papst ist. Die Wahl des Nachfolgers gehört nicht znr
Leitung der Kirche, sondern durch sie wird der Regent derselben be-
stimmt för eine Zeit, in welcher der jetzige Papst nicht mehr Ober-
haupt der Kirche ist, für die ihm das Hirtenamt nicht mehr zu-
kommt. Durch die Wahl des Nachfolgers würde er einen Akt vor-
nehmen, der erst nach seinem Tode in Kraft treten würde und der
die Glieder der Kirche verpflichten soll, welche zu jener Zeit nicht
mehr seine Untergebenen sind, weil seine Gewalt erloschen ist. Der
Befehl müsste vollzogen werden von denjenigen, welchen er nicht
mehr zu befehlen hat. Man kann sich auch nicht auf die Papst-
wahlgesetze berufen. Diese werden noch zu Lebzeiten des Papstes
wirksam und dauern daher über seinen Tod hinaus, eine Verordnung
aber, welche erst nach seinem Tode wirksam werden könnte, wird
dies überhaupt nicht. Durch Gesetz kann die Designation nicht an-
gewendet werden, weil dies nach dem Urteile aller zum Schaden der
Kirche wäre. Eine einfache Anordnung (praeceptum) überlebt aber
ihren Urheber nicht. Die Berufung auf das Testament des Papstes
ist unzulässig, denn dort verfügt er über Privatangelegenheiten,
nicht über die der Kirche ^).€
Einzelne Vertreter des Designationsrechtes werden durch ihren
Standpunkt selbst in einen Widerspruch verwickelt und in eine schiefe
Stellung zu der von ihnen in die Kontroverse gezogenen Unfehlbarkeit
des Papstes gebracht. Wenn Felix IV. durch die Ernennung seines Nach-
folgers zum Ausdruck brachte, dass der Papst das Recht dazu habe,
so lässt sich aus der Zurücknahme der Designation durch Bonifaz und
aus dem Geständnis, er habe durch die Ernennung seines Nachfolgers
gegen die Majestät Gottes^) oder der Kirche gesündigt, das gerade
Gegenteil schliessen. Ferner war Papst Bonifaz IL unfehlbar, ent-^
weder als er den Vigilius einsetzte, oder als er dessen Ernennung
zurücknahm. Ebenso kann die Handlungsweise von Papst Agapit
nur so gedeutet werden, dass er durch die Behabilitirung des Dios-
kur zum Ausdruck brachte, dass demselben durch die Verurteilung
von Bonifaz II. Unrecht geschehen und dass folglich die Wahl von
Dioskur nicht unrechtmässig war. Es hilft nichts, die Ausrede geltend
zu machen, bei der Ernennung des Vigilius seien die Bedingungen
für eine Designation nicht gegeben gewesen ; denn hat Bonifaz seinen
1) Mayer l. c. p. 217, welchem das Argaraent aasschlaggebend scheint.
CavagnU, Institutiones s. oben p. 74. Ptrie» 1. c. p. 80—81.
' 2) Nach SägmüUer, Quartal sehr ift 1903 p. 246 A. 3 braacht man den
Aasdmck nicht notwendigerweise auf die Majestät Gottes zq beziehen.
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02 Holder,
Nachfolger ernannt, ohne dass die Bedingungen für eine Designation
gegeben waren, so hat er auch, da nach der vermittelnden Richtung
der Papst nur in AusnahmeßLlIen designieren kann, in diesem Falle
seine Machtvollkommenheit überschritten. Aber auch dies dürfte mit
dem Syllabus schwer in Einklang zu bringen sein.
Aus diesem Widerspruch kommt man nur durch die Annahme
heraus, dass Papst Felix IV. bezüglich der Nachfolge, um Zwist und
Streitigkeiten bei der Wahl zu verhindern, eine Massregel zu er*
greifen suchte, welche, weil deren Wirkung über die Regierungszeit
des Papstes hinausgehend, nicht unter seine Machtvollkommenheit
und nicht unter seine Unfehlbarkeit fiel und von seinen direkten
Nachfolgern, als nicht in aedificationem , sondern in destructionem
Ecclesiae gereichend, fallen gelassen wurde.
Peries zieht bei der Beurteilung der Designation des Papstes
Felix noch ein anderes Moment in Betracht; er fragt sich, ob die
Authenticität und Integrität des praeceptum über allen Zweifel erhaben
sei, und ob sich die Vorgänge so abgespielt haben, wie sie das praeceptum
darstellt. Der Liber pontificalis berichtet nichts darüber, die Handschrift,
welche uns die Designation übermittelt, gehört dem 10. oder 11. Jahr*
hundert an ; von allen den Exemplaren des praeceptum, welche an allen
Kirchen Roms angeschlagen und von Papst Felix versandt wurden, soll
sich nur eine einzige spätere Copie in einem Eapitelsarchiv der Provinz
erhalten haben und eine solche ausserordentliche Begebenheit soll
schon bei den Zeitgenossen der Vergessenheit anheimgefallen sein!
und falls das praeceptum von Felix IV. herrührt »n'a-t-il ^t^, par-
tiellement au moins, altär^ dans sa teneur primitire pour Stre adapt^
ä des besoins posterieurs? Boniface, qui a imposä le renoncement
du clerg6 au souvenir de Dioscore, n*aurait-il pas pu, suppos^ quMl
füt un ambitieux d^pourvu de scrupules, ezpliquer ce document r^el
qu'il adressait ä des ^glises ^loign^es, pour aflfirmer sa Situation,
par Tadjonction d*autres pi^ces l^girement fraudäes dans leur forme,
ou une d^ignation serait transform^e en väritable nominationi)?€
P. verhehlt sich 'nicht, dass er Bonifaz IL eine Handlungsweise zu-
traue, welche mit der Würde eines Papstes kaum im Einklang steht,
aber fügt er hinzu »il faut envisager toutes les eventualit^s en face
d'un proc^d^ aussi anormal que celui du saint pape F^lix, alors
surtout qu'il ne nous est connu que pour une copie unique, grande-
loent postärieurec.
P. stellt sich femer, unter Voraussetzung der Authenticität
1) 1. c p. 74-75.
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Designaiionsfrage nach den neuesten Forschungen. 93
des praeceptum, die Frage, »si le pape F^lix, ä Täpoqae ou le prae-
ceptum fut xMigij jonissait encore de toate sa raison? A cette
äpoque il ^tait assuräment tres bas, en toat cas il ätait bien connu
pour etre soas Tinfiaence de son archidiacre, aaquel saint C^saire
d'Arles, ddsirenx d'obtenir la confirmation rapide du Concile d'Orangei
s^adressa de pr^f^rence aa pape lui-mSme. N'estril pas ao moins
Strange qne ces personnages »quorum interesse convenitt dont il est
parl6 dans le praeceptam, soient si pea oombrenx et qu'aacoD d*eax
ne soit mienx d^signä, m§me par sa qualitä ; ätraoge encore, qa'in-
flnents comme ils devaient Tetre, ^tant donn^e la rädnction finale
de lenrs adversaires, ils n*aient pas pa groaper aatour d'eux plus
d'adh^rents, lors de la consäcration de BonifaceP II demeure in-^
contestablement beaacoup d'obscarit^s sar tonte cette histoire, et il
sentit ponr le moins impradent de faire fonds principalement sur
eile ponr baser nne thäorie de droit snccessoral, qni en r^alit^, par
le fait de principe de r^gle dans la matiöre »ab actu ad posse valet
consecntioc affirmerait une origine divine^).
Seine Darlegungen über die Handlungsweise der Päpste Felix IV.
und Bonifaz U. sacht P. folgenderweise mit der p&pstlichen Un-
fehlbarkeit in Einklang zu bringen^: »Tont nons porte ä croire
qne la nomination d'nn successeur par le Pape, ayant apparemment
qnelqae chose de r^pngnant au droit divin et indubitablement au
droit eecläsiastique partout respect4, n'est par un de ces actes de
gouvernement g^n^ral susceptibles d'Stre prot^g^s par la pr^ervatiou
du don d*infaillibilit^ mais uniquement un acte personnel, d'allures
tout aux moins douteuses, en raison des dangereuses cons^quences
quMl entraine fatalement aprös lui. L'^tablissement de r^gles g^n^rales
ayant le caractire de lois, descendant mSme dans les d^tails les plus
minimes pour faciliter la digne et rapide transmission du souverain
pontificatt est du domaine des papes, charg^s par Jesus-Christ de
veiUer k la sauvegarde de l'Eglise ^et tout ce qu'ils d^terminent ä
cet ägard »snb poena nullitatisc relöve de leur autorit^ infaillible.
n faut toutefois distinguer attentivemement de ces actes les teota-
tives d'action personnelle« par lesquelles un pontife pourrait essayer
de se suryivre ä lui-m§me en transmettant här^ditaireroent son
pouypir. L*infaillibilitä du pape porte bien sur les doctrines, sur les
principes de gouvernement universel de TEglise, mais qui oserait
soutenir qu'elle s'ätende ^galement sur la d^termination de la valeur
morale et des capacit^s politiques ou religieuses d'un individu? Et
1) 1. c p. 75-76. — 2) 1. c. p. 77—78.
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Ö4 Holdtr,
poartant ce serait ä cela qa*il fandrait en arriver, si nous admettions
qne rinfaillibilit^ pontificale s'^tende jasqn'ä la nominatioQ da sqc-
cesseur. Un papo peut errer comroe doctear pri?^, tomber dans des
fantes graves, pratiqoer ane politique imprudente, tol6rer une m^-
thode d'administration moins parfaite que tels de ses pr^decesseors,
s'oublier mSme ä octroyer des favears tax^es de n^potisrae, tout
cela s'est vu, rinfaillibilit^ ne le pr^serve pas de ces faiblesses in-
tellectuelles et morales: corament pourrait-il Stre infaillible dans le
choix d'oD individa qu*il connatt moins que Id-mdme et dont il
peut jager cons^aement beaucoup moins ais^ment encore? Le con-
<;ours divin de Notre Seigneur pr^ervant son yicaire d'erreur n'est
pas da toat essentiel ici, et nons ne voyons pas poarqaoi on
Youdrait Tobliger ä le faire intervenirc.
Peries zeigt an einer Reihe von Beispielen, in welch misslicher
und trauriger Lage eine grosse Anzahl von Päpsten sich befanden,
and dennoch nicht zu dem nahe liegenden Mittel der Designation,
welche unter den gegebenen Verhältnissen als der einzige Ausweg
erscheinen konnte, gegriffen haben. Dies weist darauf hin, dass
die Päpste überzeugt waren, eine Ernennung ihres Nachfolgers
nicht vornehmen zu können, wie dies die Erklärungen von Paul III.
and Pius IV. ausdrücklich bezeugen. Wenn man einwendet, es handle
sich um die persönliche Meinung des Papstes und um eine Bestim-
mung des positiven kirchlichen Rechts, so ist ersteres allerdings zu-
zugeben, da die Publikation des von Pius IV. vorbereiteten Dekretes
sich nicht erweisen lässt; dagegen muss angenommen werden, dass
Pius persönlich überzeugt war, die Ernennung des Nachfolgers sei
gegen göttliches Recht, denn dass ein Papst, wenn er eine auf positiv
kirchlichem Recht beruhende Bestimmung abändert, als »pontifex
perditae mentisc und als »tanti sceleris auctorc in einem öfientlicheu
Konsistorium hingestellt wird, kann doch nur dadurch eine befrie-
digende Erklärung finden, dass nach Ansicht Pius IV. und seines
EardinalkoUegiums die Ernennung eines Nachfolgers, als gegen gött-
liches Recht verstossend, angesehen wurde ^). Wäre das Dekret er-
lassen worden, so wäre die Frage schon längst in dem Sinne gelöst,
in welchem sie nur eine befriedigende Lösung finden kann ; die jetzt
von unseren Gegnern so urgirte Designation des Papstes Felix IV.
würde sich, wie wir oben ausgeführt haben, damit ohne Schwierig-
keit in Einklang bringen lassen.
1) Und voraas^esetzt, es bandle sich bloss Qin die persönliche Meinang
des Papstes , so ergabt sich aus der Erklärang Pias I Y. die nnabweisbare
Konsequenz, dass der Papst samnit Kardinalkollegiam ein im Primat enthaltenes,
dnrch Ausübung zum Ausdruck gebrachtes Recht als solches nicht erkannt,
sondern sich dagegen ausgesprochen hat.
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Designationafrage nach den neuesten Forschungen» 95
Nachdem P. im ersten Teile seiner Schrift den Nachweis ver-
sucht hat, dass die Vollgewalt des Papstes sich nicht anf die Er-
nennung des Nachfolgers erstreckt, legt er im zweiten Teile (p. 118
bis 171) die theologischen und Vernanftgründe dar, welche den ersten,
positiven Teil ergänzen und stützen. Wir werden uns ganz kurz
fassen.
Den theologischen Beweis formuliert P. folgenderweise: »La
nomination de son successeur par le Pape ne saurait qu*engendrer
le mal de TEglise, r^sultat que le souverain Pontife, infaillible comme
il Test, ne peut vouloir. La question dite d'opportunit^ prend donc
ici un caract^re tel, qu'elle se transforme en question fondamentale
d'oü d^couleront les autres solutionsc
Die Gefahr des Schismas sei der Form der Bestellung des
Nachfolgers inherent, welcher Satz, auf gründliche Beweisführung
sich stützend, durchgeführt wird. Ist das aber der Fall, so kann
der Papst dies Recht nicht haben , da dasselbe zum Unheil der
Kirche gereicht. Wenn solche ausserordentliche Notfälle konstruiert
werden, dass im gegebenen Falle die Ernennung der einzig mög-
liche Ausweg sein würde, so könne man nicht von einem Recht,
sondern von einem Notbehelf reden, der im gegebenen Falle von
vornherein nicht nur die Zustimmung der Wahlberechtigten, sondern
auch der ganzen Kirche finden würde. Ähnliche Notfälle kennt die
Kirchengeschichte schon; in diesen Fällen suchten die Päpste sich
mit der Vervollkommnung der Wahlgesetzgebung auszuhelfen, griffen
aber nie zur Designation u. s. w.
Das zweite Argument von P. ist folgendes: »Les motifs de la
raison se r^ument ainsi: il est iropossible de disposer de la puis-
sance totale de son autorit^ au moment oü on en est dessaisi ; et si
on la retient, on ne la peut transmettre.
La nomination d'un successeur par le Pape encore r^gnaut ne
pourrait s'accomplir qu*en vertu d*une disposition testamentaire, d'un
pacte, d'un acte administratif ou d'une loi positive. Or aucun de
ces moyens ne peut §tre employä pour la transmission du souverain
pouvoir dans TEglise. II s'ensuit donc qu'il est impossible d'admettre
la nomination d'un successeur du Souverain Pontife. c
1. Nicht durch Testament: Das Prinzip der Vererbung der
geistlichen Gewalt widerspricht der Idee der Kirche, wie dies aus
der kirchlichen Gesetzgebung hervorgeht. Der Papst sei nur »man-
dataire du Christ und usufruitier de TEglisec und als solcher kann
er sein Amt nicht testamentarisch einem Nachfolger übergeben.
2. Ein Vertrag ist ausgeschlossen, denn dieser würde sich auf eine
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96 Holder^ DesignaHonafrage nach den neuesten Forschungen,
Sache erstrecken^ über welche der Papst nur »poavoir vicarialc hat,
und über welche er nicht als Herr der Kirche verfagen kann.
3. Nicht durch Verwaltangsakt , denn die Verwaltungsbefugnis des
Papstes erlischt mit seinem Tode; eine solche Bestellang wäre eine
Massregel, deren Wirkung eintreten sollte, wenn der Papst keine
Macht mehr hat (ce serait an acte d'ad minist ration transmettant la
totalit^ dn pouvoir au moment oü ce pouvoir n'existe plus). 4. Nicht
durch Gesetz, welches die Zustimmung der Wahlberechtigten an
einen yom Papste bezeichneten Kandidaten bindet; der Papst kann
Direktiven für die Papstwahl geben, welche bei seinen Lebzeiten
Gesetzeskraft erlangen, nicht aber durch eine gesetzliche Verfügung,
welche nicht ein Gesetz im eigentlichen Sinne, sondern »un acte
d'autorit^ personnelle restreinte ä un unique casc sei, nach seinem
Tode über die päpstliche Würde verfügen und der Kirche das
ihr mit dem Tode des Papstes zufallende Recht für den verwaisten
Stuhl zu sorgen, wegnehmen. Eine Aufhebung der Wahl gereiche
notwendigerweise »in destructionem Ecclesiaec, folglich müsse die Wahl
in der von Christus gesetzten kirchlichen Ordnung begründet sein.
Wenn wir nun einen Bückblick auf die neuesten Kundgebungen
in der Designationsfrage werfen, so ergibt sich, dass die ältere An-
sicht, welche dem Papste ein uneingeschränktes Recht zuspricht,
seinen Nachfolger zu ernennen, und welche beinahe gänzlich aufge-
geben war, neuerdings wieder Vertreter (Sabatier und in einem ge-
wissen Sinne Many und Boudinhon) aufweist.
Die zweite vermittelnde Richtung (Granderath, Hollweck, welchen
sich neuerdings Grisar und Sägmüller anschliessen) behauptet, dass
der Papst die Ernennung nicht als gewöhnlichen Besetzungsmodus
einführen, seinen Nachfolger aber in Ausnahmsfällen designiren kann.
Eine weitere Ansicht geht dahin, dass der Besetzungsmodus
des päpstlichen Stuhles nicht durch Christus geregelt wurde und
nicht auf göttlichem Rechte beruht, so dass absolut gesprochen,
Wahl oder Ernennung stattfinden kann (Many, Boudinhon).
Eine vierte Richtung endlich sucht die Lösung in der Ver-
neinung des Ernennungsrechtes des Papstes (Phillips, Holder, Peries).
Diese Lösung erscheint uns, weil sie den Schwierigkeiten am besten
gerecht wird, die natürlichste. Das einzige Argument von Wert,
welches die gegnerische Ansicht zu Gunsten des Ernennungsrechtes
des Papstes beibringt, nämlich die Designation des Bonifaz durch
Felix IV., ist, wie wir gesehen haben, keineswegs so unanfechtbar,
dass man darauf eine Successionstheorie von solch weittragender
Bedeutung aufbauen könnte.
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97
II. Kirchliche Alctenstücke und Entscheidungen.
1. Neuordnung der kircbliehen Verhältnisse auf den
Pbillpplnen dareh die Bolle Leo's XIII. Tom 17. 8ept. 1902.
LEO PP. XIII.
Äd fiäuram rei memariam.
Qaae, mari sinico oceanoqae pacifico circamf asae , latissime
patent insulae, atqae a Philippo II. Hispaniaram rege Philippinaram
Domen sunt matuatae, vix ab Hernando de Magalhanes, saeculo
XVI. ineunte, apertae sunt; statim, Gracis sanctisaimae simalacro
defixo in litore, et Deo sunt consecratae et catbolicae religionis
quaedam yelnti libameota babuerant.
Ex illo, Bomanis Pontificibas, accedente Caroli V. ac Pbilippi
eins filii hispanorum Regum egregio dilatandae fidei studio, nibil
antiqaias fait quam ut insulanos illos, idolatrico calta viventes, ad
Cbristi fidem tradacerent. Qood cunif opitalante Deo^ religiosis di*
versaran) familiaram alumnis strenae adoitentibus, secandissime
cederet; eo perbrevi aanorum spatio deventam est, ut Oregorius XIII.
de praefieiendo adolescenti Ecciesiae Antistite cogitarit, ac Hanila-
nnm Episcopatum institnerit. Goeptis felicibas, qaae postmodnm
secuta sunt incrementa plenissime responderunt. Concordibas enim
Decessonim Nostrorum atqae Hispaniaram Regam indastriis, deleta
servitas, incolae litteraram atqae artiam disciplinis ad bamanitatem
excolti, templa samptu magnifico erecta et instracta, aactus dioe-
cesium nameras ; at Philippinaram gens et Ecclesia merito excelleret
splendore civitatis, Religionis dignitate atqae studio. Sic nempe,
Begum bispanorum tutela datoque illis a Romanis Pontificibus pa-
tronata, recte atque ordine in Pbilippinis Insolis res catbolica ge-
rebatur. Verum quam illic armorum exitus publicae rei conversio-
nem band ita pridem attulit, pariter et sacrae intulit. Nam, de-
missa ab Hispanis ditione, patronatus etiam hispanoram Regum
desiit. Quo factum est ut Ecclesia in potiorem libertatis conditio-
nem devenerit, parte quidem cuique iure salvo atque incolumi. —
Haie porro novae rerum conditioni, ne inde vigor ecclesiasticae
disciplinae in discrimen veniret, qui modus agendi, quae temperatio
Archiv flir Kircii«urM>bt. LXXXllL
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d8 kirchliche AhtenBtacke
responderet, nulla mora atqae sedulo inquirendorD fait. Hanc ob
rem, Venerabilem Fratrem Placidum Ludovicam Ghapelle, Novae
Aareliae Archiepiscopum, Delegatum Nostnim, extraordinario munere,
in Philippinas Insalas misimas, qui, rebus coram inspectis qaaeqae
luoram et snstentationem qoq haberent, ordinatis, ad Nos referret.
Delatutn officium is quidem pro fiducia Nostra explevit; dignus
propterea quem merita honestemus laude. Postea contigit ex auspi-
cato ut regimen ciyitatum Americae Foederatarum per legationem
singularem cum hac S. Sede coasilia directe conferre susceperit
circa modum nonnuUas rem Catholicam in Philippinis Insulis respi-
cientes quaestiones dirimendi. Goeptis libenti quidem animo fovimus
et negotiatorum navitate ac moderatione infantibus, facile patuit
aditus ad compositiouem quae nunc ipso in ioco curanda erii Quae
igitur, auditis sententiis nonnuUorum S. B. E. Cardinalium S. Gon-
gregationis extraordinariis negotiis praepositae, diuturnoque consilio
agitata Ecclesiae rationibus in Philippinis Insulis conducere maxime
Visa sunt, praesenti Gonstitutione Apostolica edicimus et publicamus,
sperantes fore ut, quae Nos suprema Auctoritate constituimus, public!
Begiminis aequitate ac iustitia favente, studiose sancteque obser-
ventur.
I. — De nova Dioecesium circumscripHane. — Primum igitur
de Hierarchia sacra amplificanda mens est ac propositum. Gonstituta
quidem, ut diximus, a Gregorio Xlll., Manilana dioecesi, aucto sen-
sim fidelium coetu tum indigenarum, qui catholica sacra suscipereut,
tum ex Europa advenarum, Glemens VIII. Episcoporum numerum,
qui praeessent, augendum censuit. Quare Manilanam Ecclesiam Ar-
chiepiscopali titulo honestavit eidemque, tribus institutis dioecesibus,
Episcopos Gebuanum, Cacerensem ac Neosegoviensem suffraganeos
esse voluit. His porro, anno 1865, additus est Episcopatus larensis.
Attamen dioecesium harum ea est amplitudo ut, ob intervallum quo
loca dissociantur, atque itinerum difficultatem, vix contingat Episcopis
illas nisi summo labore quoquoversus lustrare. Quamobrem suadet
necessitas ut, nacti opportunitatem temporum, antiquas dioeceses
arctiori termino definiamus, aliasque de integre addamus. Eapropter,
Manilano Archiepiscopatu ac dioecesibus Gebuana, Gacerensi,. Neo-
segoviensi et larensi servatis, quatuor insuper adiicimus et insti-
tuimus dioeceses; Lipensem videlicet, Tuguegaraoanam , Gapizanam
et Zamboangensem, universas, ut ceterae, Hanilanae Metropoli suf-
fraganeas. In Marianis praeterea Insulis Praefecturam Apostolicam
creamus, quae Nobis ac Successoribus Nostris, auctoritate nulla in-
terposita, pareat.
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und tSniaeketdunfteH. §9
II. — De Metropdüa deque Suffraganeis B^copis. — Me-
tropolitani titulo, qai potiatur, in Philippinis Insolis udqs esto, Ar*
cbiepiscopus Hanilanas ; episcopos ceteros, tum qai antiquas obtinent
sedes tarn qoi recens institutas tenebunt, eidem sobesse oportet,
saffraganei officio atque nomine. Quibus vero iuribus Metropolita
fraatur quibosqae polleat muneribas, ecclesiasticae leges, qaae modo
vigent, edicont. Qaas quidem dum leges in?iolate servari volamus,
volurnns etiam Hetropolitam inter et suffraganeos integra esse sem-
per ftanctae amicitiae et caritatis vincala, eaque officiis mutais, con-
siliorum commanicatione atque episcopalibus praesertim coetibus pro
locoruro intervallis frequentius agendis, arctius in dies firmari et
obstringi. Maximarum enim utilitatum parens est atque custos
animorum concordia.
ni. — De Capittdo Metropolüano deque CapUtdis Ecdesia-
rum stfffraganearum. — Canonicorum collegio honestari Ecclesiae
Metropolitanae decus et splendor postolat. Quae vero stipendia
Canonicis singulis, elapso tempore, ab hispano regimine numerabantur,
unde in posterum peti debeant, Delegatus Apostolicus videbit ac
soggeret. Quod si, reddituum exiguitate, numerus Canonicorum, qui
adhuc fuit, servari band quiverit, sie ad pauciores contrahatur, nt,
minime subductis iis qui dignitatum nomine veniunt, ad decem sat-
tem censeantur. Archiepiscopus autem tum dignitates dictas et Ga-
nonicatus, tum universa, quae in Ecclesia Metropolitana sunt, bene-
ficia privo liberoque iure confcret: iis quidem exceptis, quae vel
communi lege, Sedi Apostolicae reservantur, vel in cuiusvis patronatu
sunt, vel concursus conditione obstringuntur. In ceteris porro ca*
tbedralibus templis constitui Canonicorum coUegia vehementer opta-
mus. Quod quamdiu perfici band poterit, Episcopi vires aliquot,
pietate, scientia, gerendarum rerum usu conspicuos, e gemino clero
delectos, Consultores babeant, prouti scilicet in dioecesibus aliis, Ca-
nonicorum coetu similiter carentibus. Ne vero eiusmodi cathedralibus
aedibus, quae Capitulo carent, sollemnium sacrorum dignitas desi-
deretur, Consultores, quos modo diximus, Episcopo operanti adstabunt.
Qui si ratione aliqua praepediantur, Episcopus alios e clero cetero,
tarn saeculari quam regulari, digniores sufficiet.
IV. — De sede vacante in Dioecesibus suffraganeis. — Dioe-
cesis suffragauea quaevis, Collegio Canonicorum expers, si Episcopo
orbari contigerit, eam Metropolita administrandam suscipiet: qui si
deerit, propinquiori Episcopo procuratio obveniet, ea tamen lege ut
Vicarias quamprimum eligatur. Interea vero demortui Episcopi
Vicarius generalis dioecesim moderetur.
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16Ö kirchliche Akienstikcke
V. — De dero saeculari, — Qaoniam experiendo plane com-
pertoro est, clerum indigenam peratilem ubique esse, cnrent diligenter
Episcopi ut indigenaram sacerdotam numerus angeri valeat; ita
tarnen ut illos antea ad pietatem omnem ac disciplinam instituant,
idoneosque norint, quibns ecciesiastica mania demandentar. Qaos
vero usus et experientia praestantiores ostenderit, eos ad potiores
procurationes gradatim advocent. Id vero maxime commendatam
habeant qai in clero censentar, ne abripi se partium studiis unquam
sinant. Quamvis enim communi lege sit cautum, ne qui militat Deo
se implicet negotiis saecularibus ; peculiari tarnen modo, ob tempo-
rum rerumque adiuncta, bt)c in Philippinis insulis ab bominibus sacri
ordinis devitandum ducimus. Praeterea, quoniam animorum coniunctio
praecipua vis est ad grandia quaevis atque utilia perficienda, eam,
pro religionis böno, sacerdotes omnes, nulla exceptione, sive e sae-
culari clero sint, sive in religiosis familiis censeantur, inter sese
studiosissime foveant. Decet sane ut qui unum sunt corpus unius
capitis Cbristi, non sibi invicem invideant, sed unius sint voluntatis,
caritate fraternitatis invicem diligentes. Cui quidem caritati pro-
vehendae disciplinaeque simul vigori servando, meminerint Episcopi
prodesse plurimum synodales conventus subinde cogere, pro oppor-
tünitate locorum ac temporum. Quod si faxint nna erit facile om-
nium sentiendi ratio unaque agendi. Ne vero conceptus semel ardor
in cleri bominibus deferveat, et ut virtutes sacerdotio dignae re-
tineantur et crescant, pium spiritualium Exercitiorum institutum vel
maxime conducit Curent idcirco Episcopi ut quotquot in sortem
Domini vocati sunt, tertio saltem quoque anno, in opportunum locum
ad aeternarum rerum meditationem secedant, quo scilicet acceptas a
mundano pulvere sordes eluant et ecciesiasticum spiritum instaurare
qneant. Satagendum insuper est, ut sacrarum disciplinaruro Studium
frequenti exercitatione in clero vigeat: Labia mim sacerdatis cw-
stodierU scientiamt quo nempe docere possit fideles, qui legem re-
quirent de ore eius. Nihil vero ad hunc finem aptius quam coUa-
tiones habere saepius, tum de re morum, tum de liturgicis quae-
stionibus. Quod si asperitas itinerum, contractus sacerdotum nume-
rus, aliaeve id genus causae conventus eiusmodi ad disceptandum
impediant, Optimum factu erit, si ab iis qui coetui interesse neqaeunt
praepositae quaestiones scripto enodentur et Episcopis Statute tempore
submittantur.
VI. — De Seminariis. — Quanti faciat Ecclesia adolescentium
seminaria, qui in cleri spem educantur, perspicere licet ex Triden-
tinae Synodi decreto, quo ea primum sunt instituta. Oportet idcirco
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und Entacheidufu/en, 101
Episcopos omnem operam iodostriarnque impendere ut domum in sua
quisqae dioecesi habeat, in quam tiranculi militiae sacrae a teneris
recipiantur atque ad vitae sanctimoniam et ad minores maioresque
disciplinas formentar. Consaltius autem erit si adolescentes, qui lit-
teris Student, aliis ntantar aedibns; aliis vero iavenes, qui, littera-
rum cursn emenso, in philosophiam ac theologiam incumbunt. Utro-
biqne autem alumni perpetuo degant, quoad sacerdotio, si meriti
quidem füerint, initientnr; nuHa unquam, nisi ex gravi causa, facul-
tate facta ad suos remeandi. Seminarii regimen Episcopus optimo
cuique demandet, sive e saeculari clero sive e regulär! , qui Efcilicet
regendi prudentia usuque praestet vitaeque sanctitate praecellat.
Quae autem a Nobis Nostrisque Decessoribus saepe sunt edicta,
abunde docent quo pacto quove modo in sacris seminariis studia
sint ordinanda. Sicubi vero Seminarium desit, Episcopus alumnos
dioecesis suae in viciniorum dioecetium Semiaträs educandos curabit.
NuUa insuper ratione permittant Episcopi ut Seminarii aedes ulli
pateant, nisi iis adolescentibus qui spem afferant satt Deo per sacros
ordines mancipandi. Qui yero ad civilia mania institui volent, alias,
si res sinunt, obtineant aedes, quae convictus vel collegia episcopalia
nuncupentur. Illud denique cavendum summopere, ex Apostoli prae-
cepto, ne cuipiam Episcopi cito manus imponant; sed eos tantum ad
Sacra evehant sacrisque tractandis adhibeant qui diligenter explorati,
debitaque scientia ac virtute exculti, omameoto dioecesi usuique esse
possint. E seminario autem egressos ne sibi permittant penitus; sed
ut ?itent otia nee sacrarum scientiarum studia intermittant , con*
silium est quam optimum illos, quinquennio saltem a sacerdotio
suscepto, periculo quotannis subiicere de re dogmatica et morum^
coram doctis gravibusque viris faciendo. Quia vero aedes Romae
patent etiam iuvenibus e Philippinis insulis qui maioribus disciplinis
dare operam yelint, pergratum Nobis eveniet si Episcopi delectos
subinde adolescentes buc mittent, qui religionis scientiam, in ipso
veritatis centro acquisitam, cum suis deinde civibus utiliter com-
municeut. Sancta autem baec Sedes pro sua parte curabit oppor-
tunis modis ad potiorem culturam melioremque ecclesiasticam formam
clerum saeeularem provehere ita ut apto tempore reperiatur idoneus
qui cleri regularis partes in pastoralis muneris procuratione suscipiat.
VII. — De ReUgiosa puerorum erudüiane detpue Manilana
Studiorum Universitate. — Verum non ad ecclesiastica solum semi-
naria Episcoporum industrias spectare oportet: adolescentes eqim e
laicorum ordine, qui scholas alias celebrant, eoruro etiam curis et
provideutiae demandantur. Est igitur Antistitum sacrorum officium
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102 KircMiche AfUenstücke
omni ope adnitif ut puerorum animi, qui publice litteris imbuuntur,
religionis scientia ne careant. Quae ut rite tradatur, videant Episcopi
ac perficiant at et magistri tanto muneri sint pares, et libri qui
adbibentur« nulla inficiantar enrorum labe. Quouiam autem de scbolis
publicis sermo incidit, Lycenm magnum Manilauun), a DomioiciaDis
Sodalibus Innocentii X. auctoritate couditum, merita sine laude
praeterire nolumus. Quod, quia doctrinae iutegritate praestantiaque
doctornm flornit Sempera neque exignas peperit utilitates, non modo
ab Episcopis omnibus benevole haberi cnpimns, sed in tutelam No-
stram Nostrornmqne Successornm ultro recipimus. Quare, privilegia
et boDores a Romanis Pontificibns Innocentio X. et XI. et demente XIT.
eidem concessa plenissime confirmantes, illud Pontificiae Dniversitatis
titnlo angemus, quiqne gradns accademici in eo confernntur, eandem
vim babere volnmus, quam in ceteris Pontificiis üniversitatibus ob-
tinent. , ,,^.
VIII. — J)e Begularibu^. — Opportunitatibus novi in regione
illa rernm ordi^is concedens S. baec Sedes Apostolica statuit tem-
pestivis provisionibus r^igiosis viris adesse qui redire intendunt ad
vitae rationem sui Tnstituti propriaro, deditam nempe omnino sacri
ministerii operibus bonorum in Yulgus morum profectui rei cbristianae
civilisque pacifici convictus incremento. Aluronis ergo religiosarnm
familiarum enixe commendamus, ut quae, nuncupatis votis, officia
susceperunt, sancte impleant, nemini tdlam offensionem datUes.
Praecipimus ut clausurae leges inviolate servent ; quapropter teneri
omnes volumus decreto illo, quod, editum a Congregatione super
Episcopis et Regularibus die 20. Julii 1731, Clemens XII. decessor
Noster Litteris apostolicis Nt^er pro parte die 24. augusti eiusdem
anni confirmavit. Clausurae autem ea sit norma iique sint fines,
quae decreto alio edicuntur, a S. Congregatione Propagandae Fidei
die 24. augusti 1780 Pio VI. approbante, interposito. Ceterum Be-
ligiosi viri, quotquot in Philippinis versantur, illos summopere re-
vereri atque observare meminerirt, quos Spiritus Sanäus pomii re-
gere ecdeaiam: et arctissimo Concor diae et caritatis foedere cum
saeculari clero coniuncti, nibil antiquius babeant quam in opus mi-
nisterii, in aedificationem corporis Christi, sociatis studiis, vires om-
nes intendere. Porro ut dissensionum elementa penitus eradantur,
in Philippinis etiam Insulis observari in posterum volumus Consti-
tutionem Firmandis a Benedicto XIV. datam 8. id. novembris 1744,
itemque aliam Romanos Pontifices, qua Nos 8. id. maii 1881 non-
nuUa controversiarum capita inter Episcopos et Missionarios Regu-
läres in Anglia et Scotia definivimus.
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und Entscheidungen, 103
IX. — De Paroeciis. — Qnae paroeciae carionibus e Beligiosis
Familiis sint demandandae Episcopi videant, collatis sententiis cam
dammdem Familiarom Praesidibas. Quod si qnaestio de ea re oria-
tar, nee privatim componi qaeat, causa ad Delegatam Apostolicnin
deferetor.
X. — De Missianibus, — Ad cetera argumenta, quibus Ec-
clesia magistra opportune cavetur ne fides morumque integritas
aliaque ad aeternam animorum salutem pertinentia detrimentum
capiant, accedunt equidem summaeqne sunt ntilitatis spiritualia
Exercitia quaeqne vulgo Missiones audiunt. Optandum quapropter
omnino est ut, in provinciis singulis, singulae saltem condantur
domas, octo plus minus Beligiosis viris excipiundis, quibus sit unice
praestitutum urbes subinde ac pagos lustrare dictaque modo ratione,
sacris concionibus populos excolere. Quod tamen, si fidelibus utile,
necessarium profecto illis est, qui Evangelii lucem nondum bauserunt.
übi igitur agrestes adbuc gentes occurrunt imniani idolörum cultui
addicti, sciant Episcopi et sacerdotes teneri ad earuiti'conversionem
curandam. Quare inter illas etiam stationes fundentur pro sacer-
dotibos qui apostolico munere fungantur, nee solum idololatras ad
cbristiana sacra traducant, verum etiam pueris instituendis dent
operam. Hae porro stationes sie ernnt ordinandae ut deinde op-
«portuno tempore ad Praefecturas vel Vicariatns Apostolicos evehi
queant. Ne autem qui ibidem sacris oecupantur necessaria ad victum
promovendamque fidem desiderent, hortamur ut in dioeeesi quaque,
incolumi quidem Lugdunensi Institute quod a Propagatione Fidei
appellatur, peeuliares coetus instituantur virorum ac foeminarnm,
qui fidelinm symbolis eolligendis praesint, coUeetasque Episeopis
tradant, Missionibus aequo iure ex integre distribuendas.
XI. — De diseiplina ecelesiastica. — Gonciliandae eiere fidelium
existimationi nibil eondueit effieacius , quam , si quae sacerdotes do-
eent verbo, ea simul opere compleant. Cum enim ut Tridentina
Synedns inquit, a rebus saeeuli in altiorem sublati locum eonspi-
ciantur, in eos tamquam in speeulum reliqui oculos coniieiunt ex
iisque sumunt quod imitentur. Quapropter sie deeet omnino elerieos
vitam rooresque sues omnes componere ut babitu, gestu, incessu,
sermone, aliisque omnibns rebus, nil nisi grave, moderatum ac re-
ligione plenum prae se ferant; levia etiam delicta, quae in ipsis ma-
xima essent, eftugiant, ut eorum actiones eunetis afferant venera-
tionem. Sed enim pro hae disciplinae ecclesiasticae instauratione
proque plena Constitntionis buius Nostrae exequntione Venerabilem
Fratrem loannem Baptistam Ouidi Archiepiscopum Stauropolitanum,
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104 Kirchliche Aktenstücke
Delegatnm Apostolicum extraordinariniu ad Philippinas insnlas mit-
timas, Personam Nostram illic gesturam. Gai propterea opportonas
triboimas facultates; insuper etiam in mandatis dedimoa ut pro-
fincialem SyQodam quam primum per adiuocta licaerit, indicendam
ac celebrandam coret.
Xn. — Änimorum pacificatio ac revereniia in eos qui prae-
sunt habenda. — Restat modo ut ad Pbilippinaram incolas nniversos
paterna caritate sermonem convertamus, eosque maiore qua possnmas
contentione hortemur, at unitatem servent in vinculo pacis. Postulat
hoc christianae professionis officium: Maiar est namgue fraiemitas
Christi quam sanguinis: sanguinis enim fraiemitas sivMHuäinem
tantummodo corporis refert, Christi aidem fratemitas unanimitatem
cordis animaeque demonstrat, sicui scriptum est, Act, 2F, 33 : Mulr
tHudinis autem credentium erat cor unum et anima una. Postulat
religionis bonum, quae prima fons et origo fuit earum laudum, qni-
bus Philippinarum gentes luperiore tempore floruerunt. Postulat
denique sincefa Caritas patriae, quae ex publicis perturbationibus
nil nisi damna capiet ac detrimenta. Eos qui imperium tenent ex
Äpostoli praescripto, revereantur, omnis enim potestas a Deo est.
Et quamvis longinquo oceani spatio a Nobis seiuncti, sciant se esse
in fide Apostolicae Sedis, quae sicut illos peculiari complectitur di-
lectionCf tutandarum ipsorum rationum nunquam curam abiiciet»
Decernimus tandem bas nostras litteras nuUo unquam tempore de
subreptionis aut obreptionis vitio, sive intentionis Nostrae alioque
quovis defectu notari vel impugnari posse et semper validas ac
firmas fore, suosque effectus in omnibus obtinere, ac inviolabiliter
observari debere, non obstantibus Äpostolicis atque in synodalibus,
provincialibus et universalibus Conciliis editis generali bus vel spe-
cialibus sanctionibus, nee non ?eterum sedum Philippinarum etMis-
sionum inibi constitutarum et quarumcumque Ecclesiarum ac piorum
locorum iuribus aut privilegiis, iuramento etiam, confirmatione Apo-
stolica aut alia quacumque firmitate roboratis, ceterisque contrariis
quibuscumque , peculiari etiam mentione dignis; quibus omnibus
quatenus supra dictis obstant, expresse derogamus. Irritum quoque
et inane decernimus si secus super bis a quoquam quavis auctoritate,
scienter ?el ignoranter, contigerit attentari. Volurous autem ut ha-
rum litterarum exemplis etiam impressis, manuque publici Notarii
subscriptis et per constitutum in ecclesiastica dignitate virum suo
sigiUo muoitis, eadem habeatur fides quae Nostrae Yoluntatis signi^
ficationi, ipso hoc diplomate ostenso, haberetur. NuUo ergo hominum
liceat haue paginam Nostrae erectionis, constitutionis, restitutionis,
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und EnischHdungen, 105
dismembrationis, sappressionis, adsignationis» adiectioniSf attribationis,
decretif mandaü ac voluntatis infringere, vel ei aasa temerario cod-
traire. Si qais autem baec attentare praesumpserit, indignationem
omnipotentis Dei et beatorum Petri et Panli Apostoloram Eins se
noverit incarsnnim.
Datam Bomae apnd S. Petram sab Annnlo Piscatoris die
17. Septembris 1902. Pontificatas Nostri Anno Vigesimo qninto.
L. t S. Ahis. Card. Macehi.
2* Beform des Traplstenordens dnreh Litt. Apost. Leo's XIII.
TOm 80. JuU 1902.
LEO PP. XIIL
Ad perpetuam rei fnemoriatn.
Non mediocri sane animi Noatri sobtio percipere licnit, nnita-
tem comnmnionemqae vitae, iam inde ab anno > 1892 inter yaria
Gisterciensiom Trappistarnm Institnta feliciter initam, firmiorem
temporis diaturnitate eifici nberioresque in dies frnctas usqne eo
proferre, ot vetastos ipse Gisterciensis Ordo ad pristina exempla vir-
tntis alacrius reno?anda excitatus propemodnm yideatnr. Qai pro-
fecto Ordo» a Roberto, viro sanctissimo, Abbate Benedictino Mo-
lesmensi, anno Christiane 1098, anspicato eductas, mirnm quantam,
cnra praesertim et studio Bernardi Doctoris, propagari potent.
Memorata antem, ne plara revocemas, digna occarrit potissimnm
animis praeclarae Congregationis Saviniacensis, qnae Trappensis Ab-
batiae anno 1140 erectae praefecturam gerebat, ad Ordinem Cister-
ciensinm accessio, ab Engenio III. Decessore Noatro, Litteris datis
die 19. Septembris anno 1147, pleno cumnlateqae approbata. Om-
nibos yero in comperto est, quam aspera vitae ratione, et quam
eximia morum sanctimonia perillnstris bniasce Ordinis Sodales in
exemplnm flornerint, quantaque Ecclesiae Catbolicae reiqne ipsi civili
tunc attalerint emolomenta. Verum, labentibas annis, tempornm plane
ininria et volantatam remissione, a primaeva regularis disciplinae
observantia panllatim deflectere et latiori vivendi formae indnlgere
animi coepemnt. Quo factum , ut quae antea praescripta et usitata
essent, ea rursnm in obsequium redigenda, et qualia in prima Or-
dinis aetate viguerant, religiosissime esse custodienda, ad unum fere
omnes fateri eogerentur. Hinc non panca instaurandae emendationis
conamina et ezperimenta haud semel peracta, ex quibus pinres illae
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106 Kirchliehe AkienBtüeke
Cisterciensis Ordinis Gongregationes originem duxisse noscuntar, quae,
ad vitae rationem singalis accommodatam et noviter liberam enitentes,
a Sede parente atque altrice, atqae ab obedientia Abbati Generali
olim praestita pedetentim discedere, saique fere iuris effici saeverant.
Dum aliud aliis placeret, et interioris dissimilitudine communitatis
ceterae distarent, una religiosae disciplinae restitutio et emendatio,
quae, ob arctius vivendi genus, Strictioris Ohservantiae nomine de-
Signatar, exeunte saeculo XVI, cogitatione et industria Dionysii
Largentier Clarae Vallis Abbatis, Deo adspirante, in Gallias invecta,
Cistercio semper unitam Abbatique Oenerali fidelem sese subiectamque
continenter praebuit. Tpsam autem ab Alexandro VII. Decessore
Nostro, datis Litteris die 19. Aprilis anno 1666, rite probata, tarn
celeri temporis et eventuum faustitate increbuit, ut perbrevi vel
plurima coenobia numeraverit, quae inter, conspicuum procul dubio
locum eumque praecifmum obtinuit Trappensis Abbatia, cui provi-
dentissimi Numinis donsilium longe praestantiora constituerat. Eins
enim Sodalibus id usu veiiit, ut, commota Oallicae seditionis vi e
patria in exiliumpulsi, disciplinae suae famam ultra Europae limites
circumferre, permultisque sensim coenobiis in Gongregationes post-
modum coalescentibus, opportune et frugifere erectis, maximis Ec-
clesiae et hominum societatis temporibus, utrique egregio praesidio
et omamento esse valuerint. Quae quidem coenobia, in Oalliis pri-
mum, Gregorius XVI. Decessor Noster in unam Congregationem,
proprio Vicario Generali praeditam , sub praeside tarnen Moderatore
Generali Ordinis Cisterciensis, coögit; Pius vero IX., Noster item
Decessor, in duas Gongregationes, cum suo utrasque Vicario, divi-
denda censuit. Nos autem tuen cupientes regulärem disciplinam,
et, quae Nostrae sunt partes, omni cura et officii soUicitudine in-
crementum et prosperitatem diversarum Gongregationem Trappensium
Ordinis Gisterciensis provehere, iam inde ab anno Domini 1892, quod
magnopere ad rem conduceret, perlibenter mandavimus, ut Generale
earumdem Gongregationum Gapitulum in hac alma Urbe ad id
celebraretur, quod inter alia, de ipsarum coniunctione et regimine,
praesertim ac praecipue, agere posset. Gum autem vota Nostra sat
iropleverit exitus, et Gapitularium qui Bomam dicto audientes con-
venerant, consilia et exempla, uti par erat, ad spem cesserint, om-
niumque consensu decretum fuerit, ut tres Gisterciensium Trappista-
rum Observantiae Westmallensis, Septemfontium et Mellearensis unum
tantum Ordinem Gisterciensium R^onnatorum B. M. V. de Trappa,
sub unius Superioris regimine constituerent , Nos datis ,Litteris in
forma Brevis die 12. Martii 1893, non solum baue optatam unita-
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und BnUcheidungen, 107
tem ratam babuimas et confirmaviinas, sed etiam bnnc ipsam Or-
dioem aatonomam esse, sab anias Apostolicae Sedis dependentia,
salvis iaribus Ordioarioram locoram iaxta Gonstitationes Apostolicas
et Institatif declaravimos, decernentes ut cetera capitalariter proposta
insererentar Coustitutionibus infra annam Sacrae Episcoporam et
Begularium Gongregationi exbibendis. Cum vero Coostitntiones,
quas inemoravimus , ab eadem Sacra Congregatione ratae babitae
sint, tempus autem adhac asque ezactnm operis perfecti gravitatem
confirmayerit, dilectas Filias Sebastianus Wyart, Abbas Oeneralis
dicti Ordinis, Nobis demissas preces supplicationesque porrexit, at ad
maiorem eiusdem Ordiois stabilitatem firmandam atque animoram
utilitatem fovendam, non solam CionstitutionibQS ipsis Apostolicae
confirmatioDis robar adiicere, sed et de privilegiis ad eamdem Or-
dioem spectantibus decemere ac alia desnper opportune providere de
benignitate Apostolica dignaremar. Nos, igitufi .Cisterciensium Re-
formatoram quieti et prospero statai ampüas coDsulere, eosque, ut
ad Dei laudem et Ghristifidelium aedifiatioiMm felicioribus io dies
proficere valeant incrementis, specialibus favoribus et gratiis prosequi
Tolentes, necnon singulas Abbatis Oeneralis, aliorumqne Abbatum et
Monachorum praedictoram personas a quibusvis excommanicationis et
interdicti, aliisque ecclesiasticis censuris sententiis et poenis, quovis
modo vel quavis de causa latis, si quas forte incurrerint, buius tan-
tum rei gratia absoWentes et absolutas fore censentes, ad buiusmodi
supplicationes benevole excipiendas inclinati, Gonstitutiones, quas iam
diximus, omniaque et singula quae in eis continentur, Apostolica
auctoritate, praesentium Litterarum vi, perpetuo approbamus et con-
firmamus, illisque perpetuae et inviolabilis Apostolicae firmitatis ro-
bur adiicimus. Praeterea statutam Unionem inter Gisterciensium
Trappistarum Obseryantias Westmallensem , Septemfontinm et Mel-
learensem, earumdemque in unum Ordinem sub unius Superioris re-
gimine erectionem iterum approbantes et confirmantes , volumus ac
statuimos, ut eidem Ordini postea hoc nomen sit Ordo Cisterciensium
B^eirmabmm seu StricHoris Observantiae^ illiusque princeps et
honore et auctoritate Domus, Sedesque Titularis in perpetuum cuilibet
Abbati Oenerali eiusdem Ordinis sit Monasterium Gistercii yetus et
darum, unde Gisterciensis Familia initium duxit. Abbati insuper
Oenerali aliisque Abbatibus et Sodalibus Reformatis seu Strictioris
Obseryantiae , utpote qui non obstante, quam memoravimus, unione
et in unum Ordinem autonomum constitutione, non secus ac Abbas
Oeneralis, aliique Abbates et Sodales Obseryantiae Gommunis, sint
et permaneant yeri eiusdem Familiae Gisterciensis alumni, priyilegia
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108 Kirehliche Aktenstücke
omnia, gratias, indulgentias, facaltates, praerogativas et indalta, qaae
praedictae Gisterciensi F^miliae qaoroodolibet concessa faeront, dum*
modo in usa sint et non sint revocata neque sab ullis revocationibas
comprehensa, ac Sacri Concilii Tridentini Decretis et Gonstitationibas
Apostolicis atqne Instituti non adversentar, et quibas Abbas Gene-
ralis ceterique Abbates et Sodales Observantiae Communis ntuntur,
potinntur et gandent, sine nlla prorsns differentia, anctoritate et yi
praedictis competere statnimns et declaramus; illisque, si opus sit,
ea omnia impertimar et extendimus, incloso etiam privilegio Abbatum
conferendi, servatis servandis, regalaribns suis sabditis primam Ton-
snram et quataor Ordines minores tantummodo. Decernentes prae-
sentes Litteras validas, firmas et efficaces esse et fore, saosqae
plenarios et integros effectas sortiri et obtioere, ac Ordini et Mo-
nachis praedictis in omnibos et per omnia plenissime snffragari:
sicqne ab omnibns censeri et iadicare debere, ac irritum et inane,
si secQS aaper bis a qaofaam, qoavis aactoritate scienter vel igno-
ranter contigerit attenbari. Non obstantibas Gonstitationibas et
Ordinaiionibus Apostolicis, ceterisque contrariis quibascamque.
Datam Romae apud S. Petram sab analo Piscatoris die
80. lulii 1902, Pontificatus Nostri Anno 25.
L. t S. A. Gard. Macchi.
3. ErziehuDg der Kleriker in den Semlnarien Italiens.
Obgleich nachstehende Encyklika Leo*s XIII. nur an den Epis-
kopat Italiens, wo keine theologischen Fakultäten au den Dniyersi-
tftten bestehen, gerichtet ist, so beansprucht dieselbe doch wegen
ihres prinzipiellen Inhalts ein weiteres Interesse, weshalb ihr Wort-
laut hier folgen mOge:
LEONE PP. XIII.
Venerabüi FVateiUij salute ed apostolica benedirione.
Fin dal principio del Nostro Pontificato, ponendo Noi mente
alle gravi condizioni della societä, non tardammo a riconoscere, come
uno dei piä urgenti doveri deir Apostolico ufiicio fosse quelle di
rivolgere specialissime eure alla educazione del Glero. Vedevamo
infatti che ogni Nostro divisamento ad operare nel popolo una
restaurazione di vita cristiana sarebbe tornato invano, oyo nel ceto
ecciesiastico non si serbasse integre e yigoroso lo spirito sacerdotale.
Pertanto mai non cessammo, quanto era da Noi, di prowedenri, sia
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Und JSnUeheidungeH. IM
con opportune istitazioni, da con parocchi documenti diretti a tale
iotento. Ed ora nna particolare sollecitadine rerso il Glero d'Italia
Ci muofe, Veoerabili FrateIH, a trattare ancora nna volta an argo-
mento di si grande rilievo. — Belle invero e continne testimonianze
eeso ne porge di dottrina^ di pietä, di zelo; tra le quali Ci piace di
additar con lode Falacritä onde, secondando Tinipalso e la direzione
dei Vescovi, coopera al mo?imento cattolico che Ci h sommamente a
CQore. Non possiaino tnttavia dissimnlare 1a preoccnpazione dell'-
aniroo Nostro al vedere come da qoaiche tempo vada qua e lä ser-
peggiando nna cotal brama dMnnovazioni inconsultCf cosl rispetto
alla formazione, come aIiV<ione mnltiforme dei sacri ministri. Ora
i facile avvisare le gravi conseguenze che sarebbero a deplorarsi,
OYe a siffatte tendenze innoyatrici non si apportasse pronto rimedio.
— Ond' i che a preservare il dero italiano dalle influenze pemiciose
dei tempi, stiroiamo cosa opportuna, Venerabili Fratellif richiamare
in questa Nostra lettera i yeri e invariabili principii che debbono
regolare Feducazione ecclesiastica e tutto il sacro miniaterio.
II Sacerdozio cattolico, divino nella sua origine, soprannaturale
nella sua essenza, immntabile nel sno carattere, non h tale insti-
tuzione che possa accomodarsi alla volubilitä delle opinioni e dei
dstemi uniani. Partecipazione dei sacerdozio eterno di Gesü Cristo,
esso deye perpetnare fino alla consnmazione dei secoli la missione
stessa dal Divin Padre affidata al suo Verbo Incarnato: SietU misit
me Paier^ et ego mitto vos ^). Operare la salute eterna delle anime
sarä sempre il grande mandato, a cui esso non poträ mai venir
meno; come per fedelmente attuarlo, non dovrä mai cessar di ri-
correre a quei soprannaturali presidii e a quelle norme divine di
pensiero e di azione che gli di^ Oesü Cristo, quando inviava i suoi
Apostoli per tutto il mondo a convertire i popoli al Vangelo. Quindi
S. Paolo, nelle sue lottere, vien ricordando, non essere altro il
sacerdote che il legaio il ministro di Cristo^ il dispensatare dei stm
misieri*), e ce lo rappresenta quasi coUocato in luogo eccelso'),
quäle intermediario fra il cielo e la terra per trattare con Dio
gl'interessi sommi deiruman genere, che sono quei della vita sempi-
tema. Tale il concetto che i Libri santi ne danno dei Sacerdozio
cristiano, cio^ di un* istituzione soprannaturale, superiore a tutti
gl'istitati terreni e affatto separata da essi come il divino dair umano.
— La stessa alta idea emerge chiara dalle opere dei Padri, dal
1) loann, XX, 21.
2) II Cor. V. 20; VI. 4: I Cor. IV. 1.
3) Hebr. V. 1.
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110 kirchliche Aktenstücke
magistero dei Romani Pontifici e dei Vescovi, dai decreti dei C!od-
cili, dall' unanime iDsegDamento dei Dottori, e delle Scnole cattolicbe.
Che aDzi*:tutta la tradizione della Ghiesa h una voce sola nel pro-
clamare che i1 Sacerdote e un aUro CriMo^ e che il Sacerdozio $i
esercüa bensi in terra, ma va meritamente annoverato tra gli ordini
dei cielo^); paiche gli son dcUe da amtninisirare cose dei tuUo
celesti ^ e gli e conferiio un potere che Dio non affido neppure agli
Angdi^); potere e ministero che rigaardano il goyemo delle anime,
oasia Varte deUe arH% Perciö educazione, stndi, costami, quanto
insomma si attiene alla disciplina sacerdotale, venne sempre dalla
Chiesa considerato come an tatto a s^, non par distinto, ma separate
altresi dalle ordinarie norme dei vivere laicale. — Tal distinzione e
separazione deve dunqne rimanere inalterata anche ai tempi nostri, e
qualuDque tendenza ad accomonare o confondere Teducazione e la
yita ecclesiastica con la edncazione e la vita laicale, ha da giudicarsi
riprovata, nonchd dalla tradizione dei secoli cristiani, ma dalla dot-
trina stessa apostolica e dagli ordinamenti di Gesa üristo.
Certamente nella formazione dei clero e nel ministero sacer-
dotale ragion yuole che si abbia rigaardo alle varie condizioni dei
tempi. Qaindi h ben langi da Noi il pensiero di rigettare qaei
mutamenti che rendano Topera dei Clero sempre piü efficace nella
societä in mezzo a cai vive ; che anzi appanto per tale considerazione,
Gi e sembrato conveniente di promuovere in esso ana piü solida e
sqaisita coltara, e di aprire an campo piü largo al sao ministero.
Ma ogni altra innovazione che potesse recar qaalche pregiadizio a
ciö che h essenziale al sacerdote, dovrebbe rigaardarsi come affatto
biasimevole. 11 sacerdote i sopra tutto costitaito maestro, medico
e pastore delle anime , e gaida ad an fine che non si chiade nei
termini della vita presente. Ora non poträ egli mai corrispondere
appieno a cosi nobiK affici, se non sia, qaant'd mestieri, versato
nella scienza delle cose sacre e divine; se non sia fornito a dovizia
di qnella pietä che ne fa an aomo di Dio; se non ponga ogni cara
in avvalorare i snoi insegnamenti colla efficacia dell'esempio, con-
forme air ammonimento dato ai sacri pastori dal Principe degli
Apostoli: Jbrma facH gregis ex anitno^). Comanqae volgano i
1) »Sacerdotiam enim in terra peraffitar, sed caelestiam ordinnm classem
obtinet: et iure qaidem merifcoc (S. lo. Chrjsost. De Saceräotio lib. III. n. 1).
2) »Etenim qai terram incolaat in eaqae oommorantar, ad ea qaae in
caelis sant dispensanda commissi sunt, potestatemqae aoceperanfc, quam neqae
Angelis, neqae Archangelis dedit Dens« (Ib. n. 5).
8) Ars est artiam regimen animaramc (S.Gregor. M. Regul Pasf, I, c. I).
4) I Petr. V, 8.
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und SnUeheidungen. 111
tempi, e le condizioni sociali cangino e si tramutina, queste sono le
proprio massime doti cho debbono rifalgore doI sacordote cattolico,
ginsta i principi dolla fode; ogni altro corrodo naturale od nmano,
sarä corto commoDdevole, ma non avrä rispetto alPufficio sacerdotale,
cbo uDa secondaria e relativa importanza. — So pertanto i ragione-
volo e giusto che il Olero si pieghir fio dove h lecito, ai bisogni
doll'etä presente, h altresl doveroso o necessario che alla prava cor-
rente del socolo, non che cedere, fortemente resista. E ciö, mentre
risponde naturalmente alPalto fine del sacerdozio, vale altresl a ren-
derno piü frnttaoso il ministero, crescendogli decoro e procacciandogli
rispetto. — Ora h noto par troppo come 1o spirito del naturalismo
tenti inqninare ogni parte anche piü sana del corpo sociale; spirito
che inorgoglisce le menti e le ribella ad ogni autoritä ; che avvilisce
i cuori e li volge alla ricerca dei beni caduchi, trascnrati gli eterni.
Di qnesto spirito, cosl malefico e giä troppo diffuse, grandemente d
a temere che qualche influsso non possa insinuarsi anche fra gli ec-
clesiastici, massime fra i meno esperti. Tristi effetti ne sarebbero
il venir meno a quella gravitä di condotta, che tanto si addice al
sacerdote; il cedere con leggerezza al fascino di ogni novitä; il di-
portarsi con indocilitä pretenziosa verso i maggiori ; il perdere quella
ponderatezza e misnra nel discutere che tanto h necessaria, parti-
colarmente in materia di fede e di morale. Ma effetto ben piü
deplorevole, perchd congiunto col danno del popolo cristiano, ne
seguirebbe nel sacro ministero della parola, inducendovi un lingnaggio
non conforme al carattere di banditore delP Evangelo.
Mossi da tali considerazioni, Noi sentiamo di dover nuovaroente
e con piü vivo studio raccomandare , che innanzi tutto i Seminari
siano con gelosa cura mantenuti nello spirito proprio, cosl rispetto
all' educazione della mente come a quella del euere. Non si perda
giammai di vista, ch'essi sono esclusivamente destinati a preparare
i giovani non ad uf&ci nmani, per quanto legittimi ed onorevoli, ma
all'alta missione, poc'anzi accennata, di ministri di Cristo e dispm-
satari dei misteri di Dio^). Da tale riflesso, tutto soprannaturale,
sacrä sempre age?ole, come notammo giä nella Enciclica del Glero
di Francia data V 8 settembre 1899 *) , ritrarre norme preziose non
pure per la retta frmazione dei chierici, ma per allontanare altresl
dagr Institut!, ne' quali si educano, ogni pericolo cosl interne come
esterno, d'ordine morale o religiöse. — Rispetto agli stndi, poiche
I) I Cor. IV. 1.
2)r
2) Cfr. Archiv f. k. K.-R. Bd. 80 (1900) S. 115 ff.
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IIa Kh-chliche AiUenstacke
il clero doq dev' essere estraneo agli ayanzameoti di ogni baona
disciplina, si accetti pure qaanto di verameote baono od utile si
riconosca negr innovati metodi: ogoi tempo snol contribaire al pro-
gresso del sapere atnaoo. Perö vogliamo ohe sa tal proposito siano
ben ricordate lo prescrizioni Nostre iotorno allo studio delle lettere
classiche, e priDcipalmente della Filosofia, della Teologia, e delle
scienze affioi: prescrizioni che demmo in piü documentif massime
nella detta Enciclica, di cai Ci piace perciö trasmettere a voi an
esemplare, anito alla presente. — Sarebbe al certo desiderabile che
i gioYani ecclesiastici potessero tatti, com* d dovere, fornire il corso
degli stadi sempre alF ombra dei sacri Istitnti. Ma poichd gravi
ragioni talora consigliaao che alcuni di essi frequentino le pabbliche
üniversitä, dod si dimentichi con quali e quante caatele i Vescovi deb-
bano cib loro permettere^). — Vogliaroo del pari che si insista snlla
fedele osservanza delle norme contenute in altro piä recente docn-
mento, in ispecial modo per qaanto concerne le lettare od altro che
potesse dare occasione ai giovani di prender parte comecchessia ad
agitazioni esterne*). Cosi gli alunni dei Seminari, facendo tesoro
di an tempo prezioso e colla massima tranqaillitä degli animi, po-
traono raccogliersi tatti intorno a qaegli stadi che li rendano ma-
tari ai grandi doveri del sacerdozio, singolarmente al ministero della
predicazione e delle confessioni. Ben si rifletta, qaanto grave sia la
responsabilitä di qnei sacerdoti che, in tanto bisogno del popolo
cristiano, trascarano di prestar Topera propria nell' esercizio di
qaesti sacri ministeri; e di coloro altresi che non vi portano ana
illaminata operositä: si gli uni come gli altri mal corrispondono
alla propria vocazione in cosa che troppo importa alla salate delle
anime. E qui dobbiamo richiamare Tattenzione vostra, Venerabili
Fratelli, salla speciale Istruzione che volemmo data in ordine al
ministero della divina parola'); e desideriamo che se ne traggano
piü copiosi fratti. Rispetto poi al ministero delle confessioni si ram«
menti qaanto severe snonino le parole del piü insigne e mite dei
moralisti verso coloro che non dubitano di sedere inetti nel tribunale
di penitenza^); e come non meno severe sia il lamento dello insigne
Pontefice Benedetto XIV, che poneva tra le maggiori calamitä della
1) Instractio Perapectum est 8. Congr. EE. et BB. dat. die 21. lalii
1896, ad Italiae Episcopos et Familiaram Religiosamm Moderatores. Cfr. ArchiT
f. K.-B. Bd. 78 (1898) S. 126 ff.
2) Istrazione della S. Congr. degli AA. EE. SS. del 27 Genaio 1902,
8iill*axione popolare cristiana o democratico-cristiana in Italia.
8) Iitroiione della 8. Con^. dei VV. e BB. del 18 Loglio 1894 a tatti
gli Ordinär! dltalia ed ai Sapenori degli Ordini e Congregaiioni religiöse.
4) S. Alf. M.» De Liguori: Pratica del Confessore, c. 1, § III, n. 18.
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und tlnUcheidung^n. 113
Chiesa il difetto nei confessori di una sciAnza teologica morale qoal
s'addice alla gravitä di cosi santo afiicio.
Ma al nobile scopo di preparare degoi minist ri del Signore h
oecessario, Venerabiii Fratelli, che sia volto, e con sempre maggior
Tigore e vigilanza^ oltre Tordinaroento scientifico, ancbe il disciplinare
e Tedacativo dei vostri Seminari. — Non vi si accolgano che gio-
yani i quali offrano fondate speranze di voler consacrarsi in perpetuo
al ministero ecclesiastico ^). Si tengano segregati dal contatto e
pid dalla convivenza con giovani non aspiranti al sacerdozio: tale
comunanza poträ per giuste e gravi cause tollerarsi a teropo e con
singolari caatelCf finch^ non sia dato di pienainente provvedere, con-
forme alle spirito della disciplina ecclesiastica. Si rimandino quanti
nel corso della loro educazione manifestassero tendenze non convene-
voli alla vocazione sacerdotale, e nell'ammettere i chierici agli ordini
sacri si usi somma ponderazione, giasta Tammonimento gravissimo
di San Paolo a Timoteo: Manus cito nemini imposueris*). In tutio
ciö conviene posporre qualsiasi altra considerazione, che sarebbe
sempre da ritenersi inferiore a quella rilevantissima della dignitä
del sacro ministero. — Importa poi grandemente, che a formare
negli alunni del santuario an'imagine viva di Oesü Cristo, nel che
si assomma tatta TedacazioDe ecclesiastica, i moderatori e gl'inse-
gnanti alla diligenza e alla perizia propria del loro afficio, congian-
gano Tesempio di nna vita al tatto sacerdotale. La condotta esem-
plare di chi presiede, massiroe ai giovani, i il lingaaggio piü eloquente
e persnasivo per ispirare negli animi loro il convincimento dei pro-
pri doveri e Tamore al bene. Un'opera di tanto rilievo richiede
principalmente dal direttore di spirito prudenza non ordinaria e care
indefesse; onde an tale ufficio, che desideriaroo non manchi in voran
SeminariOt vaol essero affidato ad ecclesiastico molto esperto nelle
vie della perfezione cristiana. Ed a lai non sarä mai abbastanza
raccomandato d'infondere e coltivar negli alunni colla maggiore so-
dezza, quella pietä la quäle h per tutti feconda, ma specialroente
pel clero, di utilitä inestimabili <). Perciö sia egli soUecito di pre-
monirli altresi da an pernicioso inganno, non infreqaente tra' gio-
vani, cio^ di lasciarsi talmente prendere alPardore degli studi, da
non cnrar poi a dovere il proprio avanzamento nella scienza dei
Santi. Quanto piü la pietä avrä messe radici profonde nei chierici,
tanto meglio saranno temprati a quel forte spirito di sacrifizio, ch*^
1) Conc Trident Sees. XXIII, c. XVIII, De Reformat.
2) I Timotb. Y, 22.
8) I Tiinoth. IV, 7, 8.
Arehiv für KirehMtreeht LXZXIU. 8
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Il4 Kirchliche AkienstUcke
al tntto necessario per zelare la gloria divina e la salvezza delle
aDiine. — Nod mancano, la Dio raerc^, nel clero italiano sacerdoti
che diano nobili prove di quanto possa un ininistro del Signore,
penetrato di siffatto spirito; mirabile la generositä di quei tanti che
per dilatare il regno di Gesü Cristo, corrono volenterosi in lontane
terre ad incootrare fatiche, privazioni e stenti d'ogni maniera, ed
anche il martirio.
Di questa guisa, scorto da provvide ed amorevoli eure nella
conveniente cultura dello spirito e delPingegno verrä, a grado
formandosi il giovane levita, qaale lo richieggono la santitä della
sua vocazione ed i bisogni del popolo cristiano. II tirocinio in
veritä non e breve; eppure vorrä essere protratto anche oltre il
terapo del Seminario. Conviene infatti che i giovani sacerdoti non
siano lasciati senza guida nelle prime fatiche, roa vengano confor-
tati dalla esperienza de' piü provetti che ne maturino lo zelo, la
prudenza, e la pietä; ed i espediente altresl che, ora con esercita-
zioni accademiche, ora non periodiche conferenze, si allarghi Tuso
di tenerli continuamente esercitati negli studi sacri.
E' rnanifesto, Venerabili Fratelli, che quanto abbiamo sin qui
raccomandato, lungi dal menomamente nnocere, giova anzi in singo-
lar modo a quella operositä sociale del Clero, da noi in piü occasioni
inculcata come necessaria ai nostri giorni. Poichfe coli' esigere la
fedele osservanza delle norme da noi richiamate, si viene a tutelare
ciö che di siffatta operositä dev'essere Panima e la vita. — Bipe-
tiamo dunque anche qui, e piü altamente, esser mestieri che il Clero
yada al popolo cristiano, insidiato d'ogni parte, e con ogni sorta di
fal aci promesse adescato segnatamente dal socialismo ad apostatare
dalla fede avita; subordinando perö tutti la propria azione alPauto-
ritä di co'oro cui lo Spirito Santo ha costituito Vescovi per reggere
la Chiesa di Dio; senza di che seguirebbe confusione e disordine
gravissimo, a detrimento anche della causa che hanno a difendere e
a promuovere. Anzi a tal fine desideriaroo che i candidati al sacer-
dozio, sul termine della loro educazione nei Seminari, vengano con-
venientemente ammaestrati nei documenti pontificii che riguardano
la qnestione sociale e la democrazia cristiana , astenendosi per altro,
come piü sopra abbiamo detto, dal prendere qualsiasi parte al movi-
mento esterno. Fatti poi sacerdoti si volgano con particolare studio
al popolo, stato sempre Toggetto delle piü amorose eure della Chiesa.
Togliere i figli del popolo alla ignoranza delle cose spirituali ed
eterne, e con industriosa amorevolezza avviarli ad un vivere onesto
e virtuose; raffermare gli adulti nella Fede dissipandone i conti ari
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und MfU$cheidungen. llo
pregiodizif e confortarli alla pratica della yita cristiana ; promnovere
tra il laicato cattolico quelle istitnzioni che si riconoscano veramente
ef&caci af miglioramento morale e materiale delle moltitudini; pro-
pngnar sopra tutto i principii di giastizia e caritä evangelica, ne*
qnali trovano eqoo teroperamento tutti i diritti e i doyeri della civil
conviveoza: tale e, nelle precipue sae parti, il nobile cömpito della
loro azione sociale. Ma abbiano setnpre presente, che ancbe in mezzo
al popolo il sacerdote deve serbare integro il suo aagasto carattere
di ministro di Dio, esseodo egli posto a capo dei fratelli, principal-
mente animarum causa ^). Qualsivoglia maniera di ocuparsi del po-
polo , a scapito della dignitä sacerdotale, con danno dei doveri e
della disciplina ecclesiastica , non potrebbe essere che altamente
riprovata.
Ecco quanto, Venerabili Fratelli, la coscienza deirApostolico
officio Cimponeva di far rilevare, considerate le condizioni odierne
del Glero dltalia. Non dubitiamo, che in cosa di tanta gravitä ed
importanza, alla sollecitudine Nostra voi saprete congiangere le piü
solerti ed amorose Industrie del vostro zelo, ispirandovi specialmente
ai laminosi esempi del grande Arcivescovo, San Carlo Borromeo.
Pertanto a dare effetto a queste Nostre prescrizioni , avrete cura di
farne argomento delle vostre regionali Conferenze, e di consigliarvi
sa qaei provvedimenti pratici che secondo i particolari bisogni delle
singole Diocesi vi sembreranno piü opportuni. Ai divisamenti ed
alle deliberazioni vostre non mancherä , ove sia d'aopo , il presidio
della Nostra autoritä.
Ed ora con parola che ne viene spontanea dairintimo del
Nostro cnore paterno, Ci volgiamo a voi, quanti siete sacerdoti
d*Italia, raccoroandando a tutti e a ciascuno, che mettiate ogni iro-
pegno nel corrispondere sempre piä degnaroente allo spirito proprio
della vostra eccelsa vocazione. A voi roinistri del Signore diciamo
con piu ragione che non disse San Paolo ai semplici fedeli : Obsecro
Uaque vos ego vinctus in Domino, ut digne ambuleiis vocatione,
qua vocaU estis '). L'amore della comune madre la Chiesa rinsaldi
e rinvigorisca tra voi quella concordia di pensiero e di azione, che
raddoppia le forze e rende piu feconde le opere. In tempi tanto
infesti alla religione e alla societä, quando il Glero d'ogni nazione
h chiamato ad unirsi compatto per la difesa della fede e della mo-
rale cristiana, si appartiene a voi, figli dilettissimi , cui particolari
1) S. Qr^or. IL Regal. Caat Fan II, o. VU.
2) Eph. IV. 1.
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ll<t tCirehliche AkUmtOeke
Tincoli congiangono a qaesta Sede Apostolica, precedere a tutti gli
altri coll'eseinpio, ed essere i primi nella illirnitata obbedienza alla
voce 6 ai coniandi del Vicario di GesA Gristo. — Gosi le benedizioni
di Dio scenderanno copiose, qnali Noi le invochiamo, a mantenere il
Clero d*Ita1ia sempre degno delle illostri sae tradizioni.
Anspice intanto dei divini fayori sia FApostolica benedizione,
che a ?oi, Venerabili Fratelli, ed a tatto il Glero alle vostre core
affidato, coD effusione di caore iinpartiamo.
Dato a Roma presse S. Pietro, nel d) sacro alla Immacolata
CoDcezioiie di Maria, 8 Dicembre 1902, anno Tigesimo qninto del
Nostro Pontificato.
Leo PP. XIIL
4. Statut Ober Erriehtaiig der theologischeD Faknltftt
Ml der UnlTersität StrMsbnrg.
Le soQssign^ Cardinal Mariano Bampolla, Secr^taire d'Btat de
Sa Saiotet^, de la pari da Saint-Sidge, et Monsieur le Baron Oeorges
de Hertling, Ghambellan de Sa Majest^ le Koi de Bavidre, membre
du Reichstag de TEmpire Oermanique, S^nateor da Royanme de
Bavi^re, membre de TAcad^mie Royale Bavaroise des Sciences, pro-
fessear ä TUniversit^ de Manich, d^l^ga^ de la part da Oeaverne-
ment Imperial Allemand, soot convenns des articies saivants :
Article 1.
L'instraction scientifique sera donn^e aux jeanes clercs da dio-
ctee de Strasboarg par ane facalt^ de Theologie catholiqae qai sera
^rig^e ä rUniversit^ de Strasboarg. En möme temps, le Grand S^
minaire ^piscopal continaera d'exister et de fonctionner pour F^da-
cation pratiqae des dits clercs, qai y rece? ront Tenseignement n^ces-
saire dans toates les mati^res se rapportant ä l'exercice des fonctions
sacerdotales.
Article 2.
La dite facalt^ comprendra notamment les branches suivantes :
1. La propMentiqne thtelogiqne ä la Philosophie ;
2. La th^logie dogmatiqoe ;
8. La thtelogie morale;
4. L'apolog^tiqae ;
5. L'histoire^eccläsiastiqae ;
6. L'ez^gtee de TAncien Testament;
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und EnUeheidungen. 117
7. L'ex^gtee da Noaveaa Testament;
8. Le droit canon;
9. La tbtologie pastorale, et
10. L* Archäologie sacrte.
Arücle 3.
La noiniDatioD des professeurs se fera apres entente pr^alable
avec TEveque. Avant d*entrer en fonctions, les professeurs auront
ä faire la profession de foi entre les niains du doyen, suivant les
formes et regles de TEglise.
Arücle 4.
Les rapports entre la facultä et ses membres d'un cöt^ et
UEglise et les autorit^s ecclösiastiques de Tautre, sont d^terminös
par les Reglements ötablis pour les facultas de Theologie catholique
de Bonn et de Breslau.
ÄrHcle 5.
Si la preuve est fonrnie par Tautorit^ eccl^iastique qu'an des
professeurs doit etre considör^ comme incapable de continuer son
professorat, seit pour manque d'orthodoiie , seit en raison de man-
quements graves aux rdgles de vie et de conduite d'un prStre, le
Gouvernement pourvoira, sans d^lai, ä son remplacement et prendra
les mesures propres ä faire cesser la participation dudit professeur
aux affaires confi^es ä la facultä.
Rome le 5. D^embre 1902.
Mariano Card. BampoUa.
Baron Georges de Herüing.
6. Die Belehty&ter der Ordenslente.
Titio, sacerdoti approbato ad audiendas Gonfessiones, non raro
contigit confessiones eicipere regularium variorum Ordinum. Quare,
quo prudentiore agat ratione, ab hoc sacro Tribunali enixe postulat
solutionem dubiorum quae statim proponuntur hie infra:
I. Gaius, sacerdos regularis, sub vesperum accessit ad Titium,
facturus exomologesim. Interrogatus de recepta a Superiore facul-
tate, respondit Superiorem domo abesse nee eodem reversurum die,
nullum autem alium in Conventu adesse praesentem sacerdotem.
Potuit-ne, in hac domestici Cenfessarii inopia, a Titio valide et
licite absolvi?
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1 18 Kirchliche Aktenstücke
n. Inter facaltates quas S. Poenitentiaria pro foro interno cam
confessariis communicare solet legitar, N. Vin, facultas »absolvendi
religiosos caiascumque Ordinis, dammodo apud te legitimam habue-
rint licentiam peragendi Confessionem sacrameataletn . . . etiam a
casibus et censuris in sna religione reservatist. Valetne illa facultas
ad casus quolibet modo reservatos? Soliti enim sunt in religionibus
casus reservari alii Superiori immediato, alii Provinciali, alii Gene-
rali. Istas tarnen observare distinctiones Gonfessario eitraneo valde
fuerit difficile. Suadet igitur eipeditus facultatis usus ut omnes
coDQprehendat casus religionis proprios. Prudens ceterum Gonfessarius
non onaittet ea imperare quibus Ordinis bona vel iuri satis sit cautum.
III. ütrum Gonfessario regulari praefata facultate uti licet,
cum Gonfessionem excipit religiosi eiusdem Ordinis ad quem pertinet
ipse, ita ut in reservata proprii Ordinis polleat iurisdictione non for-
maliter a Superiore accepta, an contra coercetur usus ad religiosos
extraneos?
IV. ütrum Superior qui confessionem permittit, addita con-
ditione, v. gr. »Dummodo pro reservatis serves Ordinis consuetu-
dinem» impedire valeat praefatae facultatis usuro; an contra, semel
concessa confitendi licentia, electus confessarius habeat vi facultatis
Poenitentiariae potestatem in reservata a voluntate Superioris plane
independentem?
V. Num dicta n. IV. omnino transferenda sunt in religiosum
itinerantem^ qui ad adeunduro Gonfessarium extraneum expressa
Superioris facultate non habuit opus?
Sacra Poenitentiaria, mature perpensis expositis, ad proposita
dubia respondet: ad 1."*". Si Superior domus aliique confessarii tam-
diu absint saltem per unum diem ut grave sit religiöse poenitenti
toto eo tempore carere absolutione sacramentali , is licite et valide
absolvitur ab extraneo confessario idoneo h. e. approbato.
— Ad IL"^"^ ^[Affirmative — ad 111."°» Dummodo Gonfessarius
regularis approbatus sit ad recipiendam Gonfessionem religiosi pro-
prii ordinis (affirmative ad primam partem, negative ad secundam. —
Ad IV. «"^ Negative ad primam partem, affirmative ad secundam. —
Ad V.""^ Si Gonfessarius extraneus habeat a S. Sede facultatem
absolvendi religiosos a casibus reservatis in eorum Ordine, affirma-
tive^ secus, negative,
Datum Romae, in Sacra Poenitentiaria, die 14. Maii 1902.
B. Pompilif S. P. Datarius.
J. Palica, S. P. Subst
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und Entscheidungen. 119
6. Einige Zweifel bezfiglieli der Interpretation des Deliretes
Perpensis temporum ^) betreffend die den feierlichen Yorans-
znsehiekenden einfachen Oelfibde.
(S. C. epp. et reg. v. 28. Juli 1902.)
Cum applicatio Decreti Perpensis temporum adiunctis a Con-
gregatione Episcoporum et Regulariara, opportunissimo consiliOf
nuper editi, nonnullis dubüs videatur obnoxia, inirascriptus Cardinalis
Arcbiepiscopus Bononien. pro iis dirimendis, ad Eamdem S. Congre-
gationem, maximo cum obsequio recurrit, et authenticam respoDsio-
nem exposcit.
/. Quaestio.
Quaelibet Instituta monialiam habent caeremoniale sea rituale,
pro admittendis novitiis ad religiosam professionem. Ritus' autem
praescriptus generatim unicus est, cum unica fere ubique, antehac
extiterit professio. Jam quaeritur, utrum ille ritus servandus dein-
ceps erit pro prima aut pro secunda aut pro utraque professione.
Qood si duplex ratio sacram functionem celebraudi, deinceps erit in-
ducenda, pro duplici nempe professione votorum Simpliciuro et vo-
torum Solemniuro , spectabitne ad Episcopos (aut ad Superiores
Generales quoad monasteria exempta) coeremonias servandas et
formulam a profitentibus exprimendaro determinare? Quatenus af-
firmaüve, quaenam in praxi erit norma generatim sequenda? Qua*
tenus negative coeremaniale seu rituale eritne impetrandum ab ista
S. Coogregatione aut a Congregatione Sacronim Rituum?
//. Quaestio.
In nnmero VIII Decreti recognoscitur capitulum monialium pro
admittendis ad professionem Solemnem illis, quae congruo tempore
in professione votorum Simplicium permanserunt. Porro huiusmodi
capitulum eritne necessario faciendum illis in Communitatibus in
quibus de acceptatione, de vestitione et de professione alumnarum
capitulariter agitur? Quod si fieri absolute debeat, suf&cietne pro
aliqua a professione excludenda quod moniales capitulares secreto
suffragia contraria conferant, aut necesse erit ut quaelibet monialis
suffragii contrarii rationem expresse declaret, expouendo nempe gra-
ves causas quae dimissionem suadere seu exigere videantur, S. Sedis
iudicio subiiciendas? Ratio dubitandi ex eo oritur, quod peracta
professione simplici, Communitas religiosa non est amplius libera re-
1) Siehe Arcb. Bd. 82 (1902), 8. 541,
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120 Kirchliche Aktenstücke
tineodi aut dimittendi alamnam , sed res , pleno iure ad sapremam
Ecclesiae aactoritatem spectat.
IIL QuaesHo.
Num. VII. Decreti, declaratur professas votorum Sitnpliciam
choro interesse debere; qnatenns vero legitime impediantar, quo-
minus choro intersint, ad privatam officii recitationem non obligari.
Quid vero si qua a Choro abstineat absque legitime impedimento?
Quae ita se gerat, negligeutiae notam coram sororibus, et, quod
roagis est, culpae maculam coram Deo yidetur incurrere. At obligata
ne erit Divinum Officium privatim recitare?
IV. QuaesHo.
Num. X. Decreti statnitur dotem esse solvendam ante pro-
fessionem votorum simplicium. — Num. VI. professis votorum sim-
plicium omnes favores spirituales indulgentur quae competunt pro-
fessis votorum solemninm, nee non omnia suffragia si roorte prae-
veniantur. Num. XII. decernitur ad dimittendas. a Monasterio vo-
torum simplicium professas, recurrendum esse in singulis casibus ad
S. Sedem. Quae hisce in locis sanciuntur nullam difScuItatem prae-
seferunt pro iis Ordinibus aut Institutis, in quibus hucusque unica
observata est votorum professio. Ast adsunt Religiosae Familiae
quae, iuxta regulas adprobatas a S. Sede, duplici professione,
simplici et solemni, utuntur. Quid sane si ad traroites Gonstitutio-
num huiusmodi Institutorum, aut dos solvenda esset ante professio*
nem solemnem, aut privilegia (praesertiro pia post mortem suffragia)
pro monialibus votorum simplicium essent minora, aut (quod potius
videtur) Superiorissa Oeneralis haberet facultatem dimittendi pro-
fessam votorum simplicium? Quae in praefatis numeris enunciantur,
suntne praeceptiva pro omnibus omnino Institutis votorum solem-
nium, aut exceptionem patiuntur relate ad Ordines seu Instituta
((uae speciales dispositiones quoad praedicta habent sive in regula
sive in Gonstitutionibus ?
Sacra Congregatio E.morum ac Rev.morum 8. R. E. Cardinalinm
negotiis et consultationibus Episcoporum et Regularium praeposita
super praemissis dubiis respondet prout sequitur:
>Ad I. ritum seu coeremoniaie in unoquoque monasterio re-
»ceptum adhibendum esse in emittenda prima professione, pro qua
»consuetae formulae, suppressis, si adsint, verbis solemnitatem ex-
»primentibus , adiiciatur, novitiam nuncupare vota simplicia iuxta
»decretum a S. Congregatione £B. et RR. die 3. Maii 1902 editum :
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und EnUeheidungefL 121
»professionem autem secandam emitti posse privatim in Choro sive
»in Oratorio interiori, coram Gommanitate, in manibus Saperiorissae,
»praevia approbatione Ordinarii, seu Praelati Begularis, qaoad tno-
»nasteria eiempta.
»Ad II. Gapitulam habendam esse etiam in praefatis casibas;
»eins tarnen votnm esse niere consnltivam: locum quoque fieri posse
»discassioni saper qaalitatibus candidatae; scrutinium vero per se-
»creta saffragia peragendum esse. Porro si omnia vel pleraque saf-
»fragia contraria forent adonissioni ad solemnem professionero, ita ut,
»attento etiam articulo IV ipsias Decreti, ageretur de dimittenda
»sorore a monasterio, res subiicienda esset iadicio S. Sedis, ad quam
»proinde Ordinarius vel, pro monasteriis exemptis, Praelatus Regularis,
»distinctam omnium relationem transmittet.
»Ad in. professas votoram simpliciam ad retitationem divini
»ofBcii extra Chornm non teneri.
»Ad IV. recarrendam esse in casibas particolaribas«.
Bomae 28. Jalii 1902.
Fr. H. M. Card. GoUi, Praef.
PA. Giustini^ Secret.
7. Nenordnnng des Organistendienstes in Baden.
(Anzeigeblatt f. d. BrzdiOzese Freibarg Nr. 3. 1903.)
Nr. 842. Bereits darch unsere Verordnung vom 19. Dezember
1900 haben wir ganz aus freier Entschliessung , unter freiwilligem
Verzicht auf den Zwang des § 38 des Elementarunterrichts-Gesetzes,
den ersten Schritt getan, um die Erfüllung berechtigter Wünsche
der katholischen Organisten wirksam anzubahnen. Zur Beseitigung
von Missverständnissen haben wir sodann in dem an alle Erzbischöf-
lichen Pfarrämter und Katholischen Stiffcungsräte des badischen Teiles
der Erzdiözese gerichteten Erlasse vom 21. Februar 1901, Nr. 2282
betont, es solle allgemein darauf hingewirkt werden, dass die Or-
ganisten, wo die Mittel vorhanden seien, nicht geringere Bezahlung
erhielten, als die iu § 2, Absatz 3, der Verordnung vom 19. Dezember
1900 vorgeschriebenen Gehaltssätze. Wir haben erklärt, dass beim
Abschlüsse des Vertrages dem Bewerber um den Organistendienst
unbenommen sei, eventuell erfüllbare und begründete höhere An-
sprüche zu erheben, und dass wir wohlwollende Prüfung der Wünsche
der Organisten auf ihre Erfüllbarkeit von den Pfarrämtern und den
Organen der lokalen kirchlichen Vermögensverwaltung erwarteten,
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122 Kircfdiche Aktenstücke
wie aach wir sicher da, wo die Voraassetzungen yorhanden seien,
der Besserstellung des Organisten keine Hindernisse in den Weg
legen würden.
Als zn berücksichtigende Voraussetzungen bezeichneten wir
Umfang und Beschaffenheit der Leistungen des Organisten, Vorhan-
densein der erforderlichen Mittel, eventuell Bereitwilligkeit der Kir-
chengemeinde zu deren Beschaffung und Eingehung eines vorschrifts-
roässigen Vertrages in schriftlicher Form auf der Grundlage des
bürgerlichen Gesetzbuches.
Es wurden uns nun seitdem in einer Eingabe einer Kommission
der badischen Lehrerorganisten bestimmte Wünsche in betreff der
Regelung der Organistengehälter unterbreitet.
Da uns, wie wir schon unterm 21. Februar 1901 betonten, die
Erfüllung berechtigter Wünsche der Organisten am Herzen liegt,
und wir Wert darauf legen, dass die katholischen Lehrer auch
fernerhin sich zur Übernahme des Organistendienstes bereit finden, so
zögern wir nicht, jetzt das vor zwei Jahren angebahnte Werk weiter
zu führen, indem wir unter Aufbebung des Absatzes 3 des § 2
unserer Verordnung vom 19. Dezember 1900, die im übrigen in
Kraft bleibt, nachbeaeichnete Ansprüche als berechtigt anerkennen:
a, für Mitwirkung beim Gottesdienste:
1) in Pfarrkirchen
die Zugrundlegung einer Taxe von einer Mark für
jeden öffentlichen Gottesdienst, welcher kraft aUge-
meiner kirchlicher Vorschrift, örtlichen Herkommens
oder besonderer kirchenobrigkeitlich erlassenen oder
genehmigten Anordnung stattfindet, und demgemäss
die Gewährung eines jährlichen Gehalts von mindestens
eweihundert Mark für die * Gesamtheit dieser Leist-
ungen.
2) in Filialkirchen
die Zugrundlegung derselben Taxe, wie nach Ziffer 1,
und demgemäss die Gewährung eines hiernach zu be-
messenden Jahresgehaltes.
Bei der Berechnung des Jahresgehaltes nach Ziffer 1
und 2 bleiben solche Gottesdienste ausser Betracht,
für die regelmässig — z. B. bei Abhaltung gestifteter
Anniversarien oder bestellter Seelenämter im Schüler-
gottesdienst — eine besondere Gebühr fällig wird.
6. für Abhaltung van Proben mit einem besonderen Kirchenchar
zu den in lit. a. erwähnten Gottesdiensten die Ge-
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und Entscheidungen. 123
wäbrang einer Vergfitang von ein^ Mark far je eine
wöchentliche Probe in der Mindestdauer einer Stande
jedenfalls aber eine Qesamtvergütung von mindestens
fünfeig Mark im Jahre, gegen folgende Verpflichtung:
a. Aufrechterhaltung des Bestandes an bereits ein-
geübten Gesängen,
ß. jährliche Neueinübung von wenigstens ewei der
Leistungsfähigkeit des Chores entsprechenden
mehrstimmigen lateinischen Messen (auch kann
unter besonderen Verhältnissen eine einstimmige
gewählt werden), welche dem Zäzilieu Vereins-
Katalog oder den liturgischen Buchern (Choral)
zu entnehmen sind, oder, sofern bereits ein ge-
nügender Bestand von Messen eingeübt ist, die
Neneinübung anderer für den Gottesdienst ge-
eigneter Gesäuge ans den gleichen Quellen in
einem Umfange, welcher der eben bezüglich der
Einübung von Messen bezeichneten Anforderung
entspricht;
7. Einübung der für den öffentlichen Gottesdienst
erforderlichen deutschen Gesänge aus dem >Ma-
gnifikatt ;
d. würdiger Vortrag der Messen und sonstiger Gesänge.
Etwa nötige Auslagen für Heizung und Beleuchtung
bei den Proben werden dem Organisten aus dem ört-
lichen Eirchenvermögen ersetzt,
c) In Städten unter 8000 Einwohnern und in Landgemeinden
(unter Abänderung von Ziffer 11 des Erlasses vom
8. Juni 1876, die Stiftnngskapitalien für Messstiftungen
und die Gebühren für deren Persolvierung betreffend)
für die Mitwirkung bei einem VotivanUe und bei einem
Seelenamt eine Gebühr von einer Mark.
Über die eventuelle Mitwirkung des Organisten oder
Chordirigenten bei Begräbnissen und die dafür zu ent-
richtende Vergütung ist zwischen Pfarramt und Stif-
tungsrat einerseits und dem Organisten (Chordirigenten)
anderseits ein besonderes schriftliches Übereinkommen
abzuschliessen , dessen Genehmigung wir uns vorbe-
halten.
Wir sprechen die Erwartung aus, dass, wo die Mittel sich be-
schaffen lassen, die oben bezeichneten Gehaltssätze zur Anwendung
kommen. oigtized by Google
124 Kirchliche Aktenstücke
Wo nacb Lage der örtlichen Verhältnisse bereits höhere Be-
füge genehmigt sind, bleiben diese in Kraft (§ 4, Absatz 1 der Ver-
ordnung vom 19. Dezember 1900, Nr. 12460). Wo die Gewährung
höherer Beeüge in Rücksicht auf Umfang und Beschaffenheit der
Leistungen künftig angemessen erscheint, und die Mittel vorhanden
sind, werden wir die Genehmigung dazu nicht versagen.
Wo es nicht möglich ist, die Mittel zur Gewährung der von
uns bezeichneten normalen Bezüge zu beschaffen, vertrauen wir zu
dem kirchlichen Sinne der katholischen Lehrer, dass sie sich mit
der Gewährung des Möglichen begnügen. Eventuell behalten wir
uns die Entscheidung über eine Einschränkung des ümfangs ihrer
pflichtmässigen Leistungen vor.
unter allen Umständen bleiben aber die Eingehung des vor-
schriftsmässigen Vertrages und normale Beschaffenheit der Leistungen
unerlässliche Voraussetjnmgen jeder Erhöhung der bisherigen Bezüge.
Die erforderlich erscheinenden Vorschriften über Feststellung
der Befähigung der Bewerber um Organistendienste sowie der Be-
schaffenheit der Leistungen der Organisten behalten wir uns aus-
drücklich vor.
Wir benützen diesen Anlass auch, um auszusprechen, dass ein
freundliches und vertrauensvolles Zusammenwirken von Pfarrer und
Lehrer-Organist im Interesse der beiderseitigen Autorität und des
heiligen Dienstes liegt. Demgemäss erwarten wir, dass Meinungs-
verschiedenheiten zwischen Pfarramt und Organist möglichst im
Wege freundlicher Verständigung beglichen werden. Wo eine solche
direkte Verständigung nicht zu stände kommt, soll zunächst die Ver-
mittelung des Erzbischöflichen Dekanates angerufen werden. Gegen
dessen Vorentscheidung steht jedem Teil die ordnungsmässige Be-
schwerde an uns zu.
Freiburg, den 5. Februar 1903.
Ergbischöfliches Ordinariat.
8. Pathen-Stellvertretnng.
(Kirchl. Verordnangsbl. f. d. DiOzese Qark. Nr. 6. 1902.)
Sehr häufig ist, wenn ein Pate beim Taufakt nicht persönlich
anwesend sein kann, die Praxis so, dass ein anderer für ihn ge-
schickt wird, dieser oder die Hebamme oder der Kindesvater geben
den Namen und den Charakter desjenigen an, welcher der eigent-
liche Pate sein soll, der Stellvertreter, oder wenn dieser im Schreiben
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und Entscheidungen. 125
nicht gewandt ist, oft aacb der Matrikelführer schreibt diese ange-
gebenen Namen ein and unter diesen schreibt man noch: vertreten
durch N. N. Diese Praxis ist falsch und gefährlich. Der Pate ist
kein Statist, sondern steht in einem Verhältnisse zum Täufling,
seilte Einwilligung ist daher notwendig. Der Matrikelfuhrer hat
daher eine Erklärung des Abwesenden zu verlangen, aus der er
mit moralischer Gewissheit die Einwilligung entnehmen kann. Zu-
gleich muss jemand bevollmächtigt werden, der ihn vertritt, er kann
auch den Vater oder Seelsorger bevollmächtigen, fär ihn einen Ver-
treter zu bestimmen. Wird eine solche schriftliche oder tele-
graphische Erklärung nicht beigebracht, dann muss der Taufende
erklären, dass der Abwesende nicht Pate sein könne, es ist daher
ein anderer Pate zu wählen und nur dieser einzutragen. Die Ausser-
acbtlassung dieser Dinge ist gefährlich wegen des mit der Paten-
schaft verbundenen trennenden Ehehindemisses.
F.'b, Gurker Ordinariat mu Klagenfurt, am 14. Sept. 1902.
9. WledereinfDhrniig des Instituts der Kapitelskammerer In
der Diözese Passan.
(Ordinariatserlass ?om 5. Febraar 1902.)
Ans mehrfachen Gründen , namentlich aus Rücksicht auf die
in neuerer Zeit durch Einführung der Pastoralkonferenzen and Pfarr-
visitationen wesentlich vermehrte Oeschäftslast der Herren Dekanats-
vorstände sehen wir uns veranlasst, das in unserem Bistum von
alters her bis zum Anfange des 19. Jahrhunderts bestandene Institut
der Kapitelskammerer wieder in das Leben zu rufen und zu diesem
Zwecke nachstehende Anordnungen zu treffen:
1. Für jeden Dekanatsbezirk wird ein Kapitelskammerer ge-
wählt Aktives und passives Wahlrecht, sowie die Art und Weise
der Wahl richten sich nach der far die Wahl der Dekane bestehen-
den Übung und Vorschrift Die Wahlen unterliegen der Bestätigung
der oberbirtlichen Stelle.
2. Der Kammerer wird von der oberhirtlichen Stelle auf die
gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten verpflichtet und seine
Wahl und Bestätigung im oberhirtlichen Auftrage vom Dekane
mittelst Kurrende dem Klerus des Dekanates bekannt gegeben.
S. Dem Kammerer gebührt bei den Versammlungen des De-
kanatsklerus nächst dem Dekane der Vortritt vor den übrigen
Geistlichen. Als auszeichnende kirchliche Kleidung trägt derselbe
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126 KirehUche Aktenstäcke
ein Mozett ans Kaschmir von gleicher Form wie der Dekan, nnr
mit dem Unterschiede, dass Futter der Gappa, Knöpfe und Einfass-
schnüre von schwarzem Seidenstoffe sind.
4. Der Kammerer ist der Beirat und Gehilfe des Dekans, so-
wie dessen legitimer Stellvertreter. Er hat in Verhinderung des
Dekans auf dessen Ansuchen oder im oberhirtlichen Auftrage die
dem Dekane obliegenden Amtsfunktionen wahrzunehmen. Nimmt
er an Stelle des Dekans die Beerdigung eines Kapitularen, die In-
stallation eines Pfarrers oder die Visitation einer Pfarrei vor, so hat
er Anspruch auf die dabei herkömmlichen Gebühren und Diäten.
5. Als ordentlicher Geschäftsbereich ist dem Kammerer die
Vornahme der ordentlichen und ausserordentlichen Pfründevermögens-
visitationen nach Massgabe der diesbezüglichen Verordnungen über-
tragen, während seine eigene Pfründe vom Dekane visitirt wird.
6. Über seine Korrespondenzen mit der oberhirtlichen Stelle
und den Pfründebesitzern hat der Kammerer ein eigenes Geschäfts-
journal zu führen.
7. Die Sendungen der Pfründebesitzer an den Kapitelskam-
merer sind unter der äusseren Adresse des betreffenden Pfarramtes
zu machen, während die innere Adresse tAn den Herrn Kapitels-
kammerer des Dekanates N.< zu lauten hat. Mit der oberhirtlichen
Stelle hat der Kapitelskammerer in analoger Weise zu verkehren.
Zur Begründung des Anspruches auf die Postportofreiheit sind die
Sendungen auf der äusseren Adresse als »Allgemeine Kirchensache«
zu bezeichnen.
8. Der Kammerer hat das Kapitelsvermögen zu verwahren und
zu verwalten und alljährlich beim Kapitelkongresse den Kapitularen
Rechnung zu legen. Das Kapitelvermögen ist in der Pfründekasse
des Kammerers, jedoch in einem eigenen Behältnisse, welches die
Aufschrift: »Vermögen des Ruralkapitels N.« trägt, aufzubewahren.
9. Der Kammerer ist vom Dekane alljährlich vor Einsendung
des Osterberichtes an die oberhirtliche Stelle zur Festsetzung der
Qualifikationen des Dekanatskierus beizuziehen. Die Qualifikationen
sind vom Dekane und Kammerer zu unterzeichnen.
10. Beim Ableben des Dekans hat der Kammerer sich unver-
züglich an den Dekanatssitz zu begeben und das Dekanatssiegel, die
Dekanatsakten, das Kapitelkreuz, die Gefässe mit den heiligen ölen
und die etwa vorfindlichen, von den Pfarrämtern eingesendeten, aber
noch nicht an die oberhirtliche Stelle abgelieferten Vereins- und
Kollektengelder in eigene Verwahrung zu nehmen; er hat die vor-
geschriebene ausserordentliche Pfründevisitation vorzunehmen und
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und ^tscheidungM. 127
die nothwendigen Anordnangen bezuglich der einstweiligen Ver-
wahrung des Pfründevermögens, der Messstipendienkasse and der
etwa vorfindlichen Vereins- and EoUektengelder der Pfarrei zn
treffen. Ebenso hat er die notwendigen Anordnangen bezüglich des
Begräbnisses des verstorbenen Dekanatsvorstandes zu treffen und die
Kapitalare zu dem Leichenbegängnisse und den Seeleugottesdiensten
geziemend einzuladen. Endlich hat er Sorge zu tragen, dass in der
erledigten Pfarrei bis zur definitiven Aufstellung eines Verwesers die
laufenden seelsorglichen Geschäfte gehörig besorgt werden, bezw. zu
diesem Zwecke einen provisorischen Verweser aufzustellen.
11. Bis zum Amtsantritte des neuen Dekanes hat der Käm-
merer die Dekanatsgeschäfte zu führen und im oberhirtlichen Auf-
trage die Wahl des neuen Dekanes mittelst Kurrende an die wahl-
berechtigten Kapitulare auszuschreiben, die Vota clausa einzufordern
und mit Begleitschreiben an die oberhirtliche Stelle einzusenden.
Nachdem der neue Dekan von der oberhirtlichen Stelle in Pflicht
genommen ist, hat der Kammerer demselben das Dekanatssiegel, die
Dekanatsakten, das Kapitelkreuz, die Gefässe mit den heiligen ölen
und die etwa vorhandenen Vereins- und Kollektengelder auszuhändigen.
12. Beim Ableben des Kämmerers oder bei dessen Abgange
aus dem Dekanatsbezirke hat der Dekan die Kapitelkasse samt den
Rechnungen über das Kapitelvermögen, sowie die vorhandenen
Piründevisitationsakten in Verwahrung zu nehmen und dieselben
seiner Zeit dem neuen Kammerer auszuhändigen. Ebenso hat er im
oberhirtlichen Auftrage die Wahl eines neuen Kammerers zu ver-
anlassen.
Die Herren Dekane werden hiemit beauftragt, für ihre Bezirke
an verzüglich die Wahl der Kapitelskammerer nach Massgabe der
Ziffer l unseres vorstehenden Erlasses vornehmen zu lassen und die
Vota clausa binnen drei Wochen vom Heutigen anher in Vorlage zn
bringen, worauf wir das Weitere verfügen werden.
Indem wir unseren ehrwürdigen Ruralkapiteln die Wahl der
Kämmerer freigeben, glauben wir uns der Erwartung hingeben zu
dürfen, dass für die Wahl der Kammerer im Hinblicke auf das den-
selben übertragene so wichtige Amt der Pfründevisitation ausschliess-
lich die Rücksicht auf die Befähigung massgebend sein werde.
Passau, den 5. Februar 1902.
M. Alteneder, üeneralvikar,
Frsf. X. Schreyer, Sekretär.
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128 Kirchliche AkieriMtÜcke und ISnischeidungen.
10. Form der Wlllenserklftrimg der Eltern bozOglich der re-
ligiösen Erziehong ihrer Kinder in Prenssen.
(Verordn. des Füntbisch. Gen.- Vik.- Amts za Breslaa Nr. 897.)
Um den betreffendeo Eltern die Angabe der Erklärung bezüg-
lich der religiösen Erziehung ihrer Kinder möglichst zu erleichtern,
hat die hiesige Königl. Regierung, einem Ministerial-Erlasse vom
29. Mai d. J. entsprechend, am 13. September d. J. angeordnet,
dass bezüglich der von den Landräten abzugebenden Erklärungen
zugelassen werden kann, dass bei weiter Entfernung auf dem Lande
im Einzelfalle auf Antrag der zuständige Amtsvorsteher vom Land-
rat ermächtigt werde, die Erklärung entgegen zu nehmen. Auch
sollen die vor einem Richter oder Notar abgegebenen Erklärungen
dieselbe Verbindlichkeit haben, wie die vor dem Landrate abzu-
gebenden.
Breslau, den 10. Oktober 1902.
Der Fürstbischof.
O. Card. Kopp.
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läö
III. Staatliche Aktenstücke und Entscheidungen.
1. Yerordnangy die öffentliche Bellglonsflbiiiigr der Katholiken
Im Grossherzogtum Mecklenbarg-8ehwerln betr«
(Verordn. ▼. 5t Jan. 1903; Regier angsbl. f. das Grossherxogtam Mecklenburg -
Schwerin Nr. 2. 1903.)
Friedrich Frans, von Gottes Gnaden Grossherzog von Mecklenburg,
Fürst zu Wenden, Schwerin und Ratzeburg, auch Graf zu
Schwerin, der Lande Rostock und Stargard Herr etc.
Wir verordnen in Betreff der öffentlichen Religionsübung der
Angehörigen der reformierten Kirche und der römiseh-hUhoUschen
Kirche in Unseren Landen, was folgt:
§1.
Den Angehörigen der reformierten Kirche und der römisch-
katholischen Kirche wird in Unseren Landen die öffentliche Reli-
gionsprufung zugestanden.
§2.
Den mit landesherrlicher Genehmigung errichteten reformierten
und römisch-katholischen Kirchen, Kapellen und anderen, dem öffent-
lichen Gottesdienste gewidmeten Gebäuden nebst den zugehörigen
Grundstücken (Pfarreien, Begräbnisplätzen etc.), sowie den reformierten
und den römisch-katholischen Religionsübungen, welche in den dem
Gottesdienste gewidmeten Gebäuden auf den Begräbnisplätzen der
reformierten Kirche und der römisch-katholischen Kirche oder mit
landesherrlicher Genehmigung an anderen Orten veranstaltet werden,
soll der gleiche Rechtsschutz wie den entsprechenden Einrichtungen
der lutherischen Landeskirche gewährt werden.
§3.
Unberührt bleiben die Uns nach Landesrecht gegenüber der
reformierten Kirche und der römisch-katholischen Kirche und deren
Angehörigen zustehenden Hoheitsrechte.
Es bleibt daher insbesondere Unsere Genehmigung erforderlich für
die Bildung und Änderung der Parochien;
die Anstellung der Geistlichen und die Vornahme geist-
licher Handlungen durch nicht in Unseren Landen ange-
stellte Geistliche;
Arokiv mr Kirchwireobt LXXXIII. 9
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13Ö StaaÜiehe AÜemtücke
die Errichtung von Kirchen, Kapellen und anderen, dem
öffentlichen Oottesdienst gewidmeten Oebäuden, sowie
die Errichtung von Pfarreien (Pfründen);
die Veranstaltung öffentlicher Gottesdienste ausserhalb der
dem Gottesdienste gewidmeten Gebäude, sowie die Ab-
haltung von Missionen, Prozessionen und Wallfahrten;
die Gründung , Zulassung oder Niederlassung von Orden,
Kongregationen und anderen Religionsgesellschaften.
Gegeben durch Unser Staats-Ministerium.
Schwerin, den 5. Januar 1903.
Friedrich JFVans.
C. Graf von Bassewite-Leveteovo. von Arnsberg. A, von Presaentin.
2. Gesetz y. 29. Dezember 1902, die Ordnung der kirchlichen
Yerh<nisse der Katholilien in Braonschweig betr.
(Get«ti- and Yerordnangs-Sammliing Nr. 2. 1908.)
Von Gottes Gnaden, Wir, AlbrecU, Prinz von Preussen etc., Begent
des Herzogtums Braanschweig,
erlassen unter Zustimmung der Landesversammlung das nachstehende
Gesetz :
I. Von der religiösen Erjnehung, der Taufe und dem Schulbesuch
der Kinder.
§ 1.
Die aus einer gemischten Ehe hervorgehenden Kinder sind
ohne Unterschied des Geschlechts , es sei der Vater evangelisch und
die Mutter katholisch, oder umgekehrt, in dem Bekenntnis des
Vaters zu erziehen; es sei denn, dass der Vater nach der Geburt
des ersten Kindes und vor der Taufe desselben — in den Städten
vor dem Stadtmagistrate, in den Landgemeinden vor der betreffenden
Herzoglichen Kreisdirection — die abweichende Erklärung abge-
geben hätte, dass sämtliche Kinder aus solcher Ehe in dem Be-
kenntnis der Mutter erzogen werden sollen.
Der Wechsel in dem Bekenntnis des Vaters bezw. der Mutter,
sowie der Tod derselben ist ohne Einfluss auf die religiöse Erzieh-
ung der Kinder.
i Nach dem Tode des Vaters sind die Erziehungsberechtigten
verpflu^tet, dafflr zu sorgeii, dass kein Wechsel des Bekenntnisses
stattfindet.
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und ^SMscheidungefL l^ t
Alle etwaige, den vorstehenden Vorschriften zuwiderlaufende,
vor oder während der Ehe gemachte Verträge, ausgestellte schrift-
liche Verpflichtungen und sonstige Versprechungen, sie seien gegeben
wem sie wollen, sind unverbindlich und nichtig.
§2.
Die Taufe der Kinder aus einer gemischten Ehe, welche nach
den Bestimmungen des § 1 katholisch zu erziehen sind, steht, wie
die Taufe der Kinder, welche katholischen Eltern ehelich, oder
von katholischen Müttern unehelich geboren werden, dem katholischen
Geistlichen zu. Die Taufe der Kinder aus einer gemischten Ehe,
welche nach § 1 evangelisch zu erziehen sind, sowie die Taufe der
Kinder* welche evangelischen Eltern ehelich oder von evangelischen
Mfittem unehelich geboren werden, ist von dem evangelischen Geist-
lichen zu vollziehen. An Orten, an denen kein katholischer Geist-
licher seinen Sitz hat, kann jedoch die Taufe dort geborener Kinder,
die an sich dem katholischen Geistlichen zustehen würde, auf aus-
drücklichen Antrag der Erziehungsberechtigten — selbstverständlich
ohne Folge für die religiöse Erziehung — durch den zuständigen
evangelischen Geistlichen vorgenommen werden.
Der katholische Geistliche, welcher ein Kind tauft, dessen
Taufe einem evangelischen Geistlichen zusteht, verfällt gleich dem
evangelischen im umgekehrten Falle (vergl. jedoch die Ausnahme
m Abs. 1 Satz 3) in eine Strafe von 30 J(.
Der § 5 des Gesetzes vom 18« Mai 1864 Nr. 26 wird aufge-
hoben.
§3.
Katholisch zu erziehende Kinder genügen ihrer Schulpflicht
auch durch den Besuch einer staatlich anerkannten katholischen
Schule, und sind, wenn sie solche besuchen, von der Entrichtung
des Schulgeldes an die Gemeindeschule befreit.
Besuchen sie die Gemeindeschule, so bleiben sie doch vom
Religionsunterricht befreit, wenn sie nicht auf besondern Antrag der
Erziehungsberechtigten zu demselben zugelassen sind. Nehmen sie
am Religionsunterricht nicht teil, so haben die Erziehungsberech-
tigten anderweit für ihre religiöse Erziehung Sorge zu tragen.
§4.
Die in den §§ 1 bis 3 getroffenen Bestimmungen finden auf
legitimierte Kinder mit der Massgabe entsprechende Anwendung,
dass die nach § 1 zulässige abweichende Erklärung des Vaters
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lää StaaÜiche Aktenstücke
im Falle der Legitimation dm'ch nachfolgende Ehe, wenn
diese Ehe eine gemischte ist, rücksichtlich der religiösen
Erziehung sowohl des legitimierten Kindes, als auch der aus
der Ehe etwa hervorgehenden Kinder binnnen 4 Wochen nach
der Eheschliessung;
im Falle der Legitimation durch Ehelichkeitserklärung
bei verschiedenem Bekenntnis des Vaters und des Kindes
binnen 4 Wochen nach der Eröffnung der Ehelichkeitserklä-
rung an den Vater
abzugeben ist.
Auf das Bekenntnis der Kinder über 10 Jahren hat deren
Legitimation keinen Einfluss.
Die Annahme an Kindesstatt hat einen Wechsel des Bekennt-
nisses des Kindes nicht zur Folge, falls nicht in dem Annahmever-
trage ein anderes bestimmt ist. Hinsichtlich der Taufe und des
Schulbesuchs der an Kindesstatt angenommenen Kinder finden die
§§ 2 und 3 entsprechende Anwendung.
§5.
Wenn Eheleute verschiedenen Bekenntnisses oder aus einer ge-
mischten Ehe nachgebliebene Witwer oder Witwen, welche Kinder
unter 14 Jahren besitzen, im hiesigen Lande ihren Wohnsitz nehmen,
so sind fdr die Erziehung ihrer Kinder , und zwar sowohl derer,
welche schon vorhanden sind, als auch derer, welche etwa noch aus
einer bestehenden Ehe hervorgehen, die Gesetze desjenigen Landes
massgebend, in dem die Eheleute ihren ersten Wohnsitz hatten.
Die Feststellung der in Anwendung kommenden gesetzlichen
Bestimmungen liegt den Behörden , in Städten dem Stadtmagistrat,
in Landgemeinden der Herzoglichen Kreisdirektion ob. Bei dem
Feststellungsverfabren sind die zugezogenen Personen bei Vermei-
dung einer Geldstrafe bis zum Betrage von 60 oS verpflichtet, den
Behörden jede geforderte Auskunft über ihre Religions- und Familien-
verhältnisse zu geben. Über das Ergebnis ist den zugezogenen Per-
sonen ein schriftlicher Ausweis zu erteilen und wenn schulpflichtige
Kinder vorhanden sind, die Schule zu benachrichtigen.
Haben Eheleute verschiedenen Bekenntnisses zur Zeit ihrer
Niederlassung im hiesigen Lande keine Kinder oder nur Kinder über
14 Jahre , so sind die aus der Ehe später hervorgehenden Kinder
nach den in den §§ 1 bis 3 gegebenen Regeln mit der Massgabe
zu behandeln, dass in dem letzteren Falle die im § 1 bezeichnete
Erklärung zwischen der Geburt und Taufe des ersten nach der
Niederlassung im hiesigen Lande geborenen Kindes abzugeben ist.
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und Entscheidungen, 133
§«.
Eine Ausnahme von den in den §§ 1 bis 5 weg^ der religiösen
Erziehung, der Taufe und des Schulbesuchs getroffenen Bestimmungen
unter besonderen Verhältnissen auf Ansuchen des Vaters, der über-
lebenden ehelichen Mutter oder des Vormundes zu gestatten, bleibt
Unserer Höchsten Entschliessung vorbehalten.
IL Von dem Endtermine der SchtUpflichiigkeit^ der Wahl und dem
Wechsel des Bekenntnisses,
§7.
Die Schulpflichtigkeit der Kinder katholischer Eltern, oder un-
ehelicher Kinder katholischer Mütter und derjenigen Kinder, welche
nach den Bestimmungen der §§1,4 oder 5 katholisch zu erziehen
sind, dauert bis zu dem Schlüsse des auf die Vollendung ihres
14. Lebensjahres folgenden Winterhalbjahrs.
Die Entlassung jüngerer katholischer Kinder aus der Schule
darf nicht anders als nach Unserer vorgängigen Befreiung geschehen,
um welche in der Begel nur ffir solche Kinder nachzusuchen statt-
haft ist, welche zur Zeit der Entlassung aus der Schule das Alter
von 13 Jahren 6 Monaten erreichen.
Unbeschadet dieser Schulpflichtigkeit bleibt den katholischen
Geistlichen überlassen, rücksichtlich der Zulassung zur ersten hei-
ligen Kommunion der Ordnung ihrer Kirche zu folgen.
§8.
Die Befugnis zu dem Übertritte von dem Bekenntnis, in wel-
chem jemand erzogen ist, zu einem andern, beginnt mit dem voll-
endeten 14. Lobensjahre.
Eine Befreiung von diesem Alter behufg der Teilnahme an
solchen Religionshandlnngen , durch welche sich eine Religionsge-
meinschaft wesentlich von einer andern unterscheidet, ist für den
Fall, dass ein E[ind einem andern Bekenntnis, als worin es zu er-
ziehen ist, anzugehören begehrt, unzulässig und, von welcher kirch-
lichen Stelle sie etwa auch erteilt sein möchte, nichtig.
Der katholische Ueistliche, welcher dieser Regel durch Zu-
lassung jüngerer Kinder zu solchen Religionshandlungen zuwider-
handelt, verfällt gleich dem evangelischen im ähnlichen Falle in
eine Geldstrafe von 60 cä.
§9-
Die katholischen Geistlichen sind erst dann einen zum Wechsel
des Bekenntnisses entschlossenen Evangelischen aufzunehmen oder
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134 StaaÜiehe Aktenstücke
zu den im § 8 Abs. 2 bezeichneten Religionshandlungen zuzulassen
befugt, wenn die Willenserklärung dessen, der überzutreten die Ab-
sicht hat, einem evangelischen Oeistlichen seines Wohnortes abge-
geben, oder in glaubhafter Weise angezeigt und von ihm eine Be-
scheinigung darüber beigebracht ist, — gleichwie im hiesigen Land
wohnende Katholiken erst dann zum Übertritt in eine andere Reli-
gionsgemeinschaft zugelassen werden sollen, wenn sie eine gleiche
Bescheinigung von einem im hiesigen Lande zu kirchlichen Amts-
handlungen berechtigten katholischen Geistlichen beigebracht haben.
Die liescheinigung ist kostenfrei auszustellen und weder in dem
einen noch in dem anderen Falle zu versagen. Was sonst zum
Übertritt erforderlich ist, wird durch die in den Religionsgemein-
schaften geltenden Ordnungen bestimmt.
Der katholische Geistliche , welcher einen zum Wechsel des
Bekenntnisses entschlossenen Evangelischen aufnimmt^ oder zu den
im § 8 Abs. 2 erw&hnten Religionshandlungen zulässt, ohne die be-
zeichnete Bescheinigung oder Unsere H^^^hste Befreiung von deren
Beibringung erhalten zu haben, verfällt gleich dem evangelischen
im umgekehrten Falle in eine Geldstrafe von 60 J(.
III. Vom Besuch der Kranken und Gefangenen und vom Begräbnis.
§ 10.
Dem katholischen Geistlichen, welcher zu kirchlichen Amts-
handlungen im hiesigen Lande zugelassen ist, steht der Besuch der
katholischen Kranken und die Besorgung der Sakra in deren H&usem
ohne weiteres zu.
Der Besuch katholischer Gefangener bleibt von der Gestattung
der zuständigen Behörde abhängig.
§ 12.
Wenn unter dienstlicher Mitwirkung eines katholischen Geist-
lichen ein Begräbnis auf einem evangelischen Friedhofe stattfinden
soll, so muss hiervon dem evangelischen Pfarrer zuvor Mitteilung
gemacht und ihm nachgewiesen sein, dass der Beerdigung rücksicht-
lich der im § 4 des Gesetzes vom 23. März 1899 Nr. 27, die Be-
strafung der PolizeiubertretuDgen betreffend, enthaltenen Bestim-
mungen Bedenken nicht entgegenstehen. Handelt es sich um eine
stille Beerdigung im Sinne des nachstehenden Paragraphen, so muss
ihm ausserdem der Nachweis erbracht sein, dass die ortspolizeiliche
Erlaubnis erteilt sei. Darüber, dass dem Vorstehenden genügt sei,
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ttfui Bni$eheidungen. 135
hat der eyangelische Geistliche eine Bescheinigung ansznstellen. Der
katholische Geistliche, welcher ohne solche Bescheinigung bei dem
Begräbnis mitwirkt, verf&Ut in eine Geldstrafe von 30 Jf.
§ 13.
Eine stille Beerdigmig, welche nachts, d. h. in der Zeit vom
1. April bis 30. September in den Stunden von 8 ühr abends bis
6 ühr morgens und in der Zeit vom 1. Oktober bis 31. März in den
Stunden von 6 ühr abends bis 6 ühr morgens stattfindet, dürfen die
katholischen Geistlichen bei einer Geldbusse von 30 oS nicht vor-
nehmen oder gestatten, ohne dass die Erlaubnis der Ortspolizeibehörde
dazu erteilt worden ist.
IV. Van der Fiihrtsng der Kirchenbücher tmd der Aufsicht über
dieselbe.
§ 14.
Die bis zum 1. Januar 1876 in den katholischen Gemeinden
zu Braunschweig, Wolfenbüttel und Helmstadt geführten Earchen-
bücher unterliegen femerweit den bisherigen Bestimmungen.
Im übrigen wird die Aufsicht über die KirchenbuchfÜhrung,
soweit erforderlich , in den Städten vom Stadtmagistrate , in den
Landgemeinden von der betreffenden Herzoglichen Ereisdirektion
F. Von der Zulassung der katholischen Geistlichen su kirchlichen
Ämtshandlungen.
§ 15.
Bevor ein katholischer Geistlicher, nach unserer vorgängigen
Bestätigung im Amte, im hiesigen Lande sein Amt antritt und seine
Amtstätigkeit beginnt, hat derselbe in den Städten vor dem Stadt-
magistrate, in den Landgemeinden vor der Herzoglichen Ereis-
direktion zu Protokoll anzugeloben, dass er diesem Gesetze getreu-
lich nachkommen wolle.
Andere katholische Geistliche sind zur Vollziehung kirchlicher
Amtshandlungen im hiesigen Lande erst dann berechtigt, wenn jene
ihnen auf Ansuchen vom Herzoglichen Staats-Ministerium gestattet
ist, und nachdem sie gleichfalls das im ersten Absatz vorgeschriebene
Gelöbnis vor der betr. Herzoglichen Kreisdirektion zu Protokoll ab-
gegeben haben.
Die jetzt im Amte befindlichen, bezw. zur Verrichtung kirch-
licher Amtshandlungen zugelassenen Geistlichen sind auf ihr früher
geleistetes Gelöbnis zu verweisen.
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136 Staatliche Aktenatücke
§ 16.
Katholische Geistliche, welche ohne dazu berechtigt zu sein,
kirchliche Amtshandlungen im hiesigen Lande vollziehen, ver&llen
der Bestrafung nach Massgabe der Landesgesetze.
VI. Schltissbestimmung.
§ 17.
Das Oesetz vom 10. Mai 1867 Nr. 32, die Ordnung der kirch-
lichen Verhältnisse der Katholiken im hiesigen Lande betreffend, so-
wie die durch Verordnung vom 10. Mai 1867 Nr. 33 erlassene In-
struktion werden aufgehoben.
Alle, die es angeht, haben sich hiernach zu achten.
Urkundlich Unserer Unterschrift und beigedruckten Herzog-
lichen Oeheime Kanzlei-Siegels.
Braunschweig, den 29. Dezember 1902.
(L. S.) Albreckt, Prinz von Preussen.
von Otto. Hartwieg. Trieps.
3. Gehaltsaufbesserung der katholischen Seelsorgsgeistliehen
ans Staatsmitteln in Bayern.
(Erl. des kgl. Staatsministeriams des Innern f. Kirchen- and Schalangelegen-
heiten T. 7. Sept. 1902.)
An Sämtliche K. Regierungen, Kammern des Innern.
K. Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schtdan gelegen-
heiten.
Im Budget fiar die XXVI. Finanzperiode wurden die Mittel zur
Verffigung gestellt, um den katholischen SeelsorgsgeistUchen weitere
Einkommensaufbesserungen zu gewähren. Nach Allerhöchster Ge-
nehmigung dieser Einkommensauibesserungen werden die im Einver-
ständnis mit dem E. Staatsministerium der Finanzen neu zusammen-
gestellten Normativbestimmungen hiermit bekannt gegeben.
I. Mit der Wirksamkeit vom 1. Januar 1902 an wird die
Aufbesserung des Einkommens der katholischen Seelsorgsgeistliehen
in nachstehender Weise geregelt:
A. Das Einkommen der Pfarrer, deren Pfründen geringer
dotirt sind, wird durch Aufbesserungszulagen ergänzt:
1. bei Pfarreien bis zu 400 Seelen einschlfissig
a) während der ersten zehn Priesterjahre auf 1800 J(
b) vom vollendeten 10. Priesterjahre ab „ 2000 Jf
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und EniBcheidungen. 137
c) Yom vollendeten 15. Priesterjahre ab auf 2200 Jl
d) , „25. , „ . 2400 c^
e) „ „ 30. „ „ , 2600 Ji
rr . 35. „ „ „ 2800 J(
g) „ .40. , „ „ 3000 c^
2. bei Pfarreien mit mehr als 400 Seelen
a) während der ersten fünfzehn Priester-
jahre auf 2000 Jl
b) vom vollendeten 15. Priesterjahre ab auf 2200 Jl
c) „ „ 25. „ , . 2400 c^
d) , „ 20. ,, , , 2600 c^
e) „ . 35 2800 c^
f) „ . 40. „ „ „ 3000 Ji
3. bei den organisierten Eloster-Stadtpfarreien , sowie den
Pfarreien in unmittelbaren Städten diesseits des Rheins
a) während der ersten fünfundzwanzig
Priesterjahre auf 2400 Ji
b) vom vollendeten 25. Priesterjahre ab auf 2600 Ji
c) „ .30. , „ „ 2800 c^
d) „ „ 35. „ „ „ 3000 c^
e) . „ 40. „ „ „ 3200 Jl
4. bei Pfarreien in der Pfalz, welche bisher im Genüsse von
Präcipuen standen,
a) während der ersten dreissig Priester-
jahre auf 2720 Jl
b) vom vollendeten 30. Priesterjahre ab auf 2800 Ji
c) „ . 35. , , „ 3000 c^
d) . . 40. , „ „ 3200^c^
B. Predigerund Prädikaturheneßeiaten erhalten, wenn sie eigene
Haushaltung fahren, zu den mit ihrer Stelle verbundenen Bezügen:
a) während der ersten fünf Priester lahre eine
jährliche Zulage von ....... 540 Ji
b) vom vollendeten 5. Priesterjahre ab eine
solche von 690 Ji
c) vom vollendeten 10. Priesterjahre ab eine
solche von 840 Ji
soweit dadurch ihr Einkommen
bei a) den Jahresbetrag von 1800 Jl
. b) „ „ „ 1950 Ji
. c) . „ „ 2100 Jl
nicht übersteigt.
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138 StäaÜiehe AktemiOeke
G. Das Einkommen der SeeUorgsgeisiüchen mit eigener Haushai''
tufig in abgegrenzten Filialgemeinden ^ mit deren Stellen geringere
BezQge verbunden sind, wird durch Aufbesserungszulagen erg&nzt:
1. bei Seelsorgsgemeinden bis zu 400 Seelen einschlfissig
a) während der ersten fünf Priesterjahre auf 1440 Ji
b) vom vollendeten 5. Priesterjahre an auf 1590 Jt
c) . .10. . „ „ moji
2. bei Seelsorgsgemeinden mit mehr als 400 Seelen
a) w&hrend der ersten fßnf Priesterjahre auf 1560 Ji
b) vom vollendeten 5. Priesterjahre an auf 1710 e/4(
c) . .10. „ „ „ 1860 c^
D. Die übrigen SeelsorgegeieÜichen mit eigener Haushaltung
erhalten zu den mit ihren Stellen verbundenen Bezögen:
a) w&hrend der ersten fünf Priesterjahre eine
jährliche Zulage von \ . , 360 cä
b) vom vollendeten 5. Priesterjahre ab eine
solche von 510 Ji
c) vom vollendeten 10. Priesterjahre ab eine
solche von 660 Ji^
soweit dadurch ihr Einkommen
bei a) den Jahresbetrag von 1600 Ji
. b) , „ , 1650 c^
. c) , , „ 1800 c^
nicht übersteigt.
E. Die SeelsorgsgeisÜichen^ welche in der Verpflegung beim
Pfarrer stehen^ erhalten
a) während der ersten fünf Priesterjahre die
Bezüge wie bisher,
b) vom vollendeten 5. Priesterjahre ab eine
jährliche Zulage von 150 e/^
c) vom vollendeten 10. Priesterjahre ab eine
solche von 300 J(
soweit dadurch ihr Einkommen
bei b) den Jahresbetrag von 1500 Jt
„ c) „ „ „ 1650 Jl
nicht fibersteigt.
F. Die Stadt' und Landkapläne in der Pfalz erhalten zu ihren
bisherigen Bezügen die Zulagen nach Massgabe der Bestimmungen
unter D oder E, je nachdem sie eigene Haushaltung führen oder in
der Verpflegung beim Pfarrer stehen.
O. Die besonders aufgestellten Pfarrverweser erhalten zu ihren
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und EntseheidungefU I3d
bisherigen Bezügen vom vollendeten 5. Priesterjahre an eine Zulage
von IbO J( und vom vollendeten 10. Priesterjahre an eine solche
von 300 oS, soweit dadurch ihr Oesamtbezug im ersteren Falle
den Jahresbetrag von 1650 t^ und im letzteren Falle den Jahres-
betrag von 1800 e/4( nicht übersteigt. Soweit das Einkommen der
erledigten Pfarrpfründe zureicht, sind diese Zulagen der Pfarrver-
weser in gleicher Weise wie die bisherigen Bezüge derselben aus dem
Einkommen der erledigten Pfründen zu bestreiten. (Vgl. Minist.-E.
vom 16. Dez. 1886 Nr. 15056, Minist.-Bl. f. K.- u. Sch.-Ang. S. 286.)
II. Wenn für eine Stelle, deren Inhaber nach vorstehender
Ziffer I an der Aufbesserung teil nimmt, eine Fassion besteht, so
ist auch fernerhin das in der Fassion ausgevriesene Reinerträgnis
der Stelle für die Bemessung des Zuschussbetrages massgebend.
Die Anwendung dieses Orundsatzes wird jedoch beschränkt,
durch die in den Normativ-Entschliessungen vom 24. Februar 1878
Nr. 2148, die Aufbesserung gering dotirter Seelsorgestellen, hier die
Abrechnung von Absitzfristen betr., und vom 30. März 1878 Nr. 3254.
das Budget für die XIV. Finanzperiode (Abrec^ung neuer Stift-
ungen etc.) betr. — Ministerialblatt für Kirchen- und Schulange-
legenheiten S. 143 — getroffenen Bestimmungen, welche unverändert
in Geltung bleiben. Fortdauernde Anwendbarkeit behält auch die
Verfcigung in Ziffer III der Normativ-Entschliessnng vom 21. August
1874 Nr. 10566 bezw. in Ziffer II der an die E. Begierung, Kam-
mer des Innern, der Pfalz ergangenen Bntschliessung vom gleichen
Tage Nr. 10567, das Budget für die XII. Finanzperiode, hier die
Einkommensaufbesserung fQr die katholische Geistlichkeit aus Staats-
mitteln betr., mit der dazu ergangenen Ministerial-Entschliessung
gleichen Betreffs vom 6. Januar 1875 Nr. 16291, wobei die Mini-
sterial-Entschliessung vom 25. Mai 1893 Nr. 7038, die Einkommens-
aufbesserung der katholischen Seelsorgsgeistlichen aus Staatsmitteln,
hier den Ansät/, für die Kaplansverpflegung betr. (Ministerialblatt
fbr Kirchen- und Schulangelegenheiten S. 126) zn berücksichtigen ist
Die bisherigen Onmds&tze für die Berechnung der Einkom-
mensautbesserungen gelten im wesentlichen auch für die Alterszu-
lagen. Bei Bemessung der den Hilfsgeistlichen (Ziff. I B mit O)
nach ümfluss von fünf bezw. zehn Priesterjahren zukommenden
Alterszulagen von je 150 e^^ sind indessen auch die Einkünfte aus
Erteilung von Religionsunterricht an öffentlichen Schulen und An-
stalten, sodann aus der Seelsorge in öffentlichen Anstalten (Kranken-
häusern etc.) sowie aus der Milit&rseelsorge, soweit diese Einkünfte
nicht ohnehin schon in das Stelleneinkommen eingerechnet sind^ in
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140 SiaatHche Akienatücke
Anschlag zu bringen. In das Stelleneinkommen der in der Ver-
pflegung beim Pfarrer stehenden Hilfsgeistlichen sind neben dem
Yerpflegsanschlag die Natural- und Barbezuge einschlüssig der Mess-
stipendien, soweit solche bisher in Ansatz gebracht oder als Honorar
zugewiesen wurden, nach dem dermalen für die betreffenden Pfar-
reien bestehenden Regulative oder Herkommen einzurechnen. Etwaige
Aenderungen in den einschlägigen Segelungen bedürfen, sofeme
ihnen eine Wirkung in Bezug auf die Einkommensaufbesserung zu-
kommen soll, der Zustimmung der E. Regierung Kammer des
Innern. In strittigen Fällen ist der für die Einkommensaufbesserung
massgebende Betrag nach Ziffer IX. der gegenwärtigen Bestimmungen
beschlussmässig festzusetzen. Veranlastenfalls ist für jene Hilftgeist-
lichenstellen , für welche noch keine Fassionen vorliegen, die Auf-
stellung solcher herbeizuführen. Bei geeignetem Anlasse, insbesondere
bei Revisionen von Pfarrfassionen , ist zu prüfen, ob die Pfarr-
pfründe nicht aus eigenen Mitteln für eine ausreichende Aufbesse-
rung ihrer Hilfsgeistlichen autkommen kann.
Bei sämtlichen Alterszulagen werden die hiefür massgebenden
Priesterjahre vom ersten Tage des auf die Priesterjahre folgenden
Quartals, sohin vom nächstfolgenden 1. Januar, 1. April, 1. Juli
bezw. 1. Oktober an gezählt.
in. Insoweit auf die Höhe des zu gewährenden Staatszuschusses
die Seelenzahl der betreffenden Seelsorgebezirke von Einfluss ist,
bemisst sich dieselbe nach dem amtlich bekannt gemachten Ergeb-
nisse der jeweils letzten allgemeinen Volkszählung, wobei die Mi-
nisterialentschliessung vom 16. Dezember 1892 Nr. 18403, die Ein-
kommensaufbesserung der katholischen Seelsorgsgeistlichen betr., zu
beachten ist. Eine vorgenommene neue Volkszählung kommt des-
wegen bei Festsetzung der Aufbesserungsbeträge erst dann 'n Be-
tracht^ wenn die Zählungsergebnisse zur amtlichen Publikation
gelangt sind.
In jenen Fällen, in denen die Einkommensaut besserung eines
Geistlichen infolge einer neuen Volkszählung oder infolge von Ände-
rungen im Bestände des Seelsorgebezirkes eine Minderung erfahren
würde, ist für die Berechnung des Aufbesserungszuschusses die seit-
herige Seelenzahl solange noch als massgebend zu erachten, als
dieser Seelsorgsgeistliche auf der einschlägigen Stelle verbleibt
IV. Die den Pfarrern nach obiger Ziffer I, A zukommenden
Aufbesserungen werden auch den Inhabern jener selbständigen Seel-
sorgestellen gewährt, welche schon bisher in Ansehung der staat-
lichen Einkommensaufbesserung den Pfarreien gleichgeachtet wor-
den sind. Digitizedby Google
und tßnticheidunffefi. 141
V. Pör die Einreihung in die Kategorie Ziffer I, C macht es
keinen Unterschied, ob die betreffenden Stellen als Pfründen im
kirchlichen Sinne zu erachten beziehungsweise ob deren Inhaber in-
vestirt sind oder nicht; ebenso ist es ohne Belang, ob sich ein
solcher Seelsorgsgeistlicher in formaler Abhängigkeit von einem
Pfarrer befindet. Entscheidend ist, dass dem betreffenden, mit dem
Vollmasse der pfarrlichen Rechte nicht ausgestatteten Geistlichen
(Euraten, Pfarrvikar, Expositns, Lokalkaplan) kraft seiner Anstellung
die Ausübung der wesentlichen Funktionen der Seelsorge für die
Angehörigen eines r¨ich abgegrenzten Bezirkes als dauernder
und selbständiger Wirkungskreis zukommt.
VI. Voraussetzung für den Bezug der Ziffer I, D oben be-
stimmten Aufbesserung ist neben der kirchlicher- und staatlicher-
seits genehmigten Führung eines eigenen Haushaltes die Ausübung
der Seelsorge als eigentlicher Berufsaufgabe. Hiernach fallen m die
bezeichnete Kategorie von Oeistlichen regelmässig die Eapläne,
Eooperatoren und Wallfahrtspriester, welche eigenen Haushalt führen.
Dagegen können Benefiziaten nur dann darunter gezählt werden,
wenn ihre Pfründen wirkliche Eaplaneibenefizien sind, oder wenn
ihnen zu ihren Benefizialobliegenheiten im Einverständnis der kirch-
lichen und staatlichen Behörden die Verpflichtung auferlegt ist, sich
ständig in der Seelsorge in einer Weise verwenden zu lassen ^ dass
sie einem Eaplane oder Eooperator vollkommen gleichzuachten sind.
Vn. Die bisherigen Einreihungen in die einzelnen Eategorien
bleiben unter den einschlägigen Voraussetzungen bis auf weiteres
aufrecht. Für weitere Fälle und namentlich auch fax alle Ver-
schiebungen von einer Eategorie in eine andere, soweit solche im
Hinblick auf die Bestimmung in nachfolgender Ziffer XI ohne Be-
schaffung einer ausreichenden Dotation überhaupt zulässig sind,
bleibt die Genehmigung des E. Staatsministeriums des Innern für
Eirchen- und Schulangelegenheiten vorbehalten.
Die staatlichen Zulagen nach Ziffer I, B und G kommen auch
den besonders angestellten Verwesern der betreffenden Stellen zu.
Unter den in der Ministerial-Entschliessung vom 30. Januar 189!
Nr. 14063 — die Einkommensaufbesserung der katholischen Seel-
sorgsgeistlichen, hier der Eaplaneibenefiziumsvikare aus Staatsmitteln
betreffend — bestimmten Voraussetzungen nehmen auch die besonders
au^estelllen Eaplaneibenefiziumsvikare an den staatlichen Zulagen
nach Ziffer I, D teil.
Vni. Seelsorgsgeistliche, welche nicht zum Bessert des Eultus-
ministeriums gehören, also die Hausgeistlichen an Strafanstalten u. s. w.,
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142 Staatliche Aktenstücke
können die in Ziffer I oben normirten Aufbesseningszuschfisse nicht
ansprechen.
IX. Ergeben sich im einzelnen Falle Zweifel darüber, ob ein
Anspruch auf Gewährung staatlicher Aufbesserung überhaupt oder
dem liquidirten Betrage nach begründet sei, so ist von der E. Re-
gierung, Kammer des Innern, nach vollständig instruirter Sache vor-
behaltlich des Rechtes der BeschwerdefQhrung motivirter Beschluss
zu fassen.
X. Für die Fälle der zeitweisen Nichtbesetzung statusmässiger
Hilfspriesterstellen bei Pfarreien, deren Inhaber an der Aufbesserung
teilnehmen, wird der nach dem Fassionsabschlusse sich berechnende
Zuschuss ungeschmälert verabfolgt, wenn sich die Vakatur in un-
unterbrochener Dauer nicht über 30 Tage erstreckt. Bei länger an-
dauernden Erledigungen solcher Hilfsgeistlichenstellen dagegen kann
der Aufbesserungszuschuss gekürzt und unter Umständen gänzlich
eingezogen werden. Ob und in wie weit dieses zu geschehen habe,
ist von den K. Regierungen, Kammern des Innern, nach Abwägung
aller einschlägigen Verhältnisse und unter Beachtung der in der
Normativ-Entschliessung vom 15. Juni 1884 — Ministerialbl. für
Kirchen- und Schulangelegenheiten S. 126 — gegebenen Direktiven
zu bestimmen.
Oleiche Zuständigkeit greift Platz hinsichtlich der üeberlassung
von Bezügen bei Erledigung von Hilfsgeistlichenstellen in der Pfalz.
Die üeberlassung von Alterszulagen ist ausgeschlossen.
XI. Die in Ziffer I oben normirten Aufbesserungen des An-
fangseinkonmiens sind nur für die Inhaber bereits bestehender Seel-
sorgestellen der einzelnen Kategorien bestimmt, und können darum
den Inhabern von Stellen, welche neu errichtet werden, nicht zuge-
wiesen werden.
Nachdem aber die Einkommensbeträge, bis zu welchen den
verschiedenen Kategorien des katholischen Klerus Aufbesserungs-
zuscbüsse gewährt werden, notwendig erscheinen, um den betreffen-
den Geistlichen eine ihrer Stellung entsprechende Existenz zu sichern,
so muss darauf bestanden werden, dass die Dotation neu zu er-
richtender Stellen ein jenen Beträgen mindestens gleichkommendes
Reinerträgnis abwirft. Die Alterszulagen kommen hiebei nicht in
Betracht.
XII. Die bewilligten Aufbesserungen bilden gleich den früheren
keine Dotationsergänzung für die betreffenden Pfründen und Seel-
sorgestellen ; sie sind vielmehr lediglich Personalzulagen , dazu be-
stimmt, den Beteiligten eine bessere Lebensstellung zu ermöglichen ;
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und BtUscheidungefu 143
sie sind widerruflicher Natur und durch die jeweilige finanzgesetz-
liche Neubewilligung bedingt. Die Erübrigungen während der Er-
ledigung einer Stelle fallen der Staatskasse heim.
Von diesem Grundsätze tritt eine Ausnahme ein in den Fällen
der Ziffern VII Abs. 2, X und XIV lit. b gegenwärtiger Normativ-
bestimmungen, sowie bei Pfarreierledigangen, bei letzteren aber nur
insoweit, aLs dieses durch die Normati v-Entschliessung vom 16. De-
zember 1886 — Ministerialbl. für Kirchen- und Schulangelegen-
heiten S. 286 — im Zusammenhalte mit Ziffer 1 , 6 der gegen-
wärtigen Normativ-Entschliessung zugelassen worden ist. In Fällen
letzterer Art ist das bei Auszeigung des Verwesergehaltes zu Grunde
zu legende Stellenerträgnis nach den oben unter Ziffer II gegebenen
Direktiven zu ermitteln^ sonach mit demselben Betrage wie bei Fest-
setzung des Aufbesserungszuschusses für den wirklichen Pfründe-
inhaber in Ansatz zu bringen.
In der Pfalz fallen den bisherigen Bestimmungen entsprechend
die Aufbesserungszuschüsse während der Erledigung einer Stelle in-
soweit der Staatskasse heim, als sie das Mass der vor Beginn der
XI. Finanzperiodo gewährten Besoldungszulagen überschreiten.
XIIL Wie mit Bücksicht auf den in vorstehender Ziffer XII
bezeichneten Charakter der Aufbesserung die Staatsregierung trotz
der durch die Neuregulirung bedingten Mehrleistungen der Staats-
kasse bisher davon Abstand genommen hat, bezüglich der Kollations-
und Privatpatronatspfründen , deren Inhaber in ihrem Einkommen
aufgebessert werden, den Anspruch auf ein Landesherrliches Patronat
und beziehungsweise Kompatronat weiter zu verfolgen, so bleibt auch
die Gewährung der in Ziffer I bezeichneten staatlichen Zulagen ohne
Einfluss auf die Besetzungsrechte.
XIV. Hinsichtlich der Zahlung, sowie der kasse- und rechnungs-
mässigen Behandlung der Auf besserungsbezüge wird in widerruflicher
Weise Nachstehendes verfügt:
a) Die Zahlung der staatlichen Zulagen geschieht monatlich
im voraus. Auf Wunsch der Beteiligten kann die Zahlung inner-
halb eines Rechnungsjahres auch viertel- oder halbjährig erfolgen;
eine Vorauszahlung findet jedoch in diesen Fällen nur für den letzten
Monat des betreffenden Viertel- oder Halbjahres statt. Bei Raten-
zahlungen ist nach Monaten und Monatsraten und zwar nach der
wirklichen Tageszahl des betreffenden Monats zu rechnen.
b) Im Falle des Ablebens eines Geistlichen endigt die Zahlung
mit Ablauf des Sterbemonats. Die etwa bereits erhobenen Ver-
gütungen für Absitzfristen sind ihrer bestimmungsgemässen Ver-
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144 Staatliche Aktenstücke
Wendung zuzuführen. Die übrigen Aufbesserungsbezdge für die Zeit
vom Todestage ab bis zum Schluss des Sterbemonats verbleiben
dem Nachlass des verstorbenen üeistlichen. Dies schliesst nicht
aus, dass noch innerhalb des Sterbemonats ein Nachfolger oder Ver-
weser aufgestellt wird imd die etwa diesen treffenden Aufbesserungen
/ur Anw. isung gelangen; auch bleibt die Bestimmung in obenstehen-
der Ziffer Xn Abs. 3 unberühit.
c) Die staatlichen Zulagen sind unausgeschieden zu quittieren
und zu berechnen; nur die Vergütungen für Absitzfristen sind geson-
dert auszuweisen.
d) Bezüglich der rechnungsständigen Behandlung der Zulagen ist
die Ministerialentschliessung v. 26. August 1899 Nr. 2980 zu beachten.
e) Bei Anstellung, Versetzung, Resignation oder Absetzung
von bepfrändeten Geistlichen haben die k. Regierungen, Kammern
des Innern, die erforderlichen Mitteilungen namentlich auch über
die für den Beginn bezw. das Aufhören der Bezüge massgebenden
Daten den beteiligten Kassen und Aemtem direkt zukommen zu
lassen. Bei Verwesungen von Pfarreien und denselben gleichge-
achteten selbständigen Seelsorgestellen ist neben der besonderen
Anweisung, soweit solche erforderlich ist, für die erste, bezw. letzte
Quittung eine dekanatamtliche Bestätigung über den Beginn bezw.
die Beendigung der Verwesung beizubringen. Bezüglich der in der
Verpflegung beim Pfarrer stehenden Hilfsgeistlichen ist der Nach-
weis über die Besetzung der betreffenden Stellen gleichfalls durch
dekanatamtliche Bestätigung zu erbringen. Im übrigen ist von den
nicht bepfründeten Geistlichen für die erste bezw. letzte Quittung
pfarramtliche Bestätigung über ihren Dienstantritt bezw. Abgang bei-
zubringen ; bei Abgang infolge Verleihung einer Pfründe ist die oben
angeordnete Mitteilung der k. Regierung, Kammer des Innern, mass-
gebend und eine weitere Bestätigung nicht erforderlich. Die ein-
schlägigen Mitteilungen und Bestätigungen sind von den auszahlen-
den Kassen und Ämtern als wirkliche Rechnungsbelege zu den tref-
fenden Jahresrechnungen zu nehmen.
f) Beim Ableben von Geistlichen, ohne Unterschied, ob solche
bepfründet oder nicht bepfründet waren, genügt zur Rechnungsbe-
deckung rentamtliche Konstatirung auf grund der Sterbefallregister.
g) Für besondere Verhältnisse bleiben den K. Regierungen,
Kammern des Innern und der Finanzen, die entsprechenden Anord-
nungen vorbehalten.
XV. Die aus den bewilligten Aufbesserungen sich ergebenden
Biukommensmehrungen unterliegen bezüglich aller Stellen, bei denen
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and kffUBcheidtmgen. l45
eine Anstellungstaie zu entrichten ist, der entsprechenden Unter-
stützungsfondsabgabe.
XVI. Die entgegenstehenden bisherigen Normativbestimmungen,
insbesondere die Ministerialentschliessungen vom 29. Januar 1873
Nr. 5923 (Minist.-Bl. f. K.- u. Sch.-A. Seite 40), vom 16. Dezember
1876 Nr. 16343 (Minist.-Bl. f. K.- und Sch.-A. Seite 421), vom
5. Juli 1894 Nr. 8453 (Minisi-Bl. f. K.- u. Sch.-A. Seite 227 und
Ereisamtsblatt der E^alz Seite 67) treten ausser Wirksamkeit.
München, den 7. September 1902.
I. V.
Staatsrat Dr. von Wehner.
4. Kirchenbaasaehe.
VerhäUnis der Kirchrnjemeinde zur politischen Gemeinde hei Aus-
führung eines Kirchenbaues, sofern die politische Gemeinde eur Auf-
bringung der Kirchenbauhosten verpflichtet ist.
Begriff des * Geistlichen Oberent im Sinne von § 707 Ä. L.-R, II 11,
Die Kirchengemeinde wird durch die Handlungen des Kirchenvor-
Standes Dritten, also auch den Baugläubigern gegenOber verpflichtet^
selbst wenn der Kirchenvorstand hierbei etwa durch Nachlässigkeit
fehU.
Bechtsfall aas dem Gebiete des Preassischen Allgemeinen Landrechts
mitgetheilt von Justiirath Dr. Porach in Breslau.
Die politische Gemeinde Zauchwitz klagt gegen die politische
Gemeinde Tschirmkau auf Leistung eiues Beitrages zu deu Kosten
einer Reparatur an der Pfarrei Zauchwitz.
Beide Gemeinde gehören zum Preussischen Anteil der Erzdiö-
zese Ohnütz, Kommissariat Katscher.
Die beklagte Gemeinde ist observanzmässig verpflichtet, zu
den Baukosten der Kirche und Pfarrei in Zauchwitz ein Drittel bei-
zutragen, während zwei Drittel dieser Kosten von der klagenden Ge-
meinde aufzubringen sind. Wie Klägerin behauptet, ist in einer
Versammlung des Kirchenvorstandes und der kirchlichen Gemeinde-
vertretung, an der auch Mitglieder der beklagten Gemeinde teilge-
nommen haben, am 13. Juni 1895 die Vornahme eines Umbaues
und einer Reparatur der Pfarrei in Zauchwitz beschlossen und die
Notwendigkeit des Umbaues und der Reparatur von der Beklagten
anerkannt worden. Hierauf sei von dem Baumeister ein auf 2729,56 »4(
lautender Kostenanschlag aufgestellt und der Ausfährung des Baues
Archiv mr Kireb«iireebt. LXXXIJl. 10
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U6 staatliche Aktenstücke
zu Oninde gelegt worden. Später habe sich indessen herausgestellt,
dass der Kostenanschlag nicht innegehalten werden konnte, wie dies
bei derartigen Bauten und Reparaturen stets zu geschehen pflege.
Die Mehraufwendungen h&tten 2328,73 J( betragen, zu welcher Summe
die Beklagte nach der bestehenden Observanz 774,60 t^ beizusteuern
habe. Letztgenannten Betrag habe Klägerin einstweilen für die Be-
klagte ausgelegt; die Beklagte weigere sich aber, der Klägerin den
verauslagten Betrag zu erstatten. Der Königliche Landrat zu Leob-
schütz habe am 24. Oktober 1899 mit drei Deputierten der beklagten
Gemeinde über die Erstattnngspflicht verhandelt und es hätten die
Deputierten hierbei folgendes zu Protokoll erklärt:
»Wir erkennen zwar an, dass von jeher die Kirch- und Pfarr-
baukosten in Zauchwitz von den politischen Gemeinden Zauch-
witz mit */s und Tschirmkau mit Vs gedeckt worden sind;
wir weigern uns indessen, den auf uns noch entfallenden Betrag,
und zwar von 1229.49 tJf abzüglich der bereits gezahlten
454.89 Jf mit 774,60 Jf zu zahlen, da wir nicht genügend
über die noch nachträglich beschlossenen Reparaturen gehört
worden und nicht in der Lage gewesen sind, bei Vergebung der
Arbeiten mitzuwirken. Auch sind wir zu keinem Bauvertrage
zugezogen worden. Die Notwendigkeit der Reparaturen räumen
wir ein.c
Klägerin hat deshalb auf Zahlung des Betrages von 774,60 Jt
geklagt und auch im wesentlichen obgesiegt. Das Königliche Ober-
landesgericht Breslau I. Givilsenat hat in seinem Urteil vom
17. Juni 1901 zu gunsten der Klägerin u. a. ausgeßihrt (andere
Einzelheiten interessieren nicht):
»Der Rechtsweg ist zulässig. Es handelt sich um einen Er-
stattungsanspruch bürgerlich-rechtlicher Natur. Ist er davon ab-
hängig, dass die Kirchenbehörde die Notwendigkeit der Bauten
bestätigt hat, so kann dies zur Klageabweisung, nicht aber zur Ver-
weigerung des Rechtsweges fähren.
Die Klägerin hat indes in IL Instanz den Nachweis gefährt,
dass die von ihr, unstreitig mit 5053,29 t/M bezahlten Bauten an
der Pfarrei Zauchwitz, von den zuständigen geistlichen Oberen für
notwendig erachtet worden sind.
Der Reparaturbau am Pfarrhause wurde von dem hierfär zu-
ständigen Kirchenvorstande (Gesetz vom 20. Juni 1875, §§ 1. 3.
18. 21 b) nebst der Kirchen-Gemeindevertretung am 13. Juni 1895
beschlossen und von dem färst-erzbischöflichen Kommissar, auf der
Grundlage des unterm 20. Dezember 1895 vom Baumeister aufge-
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Und kfUBchHäungeti. 14?
stellten Kostenanschlages, von Eirchenaufsichtswegen genehmigt.
Die Errichtung der Zäune wurde am 3. April 1899, also nachträg-
lich, von Kirchen- Vorstand und Kirchen-Gemeindevertretung, und
am 17. Mai 1899 vom bischöflichen Kommissar genehmigt und für
notwendig erklärt. Der geistliche Obere d. h. der Bischof oder
dessen berufener Vertreter sind für die Prüfung der Notwendigkeit
derartiger Bauten zuständig. (A. L.-R. TL 11. §§ 707, 705, 115, 130.
Gesetz von 20. Juni 1875 § 47.) Die Genehmigung der Staatsbe-
hörde ist nur bei neuen Gebäuden erfordert. (Gesetz vom 20. Juni 1875
§ 50^) zu welchen neue Zäune nicht zu rechnen sind. Es genügt,
wenn die Genehmigung auch nur nachträglich nach Fertigstellung
der Bauten ausgesprochen wird. (Beichs-Gericht Band 34, S. 308.)
Es ist unerheblich , wenn der geistliche Obere , der übrigens aus«
drücklich auf die in der Pfarrgemeinde bestehende Observanz hin-
weist, am 17. Mai 1899 bemerkte, die Nachtragsbauten würden
derart genehmigt, dass die Kosten durch Umlagen auf die Gemein-
den Zauchwitz und Tschirmkau nach der dort bestehenden Observanz
aufgebracht werden.
Hierdurch wird die Notwendigkeit der Bauten nicht berührt.
Die Frage der Aufbringung hat nicht der geistliche Obere zu ent*
scheiden, sondern ist, falls Streit entsteht, den weltlichen Behörden
zu überlassen. (A. L.-E. U IL § 708. 709.) Der Versuch gütlicher
Begulirung des Streits durch den geistlichen Oberen ist nicht Vor-
aussetzung des Bechts, Klage vor Gericht zu erheben.
Die Anerkenntnisse der Beklagten hinsichtlich der Notwendig-
keit der Bauten binden die Beklagten nicht gegenüber der Klägerin^
wenn sie auch Beweismittel sind für das Bestehen der von der
Klägerin behaupteten, übrigens unbestrittenen, Gesetzesstelle ver-
tretenden Observanz (A. L.-B. n 11. § 710. 789.): dass die Kosten
der Pfarrbauten in Zauchwitz zu % von der Landgemeinde Zauchwitz,
zu 1/3 von der Landgemeinde Tschirmkau getragen werden müssen.
Das Anerkenntnis der mit Vollmacht versehenen Gemeindeabge-
ordneten vom 24. Oktober 1899 ist dem Landrat gegenüber abge-
geben. Der Landrat vertritt aber nicht bürgerlich-rechtlich die
Landgemeinde Zauchwitz.
Das fernere Anerkenntnis vom 19. März 1899 ist formungültig;
weil es lediglich vom Gemeindevorsteher H. unterschrieben ist.
(Landgem.-O. § 88. Nr. 7.) Aus gleichem Grunde ist die Genehmig-
ung des F. vom 24. Juli 1894 zum Zaunbau unerheblich.
Ein Vertragsverhältnis zwischen den Latu^gemeinden Zauchwitz
und Tschirmkau als solchen über die gegenwärtig streitigen Bauten,
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148 Siaailiche Aktenstücke
hat die Klägerin nicht behauptet ; es ist ein solches auch nicht sonst
ersichtlich geworden. Insbesondere ist nicht behauptet, das» die
liatulgemeinde Tschirmkau der Irandgemeinde Zauchwitz den Auf-
trag erteilt habe, die Bauten ausfuhren zu lassen, oder zu bezahlen.
Im Verhältnis von Eingepfarrten stehen die Parteien gleichfalls nicht
zu einander. Die Landgemeinden Zauchwitz und Tschirmkau als
solche sind nicht Parochiane der Pfarrgemeinde Zauchwitz. Hieraus
folgt , dass Klägerin ihre Ansprüche nur auf die Grundsätze der
nützlichen Verwendung stützen kann. (A. L.-B. I 13. § 268 fg.)
Die Klägerin muss nachweisen, dass sie nötige oder nützliche
Ausgaben für die Beklagte bestritten hat. Der Nachweis der Nütz-
lichkeit ist nicht versucht. Es bleibt daher nur zu prüfen, ob die
Auslagen notwendig waren. Sie waren dies, wenn die Beklagte
durch die Gesetze zu den Ausgaben verpflichtet war. (§ 269 das.)
Dieser Beweis ist insoweit erbracht, dass die Beklagte auf grund
der unstreitigen Observanz verpflichtet erscheint, Vs ^^r Kosten der
notwendigen Bauten zu tragen. Diejenige Summe, welche die Be-
klagte verpflichtet war, der lyarrgemeinde Zauchwitz auf deren Er-
fordern beizutragen, (A. L.-R. U 11. §§ 710 fg., 788 fg.) hat sie
auch der Lan(2gemeinde Zauchwitz zu erstatten, wenn diese sie der
Pfarrgemeinde oder für die Pfarrgemeinde deren Gläubigern gezahlt
hat. Diejenigen Einwendungen hingegen, welche die Beklagte der
Pfarrgemeinde entgegensetzen dürfte, darf sie auch gegen die Land-
gemeinde Zauchwitz verwenden.
Die Pfarrgemeinde hat den für sie notwendigen Bau beschlossen.
Sie ist die Bauherrin, mögen ihre Geschäfte auch nicht allein durch
ihr Organ, den Kirchenvorstand, sondern auch durch Beamte der
Landgemeinde Zauchwitz besorgt worden sein. Die Art, wie sie
den Bau ausführte, ob im Wege der Vergebung der Arbeiten an den
Mindestfordemden , oder durch Annahme von Unternehmern ohne
öffentliche Ausschreibung, ob durch Inanspruchnahme von Hand-
und Spann-Diensten der Beitragspflichtigen, oder durch Anmietung
von Fuhren und Arbeitern, bleibt der Pfarrgemeinde bezw. dem
Kirchenvorstande überlassen.
Der Kirchenvorstand hat — mit der Sorg< eines ordent-
lichen Hausvaters — die Verträge zu schliessen, den Bau auszu-
führen und zu überwachen.
Selbst wenn der Kirchenvorstand hierin durch Nachlässigkeit
gefehlt hätte, wenn er schuldhaft unterlassen hätte, Schutt geeig-
netermassen zu verwerten, grünes Holz von der Verwendung fern zu
halten, die Arbeiten an den Mindestfordemden, oder besonders ge-
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und Eniicheidungen, 149
eignete Handwerker zu vergeben, Hand- und Spann- Dienste einzu-
fordern, ?on der Beklagten unentgeltlichen Sand zu fordern — so
kdnnte die Beklagte dies der lyarr-Gemeinde nicht entgegensetzen.
Die Pfarr-Gemeinde wird durch die Handlungen des Kirchenvor-
standes Dritten, also den Bauglftubigem gegenüber, rechtsgültig ver-
pflichtet, auch die zu hohen Kosten zu bezahlen. Sie kann dies nur
durch Einziehung gleich hoher Beträge von ihren Eingepfarrten oder
Beitragspflichtigen, solange sie nicht etwa den nachlässigen Kirchen-
vorstand zum Ersatz unnötiger Ausgaben veranlasst hat. Da dies hier
nicht in Frage steht, wäre die Beklagte an sich zur Tragung von
Vs der Gesammtkosten von 5053,26 JK der Pfarr-Gemeinde ver-
pflichtet. Die Klägerin hat also notwendige Ausgaben für sie ge-
leistet. Es ist ,nicht anzuerkennen, dass |die Beklagte über jdie
Nachtragsbauten zu hören war. Sie war sowenig wie der einzelne
Eingepfarrte , weder über den ursprünglichen Bau noch über dessen
Erweiterung zu hören. Sie hat die ton der Kirchenkorporation ord-
nungsmässig beschlossenen Bauten zu ihrem gesetzlichen* Anteil zu
bezahlen (A. L.-B. H 11. § 108—110.) und ebensowenig, wie der
einzelne Parochian, das Recht auf Legung einer^l Baurechnung, ihm
selbst gegenüber, und auf Bemängelung der Einzelposten.
Es bleibt ihr überlassen, die Organe der Kirche zu belangen,
wenn diese ihr Schaden zugefügt haben. Ihrem Anspruch auf An-
hörung vor Beginn und bei Ausführung der Bauten fehlt eine ge-
setzliche Grundlage. Auch in § 41 Gesetz vom 20. Juni 1875 ist
eine solche nicht gegeben, weil in Schlesien die politische Gemeinde
zur Aufbringung der Baukosten nicht allgemein verpflichtet ist, viel-
mehr vorliegend nur auf grund einer örtlich beschränkten Observanz.
Sollte wirklich in früheren Baufällen stets die Genehmigung der
Beklagten eingeholt worden sein, so ist damit eine Observanz in
dieser Richtung noch nicht erwiesen. Es würde der Nachweis fehlen,
dass die Pfarrgemeinde die Genehmigung deshalb eingeholt hat, weil
sie glaubte, gesetzlich dazu verpflichtet zu sein. Die blosse Ein-
holung der Genehmigung schliesst nicht aus, dass sie lediglich, um
Streit zu vermeiden, aus gutem Willen erfolgt ist. Wenn in der
JKr(?A««vorstands-Versammlung vom 13. Juni 1895 die Vertreter
der Kirchengemeindei Tschirmkau P. und K. nur ermächtigt ge-
wesen sein sollen, die Entnahme von 1364,88 JK aus der Kirchen-
kasse zu bewilligen, so übersieht die Beklagte, dass es eine Kirchen^
gemeinde Tschirmkau nicht gibt und dass von dort aus den Abge-
sandten P. und K keine den Kirchenvorstand rechtlich bindenden
Aufträge erteilt werden konnten. Ebenso unerheblich ist es nach
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150 Staatliche Aktenstücke
obigem, wenn P. und E. damals ausdrücklich erklärt haben, der
EirchenTorstand habe die politische Gemeinde Tschirmkan zu hören.
Der Beklagten steht auch ein Rechtsanspruch auf Leistung von
Spann- und Hand- Diensten nicht zu. Die Urkunde von 1831 ergibt
einen solchen nicht. Sie Terzeichnet nur Gerechtsame der iyarrstelle.
Sie stimmt im allgemeinen auch mit den gesetzlichen Vor-
schriften des A. L.-B. überein nnd auch diese gewähren einen sol-
chen Anspruch nicht. Die Verbindung der §§ 712—714. 11 2. A.
L.-R. ergibt, dass Hand- und Spanndienste nur deshalb unentgelt-
lich zu leisten sind, damit der Eapitalbestand des Eirchenvermögens
tunlichst ungefährdet bleibt, c
5. Gemeindestenerfreiheit der Dienstgrundstficke der Geist-
lichen aneh in der RheinproTinz.
(Erk. des kgl. Oberrerwaltongsgarichts v. 8. Jani 1901.)
Im Namen des Königs!
In der Verwaltnngsstreitsache
des Eirchenvorstandes zu Eendenich, Elägers und Kevisions-
klägers,
wider
den Bürgermeister des Bürgermeistereiamtes Hürth in seiner
Eigenschaft als Gemeinde?orstand der Gemeinden Eendenich
und Fischenich zu Hermülheim, Beklagten und Bevisions-
beklagten,
hat das E. Oberverwaltungsgericht, Zweiter Senat, in seiner Sitzung
vom 8. Juni 1901,
an welcher der Senatspräsident, Wirkliche Geheime Ober-
regierungsrat voo Boon und die Oberverwaltungsgerichtsräte:
Beinick, Hönemann, Mund und Hoffmann H Teil genommen
haben,
fUr Becht erkannt,
dass auf die Bevision des Elägers die Entscheidung des Be-
zirks-Ausschusses zu Eöln vom 4. September 1900 aufzuheben
und auf die Berufung des Beklagten diejenige des Ereis-Aus-
schusses des Landkreises Eöln vom 29. März 1900 mit der
Massgabe zu bestätigen, dass die Eosten aller Instanzen unter
Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes auf 140 J( zu
^/7 dem Eläger und ^7 d^^ Beklagten aufzuerlegen.
Von Bechts Wegen.
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und Eniicheidungen, 151
Gründe.
Der Kläger — als Vertreter der EircheDgemeinde — ist am
10. September 1899 ftir das laufende und die drei voraufgegangenen
Steuerjahre zur Gemeindegruudstener in Eendenich mit iosgesamt
11,95 Jt und in Fischenich mit insgesamt 9,19 oä herangezogen
worden und betreibt seine Freistellung mit der Begründung, dass
die mit der Abgabe belegten Pfarrerdienstländereien Steuerfreiheit
genössen. Der Klageantrag geht dahin, unter Aufhebung des £in-
spruchsbescheides zu erkennen,
dass die beklagten Gemeinden nicht berechtigt sind, irgend
welche Gemeindegrundsteuern von den zur Dotation der Pfarr-
gemeinde Kendenich gehörigen, in den Gemeinden Kendenich
und Fischenich gelegenen Ländereien zu erheben, dass dement-
sprechend auch die fQr die Steuerjahre 1896 bis 1900 veran-
lagten Gemeindegrundsteuem mit im Ganzen 21,14 Jl ausser
Ansatz zu bringen und das Katasteramt zu Brühl anzuweisen,
die hier fraglichen Gemeindegrundsteuem in der Grundsteuer-
mutterrolle zu löschen, und auch dem Beklagten die Kosten
zur Last zu legen.
Der Kreis-Ausschuss hat auf Freistellung von der Steuer er-
kannt, die weitergehenden Anträge abgewiesen und die Kosten, unter
Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes für Kendenich auf
11,95 JK und für Fischenich auf 9,19 Jt jedem Teile zur Hälfte
auferlegt. Dagegen hat der Bezirks-Ausschuss zu Köln auf die Be-
rufung des Beklagten die Klage gänzlich abgewiesen und die Kosten
unter Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes für beide In-
stanzen auf 21,14 JK dem Kläger allein zur Last gelegt.
Zur Begründung führt er aus: Der § 24k des Kommunal-
abgabengesetzes gewähre den Dienstgrundstücken der Geistlichen
Steuerfreiheit nur insoweit, als ihnen solche vor dem 1. April 1895
zugestanden habe; darum sei auf die ältere Rheinische Gesetzgebung
zurückzugehen, und diese, nämlich die §§ 29, 31 der Gemeindeord-
nung vom 23. Juli 1845 in Verbindung mit Art. 10 der Novelle
?om 15. Mai 1856, hätten wohl den Geistlichen eine persönliche,
nicht aber deren Grundstücken eine dingliche Befreiung eingeräumt.
Gegen das am 22. Oktober zugestellte Erkenntniss hat der
Kläger am 2. November 1900 die Revision eingelegt und , an dem
Klageantrage festhaltend, gerechtfertigt. Er rügt in formeller Be-
ziehung, dass die Entscheidung nicht seinem Anwalte, sondern dem
Pfarrer als Vorsitzenden des Kirchenvorstandes, und zwar an einem
Sonntage zugestellt sei; in materieller Uinsicht sucht er in umfang-
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152 Staatliche Aktenstücke
reichen BechtsausfQhrungen und unter Bezugnahme auf eine ?on ihm
vorgelegte Schrift des Pfarrers Driessen nachzuweisen, dass der Art. 10
des Oemeindeverfassungsgesetzes ?om 15. Mai 1856 den Dienst-
grundstücken der Geistlichen eine dingliche Steuerbefreiung gewähre.
Der Beklagte hat demgegenüber die Richtigkeit der Aus-
führungen des Vorderrichters vertreten.
Die gegen angebliche Mängel der Zustellung des Berufungs-
urteils gerichteten Rügen sind für die Revision ohne Belang; denn
es liegt auf der Hand, dass die Art der Zustellung einer Entscheidung
auf die Beurteilung ihres sachlichen Inhalts oder des ihr zu gründe
liegenden Verfahrens keinen Einfluss äussert.
Für den sachlichen Strdt kommt es allein darauf an, ob dem
Vorderrichter in seiner Auslegung der Rheinischen Gesetze beige-
pflichtet werden kann.
Die §§ 29 und 31 der Gemeindeordung hatten (§'31 ohne seine
Absätze 3—5 folgenden Wortlaut:
»§29.
Wegen der Besteuerung des Diensteinkomraens der Beamten
sollen die Vorschriften des Gesetzes vom 11. Juli 1822 und der
Ordre vom 14. Mai 1832 angewandt werden.
In Ansehung der Geistlichen und Schullehrer verbleibt es
bei den bestehenden Verordnungen.
§ 31.
Von den Gemeindeauflagen sind befreit:
1., alle zu einem öffentlichen Dienste oder Gebrauche bestimmten
unbebauten Grundstücke, welche nach den Vorschriften des Grund-
steuergesetzes für die westlichen Provinzen vom 21. Januar 1839
§ 8 Nr. 1 und § 9 von der Besteuerung ausgenommen sind;
2 , die zu einem solchen Zwecke bestimmten, nach der Vorschrift
des § 8 Nr. 2 jenes Gesetzes von der Besteuerung ausgenom-
menen Gebäude, insofern als sie seither nach gesetzlicher
Bestinmiung oder vermöge eines speziellen Rechtstitels auf Be-
freiung von den Gemeindelasten Anspruch hatten, oder künftig
neu erbaut oder gegen Überlassung von Gebäuden, welche bis-
her von Gemeindelasten frei waren, erworben werden.
Die zu einem öffentlichen Dienste oder Gebrauche bestimmten
Gebäude, welche seither Gemeindelasten getragen haben, sowie
diejenigen Gebäude, welche künftig zu einem solchen Zwecke
ohne gleichzeitige Abtretung eines von Gemeindelasten befreiten
Gebäudes erworben werden, bleiben den Qemeindelasten unter-
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ttnd ßnitdieiduru/en. 153
worfen , jedoch nur in dem bisherigen Umfange und mit Aus-
nahme der persönlichen Dienstleistungen. An die Stelle son-
stiger Naturallasten , wozu auch die Einquartirung zu rechnen
ist, tritt eine feste Geldrente, welche in Ermangelung eines
gütlichen Abkommens durch Schiedsrichter festzusetzen ist.
Denjenigen Staatswaldungen, welche seither von den nach
dem Qrundsteuerfusse verteilten Gemeindelasten befreit gewesen
sind, verbleibt fernerhin diese Befreiung, dagegen bleibt auch
das Regulativ vom 17. November 1841 wegen Heranziehung der
Staatswaldungen zum Wegbau fortbestehen. In betreff der Be-
freiung der Dienstgrundstücke der Geistlichen und Schullehrer
von den Gemeindelasten behält es bei den bestehenden Vor-
schriften sein Bewenden.«
Die Gemeindeordnung hielt also persönliche und dingliche Be-
freiungen auseinander und ordnete die ersteren für Geistliche und
Schullehrer in dem § 29, die letzteren in dem § 31 (und 32).
Schon die Fassung des § 31 gibt hinsichtlich der dinglichen
Freiheiten zu Zweifeln Anlass. Da nämlich der im Absatz 1 Nr. 2
angezogene § 8 Nr. 2 des Grundsteuergesetzes vom 21. Januar 1839
auch die »Dienstwohnungen der Erzbischöfe, der Bischöfe» der Dom-
und Eurat- oder Pfarrgeistlichen und der Schullehrer« als
befreit aufführt, so kann die Frage entstehen, ob nicht der letzte
Satz des § 31 ausschliesslich von den sonstigen Dienstgrundstücken
verstanden werden müsse ; überwiegende Gründe sprechen jedoch für
die Annahme, dass er für alle Dienstgrundstücke der Geistlichen und
Schullehrer gelten solle, somit eine Modifikation des Absatzes 1 Nr. 2
enthalte.
An die Stelle der Rheinischen Gemeindeordnung setzte sich be-
kanntlich die Gemeindeordnung für den Preussischen Staat vom
11. März 1850, welche an den dinglichen Befreiungen nichts änderte
(§ 3 Abs. 6), aber alle persönlichen Befreiungen aufhob (Abs. 9 da-
selbst). Sie ist, auch soweit sie schon zur Einfahrung gelangt war,
beseitigt worden durch die Städteordnung vom 15. Mai 1856 und
das oben schon erwähnte, die Gemeindeordnung von 1845 unter
mehrfachen Abänderungen auf dem Lande wieder einfuhrende Gesetz,
betreffend die Gemeindeverfassung in der Rheinproviuz, vom gleichen
Tage. Dessen Artikel 10, welcher, wie seine Überschrift besagt,
zu dem § 29 al. 2 und § 31 der Gemeindeordnung ergangen ist,
lautet folgendermassen :
»Die Geistlichen und Elementarschullehrer sind von allen
direkten Gemeindeabgaben hinsichtlich ihres Diensteinkommens
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154 Staatliche Akten$tücke
und ihrer Dienslgnmdstficke , ingleichen von allen persönlichen
Gemeindediensten, soweit dieselben nicht auf ihnen gehörigen
Grundstücken lasten, befreit, Kirchendiener insoweit, als ihnen
diese Befreiung zur Zeit der Verkündigung der Gemeindeord-
nung vom 11. März 1850 zustand.
An Stelle der Vorschriften des Gesetzes ?om 21. Januar 1839
§ 8 Nr. 1 und 2 und § 9 treten die betreffenden BestimmuDgen
des Gesetzes vom 24. Februar 1850 (Ges.-Samml. S. 62)€.
Da, wie schon^hervorgehoben , die Überschrift dieses Artikels
seinen ganzen Inhalt auf die §§ 29 und 31 bezieht, so ist es nicht
möglich, seinen ersten Absatz nur mit dem § 29 in Verbindung zu
bringen, vielmehr ist die Annahme geboten, dass dieser Absatz an
die Stelle alles dessen treten solle, was in den §§ 29 und 31 über
Geistliche (Kirchendiener) und Schullehrer, sowie^deren Dienstgrund-
stücke gesagt war, das heisst, dass er den Absatz 2 des § 29 und
den letzten Satz des § 31 beseitige. Dass die Überschrift nicht,
wie bei anderen Artikeln »anstattc, sondern »zuc heisst, erklärt sich
dadurch, dass der ganse § 31 nicht aufgehoben werden sollte. Die
vorbezeichnete Annahme ist um so mehr gerechtfertigt, als bei ihr
die Bestimmungen der Landgemeindeordnung sich mit denen der
Städteordnung (§ 4 Absatz 12) decken. (Zu vergl. auch §§ 29 und
31 der Gemeindeordnung in^»Die Gemeindeverfassungsgesetze für
die Bheinprovinzc von v. Bitter — Ergänzungsband zu von Brauchitsch,
Verwaltungsgesetze — ).
In den jetzt geltenden, auch in der Städteordnung vom 15. Mai
1856 enthaltenen Worten der G^meindeordnung :
»Die Geistlichen und Elementarschullehrer sind von allen
direkten Gemeindeabgaben hinsichtlich ihres Diensteinkommens
und ihrer Dienstgrundstücke .... befreite,
hat der Gerichtshof in Übereinstimmung mit dem Vorderrichter bis-
her nur die Einräumung einer Befreiung für die Geistlichen selbst er-
blickt, und er verkennt auch jetzt nicht, dass manche Erwägungen einer
derartigen Annahme zur Seite stehen, zumal die gleichlautenden Worte
der Städteordnung in deren § 4 als Absatz 12 Aufnahme gefunden haben,
wo nach der Disposition dieses Paragraphen eine Bestimmung über
dingliche Befreiungen kaum noch zu erwarten wäre. Auch abge-
sehen davon, dass im Artikel 10 von einer Befreiung der Dienst-
grundstücke oder der Kirchengemeinden nicht gesprochen wird,
schien für die bisherige Auslegung Einiges aus der Entstehungsge-
schichte der Gesetze nicht ohne Gewicht zn sein. Der Gedanke
nämlich, von einer weiteren Ausfuhrung der Gemeindeordnnng vom
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und Entscheidungen^ 155
11. März 1850 in der Rheioprovinz abzusehen und deren Koromunal-
yerhältnisse anderweit zu regeln (was dann durch die beiden Gesetze
vom 15. März 1856 geschehen ist), wurde aufgenommen durch eine
Denkschrift des Ministers des Innern vom 20. September 1851,
welche dem Provinziallaodtage der Rheinprovinz vorgelegt und von
diesem in einer Denkschrift vom 26. Oktober 1851 beantwortet
wurde. In beiden Denkschriften wird es für wünschenswert erklärt,
unter Abänderung der §§ 3, 49 und HO der Gemeindeordnnng vom
U. März 1850 im Sinne des (von persönlichen Befreiungen handeln-
den) § 29 der Gemeindeordnung von 1845 die frühere Immunität
der Geistlichen auch ferner aufrecht zu erhalten, weil die Aufhebung
der Befreiung für sie einen Vermögensnachteil bedeute, der um so
empfindlicher sei, als sie bei vielfach geringem Amtseinkommen stark
durch Ausübung der Mildtätigkeit in Anspruch genommen würden.
Von der Einführung einer vollständigen dinglichen Befreiung ist
hier nicht die Bede. Dazu kommt, dass die Städteordnung für West-
falen vom 19. März 1856, deren Entwurf zum Muster für die
Bheinische Städteordnung gedient hat, wegen der dinglichen Befrei-
ung der Dienstgrundstücke der Geistlichen denselben unzweideutigen
Wortlaut hat, wie die Städteordnung für die östlichen Provinzen,
dass aber ausweislich der Akten des Ministeriums des Innern in
einer am Mitte Dezember 1855 zwischen Ministerialbeamten unter
Teilnahme des Ober-Präsidenten der Rheinprovinz von Kleist-Retzow
und anderer Rheinischer Verwaltungsbeamten abgehaltenen Kon-
ferenz jener Wortlaut durch die jetzige Fassung ersetzt ist. Die
Gründe dafür sind in den Akten nicht angegeben, und es lag die
Annahme nahe, dass man, wenn man zwei gleichzeitig vorbereiteten,
für den Bereich ein und derselben Grundsteuerverfassung (Gesetz vom
21. Januar 1839) berechneten Gesetzen hinsichtlich der Grundsteuer-
befreiungen eine verschiedene Fassung gab, auch die Schaffung sach-
licher Verschiedenheiten beabsichtigte. Diesen Erwägungen gegen-
über erschien die Wendung des Berichtes der Kommission des
Abgeordnetenhauses zu § 4 der Städteordnung, der § 12 schaffe
trotz redaktioneller Verschiedenheit gleiches Recht wie in den öst-
lichen Provinzen (Haus der Abgeordneten, 4. Legislaturperiode,
L Session, Drucksachen 3. 101), nicht von entscheidender Bedeu-
tung, zumal er doch auch dahin verstanden werden durfte, dass auf
dem durch Absatz 12 der östlichen Städteordnung geregelten Ge-
biete der persönlichen Befreiungen gleiches Recht geschaffen werde,
und auch der — allerdings befremdliche — Umstand wurde daher
nicht für durchschlagend erachtet, dass bei einer Beschränkung der
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156 Staatliche Aktenstücke
mehrfach erwfthnten Gesetzesvorschriften auf die Geistlichen eine
Beseitigang von vorher gewährten dinglichen Befreiungen einge-
treten wäre.
Wenn auch die im Vorstehenden angedeuteten Gründe f9r die
bisherige Auslegung sprechen, so ist doch der Gerichtshof nunmehr
zu einer anderen Ansicht gelangt, weil er aus den neuerdings be-
schafften Aktenmaterialien wichtige Aufklärungen über die wirk-
lichen Absichten der gesetzgebenden Faktoren gewonnen hat.
Bis zur endlichen Verabschiedung der beiden Gesetze sind näm-
lich verschiedene Entwürfe für ein Gemeindeverfassungsgesetz aus-
gearbeitet worden. (Die Trennung der Städteordnung von dem Ge-
meindeverfassungsgesetze ist erst gegen Ende des Jahres 1855 er-
folgt). Mittels Berichts vom 26. November 1853 legte infolge Auf-
trages des Ministers des Innern der Ober-Präsident von Kleist-Betzow
einen Entwurf vor, der als § 4 im Wesentlichen dieselbe Bestim-
mung enthielt, welche jetzt den Absatz 12 des § 4 der Städteord-
nung bildet. Er bemerkt dazu, dass der § 4 die Freiheit gewähre;
er scheint also geglaubt zu haben, dass die — dem jetzigen Gesetze
entsprechende — Fassung auch für die dingliche Befreiung ausreiche.
Dabei mag er der Meinung gewesen sein, dass im Gebiete des Grund-
steuergesetzes vom 21. Januar 1839 der NvJtzniesser auch für die
GruudsteuerjerM5(;A2a^e aufzukommen habe, dass also eine Gemeinde
bei Befreiung des Nutzniessers überhaupt keine Grundsteuerzuschläge
erheben könne, eine Meinung, deren Richtigkeit allerdings nach § 5
jenes Gesetzes zweifelhaft erscheint. Die Regierung aber hielt es
für angezeigt, die dingliche Befreiung deutlich auszusprechen. Der
von ihr vorgelegte, im Jahre 1854 von der Kommission der 2. Kam-
mer beratene Gesetzentwurf, betreffend die Gemeindeverfassung in
der Rheinprovinz, enthält als § 3 folgende Bestimmung:
»Die Geistlichen, Kirchendiener und Elementarschullehrer
bleiben von den direkten persönlichen Gemeindeabgaben hin-
sichtlich ihres Dienstoinkommens insoweit befreit,) als ihnen
diese Befreiung zur Zeit der Verkündigung der Gemeindeord-
nung vom 11. März 1850 bereits zustand. Geistliche und
Schullehrer bleiben von allen persönlichen Gemeindediensten,
soweit dieselben nicht auf ihnen gehörigen Grundstücken lasten,
befreit; Kirchendiener insoweit, als ihnen diese Befreiung zur
Zeit der Verkündigung der Gemeindeordnung vom 11. März 1850
zustand. Die Dienstgrundstücke der Geistlichen^ Kirchendiener
und Elementarschullehrer sind überhaupt von den Gemeinde-
auflagen befreit.c
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und Bnt$cheidungen4 157
Dieser Paragraph ist von der Kommission in unveränderter
Fassung angenommen worden; die Gesetzesvorlage gelangte aber
nicht mehr zur Beratung im Plenum. Deshalb nahm der Kultus-
minister unter dem 20. Januar 1855 Veranlassung, bei dem Minister
des Innern den Erlass eines besonderen Gesetzes anzuregen, welches
unabhängig von der Ordnung der sonstigen Geroeindeverhältnisse
eine Regelung im Sinne des § 3 vornehmen sollte. Dasselbe er-
strebten mehrere von katholischen Geistlichen an die zweite Kammer
gerichteten Petitionen. Der Minister des Innern erachtete jedoch
eine gesonderte Behandlung dieser Materie nicht für zweckmässig,
und in gleichem Sinne äusserte sich die mit der Vorberatung der
Petitionen befasste Kommission der zweiten Kammer; sie verwies
auf den Inhalt des § 3 und fuhr in ihrem Berichte vom 22. Fe-
bruar 1855 wörtlich fort:
»Die für die östlichen Provinzen bereits erlassene Städte-
ordnung vom 30. Mai 1853, sowie die in den beiden abge-
laufenen letzten Sitzungsperioden in beiden Kammern schon be-
ratenen Entwürfe einer Städte- und einer Landgemeinde-Ord-
nung für Westfalen enthalten ähnliche Bestimmungen, die auch
von keiner Seite angefochten sind. Da der von den Petenten
angeregte Gegenstand aber nicht abgesondert, vielmehr nur in
der, in dem Gesetze vom 24. Mai 1863 in Aussicht gestellten
anderweitigen Gemeindeordnung seine Erledigung finden kann
und wird, so schlägt die Kommission einstimmig vor:
Die hohe Kammer wolle über die Anträge der Petenten zur
Tages- Ordnung übergehen.€
Dem Antrage entsprechend beschloss die Kammer in ihrer
Sitzung vom 3. März 1855, wobei zwischen allen Rednern Überein-
stimmung dahin herrschte, dass gegen die verlangte Befreiung ma-
teriell nichts einzuwenden sei.
Die Angelegenheit gelangte zwischen dem Kultusminister und
dem Minister des Innern von Neuem zur Erörterung in folge eines
(durch Steuerbeschwerden von Geistlichen veranlassten) Berichtes des
Ober- Präsidenten der Rheinprovinz von Kleist- Retzow, welcher zur
Erwägung vorstellte, ob nicht bei der Genehmigung von Steuer-
erhebungsbeschlüssen der Gemeinden auf die angestrebte Freilassung
hinzuwirken sei. Die Minister einigten sich jedoch dahin, dass von
einer derartigen Einwirkung Abstand genommen werden solle, weil
»in der in der Vorbereitung befindlichen Gesetzesvorlage, betreffend
die Gemeindeverfassung in der Rheinprovinz, allgemein die Befreiung
der Diensigrundsiücke der Geistlichen, Kirchendiener und Elementar-
schullehrer ausgesprochen werde. c
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158 Staatliche Aktenstücke
Die mit Anführungszeichen versehenen Worte sind entnommen
aus einem Schreiben des Ministers des Innern vom 24. Dezember
1855. Dieses Datum ist von Wichtigkeit, weil die Fassung des
Artikels 10 des Gemeindeverfassungsgesetzes und die Formulirung
des Abs. 12 § 4 der Städteordnung, wie schon erwähnt, zurückzu-
führen ist auf die Beschlüsse einer Konferenz, welche um Mitte De-
zember 1855 unter Teilnahme des Ober- Präsidenten v. Kleist-Retzow
stattgefanden hat. Die bei dieser Konferenz beteiligten Ministerial-
referenten waren dieselben, welche den Schriftwechsel mit dem Kultus-
ministerium geführt haben. Daraus ergibt sich, dass durch die Ab-
weichung von dem Wortlaute der Städteordnungen für die östlichen
Provinzen und für Westfalen eine sachliche Verschiedenheit nicht
beabsichtigt war. Die Abweichung dürfte sich durch die Mitwirkung
des Ober-Präsidenten der Bheinprovinz erklären, welcher die von ihm
schon in dem Berichte vom 26. November 1853 empfohlene Fassung
wahrscheinlich filr eine Verbesserung erachtete, weil zufolge der-
selben bei den Befreiungen von den direkten persönlichen Qemeinde-
abgaben nicht auf den Rechtszustand zur Zeit der Verkündigung der
Gemeindeordnung vom 11. März 1850 zurückgegangen zu werden
braucht. Dass die Absicht einer sachlichen Aenderung im Übrigen
fern lag, wird auch bestätigt durch den Immediatbericht v. 25. Januar
1856, in welchem die Allerhöchste Ermächtigung zur Einbringung
eines Entwurfes zu dem Gemeindeverfassnngsgesetze nachgesucht und
hervorgehoben wird, dass derselbe — abgesehen von gewissen anderen,
besonders dargelegten Punkten — wesentliche Abweichungen von dem
im Jahre 1854 beratenen Entwürfe, welcher, wie oben erwähnt, die
dingliche Befreiung aussprach, nicfU enthalte. Endlich findet sich
in den seitens der Regierung gepflogenen Erörterungen mehrfach
ausgesprochen, wie die Abgabenfreiheit deswegen gewährt werden
müsse, weil der Artikel 15 der Verfassungsurkunde vom 31. Januar
1850 der Kirche Besitz und Genuss für ihre Kultus- u. s. w. Zwecken
bestimmten Stiftungen, Anstalten und Fonds garantire. Man wäre
dem Artikel 15 nicht gerecht geworden, wenn man zwar den Geist-
lichen Immunität gewährt, die Kirche selbst aber der Besteuerung
überlassen hätte.
Die hiernach feststehende Absicht der Staatsregierung würde
zu einer dem Wortlaut nicht völlig entsprechenden Interpretation
des nur von der Befreiung der Geistlichen von den direkten (aller-
dings nicht blos persönlichen) Gemeindeabgaben sprechenden Gesetzes
nicht genügen, wenn nicht die gleiche Absicht bei dem anderen ge-
setzgebenden Faktor, den Kammern, vorausgesetzt werden dürfte;
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und krUaeheidungen. l5d
das aber muss geschehen angesichts seines oben dargestellten Ver-
haltens gegenüber den Petitionen der Geistlichen und angesichts der
oben erw&hnten Auslassung des Eonamissionsberichtes des Abgeord-
netenhauses, welche wörtlich lautet:
»Die ferneren Bestimmungen des § 4 wurden zur Annahme
empfohlen, da auch die von den übrigen Stftdteordnungen ab-
weichende Fassung des Abs. 12 materielle Verschiedenheit nicht
herbeiführte
Es war früher berechtigt, diese Äusserung nur von den persön-
lichen Befreiungen zu verstehen , aber auf grund der jetzt erfolgten
Ermittelungen muss angenommen werden, dass man dabei an die
ganze Materie der Befreiungen, insbesondere auch die dinglichen
Freiheiten gedacht habe, weil es sicher zu Erörterungen geführt
h&tte, wenn hier mit einer Einschränkung der bei den früheren
Verhandlungen als notwendig erkannten vollständigen Befreiung ge-
rechnet worden wäre.
Nach allem ist jetzt der Gerichtshof zu der Ansicht gelangt,
dass man mit der Bestimmung der Rheinischen Gemeindeverfassnngs-
gesetze denselben Sinn verbunden hat, welchen die Städteordnungen
für die östlichen Provinzen und die Gemeindeverfassnngsgesetze für
Westfalen in unzweideutiger Weise zum Ausdruck bringen, und der
dahin geht, dass sämtliche Dienstgrundstücke — Gebäude und Liegen-
schaften — der Geistlichen von den Gemeindeauflagen befreit sind,
und zwar nicht nach Massgabe der Eabinets-Ordre vom 8. Juni
1834, sondern ȟberhauptt.
Bei dieser Rechtslage musste das Berufungsurteil aufgehoben
und in Übereinstimmung mit der Entscheidung erster Instanz der
Kläger von den für die Jahre 1896/1900 ihm auferlegten Steuern
freigestellt werden. Dagegen konnte der vom Kläger verlangte all-
gemeine Ausspruch über das Nichtvorhandensein einer Steuerpflicht
nicht ergehen, weil das Gesetz nur Klagen wegen bestimmter Heran-
ziehungen zulässt; auch insoweit also musste die Bestätigung der
diesen Antrag abweisenden ersten Entscheidung erfolgen. Eine Be-
richtigung derselben war nur hinsichtlich des Kostenpunktes erforder-
lich, da sie die in den einzelnen Gemeinden geforderten Steuern,
die den Gegenstand eines einzigen Streitverfahrens bilden, nicht zu-
sammengerechnet und den Wert der vom Kläger allgemein zum
Gegenstande des Streites gemachten Abgabenpflicht nicht berück-
sichtigt hat. Die Berichtigung des Wertes des Streitgegenstandes
zeigte auch ein anderes Verhältnis des wechselseitigen Sieges, wel-
ches wiederum zu einer anderen Verteilung der Kosten führte.
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160 Siaattiche Akten$iücke
Orkundlich uoter dem Siegel des Königlichen Ober-Verwaltungs-
gerichts and der verordneten Unterschrift.
(L. S.) von Boon,
0.-V..G. Nr. IL 425.
6. Zwangseinstellang des Gehalts fib* einen Hfllfsgelstliehen
in Prenssen.
(Erk. des kgl. Oberrerwaltungsgerichtes v. 24. Jani 1902.)
Im Namen des Königs!
In der Verwaltungsstreitsache
der Eirchengemeinde Boss i./Ostpr., Klägerin,
wider
das K. Konsistorium der Provinz Ostpreussen und den K. Re-
gierungspräsidenten zu Gambinnen, Beklagte,
hat das K. Oberverwaltungsgericht, Erster Senat, in seiner Sitzung
vom 24. Juni 1902 . . .
für Recht erkannt,
dass die Klage gegen die Zwangsetatisirungsverfflgung vom
30. Januar 1902 abzuweisen und die Kosten, unter Fest-
setzung des Wertes des Streitgegenstandes auf 1000 e^, der
Klägerin zur Last zu legen.
Von Rechts Wegen.
Chünde.
Nachdem der Etat der Kirchenkasse für die Zeit vom 1. April
1898 bis dahin 1903 von den Organen der klagenden Kirchenge-
meinde festgestellt und von der K. Regierung zu Gumbinnen von
Patronatswegen genehmigt worden war, erliess das beklagte Kon-
sistorium auf die Weigerung der klagenden Kirchengemeinde, die
zur Besoldung eines neu anzustellenden Hülfspredigers erforderlichen
Mittel aufzubringen, im Einverständnis mit dem mitbeklagten K. Re-
gierungs-Präsidenten am 30. Januar 1902 eine Verfugung dahin,
dass der festgestellte Etat im Wege der Zwangsetatisirung für das
Etatsjahr 1902 folgendermassen abgeändert werde:
1. Zu Ausgabetitel II (Besoldungen, Pensionen, Unterstütz-
ungen) trete unter Nr. 28 folgender Posten hinzu:
Gehalt für den Hülfsprediger, monatlich im Voraus zu zahlen,
1000 JK
2. Die Umlage (Einnahmetitel VH Nr. 4) werde zur Herstellung
des Gleichgewichts zwischen Einnahmen und Ausgaben um 1000 Jt^
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und Sni$cheidungen, 161
also auf 2772,20 Ji erhöht; der Mehrbetrag sei nach demselben
Massstab nnd za derselben Zeit wie die bisherige Umlage ?on .
1572,20 J( zn erheben. —
Qegen diese Yerfftgung ist die vorliegende Klage gerichtet, zu
deren Begründang Folgendes geltend gemacht ist:
1. Die Klägerin bestreitet, verpflichtet zu sein, das Oehalt
eines Hülfspredigers ganz oder teilweise durch Umlage aufzubringen.
Bis jetzt sei ein Hülfsprediger nicht angestellt Die Anstellung eines
solchen sei vom 1. April 1902 von den Beklagten wider den Willen
der Klägerin beschlossen, ohne dass ein Bedürfnis vorhanden sei.
Bis zum 1. April 1896 habe stets nur ein Pfarrer das Amt ver-
waltet. Nach dessen Tode werde die Stelle durch einen Prediger
mit festem Oehalte verwaltet, da ein Qeistlicher mit dem erforder-
lichen Dienstalter von 15 Jahren sich nicht gemeldet habe. Weder der
verstorbene Pfarrer noch die Verwalter der Stelle seien mit Arbeiten
überbürdet. Auch sei seitens der Pfarreingesessenen niemals der Wunsch
nach einem zweiten Geistlichen ausgesprochen worden. Die Seelen-
zahl der Gemeinde habe in den letzten Jahren nicht zugenommen
und werde auch voraussichtlich nicht zunehmen.
2. Der Etat der Kirchenkasse sei für die fünfjährige Etats-
periode vom 1. April 1898 bis dahin 1903 festgesetzt und bestätigt.
Nach § 66 der Vermögensverwaltungsordnung vom ^^'l^^J^Z^
sei ein Nachtragsetat nur aufzustellen, wenn während der Etats-
periode grössere, unaufschiebliche Bedürfnisse einträten. Solche
lägen hier nicht vor. Die Anstellung eines Hülfspredigers könne
ohne Schaden auch bis zum 1. April 1903 aufgeschoben werden.
3. Seit dem 1. April 1896 flössen die Mehreinnahmen der Stelle,
welche zur Besoldung des Pfarrverwesers nicht erforderlich seien, zur
Vakanzkasse. Diese habe jetzt einen Bestand von 8000 oä und werde *^
bis zum 1. April 1902 noch um weitere 1000 Jt sich vermehren.
Das Gehalt des Hülfspredigers, welches auf 1500 tJt festgesetzt wor-
den sei, könne nicht nur, wie angeordnet, zum Teilbetrage von
500 e^, sondern zum vollen Betrage von 1500 JK aus der Vakanz-
kasse entnommen werden. Es sei ein unberechtigtes Verlangen, dass
die Klägerin obwohl sie zur Zeit nicht wie früher einen fest ange-
stellten Geistlichen habe, trotzdem jetzt durch Umlage mehr als
früher aufbringen solle. Erst nach Erschöpfung der Vakanzkasse
könnte erforderlichenfalls die Klägerin zur Umlage herangezogen
werden.
4. Die finanzielle Lage der Klägerin sei nicht eine derartige,
Arohir filr KirolMnreebt LXXXIU. H^^^^T^
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l6ä Staatliche Aktenstücke
dass die festgesetzte Umlage von 1772,20 Jf um \000 Jf erhöht
werden könne.
Die Beklagten haben Abweisung der Klage beantragt
Insbesondere hat das beklagte E. Eonsistoriam folgendes er-
widert:
1. Die Eirchengeoieinde Buss umfasse mehr als 7000 Evange-
lische, von denen ca. 1800 am Eirchorte, die übrigen auf einem
weit ausgedehnten, durch viele Wasserläufe zerschnittenen Gebiet
in 19, teilweise bis zu 12 km vom Eirchort entfernten Ortschaften
wohnten. Ungefähr 4500 Qemeindeglieder seien litthauischer , die
übrigen deutscher Zunge, sodass an jedem Sonn- und Feiertage so-
wohl deutscher als auch litthauischer Hauptgottesdienst abgehalten
werden müsse. An Amtshandlungen seien in den Jahren 1895 bis
1900 durchschnittlich alljährlich vorgekommen: 287 Taufen, 61 Trau-
ungen, 2311 Eommunionen in der Eirche, 108 Erankenkommunionen ;
die Zahl der Todesfälle in der Gemeinde betrage nach derselben
Durchschnittsberechnung 226, die der Eonfirmanden 132. Für diese
gewaltige Gemeinde bestehe nur eine geistliche Stelle, die Pfarr-
stelle, und die ganze grosse Arbeitslast ruhe im Wesentlichen auf
einem Geistlichen. Zwar sei seit Jahren auch der Inhaber der
organisch verbundenen Schulrektor- uud Organistenstelle zu Russ,
ein Theologe, zwecks Hülfsleistung im Pfarramt ordiniert. Da ihn
aber seine Hauptämter eigentlich schon voll in Anspruch nähmen,
so beschränke sich die Hülfe, die er als Geistlicher leiste^ lediglich
auf Abhaltung der beiden Gottesdienste an den zweiten Feiertagen
und auf die Vornahme dringender Amtshandlungen, wie Nottaufen
und Erankenkommunionen, wenn der Pfarrer verhindert sei. Unter
diesen Umständen müsse sich der Verwalter der Pfarrstelle, der seit
dem 1. April 1896 ein Hülfsprediger sei, weil ein des Litthauischen
mächtiger Geistlicher mit dem för die Stelle nach § 4 Abs. 1 des
Pfarrwahlgosetzes vom 15. März 1886 erforderlichen Dienstalter von
15 Jahren seitdem nicht gefunden sei, die Stelle also nicht definitiv
habe besetzt werden dürfen, darauf beschränken, die Amtsgeschäfte
legal zu verwalten. Dagegen könne von eigentlicher Seelsorge, von Ab-
haltung von Neben- und Aussen-Gottesdiensten in dem erforderlichen
Masse und von kirchlicher Vereinstätigkeit naturgemäss keine Rede
sein. Um dieser schweren kirchlichen Not ein Ende zu machen,
seien vom Eonsistorium schon im Jahre 1897 Verhandlungen wegen
Errichtung einer zweiten Pfarrstelle eingeleitet, aber in Folge des
Widerspruchs der kirchlichen Gemeindeorgane zunächst wieder ab-
gebrochen. Dann sei die Teilung der Gemeinde in zwei selbständige
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und Entscheidungen. 163
Eirchengemeinden erwogen, aber als ontunlich erkannt. Schliess-
lich sei durch Eonsitorialverfägung vom 18. April 1901 festgesetzt,
dass mit dem 1. Juli 1901 eine Hülfspredigerstelle mit einem
Jahresgebalt von 1500 Jl für das Kirchspiel Russ ins Leben trete,
mid anf die Weigerung der kirchlichen Qemeindeorgane, hierzu einen
Beitrag von 1000 Jl jährlich zu leisten, sei die angefochtene
Zwangsetatisierungsverfugung erlassen.
2. Die Feststellung des Eirchenkassenetats bis zum 1. April 1903
könne die Zwangsetatisierung gesetzlicher Leistungen fSr das letzte
Etatsjahr nicht hindern. Dass die Hülfspredigerstelle schon jetzt
nötig sei, ergebe sich aus den vorliegenden Ausführungen.
3. Die Jahreseinkünfte der vakanten Pfarrstelle betrügen 5371 Jl
neben Brennmaterial und Dienstwohnung. Der Pfarrverweser erhalte
das Brennmaterial und die Wohnung und ausserdem einen Barbe-
trag von gegenwärtig 3000 Jl; der Rest werde kapitalisiert. Die
Verfügung über die Vakanzersparnisse stehe aber keineswegs der
Eirchengemeinde zu, sodass sie wegen der Besoldung des Hülfs-
Predigers auf dieselben verweisen könne, vielmehr wüchsen die
Vakanzersparnissse dem Pfarrvermögen zu (§ 852 Titel 11 Teil U
des Allgemeinen Landrechts, Zusatz 209 des Ostpreussischen Pro-
vinzialrechts und Eirchengesetz, betreffend die Aufhebung dieses Zu-
satzes vom 3. August 1897). Dieser Zustand bestehe für Ostpreussen
nach den angefahrten gesetzlichen Bestimmungen allerdings erst seit
dem 1. September 1897, während früher die Yakanzersparnisse dem
Eirchenvermögen zugefallen seien. Indessen stamme alles während
der Vakanz der Russ'er Pfarrstelle Ersparte aus der Zeit nach dem
1. September 1897, während die früheren Vakanzüberschüsse zum
Nutzen der Eirchengemeinde, zum Beispiel zur Anschaffung einer
neuen Orgel, verwendet seien. Danach würde es sich bei der Ver-
wendung der in Rede stehenden Vakanzersparnisse zu anderen
Zwecken als zu denen der Pfarrstelle um eine stiftungswidrige Ver-
wendung handeln , welche nur mit Genehmigung des Evangelischen
Ober-Eirchenrats und des Eultusministers zulässig wäre. Wenn das
Konsistorium die Entnahme von 500 J( jährlich aus den Vakanzüber-
schüssen zur Besoldung des Hülfspredigers angeordnet habe, so sei
dies unter dem Gesichtspunkte geschehen, dass der Hülfsprediger in
gewisser Weise als Vertreter des Pfarrers angesehen werden könne,
sodass die 500 Jl den Charakter der Stellvertretungskosten hätten,
zu deren Festsetzung das Eonsistorium befugt sei. Übrigens werde
die Vakanz der Pfarrstelle voraussichtlich bald aufhören, da in
nächster Zeit einige des Litthauischen kundige Geistliche das er-
DigitizellyCOOgle
164 Staatliche Aktenstücke
forderliche Dienstalter von 15 Jahren erreichten, und einer von
ihnen voraussichtlich in Rass angestellt werden wdrde; auch sei
das Konsistorium darauf bedacht, die Vakanzersparnisse möglichst
zu erhalten, um sie später als Dotation für eine zweite Pfarrstelle, in
welche die HQlfspredigerstelle umzuwandeln sein würde, zu verwen-
den , sei es unter Zustimmung der kirchlichen Gemeindeorgane und
unter Genehmigung der kirchlichen Centralinstanzen, oder bei Wider-
spruch der Qemeindeorgane in der Weise, dass der erste Pfarrer zwar
auf das ganze Pfarreinkommen einschliesslich der Zinsen der Vakanz-
ersparnisse berufen, ihm aber gleichzeitig ein diesen Zinsen ent-
sprechender Abtrag zur Besoldung des zweiten Pfarrers auferlegt
werde. Aus dieser Rücksicht auf die möglichste Erhaltung der Va-
kanzersparnisse habe das Konsistorium auch zunächst die am Hülfs-
predigergehalt fehlenden 500 Jl aus dem vom Evangelischen Ober-
Kircbenrat verwaltenden landeskirchlichen Hülfspredigerfonds erbeten,
auch bis zum 1. April 1902 bewilligt erhalten. Davon hätte aber
kein Gebrauch gemacht werden können, weil die Einverständnis-
erklärung des K. Regierungspräsidenten zur Zwangsetatisirung der
1000 e/M erst am 19. Dezember 1901 eingetroffen sei und daher die
Anstellung des Hfilfspredigers erst zum 1. April 1902 habe in Aus-
sicht genommen werden können. Für die Zeit nach dem 1. April
1902 sei aber die Weiterbewilligung der 500 Jl aus dem landes-
kirchlichen Hülfspredigerfonds abgelehnt, sodass notgedrungen auf
die Vakanzersparnisse der Pfarrstelle habe zurückgegriffen werden
müssen.
4. Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Kirchengemeinde
dürfte lediglich dem Regierungspräsidenten zustehen und der ver-
waltungsgerichtlichen Nachprüfung nicht unterliegen.
Der beklagte K. Regierungspräsident hat sich den vorstehen-
den An- und Ausführungen angeschlossen.
In einem nachträglich eingereichten Schriftsatz ist die Klägerin
den Ausfahrungen des K. Konsistoriums über die Notwendigkeit der
Einrichtung einer Hülfspredigerstelle sowie über die Befugnis des
K. Konsistoriums, eine derartige Einrichtung wider den Willen der
kirchlichen Gemeindeorgane zu treffen, entgegengetreten, auch hat
sie unter näherem Eingehen auf ihre Leistungsfähigkeit bemerkt, dass
das K. Konsistorium sich selbst widerspreche, wenn es die Ver-
wendung der Vakanzersparnisse zur Besoldung des Hülfspredigers
nicht für zulässig erachte und trotzdem anordne, dass 500 Ji daraus
verwendet werden sollten.
Es war, wie geschehen, zu erkennen.
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ufid Bnischeidttngen, 165
Bei der durch die Verfügang des beklagten K. Eonsistorioms
vom 18. April 1901 errichteten Hölfspredigerstelle handelt es sich
weder um ein dauernd errichtetes Pfarramt im Sinne des Kirchen-
gesetzes vom 2. Juli 1898 (Qes.-Samml. S. 159), noch um die An-
nahme eines Pfarrgehülfen gemäss § 515 Titel 11 Theil II des All-
gemeinen Landrechts , sondern um die Einsetzung eines Nebengeist-
lichen zum Zwecke der Befriedigung eines dauernden kirchlichen
Bedürfnisses (§ 539 a. a. 0.)- Es entspricht der ständigen Recht-
sprechung des Gerichtshofs, dass über die Fragen, ob das Bedürfnis
zur Errichtung einer solchen Stelle als vorhanden anzuerkennen, und
in welcher Höhe dem Stelleninhaber ein Oehalt von der nach § 164
Titel 11 Theil II des Allgem. Landrechts verpflichteten Kirchenge-
roeinde zu gewähren sei, das zuständige Konsistorium bei der gegen-
wärtigen Rechtslage endgültig entscheidet, sowie dass auch die
Leistungsfähigkeit der verpflichteten Kirchengemeinde zur Aufbring-
ung dieses Gehalts einer Nachprüfung durch den Verwaltungsrichter
nicht mehr unterliegt, nachdem die zuständige Staatsbehörde, d. h.
der Regierungspräsident, die Leistungsßhigkeit durch die Erklärung
seines Einverständnisses mit der von dem Konsistorium beantragten
Zwangsetatisirung anerkannt hat (Entscheidung vom 24. Januar 1894
— Entsch. des Oberverwaltungsgerichts Bd. XXVI S. 147 flf. — , vom
26. November 1897 — Entsch. Bd. XXXII S. 174 ff. — und vom
5. Juli 1901 — Preuss. Verwaltungsblatt Jahrg. XXIII S. 261. -).
Hierdurch erledigen sich die Einwendungen der Klägerin gegen die
angefochtene Verfügung, welche auf den angeblichen Mangel eines
kirchlichen Bedürfnisses zur Errichtung der in Frage stehenden
Stelle sowie auf die behauptete Leistungsunfähigkeit der klagenden
Kirchengemeinde gestützt sind. Selbstverständlich wird auch die
Feststellung eines vorhandenen Bedürfnisses seitens des Konsistoriums
und dessen Befugnis, die Befriedigung dieses Bedürfnisses noch in-
nerhalb der laufenden Etatsperiode zwangsweise herbeizuführen, nicht
durch den Umstand ausgeschlossen, dass bereits vorher der Etat der
Kirchenkasse für die gleiche Etatsperiode von den kirchlichen Ge-
meindeorganen festgestellt und von Patronatswegen genehmigt wor-
den war.
Der Hinweis der Klägerin auf die in der Vakanzkasse vor-
handenen Überschüsse würde nur dann von Erheblichkeit sein, wenn
diese Überschüsse demjenigen Kirchenvermögen zuzurechnen wären,
aus welchem die Besoldung des Hülfspredigers — es handelt sich
übrigens bei der streitigen Zwangsetatisirung nach dem Wortlaute
der angefochtenen Verfügung nicht um eine dauernde, sondern nur
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166 Staatliche Aktenstücke
um eine einmalige Leistung — nach gesetzlicher Vorschrift bestritten
werden muss. Diese Voraassetzang trifft aber nach den der Rechts-
lage entsprechenden, vorstehend unter 3 wiedergegebenen Ausführungen
des beklagten E. Konsistoriums nicht bei den vorhandenen Pfarr-
vakanzüberschüssen schlechthin, sondern nur bei denjenigen von ihnen
zu, welche in der Zeit vor dem Inkrafttreten des Eirchengesetzes vom
3. August 1897 (Kirchl. Qes.-u. Verordn.-Bl. S.39) entstanden sind.
Dass verfügbare Überschüsse aus jener früheren Zeit vorhanden seien,
ist von dem beklagten K. Konsistorium unter näherer Darlegung des
Sachverhalts ausdrücklich in Abrede gestellt, während die Behaupt-
ungen der Klägerin nach dieser Richtung jeder Substantiirung ent-
behren. Es konnte daher der hierauf bezügliche Einwand der Klä-
gerin keine Berücksichtigung finden. Die Art der Aufbringung des
Restes der Besoldung für den Hülfsprediger in Höhe von 500 Jl,
worüber die angefochtene Verfügung eine Anordnung nicht enthält,
bedurfte hier keiner Erörterung.
Wegen der Kosten war nach § 103 des Landesverwaltungs-
gesetzes zu erkennen.
Urkundlich unter dem Siegel des Königlichen Oberverwaltnngs-
gerichts und der verordneten Unterschrift.
(L. S.) Techow.
0. y. G. Nr. I. 1036.
7. Die Ernennung des Organisten steht anch dann dem Pfarrer
zu, wenn die Pfarrangehörigen f&r das behalt des Organisten
anfinikommen haben.
(Entsch. des österr. Verwaltangsgerichtshofes v. 21. Jani 1902.)
Der k. k. Verwaltungsgerichtshof hat unter dem Vorsitze des
k. k. Ersten Präsidenten Dr. Grafen Schönborn, in Gegenwart der
R&te des k. k. Verwaltungsgerichtshofes: k. k. Senats- Präsidenten
Ritter v. Hennig, und der k. k. Hofräte Zenker, Dr. Ploj und von
Neukirchen, dann des Schriftführers k. k. Hofsekretärs Ritter von
PieAczykowski , über die Beschwerde des Kirchenkonkurrenzaus-
schusses in N., gegen die Entscheidung des k. k. Ministeriums far
Kultus und Unterricht vom 2. Juli 1901 , Z. 16.030 betreffend die
Entlohnung und Bestellung des Organisten in N., nach der am
21. Juni 1902 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung,
und zwar nach Anhörung des Vortrages des Referenten, sowie der
Ausführungen des Dr. Adolf Stränsk^, Advokaten in Brunn, in Ver-
tretung der Beschwerde, und der Gegenausffihrungen des k. k.
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utid Entscheidungen* 167
Hinisterial-Konzipisten Dr. Qrafen Hartig, in Vertretung des be-
langten k. k. Ministerinrns für Kultns und Unterricht, sowie jener
des Johann V., Dechanten und Pfarrers in N., in Vertretung des
mitbeteiligten Pfarramtes in N., zu Recht erkannt; Die Beschwerde
wird cds unbegründet abgewiesen.
Entscheidungsgründe :
Mit dem Erkenntnisse vom 28. August 1900, Z. 14.036 hat
die Bezirkshauptmannschaft Holleschau in Stattgebung des vom
Ptarramte in N. gestellten Begehrens erkannt, dass der Kirchen-
konkurrenzausschuss verpflichtet sei, für den vom Pfarramte am
15. Juli 1903 bestellten Organisten Franz M. die für die Jahre
1896, 1897 und 1898 rückständige Entlohnung jährlicher je 200 K
binnen 8 Wochen unter Exekutionsfolgen zu Händen des Pfarramtes
zu erlegen und dieselbe Entlohnung für die weiteren Jahre in Halb-
jahresraten zu entrichten. Zugleich wurde ausgesprochen , dass die
Bestellung des Organisten in den alleinigen Wirkungskreis des
Pfarramtes falle und demnach die vom Eirchenkonkurrenzausschusse
am 14. Februar 1899 vorgenommene Ernennung des Cjrill H. zum
Organisten als ungesetzlich ausser Kraft gesetzt werde.
Gegen die dieses Erkenntnis im Instanzenzuge aufrecht er-
haltende Entscheidung des k. k. Ministeriums für Kultus und Unter-
richt ist die vorliegende Beschwerde des Kirchenkonkurrenzaus-
schusses gerichtet, welche im wesentlichen die Rechtsanschanung
geltend macht, dass die Bestellung des Organisten als ein Akt der
Eirchenvermögensverwaltung anzusehen sei und sowohl aus diesem
Grunde als auch deshalb gemäss § 16 des mährischen Kirchenkon •
knrrenzgesetzes vom 2. April 1864, L.-Q.-Bl. Nr. 11 in den Wir-
kungskreis des Kirchenkonkurrenzausschusses falle, weil die Entloh-
nung des Organisten nicht aus dem Kirchenvermögen, sondern aus
den durch die Konkurrenz aufzubringenden Mitteln zu bestreitenSsei.
Der beschwerdeführende Kirchenkonkurrenzausschuss lehnte des-
halb die Entlohnung des vom Pfarramte allein bestellten Organisten
gänzlich ab und erhebt überdies mehrere Eventualeinwendungen,
welche den Mangel der Legitimation des Pfarramtes zur Qeltend-
machung des in Frage stehenden Anspruches, die Höhe der zuge-
sprochenen Remuneration und auch die Kompetenz der Verwaltungs-
behörden betreffen.
Der Verwaltungsgerichtshof war nicht in der Lage, diese Be-
schwerde als begründet zu erkennen.
Dass der Organistendieost ^u den Erfordernissen des katho«-
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168 Staatiiche Aktenstücke
lischen Gottesdienstes gehört and mithin anter die der Kirchen-
konkarrenz zar Last fallenden Erfordernisse des § 1 und 11 des
Eirchenkonkarrenzgesetzes vom 2. April 1864 f&llt« wird von der
Beschwerde selbst im Eingange ihrer Aasfährangen zagegeben. Die
dem Organisten obliegende Mitwirkung bei der Veranstaltung und
Verrichtung des Eirchengesanges stellt sich als eine ffir Zwecke des
Oottesdienstes geleistete Verrichtung und mithin als ein kirchlicher
Dienst dar. Die Verleihung dieses Dienstes, bezw. die Auswahl einer
hiefür geeigneten Persönlichkeit stellt sich somit als eine innere An-
gelegenheit der betrefTenden Religionsgesellschaft dar, deren selb-
ständige Verwaltung im Artikel 15 des Staatsgrandgesetzes vom
21. Dezember 1867, R.-G.-BL Nr. 142, jeder gesetzlich anerkannten
Eirche .und Beligionsgesellschaft gewährleistet ist. Nach dem mit
dieser staatsgrundgesetzlichen Bestimmung im vollen Einklang
stehenden Hofdekrete vom 13. Oktober 1770, Theresianische Gesetze,
Bd. VI. Nr. 1244, welches seinem Wortlaute nach allerdings nur
die rechtliche Stellung des Messners regelt, aber wegen der Gleich-
artigkeit des Verhältnisses zur Eirche auch auf den Organisten
analog angewendet werden muss, unterstehen der Messner und Or-
ganist allein der geistlichen Obrigkeit, und es folgt daraus, dass die
Bestellung des Organisten zum Wirkungskreise des Eirchenvorstehers,
also des Pfarramtes gehört.
Für den vom Eirchenkonkurrenzausschusse erhobenen Anspruch
auf die selbständige Ernennung des Organisten oder auch nur auf
eine massgebende Mitwirkung bei der Bestellung desselben mangelt
es in der Gesetzgebung an jeder Grundlage. Denn einerseits er-
streckt sich der im mährischen Eirchenkonkurrenzgesetze (§11 und ff.)
umschriebene Wirkungskreis des Eirchenkonkurrenzausschusses nur
auf ^KirchenkonkarreneangelegenJieüen*^ das ist auf die Fragen der
Feststellung des för Eirchenzwecke erforderlichen Aufwandes und auf
die Beschaffung, Aufteilung, Hereinbringung und Entrichtung jenes
Teiles dieses Aufwandes, welcher nach den gesetzlichen Normen über
die Eirchenkonkurrenz von den katholischen Bewohnern der einge-
pfarrten Ortsgemeinden zu bestreiten ist, und es kommen ihm, wie
sich aus dem Zusammenhalte des § 12 mit den folgenden §§ 13
und 14 ergibt, welche jene Fälle genau bezeichnen, in denen ein
Eirchenkonkurrenzausschuss überhaupt einzusetzen ist, in Eirchen-
konkurrenzangelegenheiten eben nur jene Befugnisse und Amtshand-
lungen zu, welche nach § 12 der Gemeindeausschuss jener Gemein-
den zu besorgen hat, deren Umfang mit dem Umfange des Eirchen-
sprengels zusammenfällt.
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und Entseheidungeti. 169
Eine Angelegenheit der Kirchenkonknrrenz wäre wohl die Frage
gewesen, ob die Pfarrkirche eines Organisten überhaupt bedürfe und
ob für diesen Zweck zu Lasten der Eirchenkonkarrenz ein Aufwand
m bewilligen sei. Ueber diese Frage hätte — wenn sie jemals
strittig gewesen wäre — der Kirchenkonkurrenzausschuss als Ver-
treter der beitragspflichtigen Parochianen allerdings gehört und bei
eyentaellem Widerspruche des Ausschusses yon den Kultusbehörden
entschieden werden müssen.
Darum handelte es sich aber in der Yorliegenden Streitange-
legenheit überhaupt nicht, da ja der beschwerdeführende Kirchen-
konkurrenzausschuss die Notwendigkeit des diesf&lligen Aufwandes
als solchen niemals bestritten , ja sogar durch seine Haltung impli-
cite und in der hiergerichtlichen Beschwerde sogar ausdrücklich zu-
gegeben hat Die Frage aber, welche Person zum Organisten zu
bestellen sei, ist gewiss keine Konkurrenzangelegenheit im Sinne des
zitirten Gesetzes. Ebensowenig berechtigt ist die Beschwerde, wenn
sie die [Ernennung des Organisten für den Kirchenkonkurrenzaus-
schuss ans dem Gesichtspunkte der Verwaltung des Kirchenver-
mögens in Anspruch nimmt. Denn die Verwaltung des Kirchen-
yermögens kommt dem Kirchenkonkurrenzausschusse überhaupt nicht
zu, da sie ihm weder in dem mehrzitierten Kirchenkonkurrenz-Gesetze
übertragen wurde, noch auch der in den §§ 41 und 42 des Gesetzes
vom 7. Mai 1874, R.-G.-Bl. Nr. 50 enthaltene Grundsatz, wonach
die Verwaltung des Vermögens der Kirchen und kirchlichen Anstalten
vom Pfarrvorsteher, der Pfarrgemeinde und dem Kirchenpatron zu
besorgen ist, bisher eine aktuelle Wirksamkeit erlangt hat, weil die
im § 43 vorbehaltene nähere Ausführung desselben durch ein be-
sonderes Gesetz noch nicht erfolgt ist. Es könnte daher aus dem
Gesichtspunkte der Verwaltung des Kirchenvermögens, auch wenn
die Bestellung des Organisten als ein Akt der Kirchenvermögens-
verwaltnng angesehen werden könnte — was sie nach dem voraus-
geschickten gewiss nicht ist — die vom beschwerdeführenden Kirchen-
konkurrenzausschusse in Anspruch genommene Befugnis zur Be-
stellung des Organisten durchaus nicht abgeleitet werden.
Wenn aber endlich die Beschwerde darauf hinweist, dass die
Organistenentlohnung im vorliegenden Falle bei Abgang eines hie-
für hinreichenden Kirchenvermögens aus der Konkurrenzleistung der
Parochianen bestritten werden muss, und wenn sie den Grundsatz
aufstellt, dass derjenige, der einen Aufwand bestreitet, auch einen
Einfluss bei der Beschlussfassung über die diesen Aufwand ver-
ursachenden Mass regeln besitzen muss, so ist dieser Schlnss voU-
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170 Slaatliehe Aktenstücke
kororoen anhaltbar. Denn die gesetzliche Pflicht zur Bestreitung
eines Aufwandes für öffentliche oder Wohlfahrtszwecke ist, wie sich
aus zahlreichen Gesetzen des öffentlichen Hechtes ergibt^ durchaus
nicht notwendig auch mit der Befugnis zur Entscheidung Aber die
konkrete Durchführung der diesen Aufwand veranlassenden Mass-
nahme oder Veranstaltung yerbunden.
Aus diesen Ausffihrungen ergibt sich, dass die angefochtene
Entscheidung mit Recht die Bestellung des Organisten als eine in
den Wirkungskreis des Ortsseelsorgers und nicht in jene des Eirchen-
konkurrenzausschusses fallende Angelegenheit anerkannt hat, und
dass mithin der umstand, dass der Eirchenkonkurrenzausschuss um
seine Zustimmung bei der durch den Pfarrer in N. vorgenommenen
Ernennung des Franz M. zum Organisten der dortigen Eirche nicht
befragt worden ist, an sich allein für die kirchlichen Eonkurrenz-
faktoren keinen Grund abgeben kann, die zur Bedeckung des bezfig-
liehen Aufwandes erforderlichen Leistungen abzulehnen.
Was aber die dem beschwerdeführenden Eirchenkonkurrenz-
ausschusse mit der angefochtenen Entscheidung auferlegte konkrete
Leistung betrifft, so wird in der Beschwerde zunächst eingewendet,
dass das Pfarramt nicht legitimiert war, um die Hereinbringung der
in Frage stehenden Entlohnung bei den Eultusbehörden einzuschreiten,
und dass auch der behördliche Auftrag, die fälligen Baten zu Händen
des Pfarramtes zu erledigen, ungesetzlich war.
Diese Einwendung ist jedoch unbegründet. Denn — wie be-
reits ausgeführt •— gehört die Bestellung des Organisten zum
alleinigen Wirkungskreise des Eirchenvorstehers , welcher demnach
auch nach Massgabe der mit dem Organisten getroffenen Verab-
redung diesem gegenüber zivil rechtlich für die stipulierte Entlohnung
haftbar ist. Demnach liegt es auch dem Eirchen Vorsteher ob, für
die Bedeckung dieses Aufwandes nach Massgabe der Eirchenkonkur-
renzgesetze zu sorgen, bezw. in einem Falle, wie der vorliegende,
wo Unbestrittenermassen ein zur Bedeckung des Aufwandes hin-
reichendes Vermögen nicht vorhanden ist, die Hilfe der Eultus-
behörden wegen Heranziehung der gesetzlich verpflichteten Eonkur-
renzfaktoren im Sinne der §§ 55, 56 und 57 des Gesetzes vom
7. Mai 1874, R.-G.-Bl. Nr. 50, bezw. nach den Spezialnormen des
Eirchenkonkurrenzgesetzes vom 2. April 1864 in Anspruch zu
nehmen. Hiemit erledigt sich auch die in diesem Zusammenhange
vorgebrachte Einwendung der Inkompetenz der Verwaltungsbehörden,
da ja nicht der vertragsmässige Anspruch des Franz M. auf die mit
dem Pfarrer vereinbarte Entlohnung für den Organistendienst den
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und EntBcheidungm. 171
Streitgegenstand der angefochtenen Entscheidang gebildet hat^ son-
dero lediglich der Ansprach der Eirchenvorstehung anf Flüssig-
machung der der KircheokoDkurrenz obliegenden Dotation des Pfarr-
amtes zur Bestreitung des in Frage stehenden kirchlichen Erforder-
nisses.
Es erfibrigen sonach lediglich noch die gegen die Höhe der in
Frage stehenden Organistenentlohnung gerichteten Einwendungen.
Akten widrig ist die Behauptung « dass Franz M. vom Pfarramte in
N. erst am 24. April 1897 zum Organisten bestellt worden ist und
daher für die diesem Tage vorangegangene Zeit eine Entlohnung
überhaupt nicht angesprochen werden durfte. Denn im Adroinistra-
tivverfahren wurde festgestellt und blieb auch seitens des beschwerde-
führenden Kirchenkonkurrenzausschusses unbestritten, dass M. schon
am 15. Juli 1893 auf Grund mündlichen Vertrages mit dem Pfarrer
den Organistendienst übernahm und von da an.iununterbrochen ver-
richtete. Der vom 27. August 1897 datierte und vom fürsterzbischüf-
lichen Konsistorium genehmigte Vertrag stellt sich nach seinem In-
halte lediglich als die schriftliche Ausfertigung der bereits im Jahre
1893 mündlich getroffenen Abmachung dar.
Unbegründet ist auch die Behauptung, dass Franz M. bei seiner
Bestellung zum Organisten sich verpflichtet habe, diesen Dienst
lediglich gegen die von Privatpersonen zu entrichtenden, sogenannten
Stolagebühren , also ohne Anspruch auf eine besondere Entlohnung
seitens der Eirchenkonkurrenz, zu verrichten. Über diese Behaupt-
ungen des beschwerdeführenden Kirchenkonkurrenzausschusses sind
im Administrativverfahren genaue Erhebungen durch Einvernahme
s&mtlicher vom Beschwerdeführer geführten Zeugen gepflogen worden
und haben dieselben ein durchaus negatives Ergebnis geliefert. Denn
von den einvernommenen Zeugen hat kein einziger aus eigener Er-
fahrung eine solche Verpflichtungs- , bezw. Verzichtserkl&rung des
Franz M. zu bestätigen vermocht, sondern alle einvernommenen
Zeugen beriefen sich nur auf angebliche Erzählungen des bereits
verstorbenen Obmannes des Kirchenkonkurrenzausschusses Franz L.,
welcher — wie übrigens aktenmässig festgestellt ist — zur Zeit der
Bestellung des Franz M. zum Organisten diese Funktion nicht mehr
versah. Andererseits stehen allen diesen nicht beweiskräftigen Zeugen-
aussagen die bestimmten Angaben des Pfarramtes und des Franz M.
gegenüber, welche in voller Uebereinstimmung mit der allerdings
erst später (1897) ausgefertigten Vertragsurkunde in bestimmtester
Weise erklären, dass Franz M. den Organistendienst schon ursprüng-
lich für die dem früheren Organisten Johann H. seit dem Jahre 1872
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172 Staatliche Aktenstücke und Entscheidungen,
zugestandene Entlohnung yon 100 fl. übernommen hat. Die Grund-
losigkeit dieser Einwendung ergibt sich überdies aus der Tliatsache,
dass dem Franz M. die Entlohnung jährlicher 100 fl. vom Eirchen-
konkurrenzansschusse für die Jahre 1893, 1894 und 1895 anstands-
los ausgezahlt und auch in den Voranschlag des Eirchenkonknrrenz-
ausschusses pro 1896 im vollen Betrage eingestellt wurde, und dass
erst der in dem letzteren Jahre neu gewählte Eirchenkonkurrenz-
ausschuss aus den bereits oben besprochenen und als unzutrefiend
erkannten Gründen die Fortzahlung der Entlohnung verweigerte.
Wenn endlich die Beschwerde behauptet, dass der Jahresbetrag
der Entlohnung von 200 E. nicht, wie die angefochtene Entscheid-
ung annimmt, der übliche war, und dass der von dem früheren Or-
ganisten Johann H. bezogene Jahresbetrag von 100 fl. nicht die
Entlohnung des Organistendienstes allein bildete, sondern mit einem
Teilbetrage von bloss 40 fl. für den Organistendienst und mit den
restlichen 60 fl. für den Gesangsunterricht der Jugend entrichtet
wurde, so stellt sie sich in Widerspruch mit dem von ihr selbst
vorgelegten Vertrage über die Bestellung des Johann H. zum Or-
ganisten dto. 1. Oktober 1872, in welchem ausdrücklich bestimmt
wurde, dass H. für die Entlohnung von 100 fl. verpflichtet ist, beim
öffentlichen Gottesdienste Orgel zu spielen. Im übrigen muss auch
hier auf die Tatsache hingewiesen werden, dass der Eirchenkonkur-
renzausschuss von N. durch die unweigerliche Zahlung einer seit
1872 in gleicher Höhe bestehenden Remuneration an Franz M. bis
einschliesslich des Jahres 1895 selbst anerkannt hat, dass das Aus-
mass dieser Entlohnung ein angemessenes und übliches war.
Diesen Erwägungen zufolge musste der Verwaltungsgerichtshof
mit der Abweisung der vorliegenden Beschwerde vorgehen.
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173
lY. Mitteiluugeu.
1. Pensionsstatat für die Geistliehen in der Diözese Kottenbnrg.
(EirchL Amtsbl. f. d. Diösese Rottenbarg Nr. 17. 1901.)
An die hochwürdige DiöeesangeisÜichkeit.
Nachdem die vom E. E. Eirchenrat und dem bischöflichen
Ordinariat zum Zweck einer künftigen Besserstellung der katho-
lischen geistlichen Pensionäre vorgeschlagenen neuen Normen über
die Pensionierung der kath. Geistlichen die ständige Zustimmung er-
halten und behufs der Vollziehung dieser neuen Bestimmungen so-
wohl die aus der Staatskasse für Pensionen kath. Geistlichen aus-
geworfenen Mittel als auch der jährliche Zuschuss des Interealar-
fonds zum Pensionsfond der kath. Geistlichen eine nicht unbedeutende
Erhöhung erfahren haben, so sehen wir uns veranlasst, die vom
1. April 1901 fortan geltenden Normen für Pensionierung der dienst-
antfichtig gewordenen und für Stellvertretungskostenentschädigung
der durch Erankheit zeitweilig dienstuntauglichen Pfründgeistlichen,
im Einverständis mit der Egl. Staatsbehörde, anmit der hochwürdigen
Diözesangeistlichkeit bekannt zu geben.
J. Pensionierung der dienstuniächtig gewordenen Pfründgeisaichen.
1) Jeder Inhaber einer kirchlichen Pfründe — Pfarr- oder
Kaplaneisteile — bischöflicher CoUatur oder Eöniglichen oder Privat-
patronats, welcher durch körperliche Gebrechen oder infolge Schwäche
seiner leiblichen oder geistigen Eräfte oder wegen einer ohne Hoff-
nung auf Wiederherstellung andauernden Eränklichkeit zur Ver-
sehung seines Amtes unfähig geworden ist, kann auf sein Ansuchen
in den Ruhestand versetzt werden.
Ein Recht auf Versetzung in den Ruhestand steht übrigens
einem solchen Geistlichen nicht zu. Andererseits kann aber auch
kein Pfründner, ausser aufgrund des kanonischen Prozesses, gegen
seinen Willen von seiner Pfründstelle entfernt werden.
Im Falle der bleibenden Versetzung in den Ruhestand hat ein
Pfründner Anspruch auf einen lebenslänglichen Ruhegehalt (vergl.
§ 74 der Verfassungsurkunde).
Die Einweisung eines Pfründners in den Ruhestand und den
Bezug eines festen Ruhegehalts ist bedingt durch dessen Resignation
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174 Muieilungen,
aof seine bisherige Pfründe. Letztere bedarf der endgültigen Be-
stätigung des Bischofs and wenn es sich am eine Patronatspfrfinde
handelt, überdies der vorausgehenden Zostimmung des Patrons.
2) Der Mindestbetrag der Pensionskongraa, wie dieselbe anter
allen umständen ohne Rücksicht aaf die Zeitdauer der definitiven
Anstellung von einem in den Ruhestand versetzten Pfrflndner bean-
sprucht werden kann, ist nunmehr auf 1500 Ji festgesetzt.
3) Dieser Mindestbetrag steigt bei den Pfarrern vom ange-
tretenen 15. Priesterjahre an bis zum 40. einschliesslich um jährlich
1,6 ^/o aus dem Einkommensbetrag der Gehaltsstufe, auf welcher der
betreffende Pfarrer zur Zeit seiner Pensionierung nach der auf der
Dienstaltersvorrückung beruhenden Gehaltsordnung der Pfarrer steht.
Der Betrag dieser Gehaltsstufe ist far die Berechnung des Ruhe-
gehalts auch dann massgebend, wenn das wirkliche Diensteinkommen
(Pfründeinkommen) des betreffenden Pfarrers höher ist, als die Ge-
haltsstufe. Bei Festsetzung der Jahresbeträge der Ruhegehalte wer-
den diese je auf den nächsten höheren Zehner aufgerundet, sofern
sie nicht ohnehin auf eine mit zehn teilbare Summe sich berechnen.
Mit dem 40. Priesterjahre hört ein Steigen der Pension auf.
4) Bei den Kaplänen steigt die congrua sustentatio von 1500 Jf
nach Massgabe der Priesterjahre in der Art, dass derselben vom
angetretenen 15. Priesterjahr an jährlich ein Betrag von 25 Jf zu-
gelegt wird.
Der auf diese Weise sich ergebende Gesamtbetrag darf jedoch
weder die Summe von 2400 Jl noch die Höhe des Dienst- besw.
Pfründeeinkommens übersteigen.
5) Ein Pensionär erhält neben der ihm als Ruhegehalt ange-
wiesenen Kongrua noch eine jährliche Wohnungsentschädigung
von 200 JH.
6) In besonders gearteten Fällen kann auf übereinstimmenden
Antrag der Staats- und Kirchenbehörde zu der Pension noch eine
angemessene Zulage gewährt werden.
7) Sieht sich ein Pfründner veranlasst, auf seine Stelle zu re-
signieren und in den Ruhestand zu treten, so hat derselbe ein
Pensionierungsgesuch beim bischöfl. Ordinariat durch das Dekanat-
amt einzureichen. In demselben sind unter Anschluss eines ärzt-
lichen Zeugnisses über die Dienstuntauglichkeit die Gründe und der
beabsichtigte Zeitpunkt der Resignation, die persönlichen und dienst-
lichen Verhältnisse des Bittstellers, der Betrag des derzeitigen Dienst-
bezw. Pfründeeinkommens, sowie auch, wenn tunlich, der eventuelle
Aufenthalt des zukünftigen Pensionärs anzugeben.
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MiUeiiungtn. 1?5
Ist die bisherige Pfründstelle landesherrlichen Patronats, so ist
dem Resignations- and Pensionierungsgesuch noch ein weiteres abge-
sondertes Gesuch an Seine Majestät den König uro allerhöchsten
patronatischen Konsensus zur Resignation auf die Pfründe anzu-
schliessen. Bei Privatpatronatspfründen hat der Bittsteller zuvor
den Konsensus seines Patronatsherrn zur beabsichtigten Resignation
einzuholen und die hierüber ausgestellte Urkunde dem bischöfl. Or-
dinariat mit vorzulegen.
Das Ordinariat wird seinerseits die eingelaufenen Gesuche prüfen
und im Einvernehmen mit der Kgl. Staatsbehörde die endgültige
Entscheidung treffen.
8) Obige Pensionsnormen haben für einen Pfründner, welcher
wegen Vergehen durch kirchliches Strafverfahren seines Amtes und
seiner Pfründe entsetzt ist, keine Geltung. Ein solcher erhält den
Demeritengehalt aus dem Interkalarfond gegen die urkundliche An-
erkennung einer eventuellen Rückersatzpflicht.
IL Entschädigung der Stelhertretungskosten bei zeUweilig durch
Krankheit herbeigeführter Dienstverhinderung eines Pfründgeist-
liehen.
1) Im Fall der zeitweilig durch Krankheit verursachten Dienst-
verhinderung eines Pfründners wird für die Versehung des Dienstes
auf dem Wege der Stellvertretung gesorgt und kann letztere je nach
Lage der Verhältnisse durch Aushilfe von Seite anderer ortsanwesen-
der oder benachbarter Geistlichen oder durch Beigebang eines Vikars
oder durch Bestellung eines Verwesers geregelt werden.
2) In solchen Fällen ist eiu Pfarrer oder Kaplan nicht ver-
pflichtet, zu den Kosten der Stellvertretung Beiträge zu leisten, so
lange die Verhinderung nicht über 6 Monate dauert. Von der Über-
schreitung dieser Zeit an ist er die Kosten der Stellvertretung inso-
weit zu übernehmen schuldig, als dadurch nicht der Betrag des
Ruhegehalts angegriffen wird, den er im Falle seiner Pensionierung
zur Zeit der abgelaufenen ersten 6 Krankheitsmonate anzusprechen
hätte. Eine Wohnungsentschädigung wird hier, falls der Pfründner
über die Zeit der Dienstverhinderung Abwesenheitsurlaub erhält,
nicht gewährt.
Hienach werden also einem Pfarrer oder Kaplan während der
ersten 6 Krankheitsmonate die Kosten der Stellvertretung, je nach-
dem dieselbe durch einen Vikar oder Verweser oder durch einen an-
dern ortsanwesenden oder benachbarten Geistlichen geschieht, in der
Höhe der für die Vikare und Verweser jeweils bestehenden Gehalts«
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1?Ö MitteUungeH.
Sätze (z. Z. 1000 e^, bezw. 1500 Jl pro Jahr) oder die Ton den
Aufsichtsbehörden ffir die Aushilfe festgesetzten Entschädigungen
ganz aus dem Pensionsfond ersetzt und diese Sätze bezw. Entschä-
digungen auch bei Festsetzung der nach Ablauf der 6 Monate zu ge-
wUirenden Stellvertretungskostenbeiträge zugrnndegelegt. Im Übrigen
wird die der kirchlichen Ordnung entsprechende Verpflichtung der
Pfr&ndner, auch in Krankheitsfällen die Vikare und Verweser in die
Pfründwohnung zu nehmen und ersteren überdies Salär und Kost,
Licht, Heizung, Wäsche und Bedienung zu gewähren, für die Regel
nicht alteriert. Die Verweser haben dabei den ganzen Verwesers-
gehalt zu beziehen ; falls aber der Pfründner dem Verweser die Kost
zu verabreichen und für dessen Bedienung Sorge zu tragen hat, bleibt
die von dem Verweser hiefür abzugebende Entschädigung der Ver-
einbarung zwischen beiden überlassen.
3) Ist ein Pfründner zeitweilig wegen Krankheit an der Ver-
sehung seines Dienstes gehindert, so hat er unter Anschluss eines
ärztlichen Zeugnisses beim bischöfl. Ordinariat Anzeige zu machen
und um Bestellung einer entsprechenden Stellvertretung zu bitten.
Das Ordinariat wird sodann die Art und Weise der Stellvertretung
regeln und im Einvernehmen mit dem K. K. Kirchenrat den Ansatz
und die Entschädigung der Stellvertretungskosten bestimmen.
Kann der betreffende Pfründner seine Stelle wieder allein ver-
sehen und der Aushülfe entbehren, so hat er hievon zeitig an das
bischöfl. Ordinariat zu berichten und den Zeitpunkt der Wieder-
aufnahme seiner dienstlichen Tätigkeit genau anzugeben.
Für die Pensionen der Pfarrer und der Kapläne samt deren
Wohnungsentschädigung sowie für die Stellvertretuugskosten , soweit
letztere nicht von den Qeistlichen selbst zu tragen sind, hat nun-
mehr ausschliesslich der aus staatlichen Mitteln und dem Interkalar-
fondsbeitrag gebildete Pensiousfond der katbol. Geistlichen aufzu-
kommen. Die Anweisung zur Ausbezahlung der Ruhegehalte und
Stellvertretungskosten erfolgt durch den K. K. Kirchenrat.
Rottenburg, den 3. Dezember 1901.
t Paul Wilhelm, Bischof.
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MuteÜungefi. 17?
2. Die Rellgionslehrer höherer Lehranstalten Prenssens sind
gesetzlich nicht frei von Kommnnalsteaern.
In vielen Oemeinden Preassens werden die Religionslehrer an
höheren Lehranstalten herkömmlich nicht zu Komrounalabgaben her-
angezogen. So war es anch seit Jahren in M., einem kleinen Städt-
chen , welches ausser einem Gymnasium ein Lehrerseminar besitzt.
Auf einmal wurden beide Religionslehrer, gleich den übrigen Be-
amten, zur Hälfte der direkten Eommunalsteuer herangezogen. Ihr
Einspruch blieb unbeachtet. Auch die gegen die Veranlagung bei
der nächsten Instanz im Verwaltungsstreitverfahren eingelegte Klage
wurde abgewiesen mit der Begründung, dass die Religionslehrer als
staatlich angestellte Lehrer besoldet und ihre Besoldung im Etat als
Lehrergehalt festgesetzt sei.
Auch die gegen dieses Urteil beim Oberverwaltungsgericht ein-
gelegte Revision wurde mit folgender Begründung verworfen.
»Den Tatbestand ergibt das Qrteil des Bezirksausschusses zu
Wiesbaden vom 17. April 1893, wodurch die Kläger mit dem An-
sprüche auf Freilassung von der Gemeinde-Einkommensteuer kosten-
pflichtig abgewiesen worden sind.
Die Kläger haben das Rechtsmittel der Revision (§ 21 Abs. 3
des Zuständigkeitsgesetzes vom 1. August 1883) eingelegt. Sie be-
antragen, dass die Vorentscheidung aufgehoben und der Klage ge-
mäss erkannt werde, und fuhren im wesentlichen aus:
In § 1 der Verordnung vom 23. September 1867 sei ein unter-
schied zwischen Seelsorgsgeistlichen und (Geistlichen, die eine Lehr-
tätigkeit ausüben, nicht gemacht. Wäre dies aber auch der Fall,
80 würden sie gleichwohl Befreiung von den Kommunalabgaben be-
anspruchen können, da sie an ihren Anstalten nicht bloss als Lehrer,
sondern als Seelsorgsgeistliche fungierten. Dies ergebe sich schon
ans der Prüfungsordnung, welche an den Religionslehrer in Rück-
sicht auf seinen geistlichen Charakter behufs Erlangung des Ober-
lebrerzeugnisses ganz andere Anforderungen stelle, wie an die übrigen
Lehrer. Ihre Amtstätigkeit bestehe aber tatsächlich nicht in blosser
Lehrtätigkeit, sondern in der Ausübung der Rechte und Pflichten
eines Pfarrers: Abhaltung des Gottesdienstes, Spendung der Sakra-
mente und Vorbereitung der Schüler auf deren Empfang, Überwach-
ung der sittlichen Führung der Schüler, Lehre von der Kanzel und
in der Schule. Freilich bezögen sie ihr Qehalt als staatlich ange-
stellte Lehrer, aber nicht allein für ihr Lehramt, sondern auch für
ihre geistlichen Funktionen. Für alle diese Ausführungen wird auch
Arehiv ftr KirebenrMbt LXXZUI. l^^^^T^
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17d MitteÜungen.
Bezug genommen auf einen im Kölner Pastoralblatt erschienenen
Aufsatz und im Anschluss an den letzteren noch bemerkt, dass in
den Begierungsbezirken Köln und Düsseldorf die Religionslehrer
nicht zu den Eommunalsteuern herangezogen würden.
Der Beklagte hat diesen Ausführungen widersprochen.
Es war, wie geschehen, zu erkennen.
Nach § 1 der Verordnung vom 23. September 1867 sind von
den direkten Kommunalauflagen befreit die Qeistlichen hinsichtlich
ihrer Besoldungen und Emolumente. Die Befreiung erstreckt sich
also lediglich auf diejenigen Besoldungen und Emolumente, welche
die Geistlichen als solche — eben in ihrer Eigenschaft als Geist-
liche — beziehen. Nun wäre ja vielleicht, wenn etwa die Vokations-
oder Anstellungsurkunden der Kl&ger dahin lauteten, sie seien be-
rufen, an den bezüglichen Anstalten nicht nur als Lehrer, sondern
auch als Seelsorger zu fungieren, den Schülern als ihrer christlichen
Gemeinde gegenüber das Priesteramt, das Hirtenamt und das Lehr-
amt auszuüben, die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, die ihnen zu-
fliessende Besoldung wenigstens teilweise oder, falls die Seelsorge
sich als das principale darstellte, sogar auschliesslich als eine ihnen
als Geistlichen zustehende zu qualifizieren. Allein die Kläger haben
ein solches ^n^^tin^^verhältnis gar nicht behauptet, Vokations-
oder Anstellungsurkunden nicht vorgelegt, die Behauptung des Be-
klagten, sie seien als staatlich anerkannte Lehrer besoldet, unbe-
stritten gelassen und ausdrücklich eingeräumt, dass ihre Besoldung
im Etat als Lehrergehalt festgesetzt werde.
Bei dieser Sachlage entspricht es dem bestehenden Rechte,
wenn der Vorderrichter ihrem Befreiungsansprache die Anerkennung
unter Hinweis auf die Ministerial Verfügung vom 21. Dezember 1874
(Wiese, Verordnungen und Gesetze, U. Abteiig. S. 95), lautend:
Der Königlichen Regierung eröffne ich auf den Bericht . . .,
dass das Amt eines Religionslehrers an einer öffentlichen Schule
weder ein geistliches Amt noch ein Amt in einer der christ-
lichen Kirchen, sondern ein Staatsamt ist, sei es ein unmittel-
bares, sei es ein mittelbares. Ebensowenig ist die Erteilung
des Religionsunterrichts in den öffentlichen Schulen als ein
Ausfluss des geistlichen Amtes aufzufassen; denn die Berechti-
gung zur Erteilung des Religionsunterrichts entspringt lediglich
aus der Übertragung des Amtes seitens des Staates . . . .,
versagt hat. Wenn die Kläger neben dem ihnen vom Staate über-
tragenen Lehramte auch geistliche Funktionen tatsächlich verrichten,
so n[iögen sie von dem aus diesen ihnen etwa zufliessenden Einkom-
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MitteÜungefl. 179
men — Stolgebühren , Messstipendien etc. — nicht zu den Eom-
manalabgaben herangezogen werden können. Die ihnen als Anstalts-
lehrer gew&hrte Besoldung aber — und nur diese steht hier in Frage
— f&Ut nicht anter den § 1 des Gesetzes ?oro 23. Sept. 1867. Die
in den Regierungsbezirken Köln und Düsseldorf etwa bestehende
abweichende Praxis ist ffir die Entscheidung des vorliegenden Falles
ohne jede Bedeutung. Die angefochtene Entscheidung war hiernach
in der Hauptsache zu bestätigen.€
Aus diesem Urteile ergibt sich, dass nur jene Religionslehrer
an höheren Lehranstalten Anspruch auf Befreiung von den direkten
Kömmunalabgaben erheben können, welche nach ihren Yokations-
oder Anstellungsarkunden berufen sind, an ihren Anstalten nicht
nur als Lehrer, sondern auch, vielleicht sogar in erster Linie, als
Seelsorger zu wirken und den Schülern als ihrer Eirchengemeinde
gegenüber pfarramtliche Tätigkeit auszuüben. Der diesbezügliche
Nachweis ist durch Vorlage der Anstellungsurkunde zu erbringen.
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idö
V. Literatur.
1, Heitirich Singer, Die Summa decretarum des Magister Rufinus.
Paderborn. (Ferd. SchOningh) 1902 GLXXXIII und 570 S.
Preis 26 M.
Johann Friedrich von Schulte veranstaltete im Jahre 1892 die
editio princeps der »Summa magistri Bafini zum Decretum Oratianic
(Giessen 1892), nachdem er kurz vorher die Summa des Paucapalea
(Oiessen 1890) und die Summa des Stephanus Tornacensis (Oiessen
1891) ediert hatte. Genau ein Dezennium nach dem Erscheinen der
zuerst genannten Ausgabe hat nun Heinrich Singer, Schnites Nach-
folger auf dem kanonistischen Lehrstuhle der deutschen Universität
zu Prag, die Dekretistenliteratur durch eine Neuausgabe der Summa
Ruiini bereichert.
Die vorliegende editio novissima ist naturgem&ss ein Kind des
Streites, das den entgegengesetzten Meinungen der beiden Gelehrten
Schulte und Singer seinen Ursprung verdankt. Kein Wunder, dass
das Werk die reichlichsten Spuren des Kampfes an sich trägt.
Zahlreiche Seiten der umfangreichen Einleitung enthalten eine oder
mehrere polemische Bemerkungen gegen die editio princeps, Aber
welche der Verfasser der Neuausgabe ein volles und gerfitteltes
Mass seiner Missbilligung ausgegossen hat.
Wahrscheinlich wird dem Leser der scharfe Ton und die grosse
Zahl der gegen Schulte geschleuderten Angriffe, die manchmal schein-
bar kleinlicher Natur sind, unliebsam auffallen; doch wird ihn dies
keineswegs davon zurflckhalten , die grossen Verdienste, die sich
Singer durch die Neuausgabe Bufins um die Kirchenrechtswissen-
schaft erworben hat, dankbar anzuerkennen und dem Werke das
Zeugnis einer umfassenden, mühevollen und äusserst gewissenhaften
Arbeit auszustellen.
In der Tat verdient Singers neue Rufin-Ausgabe unsere hohe
Bewunderung wegen der tiefen Gründlichkeit, grossen Sorgfalt und
hohen Gelehrsamkeit, mit welcher der Herausgeber über zehn Jahre
lang an ihrem Zustandekommen gearbeitet hat. Sie hat einen An-
spruch darauf, als Musterausgabe unserer gegenwärtigen kanonisti-
schen Literatur zu gelten, welche die Editionen von Schultes weit
hinter sich zurücklässt.
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HeeenHonen. 181
In der überaas lehrreichen Einleitung macht nns Singer im
ersten Abschnitte (S. VII— XLIV) mit den Handschriften bekannt,
weiche das Original werk Bnfins enthalten. An die Spitze der noch
vorhandenen acht Manuskripte stellt er den Codex Lat. 15993 der
Pariser Nationalbibliothek, welcher einstens der Sorbonne angehörte.
Der Codex ist in der zweiten H&lfte des 12. Jahrhunderts ?on
einem italienischen Schreiber sehr gewissenhaft kopiert und bildet
die älteste, wie vollständigste von allen bis jetzt bekannten Rufin-
Handschriften. Von Interpolationen und Auslassungen ist der Pariser
Text im grossen und ganzen frei. Die genannten Vorzuge veran-
lassten den Herausgeber, den Codex Par. 15993 der neuen Edition
zu Grunde zu legen. Überhaupt gebührt Singer das Verdienst, dass
er bereits im Jahre 1885 auf die Wichtigkeit der Pariser Hand-
schrift hingewiesen und sie hernach in mehreren Schriften verteidigt
hat. Er hatte hierbei die Qenujftuung , d^« Schulte den Wert
dieser anfangs übersehenen Handschrift später anerkannte und sie
angeblich dem Wortlaute seiner Uufin- Ausgabe, (S. XLV) zu
Grunde legte. Doch glaubt Singer tadeln zu müssen, dass von
Schulte in Wirklichkeit viel zu wenig Gewicht auf den Codex Pari-
siensis legte und sich vornehmlich auf die Handschriften von Mainz
und Bamberg stützte, welche nur Plagiate und Excerpte des Bufin-
schen Werkes enthalten. — Von den übrigen Handschriften stammt
der Codex von Avignon noch aus dem 12. Jahrhundert, während die
Handschriften von Moulins, Brügge, Troyes, Paris (Cod. Lat. 4378)
und Berlin dem 13. Jahrhundert angehören. Besonders wertvoll ist
der Cod. Molin., der den Text Rufins wenig verändert wiedergibt.
Die vier letzten Handschriften enthalten zahlreiche Interpolationen
und Lücken.
Dass der Urtext der genannten Handschriften einen Rufinus zum
Verfasser hat, verbürgt uns in vollkommen glaubwürdiger Weise eine
Notiz des Cod. Paris. 4378: »Summa Rufini super priniam partem.
super XIII®' causas et super ultimam partem decretorum Gratianic
und die Bemerkung des Cod. Trecens. »Incipit summa decretorum
magistri rufinLc Ausserdem sprechen für die Autorschaft Rufins
noch die zahlreichen Stellen, welche Job. Faventinus der vorliegen-
den Summa entlehnt hat, und die überaus häufigen Citate in Glossen
und Kommentaren zum Dekrete, welche den Namen des Rufinus
tragen und mit dem Texte unseres Werkes identisch sind. Singer
zählt im ganzen 13 Summen und Glossen auf, die sich meistens
mehrfach auf den Mag. Rufinus beziehen. S. XLV— LXIV.
Die Erörterungen über die PersOnli^bl^eit Rufins, denen der
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182 'Recen9ianeh.
dritte Abschnitt (S LXV— LXXIX) gewidmet ist, lassen ans den
Verfasser des Dekretkommentars höchst wahrscheinlich als Magister
an der Schale zu Bologna and später als Bischof von Assisi er^
scheinen. Ffir die zaerst genannte Eigenschaft sprechen insbesondere
die ehrenvolle Erw&hnnng des Stephanas Tornacensis zo c. 73 D. II
de consecr.. , welcher Rafin seinen anter den Zeitgenossen hochbe-
rühroten Lehrer nennt, ferner den Titel eines Magister and die
Stellen der Samma selbst, welche aaf eine Lehrtätigkeit des Ver-
fassers in Bologna hinweisen. Jedoch ist anser Rufinas keinesfalls
identisch mit dem »magister Bafinns doctor decretoramc, welcher in
einer päpstl. Balle vom 31. Jali 1220 als Professor za Bologna ge-
nannt wird. Aach besitzen wir keine Anhaltspunkte, den Bischof
Rufinus von Noia (später Bischof von Riroini und seit 1190 Kardinal)
oder den Domherrn Rafinus von Yerceili, an den Papst Alezander IIT.
am 20. April 1178, eipe Bulle richtete, mit dem Verfasser unserer
Summa zu identifizieren. Mit gutem Qrunde hat dagegen Singer
die Vermutung ausgesprochen , dass der Bischof Rufinus von Assisi«
der 1179 an der dritten Lateransynode teilnahm und im folgenden
Jahre als »magister Rufinasc in der Zeugenreihe einer Urkunde vor-
kommt, und der Autor unseres Kommentars eine und dieselbe Person
sind. Natürlich kommt dieser Behauptung vorläufig nur der Wert
einer Hypothese zu , die beim Erscheinen neuen Materials eventueil
durch eine bessere ersetzt werden kann. Es soll aber nicht in Ab-^
rede gestellt werden , dass Singer seine Hypothese durch den Hin*-
weis auf die Schrift Rufins, welche an mehreren Stellen ein be-
sonderes Interesse far die römische Kirche bekundet (civitas nostra
Roma), geschickt zu stutzen weiss. Denn das Bistum Assisi geh(Hrte
zur römischen Kirchenprovinz. — Seiner Geburt nach war Bnfin
schwerlich ein Deutscher oder Franzose, wie man früher angenom-
men hat, sondern höchst wahrscheinlich ein Italiener; vielleicht hat
seine Wiege im Bistum Assisi gestanden, was Singer mit Rücksicht
auf den Namen unseres Schriftstellers, der den Gründer und Patron
des Bistums Assisi, den hl. Märtyrer Rufinus, zum Namenspatron
hatte, für wahrscheinlich hält. — Die Abfassungszeit der Summa
fällt wahrscheinlich in die Jahre 1157—1159; jedenfalls ist ein
späterer Termin schwerlich denkbar, da das Werk starke Invektiven
gegen die Summa Rolandi enthält, die der Verfasser sich gegen das
Oberhaupt der Christenheit (Papst Alex. III.) nicht erlaubt hätte;
aber auch ein früherer Termin erscheint ausgeschlossen, weil die
Summa einen Bischof von Modena erwähnt, der erst im Jahre 1157
wieder eingesetzt wurde. — Das Todesjahr Rufins lässt sich nicht
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Reeeniionen, 183
genau bestimmen. Als ftusserste Grenze seines Lebensalters hat je-
doch das Jahr 1192 zu gelten, in dem ein neuer Bischof Quido von
Assisi erw&hnt wird.
Vieles Interesse bieten die AusfBhrungen Singers im 4. Ab-
schnitte der Einleitung, welcher das Werk Bufins zum Gegenstande
hat. S. LXXX — CXXVI. Die grosse Bedeutung des letzteren hebt
der Herausgeber genügend hervor, wenn er es als den »ersten
grossen exegetischen Kommentar, als die erste umfassende, dem Be-
dürfnisse der Schule entsprechende Darstellung des Bechtsstoffes,
welche dem Studium des Gratianischen Dekretes zugrunde gelegt
werden konntec, bezeichnet. — Der Name Summa trifft zwar für
den grossen exegetischen Kommentar eigentlich nicht zu, ist aber
für die ältesten Werke dieser Art technisch geworden. — Die Ten-
denz der Summa und die Art ihrer Behandlung des Stoffes ist wie
bei Gratian und den übrigen Kanonisten def' klassischen Zeit ver-
körpert in dem Grundsatze: Concordia discordantium canonum. Je-
doch gebührt Buiin »die Anerkennung, dass er %'eim Konkordieren
mit einer gewissen Mftssigung vorgeht, und dass die Methode bei ihm
überhaupt noch nicht zu jenem Öden Pedantismus entartet ist, wel-
cher seine Aufstellungen gegen jeden vermeintlich denkbaren Ein-
wand sichern möchte und der alternativen Lösungen nie zu viele
bieten zu können glaubte — Was die Kanonensammlung Gratiand
anbetrifft, so zeigt Singer, dass Bufin die Bezeichnung »decreta
Gratianic bereits sehr gel&ufig war; doch braucht dieser Name
ebensowenig von Gratian selbst herzurühren, wie die andere Benen-
nung »concordia discordantium canonumc; vielmehr hat der Väter
des canonischen Bechts sein epochenmachendes Werk höchst wahr-
scheinlich namenlos in die Welt geschickt. — Sehr ausfuhrlich be-
handelt Singer die bekannte Streitfrage über die ursprüngliche Ein-
teilung der pars I. und pars III. des Decretum Gratiani in 101
bezw. 5 distinctiones. Im Gegensatze zu der herrschenden Meinung
sucht der Herausgeber die Einteilung auf Gratian , und nicht auf
dessen Schüler Paucapalea zurückzuführen. Doch sind die beige-
brachten Gründe wegen ihres meist negativeh Charakters wohl nicht
geeignet, die alte Ansicht, welche insbesondere Laurin in der Intro-
ductio in Corpus iuris canonici p. 38 — 42 ausführlich begründet
hat, zu widerlegen. — Mit einer sehr gründlichen, auch für die
Textgeschichte des Decretum Gratiani wichtigen Darlegung der von
Bufin benutzten Quellen gelangte der vierte Abschnitt der Einleitung
zum Abschlüsse.
Der fünfte und letzte Abschnitt ist für die Textkritik der
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184 Beeensionen.
Summa Rufini von der grössten Bedeutang, da er die Handschriften
von Mainz, Bamberg, Rom (Cod. Palat. Yat. Lat. 678) und Göttingen
als Plagiate Rufins nachweist. Der Herausgeber h< sich im wesent*
liehen an die Ergebnisse seiner unter dem Titel »Beiträge zur Wür-
digung der Dekretistenliteratur IIc im Archiv fBr kath. Eirchenrecht
Bd. 73 (1895) S. 3 ff. niedergelegten Forschungen. Da letztere den
Lesern dieser Zeitschrift bereits bekannt sind, erübrigt es an dieser
Stelle näher auf sie einzugeben.
Bei der Edition des Textes hat Singer, wie schon bemerkt
wurde, den Cod. Paris. 15993 zugrunde gelegt. Im allgemeinen
hat er die Orthographie der Handschrift beibehalten ; nur bezüglich
des u und v hat er die moderne Schreibweise angewandt. Ebenso
hat der Herausgeber grosse Anfangsbuchstaben und die moderne
Interpunktion gewählt, um dem Interesse der Leser Rechnung zu
tragen. Besondere Anerkennung verdient, dass der Wortlaut der
Summa vollständig mitgeteilt ist. — Den Text begleitet eine dop-
pelte Reihe von Noten, von welcher die obere sachliche Bemerkungen
und die untere die abweichenden Lesarten enthält.
Mit innigem Danke scheidet der Referent von einem Werke,
welches für alle Zeiten ein ehrenvolles Denkmal für den opferfreu-
digen Fleiss und die grosse Gelehrsamkeit des Verfassers bleiben
wird. Vielleicht darf ich damit den Wunsch verbinden, dass der
vielgebrauchten Summa des Johannes Faventinus bald eine ähnliche
Edition zu teil werden möge.
Freiburg i. B. Dr. Nicolaus HiUing.
2, InstütUianes Iuris ecclesiastici. Qaas in usum scholarum scripsit
los. Laurentius S. J. Cum approbatione Rev. archiep. friburg. et
super, ordinis. Friburgi. Herder 1902. gr. 8. XVI. 680 pag.
M. 10.
Der Verfasser, Professor des Eirchenrechts im CoUegium maximum
der Oesellschaft Jesu zu Valkenberg in HoUand-Limburg, spendet diese
Institutionen des Eirchenrechts als Frucht seiner Vorlesungen in der
genannten Studienanstalt. Während die Lehrbficher der kirchen-
rechtlichen Institutionen, die wir ältere Leute in Rom 1862 benutzten,
sich an die Dekretalentexte anschlössen, hat man jetzt diese Methode
verlassen und unterlegt dem Stoff ein System. Dieser Richtung
folgend, handelt Laurentius in acht Büchern über: 1. Die Quellen
des Eirchenrechts, 2. Eirchenverfassung, 3. Die kirchlichen Ämter und
Pfründen, 4. Die Regierung der Eirche, 5. Die Verwaltung des
Lehr- und Priesteramtes, 6. Die kirchlichen Gesellschaften (Ordens-
wesen), 7. Die Verwaltung der zeitlichen Oüter, 8. Verhältnis zu
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Recen$ionen. 185
andeni Gesellschaften (Staaten). Worauf der Verfasser besonderes
Gewicht legte, das war sorgfältige Benfltzang der Quellen und die
Darstellung der gegenwärtigen Kirchendisziplin. In dieser Beziehung
yerdient das Buch besonderes Lob. Das nämliche gilt von denjenigen
Teilen, in welchen die kirchenrechtlichen Begriffe erläutert werden.
Hier bewährt sich der Verfasser als geschulten Denker und wird
sich namentlich bei der akademischen Jugend zufolge seiner durch-
sichtigen, dabei zugleich knappen Darstellung und der scharfen
Fassung der RecJUsbegriffe bald viele Freunde erwerben. Wie das
im Plane des Verfassers lag, trat die geschichtliche Entwicklung
der einzelnen kirchlichen Institute in den Hintergrund, ohne aber
deshalb völlig vernachlässigt zu sein. Wir wagen sogar zu be-
haupten, dass der Student, welcher die in diesem Punkte gelieferten
Notizen sich zu eigen gemacht, in der Prüfung seinen Mann
stellen wird.
Durchaus im Sinne der Kirche und einer grfindlichen Kennt-
nis des geschichtlichen Werdeganges ist dem kirchlichen Bechts-
buch eingehende Berücksichtigung gewidmet. Stellen von ent-
scheidender Bedeutung gelangen regelmässig in vollem Texte zur
Mitteilung. Besondere Beachtung ist auch der kirchenrechtlichen
Literatur der Neuzeit geschenkt, wozu die Akten und Dekrete der
Provinzial- und Plenarkonzilien gehören, welche der Verfasser preis-
würdig ausgebeutet hat. Das dünkt uns viel wichtiger zu sein als
die Anführung sovieler Erscheinungen der protestantischen Literatur,
die nachgerade auch im Gebiete des Kirchenrechts überall da, wo
grundlegende und entscheidende Fragen zur Verhandlung gelangen,
sich in Abhängigkeit von der modernen, höchst bedenklichen Ent-
wicklung der protestantischen Theologie befindet. Wie der Verfasser
dazu kommt, das Londoner Tablet und das Dubliner Irish ecclesia-
stical Becord als kirchenrechtliche Quellen anzuführen (S. 7), ist
mir unerfindlich.
Diejenigen Teile, welche die Stellung des Papstes, das Ehe-
recht und das Ordensrecht darstellen, verdienen besondere Beachtung.
Die Ausführungen über die weltliche Gewalt des hl. Stuhles sind
genau und vorsichtig und befinden sich in voller Übereinstimmung
mit den wiederholten und zugleich allseitig begründeten Kundge-
bungen Leo's XIII. Diese als Leitsterne anzuerkennen, ist eine
Pflicht, deren Erfüllung den Kanonisten nicht in Knechtschaft
schmiedet, sondern erst recht frei macht. Bei der Schilderung der
römischen Kurie wäre beim S. Uffizio ein Hinweis auf die in dem-
selben durch Leo XIH. getroffene dogmatische Entscheidung über
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186 Reeemianen.
die Ungültigkeit de)* anglikanischen Weihen, und bei der Congre-
gatio Concilii eine Andeutung auf das sog. Studio erwünscht gewesen,
in welchem angehende Eanonisten ihre erste praktische Ausbildung
empfangen. Die Ausfahrungen über die Rota romana lassen über
deren gegenwärtige Lage den Leser in Zweifel (126). Es ist dem-
nach zu bemerken, dass Leo XIII. deren Mitglieder andern Congre-
gationen zu dienstlicher Verwendung überwiesen hat. Die Ausfah-
rungen über die Gewalt des hl. Stuhles in weltlichen Dingen, über
die Beteiligung der Geistlichkeit an politischen Fragen und die Be-
deutung der Konkordate sind massvoU und gewinnend. In der Schul-
frage behauptet der Verfasser jenen Standpunkt, den die menschliche
Natur, der Gang der Geschichte und die übereinstimmende Anschau-
ung aller katholischen Philosophen und Moralphilosophen unter Lei-
tung Leo's XIII. vorzeichnen. Bei Veranstaltung einer zweiten
Auflage w&re der Satz (S. 372) »sed coniunctionem illam (cum
societate civili) solvere qnisque et cum alia civitate inire potestc
einer erneuten Prüfung «zu unterziehen, da jedermann tatsächlich
Mitglied eines bestimmten Staatswesens ist und das solvere potest
im Leben mit recht engen Schranken umzogen ist. In der Abtei-
lung »Ehec ragen die scharfen, klaren, bedeutungsvollen Auseinander-
setzungen über das sog. paulinische Privileg besonders hervor.
In Betreff der Domvikare wird behauptet (S. 148), sie gehörten
nicht zu den Kapiteln und seien blosse Helfer beim Ghordienst und
der Ausübung der Seelsorge. Im Gegenteil sind dieselben nach der
Auffassung der Congregatio Concilii Pfründer im Sinne des Rechts
und, wenn sie investiert worden, nur im ordentlichen Prozessver-
fahren absetzbar. Zu S. 228 wünsche ich zu bemerken , dass auch
die Mitglieder der StiftskapUel zur Ablegung des Glaubensbekennt-
nisses vor Bischof und Kapitel verpflichtend sind. In der Bulle vom
19. September 1902, welche mich zum Propst des Kollegiatstifts
beruft, wird sogar bestimmt, ohne vorherige Erfüllung dieser Pflicht
solle die Erlangung der Pfründe null und nichtig sein ^).
Diese Institutionen des Kirchenrechts, ein Werk deutscher
Gründlichkeit und echt katholischer Geistesrichtuug , an welchem
der Kanonist, aber auch der scharfblickende Philosoph und kundige
Theologe in gleichem Masse gearbeitet haben, wird als liCitfaden
1) Volomas aatem qaod tu anteqnaiD dictae ])raepo8itarae possesdonem
adipiscaris, fidei catbolicae professionein joxta articnlos jaro pndem a Sede
apostoliea propositos in manibns praefati Vicarii (capitnlaris) erpresse ernittere
ü]am<]Qe sie emissam ad dictam Sedem sine menais onro tni et Vicarii snb-
scriphone quantocitins transmittere omnino tenearis, atioqnin ^praepositnra
praeftita yacet eo ipso.
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• Recensianen. 1 87
bei VoriesungeD, wie als Nacbschlagebuch sieb bald seine Wege
bahoen. Die Ausstattung ist sebr vornebm. Der Druck bezeugt
fclassiscbe Akribie. Nur ein einziges Fehlerchen ist mir aufgefallen,
8. 11 steht: Litterae .... sortita sunt statt sortitae.
Aachen; Dr. BeUesheim.
3. Bigehnair Ä.^ Die Beteiligung der Christen am öffenüichen
Leben in vorJconstantinischer Zeit. Ein Beitrag zur ältesten
Eirchengeschichte. München. J. J. Lentner (E. Stahl jun.)
1902. 8^. 840 8. (Veröffentlichungen aus dem Eirchenbisto-
rischen Seminar München Nr. 8.) Subscript.- Preis M. 6.40;
Einzelpreis M. 8.60.
Das Thema, das der Verfasser behandelt, erweckt von vorn-
herein Beachtung. Mit dem allgemeinen Wunsche des Historikers, die
früheren Zeiten auch nach ihren grossen, allen Menschen gemeinsamen
Zügen zu erfassen, das Leben der breiteren gesellschaftlichen Schichten
der Vergangenheit, die zunächst nur in hervorragenden PersOnlich-
keiteo entgegentritt, näher kennen zu lernen , wird das besondere
Interesse des Christen erregt, der begierig ist, die Lösung zu er-
fahren, die seine Vorfahren Problemen gegeben, die in unserer Zeit
ebenffo aktuell sind, als in der vorkonstantinischen. Nach den grossen
Lebensformen von Staat und Gesellschaft teilt B. seinen Stoff in
zwei Hdlften und handelt in der ersten von der Stellung der Christen
zum römischen Staate, in der andern von ihrer Stellung zur Oesell-
schaft. In je vier Eapiteln ist der reiche Inhalt dieser Teile noch
weiter gegliedert. Die Massnahmen des römischen Staates gegen
die neue Religion, die Ansichten der Christen vom Staate und seiner
Erscheinung im römischen Reiche, ihre Stellung zu den Staatsämtern
uhd txxm Militärdienste bilden den Gegenstand des einen Teiles,
während im andern die urteile der heidnischen Gesellschaft über die
Christen, die Stellung der Christen selbst zur heidnischen Gesellr
Schaft, ihre Teilnahme an den heidnischen Vergnügungen und der
irdischen Arbeit behandelt werden. Das Bild, das der Verfasser
zeichnet, umfasst alle Seiten des staatlichen und gesellschaftlicheh
Lebens und wird somit seinem Vorwurfe vollkommen gerecht. Die
liebevolle Behandlung, die dem Einzelnen wird, gibt den mit sicherer
Hand gezogenen grossen Linien Wärme und Frische; Ordnung wie
Leben treten uns aus dem Gemälde entgegen, das B. von den
Christen der vorkonstantinischen Periode geliefert hat. Haftet auch
der eine oder andere Mangel dieser Erstlingsarbeit an, so stört dies
doch nicht den günstigen Gesamteindrack« An einigen Stellen ent*
behrt die Darstellung der Elarbeit und Durchsichtigkeit, c^n anderen
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188 ReeenHonen.
ist sie meines Erachtens ^\x sehr ins breite gerateo. Ein Vergleich
mit Hamaek's neuestem Werke »Die Mission und Aasbreitang des
Christentums in den ersteq drei Jahrhandertent, Leipzig 1902, zeigt,
wie vollständig der Verfasser das Material seiner Arbeit gesammelt
hat Der Aotor ist dabei stets bemüht, die Einzelerscheinung in
ihrer Verbindung mit ähnlichen Erscheinungen zu erfassen; so er-
halten wir eine klare Vorstellung von den Anschauungen der Christen
der vorkonstantinischen Zeit. Die Gewalt äusserer Eindrücke, die jeder
von uns aus eigener Erfahrung kennt, hat auch das urteil der
Christen dieser Periode bestimmt, es längere Zeit zu einem schwanken-
den gemacht, bis die Wahrheit zu sicherem Besitze gelangt ist. —
Die Darstellung der verschiedenen Formen der Eheschliessung im
römischen Rechte (S. 95) bedarf der Vertiefung; in diesem Zusam-
menhange war auf den Unterschied zwischen der Manus-Ehe und
der freien Ehe hiasttweisen. Die Bestimmungen, die S. SOO Anm. 1
als Canones des vierten Konzils von Karthago zitiert werden, ge-
hören in der Tat nicht einem karthagischen Konzil an, sondern sind
den Statuta ecdesiae antiqua entnommen und zwar im vorliegenden
Falle jener Recension derselben, welche uns durch die Hispana über-
liefert ist (s. Maassenf Geschichte der Quellen und der Literatur
des kanonischen Rechts, Gratz 1870, 1, 382 f.).
München. Dr. H. M. GieÜ.
4. A. Veermeerseh S. J. PraelecHonea canamcae. Pars specialis-
De rdigiosis itisMtäis ei persmis^ tractatus canamco-maralis,
Tomus alter, supplementa et monumenta. Brugis, sumptibus
Beyaert 1902. 808 pg. frcs. 16.
Während der erste Band des Werkes »De religiosis institatis
et personisc (vergl. dieses Archiv Bd. LXXXII (1902) S. 414) als
Lehrbuch dienen soll, stellt sich der vorliegende zweite Band die
Aafgabe, die kurzen Ausführungen des ersten zu ergänzen und die
Qesetzesquellen im vollständigen Text zu geben. Die Ergänzungen
sind in einer Reihe von Abhandlungen über wichtigere Fragen des
Regularrechtes enthalten. An die historisch-geographische Aus-
führung über Asketen und gottgeweihte Jungfrauen der alten Zeit
achliesst sich die Frage über den Begriff des feierlichen Gelübdes.
Während diese beiden Untersuchungen theoretischer Natur sind,
kommt den folgenden Supplementen eine vorwiegend praktische Be-
deutung zn. Gleich die nächste Abhandlung über den Beruf zum
Ordensstande behandelt einen Gegenstand, mit dem wohl jeder
Seelenführer das eine oder andere mal sich zu befassen hat. Nach
einer eingehenden Darlegung und Prüfung der verschiedenen An-
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keeemianm. l89
sichten über den Begriff des Berufes, erklärt V. seine Anffassnng
dahin: (S. 44) »Der Ordensbenif im engen Sinne ist die besondere
Oabe derjenigen , welche in der Kirche Oottes mit rechter Absicht
die evangelischen Räte befolgen, und besteht a) in aller inneren und
äusseren Hülfe, den wirksamen Gnaden nämlich, welche diesen
heiligen Entschluss herbeiführten und b) in der Oewährung aller
Onaden zur beharrlichen Ausführung desselben.c Zwei Kennzeichen
des wahren Berufes werden hervorgehoben (S. 46), das Freisein von
Hindernissen und der in Qottvertrauen begründete feste Wille, im
Ordensstande Gott zu dienen.
Die religiösen Genossenschaften mit einfachen Gelübden finden
eine eingehende Besprechung. Nachdem die höchste kirchliche Be-
hörde die Grundsätze für die Errichtung, den Innern Bau und die
Bestätigung dieser Genossenschaften aufgestellt hat, ist in dieser
Frage ein ansehnlicher Fortschritt erreicht und V. hat denselben in
glücklicher Weise seinen Lesern zugänglich gemacht.
Die zweite Abteilung des Bandes enthält die kirchlichen Ge-
setze über das Ordensleben. Die Zahl der aufgenommenen Stücke
ist ganz bedeutend. Die Anordnung hält sich an die Einteilung des
ersten Bandes. Ausführliche Inhaltsverzeichnisse, nämlich der Akten-
stücke nach ihrer zeitlichen Folge, der Namen und des Sachinhaltes
erhöhen die Brauchbarkeit des Buches.
P. Veermeersch hat in seinem]Werke über das Ordensreeht ein
wertvolles Hilfsmittel für Unterricht und Verwaltung geschaffen und
die allgemeine Anerkennung, welche dasselbe bereits gefunden hat,
wird jedem bei näherer Kenntnisnahme nur als berechtigt erscheinen.
Valkenberg (Holland). Jos. Laurentius.
5. Chateaubriand, Romantik und Restauraiionsepoche in Drank*
reich. Von Charlotte Lady Blennerhasset. 1902. Mainz, Ver-
lag von Franz Kirchheim.
Lady Blennerhasset, die speziell durch ihr klassisches Werk
über Frau von Staöl in der literarischen Welt hochangesehen ist, will
nicht nur Chateaubriand's Leben und Wirken, sondern auch die Ro-
mantik und die Bestaurationsepoche in Frankreich beschreiben. Die
Darstellung, welche die chronologische Ordnung befolgt, kann in
zwei Abschnitte eingeteilt werden: a) Erziehung und literarische
Wirksamkeit, b) politische Tätigkeit und Einfluss Ghateaubriand's.
Der 1. Teil bietet zwar nichts neues, fasst aber die Ergebnisse
früherer Forschungen sehr klar zusammen. Die zwei ersten Kapitel über
Chateaubriand's Kindheit und erste Jugend sowie über die Bretagne
sind anziehend und lehrreich, vielleicht doch ein wenig zu breit: es
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19Ö Heeeiuianen.
wäre z. B: nicht sehr zu bedauern, wenn Lady Blennerhasset di^
vermeintliche Erklärung einiger Gharakterzüge Gbateaubriand-s aus
seiner »Rassec weggelassen hätte; Cf. S. 1: »ein. echter Bretone,
dessen Genius die Merkmale seiner Rasse bewahrtet. Das Wort
»Bassec ist so dunklen und so willkürlichen Inhaltes, dass es einer
Erklärung selbst bedarf. Was muss man auch unter dem »Instinkte
einer Bassec (S. 20) verstehen? Diese Ausdrücke erinnern uns an
die berühmte virtus dorraitiva des opiums in Moli^res Malade Ima-
ginaire. Vgl. auch S. 129 über den »französischen Nationalcharakter c..
Aber diese unbestimmten, besonders von Gaine und Renan ver*
breiteten Abstractionen sind sehr selten anzutreffen ; fast überall be-
gegnet man einer lebendigen Darstellung konkreter Tatsachen.
Um die geschichtliche Bedeutung der literarischen Werke
Ghateaubriand's ins rechte Licht zu setzen, stellt Lady Blennerhasset
nicht nur die Eigenart dieser Schriften dar, sondern auch die poli-
tischen, religiösen und sozialen Verhältnisse, unter welchen sie ver-
fasst und herausgegeben worden sind, die benutzten Quellen, den
vom Verfasser verfolgten Zweck und den über die spätere Literatur
ausgeübten Einfluss. Dieser Methode bleibt die Verfasserin überall
treu; doch dürfte man die Angaben über die religiöse Lage in
Frankreich, zur Zeit, wo der »Qenius des Christentumsc erschien,
zu dürftig finden; und wir sehen nicht ein, wie die Ausführungen
über Romantik in England und Deutschland und besonders über
Novalis (S. 45—49) eine Darlegung der religiösen Stimmung des
französischen Publikums ersetzen könnte. — Noch eine Kleinigkeit:
S. 30 wird die Beweisführung Bedier*s gegen die Wahrhaftigkeit
der »Amerikafabrtc kurz wiederholt: Bertrin's Einwendungen gegen
Bedier hätten auch Berücksichtigung verdient.
Der II. Teil des Buches ist noch gediegener und interedsanter
als der erste. Die Bestaurationsepoche in Frankreich ist in politi-
scher und religiöser Hinsicht sehr wichtig, weil die heutige kirchen-
politische Lage in diesem Lande von dieser Zeit herrührt Nun ist
Ghateaubriand bis 1830 ein Mittelpunkt in all den grossen Kämpfen
seiner Heimat zwischen alter und neuer Weltanschauung gewesen;
zugleich war er einer der führenden Politiker und Diplomaten Frank-
reichs, Botschafter in Berlin, London und Rom, Minister, Partei-
haopt und Leiter zweier der einflussreichsten Zeitungen in Paris.
Dies genügt, um die Fülle der Tatsachen anzudeuten, die die Dar-
stellerin zu schildern hatte« Sie hat die Schwierigkeiten dieser Auf-
gabe glänzend überwunden und uns ein klares und lebendiges Bild
dieser bedeutangsvollen Zeitepoche gegeben«
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tUeenHoneth 191
Die LiterataraDgaben sind sehr sorgfältig aasgewählt; man
vermisst doch Boatroux* Pascal, wo die Aasle^ng der Lehre
Pascal's vielleicht genauer als in S^^-Benve's Port- Royal ist; ebenso
die 8 Bände Faguet's: Politiqaes et moralistes da XIX« siäcle.
Dr. Juret,
6. TräctcUus Misnensis de Horis Ganonicis. Heraasgegeben von
Dr. Albert Schdnf eider, Pf. in Rentschen, Prov. Brandenbarg
Breslau (Aderholz' Bachh.) 1902. gr. S«. S. 161.
7. TractiUus Brandenburgensis. Stephanus Bodeker episcopus
Brandenburgensis de horis canotiids. Heraasgegeben von
Dr. Albert Schonfelder , Pf. in Rentschen , Prov. Brandenbarg
Breslau (Aderholz' Buchh.) 1902. gr. 8o. S. 89.
Die mittelalterlichen Abhandlungen über das kanonische Stun-
dengebet, sagt der Herausgeber im Vorworte, deren wir noch heute
ungefähr 20 besitzen, haben einen grossen Einfluss auf den zeitge-
nössischen Klerus ausgeübt, indem sie viel gelesen wurden, was die
zahlreichen Handschriften und Drucke beweisen. Von Incunabeln
nennt Hain im Repertorium bibliographicum ausser einigen Ausgaben
des von Henricns de Hassia verfassten Traktates zweimal den Trak-
tatns de horis canonicis dicendis des Johannes Mösch (Nr. 11532/3)
und sogar zwölfmal das gleichnamige Werk des Albertus Trottus
(Nr. 591—602). Noch der Tractatus universi juris druckt im
Tom. XV. P. n., Venetiis 1584, drei derartige Werke ab, nämlich
das letztgenannte, sowie die des Johannes de Lignano und des Nicolaus
Plonius Posnaniensis. Leider gehören die genannten Frühdrucke
selbst in grösseren Bibliotheken Deutschlands zu den Seltenheiten.
Hierdurch und durch den Umstand, dass der grösste Teil dieser
Arbeiten nur handschriftlich überliefert ist, wird das Studium der-
selben wesentlich erschwert. So konnte es geschehen, dass derartige
Werke sogar den Fachgelehrten unbekannt blieben, selbst wenn sie
von einem sonst oft genannten Manne, wie Petrus de Luna, her-
rühren. Es dürfte daher die Kenntnis unseres Gebietes fördern,
wenn die bedeutendsten der noch nicht veröffentlichten Traktate
gedruckt wurden. Dieser gewiss dankbaren Aufgabe will sich Herr
Pf. Dr. Schönfelder unterziehen und erbringt bereits dafür den Be-
weis durch Herausgabe der beiden obigen Traktate über das kano-
nische Stundengebet.
Der erste Tractatus Misniensis ist einer Handschrift der Eir-
chenbibliothek zu Liegnitz entnommen. Obgleich es mehr als wahr-
scheinlich ist, dass Johannes Hoffmann, Bischof von Meissen (1427
bis 1451), der Verfasser derselben ist, so bezeichnet der Heraus-
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geber den Traktat doch nur als Tractatas Misniensis, weil der nr-
sprüngliche Besitzer der Handschrift der in der Diözese Meissen
wirkende doctor decretorum Johannes Swofheim war. Die Abfas-
sungszeit dürfte zwischen den Jahren 1442—54 liegen. Der Traktat
enthält 150 liturgisch-kanonistische Einzelfragen, die als dubia be-
zeichnet werden. Wir finden hier die Kasuistik schon in vollendeter
Ausbildung. Eine Reihe von dubia betreffen aber nicht bloss das
Breviergebet, sondern auch die hl. Kommunion und die hl Messe.
Der zweite Traktat — Tractatus BrandeiUmrgeHsis — hat den
Brandenburger Bischof Stephan Bodeker zum Verfasser. Diese Arbeit
Bodekers galt seit vielen Jahren für verschollen, bis der Heraus-
geber sie in einem QOttinger Kataloge verzeichnet fand. Die Ab-
fassungszeit auch dieses Traktates verlegt der Herausgeber gegen
das Jahr 1450. Derselbe hat grosse Vorzüge vor dem des Meissener
Traktates. Bodeker bevorzugt besonders die Werke der angesehensten
Kanonisten und vermeidet möglichst die moralisierende und alle-
gorisiernde Literatur des Mittelalters. Die öfteren Hinweisungen
auf die Reformdekrete des Baseler Konzils bezeugen des Bischofs
Eifer für Abstellung der damaligen Schäden in der Kirche. Die
einzelnen Materien werden in 21 Kapiteln abgehandelt, die in vielen
Beziehungen das Interesse des Kanonisten erregen. Aber anch
Historiker, Liturgiker und Moralisten werden durch das Studium der
beiden Traktate ihr Wissen erweitern. Die Absicht des Heraus-
gebers, einen leicht lesbaren Text herzustellen, kann man nur billigen.
Wir rufen demselben vorläufig zu : Vivat sequens !
Heiner.
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103
L Abhandlungen.
1. Das geistUehe Gericht des Hochstifts Konstanz In Zürich.
1366.
Von Dr. Karl Rieder.
Missliche Zeitorost&nde hatten Bischof Heinrich III. von Kon-
stanz gezwungen, das geistliche Gericht aas der Stadt Konstanz
nach Zürich zu verlegen. Um allen Streitigkeiten über die Rechts-
sphäre des geistlichen Gerichtes gegenüber dem Stadtgerichte vor-
zubeugen , wnrde eine Übereinkunft getroffen, die uns in beige-
gebener Urkunde erhalten ist. Der Abdruck dieser Urkunde mri
um so mehr gerechtfertigt sein, als sie als einzigartiges Dokument
dasteht, das uns einen näheren Einblick in derartige Gerichtsver-
hältnisse bietet. Über die Tätigkeit des Offizials von Strassburg
wissen wir einiges durch Aloys Schulte*s verdienstvolle Ausführungen,
die er dem III. Bande des Strassburger Urkundenbuches vorausge-
schickt hat; über das geistliclie Gericht des Eonstanzer Hochstiftes
herrscht noch vollständiges Dunkel. Vielleicht gelingt es dem Heraus-
geber dieser Urkunde, im Laufe der Zeit das Material zu sammeln
und zu einer Geschichte zu verarbeiten.
Beigegebene Urkunde bestimmt:
1) Des Bischofs Geueralvikar, OfSzial, Insiegler, Advokaten,
Schreiber, Prokuratoren und alle andern, die des Gerichtes wegen
in Zürich wohnhaft sind, brauchen der Stadt keinerlei Dienst zu
leisten mit Ausnahme des Ungelds und anderer Abgaben, soweit
solche um gemeinen Schutzes und Friedens willen auferlegt werden.
Ebenso soll einer, der Kaufmannschaft treibt, nach Marktrecht Ab-
gaben leisten.
2) Geht ein Angehöriger des Gerichts eine Geldschuld ein, sb
soll er nicht von dem weltlichen, sondern von dem bischöfliclien
Richter belanjft werden, der den Ungehorsamen bannen kann, wäh-
rend der Rat das Recht der Ausweisung eines solchen aus der Stadt
Zürich haben soll.
3) Bei Streitigkeiten eines GerichtsangehOrigen mit einem
Zürcher aus Stadt oder Land, soll nach Zürcher Recht entschieden
werden und zwar, falls der Beklagte ein Bischöflicher ist, von drei
Archiv f&r Kirehenrecht LXXXm. ^8 t
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194 Dr. Rieder.
durch den Bischof ernannten, in Zürich ansässigen geistlichen
Richtern; im andern Falle von dem Rate der Stadt.
4) Kleriker vom Gerichte, die sich eines Kapitalverbrechens
schuldig gemacht haben, kann die Stadt verhaften, soll sie aber dem
Bischof ausliefern; Nichtkleriker mögen nach städtischem Rechte
gestraft werden.
5) In der Verfolgung und Bestrafung von Schuldigen sollen
sich weltliches und geistliches Gericht nicht gegenseitig hindern
und dem der Strafe sich Widersetzenden Unterstützung gewähren.
6) Die Richter sowie alle die vor dem geistlichen Gericht
Recht suchen, sollen während ihres Aufenthaltes in der Stadt Schutz
und Sicherheit an Leib und Gut geniessen, vor allem wenn ein
Zürcher Bürger einen Auswärtigen vor das geistliche Gericht ladet
oder umgekehrt.
7) Diener und Knechte der Gerichtsangehörigen, soweit sie
Laien und über 16 Jahr alt sind, kann die Stadt wie Bürger oder
andere Einwohner richten.
Zum Schlüsse behält sich der Bischof vor, diese Bestimmungen
in Übereinkunft mit der Stadt Zürich zu ändern^).
Bemerkenswert ist noch der Grund, der zur Verlegung des
geistlichen Gerichtes geführt hat. Im Jahre 1365 war aus unbe-
deutendem Anlass eine bedauerliche Fehde zwischen Konstanzer
Bürgern und der Abtei Reichenau ausgebrochen, in die auch der
Bischof seiner Verwandten wegen verwickelt wurde. Von Jahr zu
Jahr nahmen die Streitigkeiten eine drohendere Gestalt an, so dass
der Bischof sich der Sicherheit wegen genötigt sah , das geistliche
Gericht nach Zürich zu verlegen. Ohne Zweifel bedeutete das für
die Stadt Konstanz eine grosse finanzielle Schädigung. Dnd so ist es
denn um so lehrreicher, die Gründe der Verlegung zu erfahren, die
Bischof und Stadt in ihren gegenseitigen Klageschriften (1370/72)
bei der römischen Kurie vorbringen*). Der Bischof behauptete,
wegen der Gewalttätigkeit des Rates und der Bürger von Konstanz
konnte die Geistlichkeit nicht mehr zu ihrem Rechte kommen, und
darum rausste das geistliche Gericht nach Zürich verlegt werden.
Ganz andere Gründe brachte die Stadt vor. Sie führte aus: die
1) Einen Einblick in das Verhältnii des geistlichen zum weltlichen Ge-
richt speziell in Zürich f^eben noter anderm auch einige Bestimmangen des
»Znricher Bandes« 1351 und des »Pfaffenbriefes« 1370. Vgl. Johannen Meyer,
Geschichte des Schweizerischen Bandesrechtes 1 427, 457. Üierauer, Geschichte
der Schweizerischen Eidgenossenschaft 1, 283.
2) NSheres siehe in den Regesten der Bischöfe ron Konstanz Nr. 5916:
6046 ff.
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Das geistl. Gericht des Hochstifts Konstanz in ZüHch. 1366, ld5
Verlegung des Gerichtes hänge aufs innigste mit der Ermordung
des Dompropstes Felix Stucki von Winterthur (f 6. Aug. 1863),
wobei angeblich im Auftrage des Bischofs dessen Verwandte beteiligt
waren, zusammen. Die Stadt Zürich setzte die Mörder in Oefangen-
schaft und forderte als Preis der Freilassung, um die der Bischof
seiner Verwandten wegen sehr bemüht war, 6000 fl. Wohl ver-
sprach man, die Forderung der Stadt zu erfüllen, aber die Bezahlung
blieb aus, und so sah sich der Bischof genötigt, zur Befriedigung '
der Züricher sein geistliches Oericht dahin zu verlegen, unter der
Bedingung, dass, solange das Gericht in Zürich sei, jedes Jahr
1000 fl. von genannter Summe nachgelassen werden sollten.
Wie wir sehen, weiss die folgende Urkunde von solchen Ab-
machungen zwischen Bischof und Stadt nichts, und darum sind die
Ausführungen des Konstanzer Rates nur mit grösster Vorsicht auf-
zunehmen.
Vertrag des Bischofs von Konstanz mit der Stadt ZOrich: Verlegung
des geistlichen Gerichtes von Konstanz nach ZOrich betreffend.
1366 Febr. 7. Zürich.
Wir . . Heinrich von Gottes gnaden bjschof ze Costentz und
wir Rüdger Maness, ritter, burger meister, die rät und burger ge-
meinlich der stat Zürich thün künt und veriehen offenlich mit diesem
brief , // als wir der obgenant bjschof Heinrich mit wolbedachtem
niüt und mit gutem rat und vorbetrachtung aller unser pfaffheit
unser geistlich gericht besetzet und geleit haben in die stat Zürich,
sol man // wissen, daz wir durch Schirmes und guten frides willen
derselben von Zürich und aller unser pfaffheit, die von ünsers ge-
richtes wegen do wonhaft sin und sitzen wellent, wir beidenthalb
mit enandere überein komen syen der stücken als hienach geschri-
ben stand:
Dez ersten daz unser dez vorgenanten byschof Heinrichs vicary,
official, insigler, advocaten, schriber, procuratores und alle die, die
daz selb unser gericht haltend und fürend und von ünsers gerichtes
wegen Zürich wonhaft sint, fry süUent sin, also daz si der stat noch
den bürgern Zürich keinn dienst süUent tun mit wacht, mit sturen,
mit reisen noch mit enkeinen andern Sachen, won so verr waz die
burger von Zürich gemeinlich in ir stat ufsetzent von ungelt oder
von andern einungen, die durch gemeines Schirmes und friden willen
ufgesetzet werdent, die süllent si och halten und dez gehorsam sin
an all geverd. Wer aber daz derselben keine, die von ünsers ge-
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196 Vr. nieder,
ricbtes wegen do wonhaft sint, koufmanscbaft tribe, die mügent si
von dez selben ir gewerbes wegen wol sturen, als ander die bi inn
wonbaft sint an all geverd.
Wir der vorgenant byschof Heinrich haben oach eigentlich be-
rott was dero keine, die von ünsers gerichtes wegen Zürich sint^
ieman von geltschald wegen schuldig wirt, die sol man darümb
DQiit dem weltlichen gericht nit nOten, won man sol darümb ein
recht von inen nemen vor ünserm vicaryen oder dem official oder
vor dem, der dann von ünsern wegen ze richten gewalt hat, doch
also waz ir dekeinem mit dem rechten anbebept wirt, oder dez er
gichtig ist, umb dieselben schulde sol unser richter dem kleger in
den nechsten acht tagen pfanl geben und in weren; wer aber der-
selb als notig, daz man hinder im nit funde sovil, daz der kleger
gewert möcht werden, dem sol aber unser richter gebieten bi dem
banne in acht tagen ze werenn; wolt aber er dem gebott nit ge-
horsam sin, so sol im aber der richter fürbaz bi dem bann gebieten,
so verr daz er in einem manot darzü bracht werd, daz man ane
gottes dienst sin müss, wo derselb Schuldner dann sy, alle die wile
und er den kleger nit abgeleit hat; und mügen euch dann die von
Zürich wol denselben verbannenn von ir stat und uss iren kilchspiin
wisen, alle die wile so er in sölichen sweren bennen ist an alle
geverd.
Wir der vorgeuant byschof Heinrich süllent euch dry richter
nemen und wellen, die Zürich in der stat mit hüsrochi sesshaft und
wonbaft syen, mit der bescheidenheit ob dekein burger oder lantroan
in ir stat oder in iren gerichten Zürich gefrefent oder geschadget
wirt mit werten oder mit werken von der dekeinen, die von unsers
gerichtes wegen Zürich wonhaft sint, so süllent die oder der, dien
der schad und frefin beschehen ist, komen für dieselben dry richter
und den ir sach und klag fürlegen; die süllent euch dann die klag
richten nach gelegenheit der sach und nach dem recht, als ez uff
der bürger Zürich richtbriefen und buchen verschriben stat au all
geverd, und dem kleger sin büss unverzogenlich ingewinnen; wer
aber derselben Schuldner keine als notig, daz er die büss nit ge-
mocht, den sol man euch ze bann tun in aller der masse als vor
umb die geltschuld verschriben ist an all geverd.
Wer euch daz dehein burger Zürich oder üsman deheinen dero
die von üusers gerichtes wegen Zürich wonhaft sint, dekein unfüg
oder frefin tete, die süllent euch für einen rat Zürich komen und dem
ir klag fürlegen und sol euch ein rat dien unverzogenlichen richtea
nach ir stat recht und gewonheit und sol man euch dien ir büsscQ
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Das geUtL GeHchi des Hochstifta Konaßam in Zürich. 1366. 197
ingewinnen unverzogenlich ; wer aber der Schuldner als notig, daz er
die büs nit gerichten möcht, dem sol man ouch die stat Zürich ver-
bieten ane fürzüg.
Wer ouch daz der vorgenant dry pfaffen richter keine von
todez wegen abgieng, usser land für oder weihen weg ir keine iierzü
unnütz würd, so soUent wir der vorgenant bjschof Heinrich darnach
in den nechsten acht tagen einen nützen und als schidlichen an dez
unnützen stat geben und kiesen, der Zürich in der stat mit husrochi
wonbaft und seshaft sj an all geverd.
Wir syen ouch einhelkiich mit enander überein komen, wer daz
dehein verwichter pfaffe, der von unsers gerichtes wegen Zürich
wonhaft ist, Zürich in ir stat oder in iren gerichten keinen schaden
tete mit roub, mit brand, mit mort, mit dübstal, mit falsch, mit
todschlegen oder mit andern Sachen , daz im nach dem rechten an
sinen lip und an sin leben gan sölt, den süUent die von Zürich
heften und vahen, daz ouch wir si ietz geheisseu und inen dez vollen
gewalt mit disem brief geben haben, also daz si uns den antwürten ;
und süllent ouch wir besorgen , daz fürbaz kein schad von dem oder
von dien bescheh an geverd.
Wer aber daz der andern keine, die von ünsers gerichtes
wegen Zürich wonhatt und nit gewicht sint, s6lichen schaden und
nnfüg tetin, daz inen nach dem rechten an iren lip und an ir leben
gieng, die mügen die von Zürich wol vahen und von inen richten
nach recht.
Wer ouch daz dekeiner, die unsers geistlichen gerichtes pflegent
uud waltent, sines eides und siner eren vergesse und unredlich und
aorecht tete an uns und an ünserm gericht und sich daz vor unserm
geistlichen gericht enpfünd und küntlich würd, wie wir die oder
den straffen umb dieselben ir misstat, dez süllent sich die von
Zürich nit annemen; und kem es ze schulden daz wir oder unser
diener derkeinen die von ünsers gerichtes Zürich wonhaft sint in
der von Zürich zwingen oder in ir stat heften weiten, daz süllen wir
nit tun, wir tngen es dann vor ze wissenn einem burger meister oder
einem rat Zürich oder dem, der eines burgermeisters stat denn
haltet, daz die ir diener oder hotten bi den ünsern haben, dez ouch
si unverzogenlich tun süllent durch daz die ünsern daz vahen dester
sicherlicher getün mügen.
Wer ouch gen Zürich in die stat kümt von ünsers geistlichen
gerichtes wegen von manbriefen, von latbriefen, von banbriefen oder
von welher sach daz ist, daz er unser geistlich gericht suchen müs
und daz küntlich ist, dez lip noch gut sol Zürich nieman verheften
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198 Dr. Rieder, Daa gei$il. Bericht d. Hockst Konstanz i. Zürich. 1366.
noch verbieten all die wile und och all die zit, so er von des selben
nnsers gerichtes wegen dar wandeln müs, es were dann daz ir
keinem die slat Zürich verbotten were oder ob er dekeinen schaden
oder angrif an denselben von Zürich oder an ihren eidgenossen
getan bette; weltin aber si derkeinen verheften oder verbieten, daz
mügen si wol tun mit ünserm geistlichen gericht an geverd.
Wer onch daz ein usman ir bürger einen, oder daz ein bnrger
einen usman für unser gericht lüde, ob do unser advocaten, procuratores
oder schriber mit dem rechten weli, die wenn dem usman zu leitin,
do süllent die burger schaffen und besorgen, daz die burger, die die
Sachen dann anrfirent, unser pfaffen, die daz gericht haltent,
darümb uit vehen mit Worten noch mit werken als verre si mügent
an all geverd.
Waz euch die so von ünsers gerichtes wegen Zürich sint, diener
oder knecht haut, die leyen und ob sechzehen jaren alt sint, tete
derkeine dehein frefin oder unzücht, von den süllent die obgenant
von Zürich richten als von andern iren burgern ald von den, die bi
inn wonhaft sint an geverd.
Wir haben euch ze beiden siten uns selber behalten, ob wir nu
oder hienach von diser vorgeschriben stüken und Ordnung wegen
utzit anders ze rat wurdin, daz mügen wir wol mindern und meren
als wir dann mit enander überein komen und uns ze beiden sitten
nütz und gut dünket an all geverd.
Herüber ze einem offem nrkünd, daz dis vorgeschriben alles
war sy und stett belib, so geben wir diser brief zwen gelich mit
ünserm dez obgenanten byschof Heinrich und ouch mit der stat in-
sigeln offenlich besigelt, die geben sind Zürich an dem necbsten
samstag nach sant Agthen tag, do man zalt von Gottes gebürte
drüzehen hundert und sechzig jar und darnach in dem sechsten jar.
Or. Perg. Staatsarch. Zürich (Stadt xl Land 11). Siegel dea Bischofi und
der Stadt wohl erhalten. — Vgl. Be gesteu der Bischöfe Ton Konstanz Nr. 5987.
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199
2. Über den Im zweiten Decenniom des neunzehnten Jahr-
handerts in Bayern fBhlbar gewordenen Seelsorgermangel —
nebst einem staatliehen nnd kirchliehen Aktenstfleke hierüber.
Von Dr« WUhelfn Hess, o. Lycealprofessor za Bamberg.
Als eine der denkwfirdigsten BegleiU und FolgeerscheiDungeD
der S&kularisation wird unstreitig der Priestermangel bezeichnet
werden mfissen, wie er in Bayern während des ersten Drittels des
19. Jahrhunderts öffentlich in die Erscheinung trat. Mit seinen An-
fängen unmittelbar in jenem die katholische Kirche Deutschlands
tief erschütternden Ereignisse wurzelnd, hatte er sich allmählich im-
mer mehr zu einer förmlichen Landescalamität ausgewachsen und
bis zur Mitte des zweiten Decenniums eine derartig beängstigende
Höhe erreicht, dass auch der in Ausfuhrung der Grundsätze der
Montgelas'schen Politik geschaffene »modernec >) bayerische Staat
nicht umhin konnte, zu ihm in ernstlicher Weise Stellung zu
nehmen.
Als erster den Oegenstand betreffender staatlicher Akt allge-
meiner Tragweite*) präsentiert sich ein auf Befehl des Königs
Maximilian L, welcher in der fortdauernden Existenz dieses Znstandes
eine dringende Gefahr für die vitalsten Interessen des Landes er-
blickte, unterm 7. Juni 1816 seitens des Staatsministeriums des
Innern (dem damals die Kirchen- und Schulangelegenheiten unter-
stellt waren)') an die theologische Faknltät der Universität Lands-
1) Vgl. V, Sicherer, Staat nnd Kirche in Bayern rom Regiernnffsantritt
dee KorfÜrston Maximilian Joseph lY. bis znr Erklärnng von Tegernsee 1799—1821.
(Manchen 1874), S. 20 ff.
2) Zum unterschiede von Erlassen der Provinzial- and Lokalbehörden
oder solchen Entschliessan^en der allerhöchsten and höchsten Stelle, welche
nor anf einzelne Fälle gerichtet waren.
3) Mit Beginn des 19. Jahrhanderts bestanden in Bayern 4 Ministerial-
departements, je eines f&r die aasw&rtigen Geschäfte, die Finanzen, die Justiz
and die geistlichen Angelegenheiten. Za letzterem ressortierten anfSnglich auch
die Schalen, doch warde bS ihm alsbald, mit CharfQrstlicher Verordnang vom
6. Oktober 1802, f&r deren Zwecke ein eigenes Bareaa errichtet, das »General-,
Schalen- and Stadien-Direktoriam«. Mit allerhöchstem Reskripte vom 29. Jali
1804 wurde die Wirksamkeit desselben auch auf die im Vollzage des Re^ens-
barger Reichsrecesses incorporierten Territorien aasgedehnt, während allerdings
die Generalleitang des Schalwesens wie überhaupt aller öffentlicher Angelegen-
heiten in den ProTinzen dem Ministerialdepartement des Äusseren ▼orbehaiten
blieb. Mit Verordnung vom 29. Oktober 1806 trat an Stelle des Departements
f&r geistliche Gegenstande ein solches des Innern, während im Anschlüsse an
die bayerische Verfassung vom Jahre 1808 ein f&nftes, dasjenige des Krieges,
neu geschaffen wurde. Zwei Umformungen der Ministerien in den Jahren I8l7
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200 Dr. Hess,
hut^), ao die bischöflichen Behörden <^) und an die staatlichen Durch-
gangsposten zu diesen, die Generalkreiskommissariate*), erlassenes
Ueskript — mit dem Auftrage, über die Ursachen des berührten
Mangels und die Mittel zu seiner Abhilfe gutachtliche Berichte zu
erstatten.
Von den durch diese »Enquetec veranlassten Erörterungen
scheinen nur zwei, infolge ihrer Veröffentlichung im Drucke, in
weiteren Kreisen bekannt geworden zu sein : die Antwort der Lands-
huter Fakultät^) und das Referat, welches — in offenbarer Ausführung
des Ministerialerlasses des 7. Juni 1816 — das bischöfliche Ordinariat
Regensburg von dem Abte Kornmann zu Prifling erholt hatte^), welch'
letzteres Dokument jedoch, strenge genommen, nicht mehr als ein
officielles gelten kann. Die Kenntnis der übrigen seitens der Hierarchie
und der Provinzialregierungen erflossenen Äusserungen dagegen dürfte
sich nicht über den Bereich der veranlassenden und der referierenden
Stellen hinaus erstreckt haben.
Und doch möchte die Publikation dieser Aktenstücke auch heute
noch, und zwar nach mehreren Richtungen hin, als instruktiv und
bemerkenswert gelten können.
Zwar lässt sich von ihr nach der erschöpfenden Behandlung,
welche die Landshuter Professoren dem in Rede stehenden Problem
und 1825 änderten an der Zagehörigkeit der geistlichen und Schulsachen xom
Ministerium des Innern nichts, dagegen wurden sie mit K. Verordnung Tom
27. Februar 1847 bezw. 16. März 1849 einem eigens gebildeten Ministerium des
Innern f&r Kirchen- und Schulangelegenheiten zugewiesen.
4) Die katholisch-theologische Fakultät der UniTersität WQrzburg kam
offenbar deshalb nicht in Betracht, weil die genannte Hochschule vor zwei Jahren
erst an Bauern zurückgefallen und vor einem Jahre erst neu organisiert wor-
den war.
5) Vgl. Brück, Geschichte der katholischen Kirche in Deutschland im
neunzehnten Jahrhundert, I. Band (Mainz 1887) S. 848.
6) Als oberste, mit diktatorischer Gewalt ausgestattete Behörde figurierte
in den säkularisierten Gebietsteilen je ein General-Landes-Kommissariat — in
den fränkischen Herzogtümern ein solches zu Würzburg. Ihm waren ein oder
mehrere relativ selbständige Landesdirektionen untergeben — in Franken jene
zu Bamberg und WOrzburg — welche sich in 8 Deputationen gliederten, in
eine Verwaitungs-, Justiz- uud Finanzstelle. Im Jahre 1808 wurden die General-
landeskommissariate aufgehoben und die Landesdirektionen in Generalkreis-
kommissariate umgewandelt, bei der Neueinteilung des Königreichs im Jahre
1810 aber reduciert und teilweise transferiert. In diesem Jahre verlor auch
Bamberg den Regierungssitz des »Generalkreiskommissariates des Mainkreised«,
um ihn an Bayreuth abzutreten. Die Kreisregierungen heutiger Ordnung wur-
den in nuce bereits mit allerhöchster Verordnung des 20. Februar 1817 ins
Leben gerufen, während allerdings die gegenwärtige Benennung der 8 bayeri-
schen Kreise erst mit ebensolcher Verordnung vom 29. November 1887 be-
gründet wurde.
7) Freimütige Darstellung der Ursachen des Mangels an katholischen
Geistlichen. (Ulm 1817).
8) Gutachten über den Priesterroangel von R. Kommann, Prälaten tu.
Prifling, an das Ordinariat Regensburg. (Landshut 1817).
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SeeUorgermangel in Bayern im 2. Dez. des 19. Jhi, 201
hatten angedeihen lassen, kanm erwarten, dass sie zu demselben
wesentlich neues oder umfangreiches Material beisteuern werde. Wohl
aber muss sie im höchsten Grade geeignet sein, ebensowohl die in
der Denkschrift der genannten Professoren in Sachen des Seelsorger-
roangels niedergelegten Klagen, Beweisgrände and Vorschläge auf
ihre Richtigkeit und Zweckmässigkeit generell zu verificieren und zu
wdrdigen, als auch durch Erhellung der in den einzelnen Diöcesen
und Provinzen eingetretenen und bestehenden lokalen Verhältnisse
im besonderen zu illustrieren und zu ergänzen, als endlich weiterhin
— last, not least — den specifischen Augpunkt zu fixieren, unter
welchem die berufensten Vertreter der kirchlichen und staatlichen
Gewalt ihre Erfahrungen und Ansichten über die angefragten
Punkte zur Projektion brachten.
Dass die solcherweise erzeugten Bilder unter sich voll in Deckung
träten, steht dabei natürlich nicht einmal für diejenigen episcopaler
Provenienz zu erwarten. Geradezu und auflRlllig in Strich und Farbe
aber würden sich von den letzteren die Darstellungen der staatlichen
Stellen abheben müssen. Und es erscheint schon im Interesse der
Gründlichkeit und Objektivität der historischen Forschung tief be-
daaerlich, dass die einschlägigen kirchengeschichtlichen und kirchen-
rechtlichen Werke und Abhandlungen ^) auf diese mehr oder minder
übereinstimmenden oder direkt contrastierenden Skizzen nicht Rück-
sicht genommen haben. Denn was denselben eine erhöhte Bedeutung,
ja den eigentlichen Reiz und den richtigen Elahmen verleiht, das ist
die Zeit^ in der sie gefertigt wurden: es ist die Zeit eines der
schärfsten kirchenpolitischen Konflikte in Bayern während des
19. Jahrhunderts -~ die Zeit unmittelbar vor dem Abschlüsse des
bayerischen Concordats.
Bei der Wichtigkeit und centralen Stellung, welche dieses Er-
eignis gerade in der damaligen Epoche erlangt hatte, wird man des-
halb erwarten dürfen, dass jede Diskussion ad hoc — des Seelsorger-
raangels, seiner Ursachen und der Möglichkeit seiner Abhilfe — in
wesentlichen Punkten und auf weite Strecken hin mit einer ein-
gehenden Kritik übereinkommen werde der kirchlichen und der staat-
lichen Zeitverhältnisse.
9) Zu den bekannteren registrieren: {Hofier)^ Concordat and Constitutions-
eid der Katholiken in Ba;^ern. (Angsbnrg 1847). — (Strodl), Kirche und Staat
in Bayern unter dem Minister Abel and seinen Nachfolgern. (Schaffhansen 1849).
— (Sirodl), Das Recht der Kirche nnd die Staatsgewalt in Bayern seit dem
Abschlnss des Concordates (Schaffbaasen 1852). — v. Sicherer, s. F. N. 1. —
Hrück I, s. P. N. 5. — r. Seydef, Bayerisches Staatsrecht. I. nnd III. Band
(Freibarg i. B. and Leipzig 1896). *-t Die ersten 8 sind anonym erschienen.
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202 t>r. Btii.
Und in der Tal bekundet die Richtigkeit dieser Aoschauang
ein auch nur oberflächlicher Blick in das Gutachten der theologi-
schen Fakultät zu Landshut zur Oenfige, indem man darin an den
yerschiedensten Stellen einer förmlichen Analyse der öffentlichen 'Zu-
stände begegnet. In letzterer Hinsicht berührt sich das Gutachten
mit zwei anderen, fast gleichzeitig erstandenen und bekannt ge-
wordenen Kundgebungen, für welche die Klarlegung jener Zustände
allerdings Hauptzweck gewesen war, auf das allerengste: so zwar,
dass es vielfach nur im Zusammenhalte mit eben diesen genannt
und gewürdigt zu werden pflegt. Gemeint sind die beiden Denk-
schriften der bayerischen Bischöfe und Bistumsvorstände vom Juni
1816 und vom Jahre 1816 auf 17, die erstere an den König, die
andere an den päpstlichen Stuhl gerichtet ^<>). Zu ihnen, welche den
unmittelbaren Anstoss zu der generellen Umfrage der Staatsregierung
vom 7. Juni 1816 wegen des Seelsorgermangels gegeben haben
sollen"), gesellt sich dann endlich als weiteres, nunmehr viertes
Aktenstück homologer Tendenz das bereits erwähnte Gutachten des
durch seine literarische Tätigkeit ^*) viel genannten Prälaten Ruppert
Kornmann.
Im Nachstehenden möge nun in dem Abdrucke des unterm 27. Juni
1816 von dem bischöflichen Generalvikariate in Bamberg in der
gleichen Sache gefertigten Berichtes eine weitere autoritative Stimme,
welche zudem den Vorzug besitzt , direkt oder, wenn man will , ex-
plicit zu sein, zu Gehör gelangen. Bevor wir indessen dazu über-
gehen, das fragliche Schriftstück in extenso zum Abdrucke zu bringen,
halten wir es zum Zwecke des besseren Verständnisses einiger in
demselben charakterisierter Punkte angezeigt, in aller Kürze auf die
wichtigsten Geschehnisse und Wirkungen einzugehen, welche die
Säkularisation im ehemaligen kaiserlichen Hochstifte Bamberg im
Gefolge hatte.
Das Schicksal dieses Fürstbistums, des »Herzens von Deutsch-
landc, war durch den Luneviller Frieden entschieden worden. Seine
formelle Einverleibung in den churpfalzbayerischen Länderverband
erfolgte im Vollzuge des Reichsrecesses zu Regensburg, doch hatte
Ghurfürst ^') Maximilian Joseph IV. von Bayern, der nachmalige König
Maximilian L, bereits mit Patent vom 22. oder 26. November 1802
10) (Hofler), a. a. 0., S. 39—44 und 44—47. — v. Sicherer, a. a. 0.,
8. 207 ff. nnd 213 ff. — Brürk I, a. a. 0., S. 337 ff., 345 f.
11) (Höfler), a, a. 0.. S. 39.
12) et Brück I, a. a. 0.. 8. 404.
Amtliche Schreibweise der damaligen Zeit.
12)
13)
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SeeUargermangel in Bayern im 2. De», des 79. Jht. 203
— das Datum ist strittig^^ — von dem ganzen ihm zugesprochenen
Bamberger Qebiete faktischen Besitz genommen, und sogleich von
diesem Tage an entfaltete ein zweckdienlich organisierter und ziel-
bewasst arbeitender Beamtenapparat eine reformatorische Tätigkeit,
welche sich nicht nur auf alle Gebiete des staatlichen bezw. bürger-
lichen Lebens erstreckte, sondern auch die Gegenstände geistlicher
und »gemischtere Natur in ausgedehntester Weise in ihren Bereich
zog, so dass der kirchlichen Oberbehörde ^^) in der neuen bayeri-
schen Provinz kaum ein einziges jener einschlägigen Vorkommnisse
erspart blieb, an denen die Geschichte der Säkularisation so reich ist.
Um nur, und zwar in chronologischer Ordnung, einiges her-
vorzuheben: Es wurden die Verkündigungen der für die Fastenzeit
des Jahres 1803 bestimmten Erlasse des Hirtenbriefes und Fasten-
patentes des Bischofs Freiherrn v. Buseck inhibiert; die Bekannt-
machungen des bischöflichen Generalvikariats an die jeweilige Ein-
holung des landesherrlichen Placet und an die Anwendung der
Stirnformel »auf höchsten Befehl Seiner Ghurfürstlichen Durchlauchtt
gebunden; das bischöfliche Consistorium in Ehesachen aufgelöst; die
geistliche Gerichtsbarkeit beschränkt und den Geistlichen das Recht
der Testamentierung in der bisherigen Form, sowie der Testaments-
vollstreckung entzogen; der Gottesdienst durch Einführung eigener
»Pfarrgottesdienstec »gereinigte; das Patrouatsrecht über alle
Pfarreien und Beneficien, auf welchen kein jus patronatus laicdle
privatum haftete, in Anspruch genommen und ausgeübt; die An-
schaffung eines neuen Diöcesankatechismus instruiert; die Existenz
Qud Fortdauer des bischöflichen Generalvikariats von der Ghurfürst-
lichen Genehmigung abhängig gemacht und die Regelung seiner
Wirkungssphäre einem näheren Entscheide des Landesherrn vorbe*
14) Der leiste SooTerfin des FürBtbistuins Bamberg war Christoph Frans
Freiherr Ton Bnseck. Er wnrde durch die SäknlariBatioD seiner weltlichen
WQrde entkleidet, während die geistliche bekann termassen durch den Reichs-
recess intact gehalten wurde. Ihm stand bei Beginn der neuen Ära ein General-
Tikariat aus 15 Mitgliedern — ausschliesslich bürgerlicher Abkunft — zur Seite,
doch schmols deren Ansahl bis zum Jahre 1811 auf 7 zusammen, unterm
12. Juni 1805 hatte der Bischof, ernstlich erkrankt, zur Vornahme wichtigerer
Amtshandlungen seinen NeffSen und ehemaligen Coadjutor, den als Ffirst gleich-
falls depossedierten Bischof der Nachbardiöcese Wfirzburg, Georg Karl Frei-
berm ron Feehenbach, bestellt. Er starb am 28. September 18(m», sein nun-
mehriger Stell? ertreter Georg Karl am 9. April 1808. Von da an hatte das
Bistum Bamberg Sedisvakans, bis es im Yollsuge des bajerischen Concordats
im Jahre 1818 zum Enbistum erhoben wurde. Während des grösseren Teils
dieses Interralls, nämlich rom 19. September 1812 ab, leitete die Re^rierung
der Diöcese der unter diesem Datum zum Präsidenten des Generalvikariats
sede Tacante erwählte, weiter unten noch su erwähnende Adam Friedrich Frei-
herr Gros fon und su Trockau.
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204 Dr. Hess,
halteu; die Entfernung eines »anstössigen Bildes« aus der Wallfahrts-
kirche Vierzehnheiligen verfügt**); die Pfarrer und Beneficiaten als
Staatsdiener erklärt; durch Rundschreiben an die Pfarrämter öffent-
liche Gebete für die glückliche Entbindung der Churfürstin und um
einen gedeihlichen Frieden angeordnet; die Abhaltung von Pro-
zessionen und Bittgängen dem Consens der Polizeibehörden, jene
von Wallfahrten ausserdem noch dem Passzwange unterstellt; die
bisherigen zwei Stadtpfarreien zu Bamberg auf vier vermehrt, die in
Bethmann'schen Obligationen bestehenden Vermögenswerte der beiden
ersteren ohne Einvernahme der Eirchenvorstände veräussert bezw. durch
bayerische Schuldverschreibungen ersetzt, die Dotation der vier jetzigen
Pfarreien ohne Zuziehung der bischöflichen Behörde und in unzu-
reichender Höhe begründet, sowie die Abgrenzung der einzelnen
Pfarreisprengel nach den vier Polizeidistrikten vorgenommen; die
Anordnung von Ezequien für den am 28. September 1805 verstorbenen
Ordinarius der Diöcese, Christoph Franz Freiherrn v. Buseck »«), bis
zum Eintreffen der Allerhöchsten Bewilligung untersagt; die Vor-
nahme von Amtshandlungen des nunmehrigen Bistumsverwesers, des
Bischofs Georg Karl Freiherrn von Fechenbach "), langjährigen Coad-
jutors des Verstorbenen, vor der Bestätigung durch Seine Durchlaucht
den Churfürsten für unmöglich erachtet ; die von dem eben Genannten
getroffene Wahl eines Subregenten für das Klerikalseminar in Bam-
berg, sowie die Berufung eines Alumnatpriesters auf eine Stadtptarr-
cooperatur ebenda annulliert; der Verkehr des bischöflichen General-
vikariats mit der Curie nur durch die staatlichen Stellen hindurch
zugelassen etc.
Zu diesen Massnahmen allgemeinerer Natur, welche als Aus-
flnss eines in umfassendster Weise in Ausübung genommenen landes-
herrlichen jus circa sacra erscheinen, treten des weiteren dann noch
solche specielle Akte hinzu, welche far den in der Diöcese Bamberg
äusserst fühlbar gewordenen Priestermangel — er steigerte sich zeit-
weise zu einer förmlichen Priesternot**) — mehr oder minder direkt
15) Das fragliche Bild war von einigen Patres des zu Bamberg anfge*
Kosten Dominikanerklosters, denen in der berühmten Wallfahrtskirche Dienst
zu tnn verstattet worden war, dortselbst aaffrehängt worden. Es stellte den
hl. Dominikos dar, wie er die 14 Nothelfer anflehte, bei Gott am die Wieder-
herstellnng seines Ordens zu bitten. Dieses Moti? war es, welches als »an-
stössig« empfunden wnrde.
16) S. Fnssnote 14.
17) Ibidem.
18J Das Ljcenm Bamberg hatte bei seiner Gründung im Jahre 1803 einen
vollständigen theologischen Lehrknrs zu 3 Jahrgangen erhalten, der umso mehr
als förmliche Fortsetzung des auf ebensoviel Klassen bemessen gewesenen Theo-
logicums der Bamberger Universität gelten konnte, als fast die simtUchen
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Seetsorgermanget in Bayern im Ö. Dez. des 19. Jht 205
verantwortlich gemacht worden. Sie spielten sich hauptsächlich auf
dem Oebiete des höheren Schulwesens and der klerikalen Erziehung
ab. Zu ihnen ist zu rechnen: die Aufhebnng der Bamberger
Universität; die Erklärung der Schulen als Polizeianstalten und die
derogemäss bei den höheren Instituten getroffene Ausschaltung des
Princips der Trennung der Schüler nach Confessionen ; die Aus-
merzung des bischöflichen Einflusses auf die Besetzung der Lehrstellen
an den Mittelschulen einschliesslich der Religionslehrerstellen; die
Abschafiung der von den Professoren als Vorbedingung ffir die Über-
nahme ihrer Lehrstühle begehrten Ablegung des Tridentinischen Glau-
bensbekenntnisses ; die absichtliche und willkürliche Würfelung eben
dieser Lehrkräfte ohne Rücksicht auf Confession und heimatliche
Zugehörigkeit; die Schliessung zweier unter der fürstbischöflichen
Regierung in Bamberg erstandener »Studentenhäuser«, des Auf-
seesianums und Marianums^ in welchem alljährlich eine grosse Zahl
von Gymnasiasten und Lateinschülern freie Wohnung und Ver-
pflegung gefunden hatte; die teilweise Zweckentfremdung des
bischöflichen Seminarfonds, von dessen Reichnissen erhebliche Be-
träge zur Dotation der vier oben genannten Stadtpfarreien und zum
Unterhalte von Stadtpfarrcooperatoren abgeschwendet wurden; die in
Consequenz dessen erfolgte Reduction der Anzahl der Alumnatssitze
im Seminar; die Beschränkung der Zahl der jährlich zu erholenden
landesherrlichen Tischtitel auf einen geringen fixen Procentsatz der
in dem Bistum vorhandenen Curatstellen und die ärmliche Aus-
stattung dieses Titels; die Aufrichtung neuer Prüfungs- und Auf-
nahnosbestimmungen pro admissione ad seminarium bezw. ad cleri-
catum, sowie die Unterstellung des Prüfungsgeschäftes unter die
Respicienz eines staatlichen Kommissärs u. dgl. m. ^^).
Air diesen Verfügungen standen Bischof und General vi kariat
Profefsoren der theologischen Fakaltät darselben in das Lycenm berübergenoni-
men worden waren. Aas Mangel an Theologiecandidaten wurden die 3 Korse
in den Jahren 1810/11, 1811/12. 1812/18, 1815/16 and 1817/18 in 2 versehmolzen,
während in den kritischen Jahren 1816/17 gar nur ein einziger aas ihnen formiert
werden konnte. Die Anzahl der Kandidaten des einzelnen Jahrgangs betrug
während der angeführten Epoche durchschnittlich 3, w&brend pro anno 13 bia iS
hätten absolvieren müssen, nm den damaligen jährliehen Abgang von Geist-
lichen za decken — ein Abgang, dessen hoher Betrag haaptsächlich durch den
Umstand veranlasst war» dass die infolge der Säkularisation zur Cura und zum
Weltpriesterstande ftbergetretenen Religiösen zumeist nun hochbetagte Männer
geworden waren.
19) Über diese Dinge und andere einschlägige Geschehnisse berichtet aus-
führlicher eine z. Z. unter der Presse befindliche Aohandlnng des Yerftoers, be-
titelt »Geschichte des Lyceums Bamberg und seiner Institution, utiter besonderer
Berücksichtigung der allgemeinen Verhältnisse der bajerischen Lyeeeak. Sie
dürfte etwa lu Beginn dee Sommers erscheinen.
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206 Dr. He8$,
ziemlich machtlos gegeafiber. Wohl h&tte ein einmütiger und fort-
gesetzter Einspruch beider Faktoren auch zwei so energischen Ver-
tretern des Gedankens der Staatsomnipotenz gegenüber, wie sie der
Qenerallandeskommissär in Franken und nachmalige Generalkreis-
kommissär des Mainkreises, Graf von Thürheim ^% und der Präsident
der ihm untergeordneten Landesdirektion in Bamberg und sein späterer
Nachfolger auf dem Regierungssitze, Freiherr von Stengel, reprä-
sentierten, ihren Eindruck nicht verfehlt. Allein eine solche Ein-
heitlichkeit war eben in vielen , selbst principiellen Dingen , kaum
jemals zu erreichen gewesen. Einerseits schien das Generalvikariat
den beiden Bischöfen Freiherrn von Buseck und Freiherrn von Fechen-
bach in der Gewährung von Zugeständnissen bald zu weit gegangen
zu sein, bald zu wenig Entgegenkommen bewiesen zu haben; anderer,
seits hatte die genannte kirchliche Behörde des öfteren Schwierig-
keiten, ihren derzeitigen Ordinarius vor übereilten Schritten in der
einen oder anderen Richtungen abzuhalten. Freilich wird man nicht
vergessen dürfen, dass die damalige Zeitlage und insbesondere die
starke Urgierung des »Rechtes des Stärkerenc seitens des bayeri-
schen Beamtentums unendliche Schwierigkeiten boten, so dass es
wohlverständlich ist, wenn sich auch im Schoosse des Generalvikariates
alsbald die Keime einer tiefer gehenden Meinungsverschiedenheit und
Spaltung entwickelten und die Beschlüsse der staatlichen Behörden
nicht immer oder nicht gleichmässig auf Widerstand innerhalb des
geistlichen Ratskollegiums stiessen.
Zu den Vertretern der »schärferen Tonart« innerhalb desselben
zählten u. a. die einer grösseren Öffentlichkeit bekannten vier geist-
lichen Räte : der Präsident des Vikariats, Kapitular des aufgelösten
Domstiftes zu Bamberg und nachmaliger, in Ausführung des Con-
cordats ernannter erster Bischof von Würzburg — Adam Friedrich
Gross Freiherr von und zu Trockau *i) ; der durch seine Beziehungen
20) Graf ron Tharheim, ehemaliger Zdeling der EarUschnle in Statt-
nrt , war nach Wtgele — Geschichte der UniTersitfit Würsbnrg , I. Band
(Wfinbarg 1882), S. '490 — daa richtige Werkzeug zur Aosführang der Gnind-
8&tie der Monigeiaa* sehen Politik in Franken. Er worde nach Mont^elas*
Starte dessen Nachfolger als Minister des Innern und nahm regen Anteil an
den Verhandlungen am das Zustandekommen des Concordats, l^i welchen er
zusammen mit dem Minister des Auswärtigen, Grafen Yon Rechberg, die Politik
der Nachgiebigkeit und der »stillen Vorbeiialte« rertrat gegen&ber den inm
Bruche drfingenden Anschauungen des Ministerpräsidenten nnd Justizministers
Grafen ron ICeigersberg, und des Finanzministers Freiherrn fon Lerchenfeld.
Vgl etwa V. Sicherer, a. a. 0., S. 222 ff.
21) Über ihn Tgl. beispieUweise (Hofier), a. a. 0., S. 89, 110, 118 f., 165 £;
V. SUherer, a. a. 0., 207, 262; Brück, a. a 0. I, S. 147, 803, 304; Brück,
a. a. 0. IL Band (Mainz 1889), S. 176 f., 178 f., 569; Braan, Geschichte der
Heranbildung des Klerus in der Diöcese Winburg seit ihrer Gründung bis zur
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SeeUorgermangel in Bayern im 2. Den. des 19. Jht 207
zum »Eichst&tter Frenndeskreisec und durch seine Bekämpfang des
Febronianismas und Wessenbergianismus bekannte Eanonist, Pro-
fessor in der juristischen Faknlt&t der aufgehobenen Universität
Banoberg und nunmehrige Professor des Eirchenrechts und der
Eirchengeschichte in der theologischen Section des im Jahre 1803
gegründeten Lycenms allda, apostolischer Notar — Dr. theol. et
ntrinsque juris Franz Andreas Frey*'); sein Genosse im Lehramte,
Professor für Dogmatik, Moral- und Pastoral theologie an der näm-
lichen Anstalt und Regens des Priesterseminars — Dr. Franz Stapf**);
nnd endlich der frühere fürstbischöfliche Hofkaplan und Eanonikus
des säkularisierten GoUegiatstiftes St. Gangolf in Bamberg, späterer
Weihbischof des ersten Bamberger Erzbischofs und zugleich Bischofs
von Eichstätt, Josephs Grafen von Stubenberg, und unmittelbarer
Nachfolger desselben auf dem Eichstätter Bischofssitze — Johann
Friedrich Österreicher**).
unter den Genannten war es namentlich Frey, welcher die
einzelnen Anordnungen und Massnahmen der staatlichen Behörden
als ausschliesslich unter dem Gesichtspunkte des gemeinen und des
kirchlichen Rechtes gedeutet und wegen der durch die Staatsorgane
betätigten Verletzungen verschiedener Artikel des Luneyiller Frie-
densinstrumentes und des Regensburger Reichsdeputationshaupt-
schlusses den Rechtsweg zu den Reichsgerichten betreten und eine
direkte Elage auf gravamina religionis erhoben wissen wollte.
Seiner Feder entstammt auch das nachfolgende Gutachten des
Bamberger Vikariats über den Mangel an katholischen Geistlichen,
und in der Tat schien gerade er, der die beiden oben erwähnten
Vorstellungen der bayerischen Bischöfe und Bistumsverweser an
Eönig und Papst verfasst hatte *^), als die zur Abgabe eines ür-
Gegenwart, IL Band (Mainz 1897), S. 396 ff. — Bezüglich seiner anterlief bei
Brück I, 8. 803 insofeme ein Versehen, als er daselbst als Präsident dee
Wttnbarger GeneralTikariats gedacht ist, während er in Wirklichkeit Vorstand
der Baniberger bischöflichen Behörde gewesen.
22) Ober ihn s. bei (HOfler). a. a. 0., S. 44 f., HO; Brück, a. a. 0. I,
323, 327, 402, 469; v. Sicherer, a. a. 0., S. 197. 199. 213 ff., 262.
23) Vgl. aber diesen {Höfler), a. a. 0., S. HO; v. Sicherer, a. a. 0.,
8. 197, 262 — welch* erstere 8telle ihn als »Kanonisten« bezeichnet; Brück,
a. a. 0. I. 323.
24) Ebenso {Höfler), a. a. 0.. S. 110; v. Sicherer, a. a. 0., 262. — Die
Tier im Vorstehenden genannten M&nner sind in der Öffentlichkeit des weiteren
anch dadurch bekannt geworden, dass ihre Qemeinsamkeit es war, welche der
in protestantischen Kreisen bestehenden ünrahe gegenüber es unternahm, die
Eigenschaft des Concordats als eines nur die katholische Kirche berührenden
Abkommens darsutnn. Ibid. Ibid.
25) {Hofler), a. a. 0., 8. 44. — v. Sicherer nennt ihn nur als Verfasser
des an den Papst gerichteten Memorandums, a. a. 0., 8. 207, 213.
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208 br. tteai,
teils berufenste Persönlichkeit innerhalb des Oremino^s der geist-
lichen Räte.
Nichtsdestoweniger erhebt sich das letztere weder zu der um-
fassenden Höhe, zu welcher sich das Oatachten der Landshnter theo-
logischen Fakult&t emporgeschwnngen, noch anch noisst es mit jener
Schärfe, mit der der nämliche Verfasser in den eben genannten
Denkschriften über die kirchenpolitischen Verhältnisse der damaligen
Zeit den Stab gebrochen hatte, wenngleich sich Anklänge an die-
selben an manchen Stellen der nenen Schrift deutlich vorfinden.
Der Orund möchte wohl in dem umstände zu suchen sein, dass
erstens im Laufe der seit der Säkularisation verstrichenen 18 Jahre
die Formen des Verkehrs zwischen dem Generalvikariate und der
zuständigen Kreisregierung überhaupt immer conciliantere und con-
niventere geworden waren, und dass zweitens Frey als Lehrer an
einer öffentlichen staatlichen Dnterrichtsanstalt und als ein der Re-
gierung untergebener Beamter im — wenn auch indirekten — Con-
nexe mit dieser sich schicklicher Weise einer gewissen Zurückhaltung
befleissigen musste.
Was nun die äussere Gestalt des Gutachtens anlangt, so hat
dasselbe dem Verfasser dieser Einleitung nur in Abschrift vorge-
legen, und zwar in einer Orthographie, deren Instabilität auf eine
gewisse Unzulänglichkeit des copierenden Beamten hinzuweisen
scheint. Trotzdem hat er geglaubt, die besondere Art der Recht-
schreibung im wesentlichen ebenso beibehalten, wie die im Gut-
achten unterstrichenen Worte in liegend Schrift darstellen zu sollen,
während er allerdings im Interesse der Raumersparnis die halb-
brüchige Form des Promemorias durch Ganzzeilen ersetzte. Endlich
hat er sich gestattet, als einleitenden Akt zu dem letzteren den
kurzen ministeriellen Erlass des 7. Juni 1816 im Originalwortlaute
zu veröffentlichen, nachdem dessen Inhalt der kirchengeschichtlichen
und kirchenrechtlichen Literatur bislang immer nur indirekt ent-
nommen werden konnte. Die cursiv gedruckten Stellen, Adresse
und Unterschrift darstellend, sind dabei handschriftliche Aus-
füllungen, das übrige ist lithographiertes Generale.
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Seehorgertnanget in Bayern im Ö. Dez, des 19. Jht. 20Ö
Königreich Baiern
Ministerium des Innern
Auf Befehl Seiner Majestät des Königs
der Staatsminister Graf von Montgelas
An
das k. OenercU KreisJcammissariat in Bairetdh.
Es ist der Sorgfalt Seiner Königlichen Majestaet vorlängst nicht
entgangen, welcher Mangel an dem zum ordentlichen Dienste des
katholischen Kultus und der Seelsorge erforderlichen geistlichen Per-
sonale wegen der seit einiger Zeit eingetretenen so grossen Abnahme
der Frequenz des Zugangs zu dem geistlichen Stande bevorzustehen
scheine. — Allerhöchst Dieselben wollen, dass in Erwägung genom-
men werde, woher es hauptsächlich rubre, dass so wenige Studirende
dem Studium der katholischen Theologie sich widmen, und welche
directen oder indirecten Mittel zunächst anzuwenden seyn möchten,
um diesem Zweige wieder mehrere Candidaten zuzuführen.
Ikis k. General Kommissariat des Maihkreises hat hierüber
das bischoe fliehe General Vikar iat /m Bamberg um seine gutacht-
liche Äusserung zu vernehmen und dieselbe mit seinem eigenen nach
kollegialer Berathung geschoepften Gutachten förderlichst zur Vor-
lage zu bringen.
München den 7*«° Juni 1816.
(gez.) G. V. Monigelas.
Den Mangel an dem zum ordentl. Dienste Durch den Minister
des kathol®" Kultus und der Seelsorge er- der General Sekretaer
forderl«» geistlichen Personale betreff'*. (g^z.) I, v. Kobell
Archiv för Kircbenrecht LXXXIII. 14
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210 Dr. ffeaa,
Copia.
Bamberg am 27. Juny 1816.
EOuigl. General Commissariat
Gehorsamster Bericht
des des Main Ereisses!
Bischöflichen General Vikariats
des Bisthums Bamberg
den Mangel an dem zum ordentlichen Dienst
des katholischen Cnltus erforderlichen geist-
lichen Personal betr*.
Dem bischöflichen General Vikariate ist durch einen Brlass des
königl. General Ereis Eommissariats d. d. Baireuth d. 17. und praes:
Bamberg d. 22. Jony 1. J. der Auftrag gemacht worden :
»dass, da Sr Eönigl. Majestät nicht entgangen sey, welcher
»Mangel an dem zu dem ordentlichen Dienste des katholischen
»Cultus und der Seelsorge erforderlichen geistlichen Per-
»sonal sich äussere, von diesseitiger Stelle in Erwägung zu
»nehmen seye, woher es hauptsächlich rühre, dass so wenig
»studirende dem Studium der katholischen Theologie sich wid-
»men, und welche directen und indirecten Mittel zunächst an-
»zuwenden seyn möchten, nm diesem Zweige wieder mehrere
»Candidaten zuzuführen.
Das bischöfliche General Vikariat entspricht mit aller Bereit-
willigkeit diesem Auftrage, und hält es für unerlässlich und heilige
Pflicht, in einem Gegenstand, der so innig mit der Existenz und dem
Wohle der Eirche und des Staates verbunden ist, seine Ansichten
und Überzeugungen mit Offenheit und unerschütterlichem Zutrauen
den tiefen Einsichten und der gerechten und billigen Prüfung des
königl. General Ereis Commissariats vorzulegen.
Das abverlangte unzielsezliche Gutachten berühret zwei Punkte:
1) woher es rühre, dass so wenige unter den studirenden sich
dem Studium der katholischen Theologie widmen;
2) welche directen oder indirecten Mittel anzuwenden seyn
möchten, um diesem Zweige wieder mehrere Candidaten zu-
zuführen.
I.
Woher es rühre, dass so wenige unter den studirenden dem
Studium der katholischen Theologie sich widmen?
Die erste Ursache findet das Bischöfliche General Vikariat in
dem Zeitgeisfe.
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Seelsorgermangel in Bayern im ä. Dez, des i9, Jht, 211
Seine Tendenz ist, die intellectueüe Aufklärung auf Kosten der
SUüichkeit zu befördern. Wie sehr man sich bestrebet habe, durch
eine falsche Aufklärung die Köpfe zu verdrehen, die subjective Ver-
nunft selbst sozusagen zu apotbeosiren , seine Ideen, seye es durch
welche Mittel innroer zu realisiren, Proselyten zu machen und
Fictionen zu stiften, zeiget in frappanten Beyspielen die politische
Geschichte in den gewaltsamen Umwälzungen, die die Staaten er-
fahren haben; aber ebenso auch die Kirche. Eine falsche Auf-
klärung, Freidenkerey genannt, hat ihre Fundamente angegriffen.
Man hat das positive Christenthum ganz in Verachtung gestellt, in
öffentlichen, allgemein zirkulirenden Schriften angegriffen, in Zer-
und Spottbildern in seinen Anstalten verhöhnt. Diejenigen, die dem
Christenthume noch äussere Achtung erweisen, wollen es doch in
einen Naturalismus umschaffen. Bey dieser so ziemlich allgemeinen
Stimmung kann es nicht änderst kommen, als dass das Studium der
Theologie, wie man gleiche Symptome auch bey anderen Confessionen
bemerkt, wenig geachtet und nicht geeignet erscheint, Aufmerksam-
keit und Anstrengung zu erregen.
Fügt man diesem noch bey, dass die Moral dieses Zeitgeistes
locker, die Grundsätze prekair, die Sinnen Lust und das Streben
nach Sättigung der Begierden überwiegend ist, so lässt sich hieraus
abnehmen, wie bey der Verachtung, in welcher das Christenthum
stehet, es auch um das Studium desselben und seiner gelehrten Be-
handlung stehen müsse, wie, da zur zweckmässigen Bearbeitung
desselben Kopf und Herz vereiniget seyn sollen, die Zahl derjenigen
geringer seyn werde, die dem Strome des allgemeinen Verderbens
entgehen und an dem Studiuna des göttlichen und der Religion noch
Geschmack finden.
^" Ursache, Diese liegt in der Erziehung. Man mag die
öffentliche oder PrivcUerziehung in ihren Grundprincipien, auf denen
sie beruhet — in den Personen, die sie leiten — in den Einwirk-
ungen, unter welchen sie stehet, betrachten, so lässt sich nichts
entdecken, welches der Stimmung zum geistlichen Stande vortheil-
haft wäre.
In allen öffentlichen Erziehungsplänen wird zwar der sittlich
religiösen Erziehung Erwähnung gethan, aber sie steht gegen die
intdlectudle im Hintergrunde. Etwa 2 Stunden wöchentlich werden
derselben gewidmet, da 15—16 den anderen ünterrichtszweigen an-
gewiesen sind. Da der Mensch seiner wahren Bestimmung nur dann
entspricht, wenn Herz und Verstand einen gleichen Grad der Bildung
bey ihm haben, so kann diese Disproportion nur dazu führen, nicht
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212 Dr. ffeaa,
nur die Bildung der studierenden in moralischer Rücksicht unvoll-
kommen zu machen, sondern diese Studierende müssen die weit müh-
samere Bildung des Herzens als weniger wichtig ansehen, und die
Hand, die ihre tobenden Leidenschaften in Zügel halten will, immer
unsanft zurückstossen. Es war sogar eine Zeit, wo man den christ-
lichen Eleligions Unterricht durch einen allgemeinen Vernnnftsreli-
gions Unterricht aus den Lehranstalten verdrängen und den Geist-
lichen jeder Gonfession heimweisen wollte, wodurch letzterer Unter-
richt beinahe als ganz entbehrlich erschien.
Diese Principien stellen sich aber als solche dar, welche die
Grundlage des Ghristenthums gefährden, den religiösen Gefühlen den
Eingang in die Herzen verschliessen, durch einen kalten Rationalisten
das Christenthum verdrängen, oder gegen dasselbe gleichgültig
machen. —
Wirft man den Blick auf die Personen ^ die das Erziehungs-
wesen in religiöser Rücksicht leiten sollten, so finden sich auch viele
Hindernisse, die der Neigung zum geistlichen Stande nicht förder-
lich sind. Die theologischen Lehranstalten sind an religiöser Auf-
sicht exemt. Der Bischof hat auf die Leitung dieser Studien nicht
den geringsten Einfluss. Manche der Lehrer formirten sogar eine
Opposition gegen den Bischof und sein Consistorium , wie diese
Michls Eirchenrecht ausspricht, und suchen die Gandidaten des
Priesterstandes gegen dieselben einzunehmen.
Es ist natürlich, dass durch diese Manipulation entweder Ab-
neigung gegen den geistlichen Stand entstehen oder ein Geist der
Insubordination gebildet werden musste, der dem Wohle der Kirche
schädlich ist. —
An höheren Lehranstalten, z. B. Gymnasien, wird der Religions
Unterricht sowohl, als die Religions Übung mit sichtbarer Gleich-
gültigkeit behandelt. An manchen dieser Anstalten, ob sie gleich
katholisch ihrer Fundation nach sind, sind Protestanten angestellt,
die, da sie ihren Gonfessions Grundsätzen nach das katholische
Eirchenwesen aus einem anderen Gesichtspunkte betrachten, ent-
weder gleichgültig den katholischen Lehrbegriff und die Religions
Anstalten ansehen, oder in ihren Vorträgen z. B. der Geschichte
ihre Ansichten einflechten, wodurch schiefe Begriffe, falsche Dar*
Stellungen und sogar schädliche Vorurtheile verbreitet werden.
Manche Lehrer besonders an den Gymnasien zeigen wenig erbau-
liches; obgleich Priester, enthalten sie sich doch von allen priester-
lichen Verrichtungen, geben sonst den studirenden manche Blösen,
sind also gar nicht geeignet, Neigung zum geistlichen Stande ein-
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Seehorgermangel'in Bayern im 2. Dez, des 19. Jht 213
zupflanzen und zu erwecken, vielmehr schrecken sie davon zurück.
Der Religions Unterricht ist den Klassen Lehrern ohne Rücksicht
auf den Stand anvertraut, unter welchem manche sind, die selbst
nicht gehörig unterrichtet, denselben mechanisch besorgen, oder
nach ihrem Dünkel die Religions Wahrheiten vortragen.
Das bischöfliche General Vikariat kann es mit Beyspielen be-
legen, dass Lehrbücher z. B. das allgemeine Lesebuch und Müllers
Weltgeschichte von ihnen gewählt worden sind, in denen der Pabst
und die katholische Geistlichkeit herabgewürdiget und die katho-
lische Kirche sehr nachtheilig dargestellt werden.
Wendet man den Blick von den Personen hinweg und sieht auf
die übrigen Einwirkungen in der Erziehung, so zeigt sich auch hier
viel Nachtheiliges. Die Altern können sich, oder wollen sich mit
dem Erziehungs Geschäfte nicht abgeben. An tauglichen Privat-
erssiehern ist grosser Mangei, die öffentlichen Lehrer hangen einer
freieren Sitte nach und erregen dadurch Aufsehen, die studirende
Jugend kann daher von diesen auch nicht zurückgehalten werden.
Sie kann daher bey ihrer Neigung zur Ausschweifung nicht
wohl gezügelt und bei ihren wirklichen Ausschweifungen wenn auch
gezüchtigt, doch nicht gebessert werden. Im Rückblick auf diese
Betrachtungen scheint daher die Erziehung, wie sie ist, der Stim-
mung zum geistlichen Stande nicht günstig.
3^ Ursache, Die Behandlnng, die bisher der Klerus erfahren
hixt, machte auch viele von der Wahl dieses Standes abwendig.
Zwar hat die königl. Regierung nach ihrer bekannten Loyalität
io öffentlichen Verordnungen und Handlungen die Achtung, die diesem
Stande gebühret, nicht nur ausgesprochen, sondern auch anempfohlen.
Allein seit der Saecularisation ist dieselbe doch vielmal verlezet und
gekränkt worden. Die Verweisung des Klerus bey Streitigkeiten an
die Untergerichte hat den Klerus nicht nur von dem Vorstande des
Gerichts, sondern von jedem Scribenten abhängig gemacht und dem-
selben Gelegenheit gegeben, auch die verdientesten Geistlichen zu
necken. Man will danjit nicht sagen, dass es nicht Gerichts Personen
gebe, die die Würde des geistlichen Standes zu achten wissen, aber
selbst dem kgl. General Kreis Kommissariate können die Klagen
und Beschwerden nicht unbekannt seyn, die manchmal erhoben und
selbst durch allerhöchste Verfügungen geahndet wurden. Das Au-
sehen des Geistlichen musste sehr viel bey seinen Untergebenen ver-
lieren, wenn sich jeder im gerichtlichen foro als ihm gleich be-
trachten und ihn durch ungegründete, oft muthwillige Prozesse
herumziehen könote.
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214 Dr. Hess,
Die Police! legt dem Curatstande so viele Arbeiten auf, dass
er far seinen ursprünglichen Beruf die ihm nothwendige Zeit nicht
findet. Die Militair Conscription , das Mediciualwesen und noch
mehrere Gegenstände, wenn sie auch in gar keiner Verbindung mit
dem geistlichen Berufe standen, belästigen oft und gerade zu der
Zeit den Geistlichen, wo ihn Religionsfeste zu seinen Pflichten riefen,
und manchmal musste er sich Drohungen und Ausdrücke gefallen
lassen, die seinem Gefühle zu nahe traten ; laut sind die Klagen, die
der geistliche Stand hierüber zu führen hat.
Es wird daher sehr begreiflich, wie wenige einen Stand wählen
mögten, der sich mit Nichts als dem höheren Gefühle der Aufopfe-
rung für das Wohl anderer lohnte.
4** Ursache. Das durch die Zeit Umstände nothwendig ge-
wordene Müitairsystem schadete auch dem geistlichen Stande vieles.
Die Verordnung, dass nur das erste Drittheil der Studirenden in
jeder Klasse von der Conscription provisorisch befreyet, die andern
2 Drittheile derselben aber unbedingt unterliegen sollten, benahm
dem Kirchen Dienste einen grossen Theil tauglicher Subjecte; manche
auch bemittelte Eltern wollen nicht auf das Ungewisse, ob ihre
Kinder in allen Gymnasial Klassen unter das ohnedies nicht zahl-
reiche Drittheil kommen, die so beträchtlichen Studien Kosten auf-
wenden. Bemerkt man noch, dass die vortheilhaften Aussichten für
Theologen erloschen sind, so lässt sich deren geringe Zahl auf dem
Lyceum erklären.
• Zwar haben S* KOnigl. Majestät auf eine allerunthgst. Vor-
stellung diesseitiger Stelle geruht, die Adspiranten zum Weltpriester
Stande zu unserm allertiefsten Danke von der Conscription provisorisch
zu befreyen.
Allein da alle diejenigen, die schon vor der Antrettung des
theologischen Studiums das Conscriptions Alter erreicht hatten, von
dieser Gnade nicht participiren konnten, indem sie ohne weiteres
ausgehoben wurden, so konnte der Vortheil für den geistlichen
Stand nicht so gross sein, als die Gnade S' KOnigl. Majestät war.
5** Ursckche. Der Klerus war ehemals in Rücksicht seiner zeit-
lichen Verhältnisse ein glücklicher Stand. Entbunden von lästigen
Familien und Nahrungssorgen konnte er ganz seinem Berufe leben
und hatte Mittel in der Hand, Wohlthaten auszuüben, Segen zu
spenden und ein dauerndes Denkmal sich entweder bei seinen
Familien, oder in den Annalen der Kirche — des Staats und der
leidenden Menschheit zu stiften. Dermalen ist er bey weitem nicht
in dieser günstigen Lage. Ein groser Theil der Individuen beym
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SeeUorgermangel in Bayern im 2, Dez. des 19. JM, 215
Antritte des Standes unbemittelt, muss ohnehin 10 — 12 Jahre am
Scheideweg zwischen Armuth und noth wendigem Auskoromen durch-
leben. Erlangt er dann eine fixe Stelle, so siebt er sich in die
Nothwendigkeit versetzt, diese mit Credit anzutretten; starke Taxen
und die Übernahmssummen drucken ihn, und weun er dann noch
durch Abgaben stark beschwert wird, so bringt der redliche Mann
seine T&ge in Nahrungssorgen zu, und sieht einer noch traurigeren
Zukunrt entgegen; die grosse Steuer, mit welcher der Pfarrer be-
lastet ist, muss ihm um so schwerer fallen, als seine Subsistenz nichts
als ein Salar ist, und sonst Gehalte ausser nur im dringendsten
Falle nicht besteuert werden. Übereilen ihn bey Zeiten körperliche
Schwachheiten und legen ihn auf das Krankenbett hin, dann fängt
eigentlich bei ihm die Periode des Kummers an. Mit einer Susten-
tation von 400 fl. — rh. soll er sich unterhalten, und nothwendige
gemachte Schulden abtragen, und bis er zu dieser Pension gelanget,
hat oft schon die Parze seinen Lebensfaden abgeschnitten. Diese
Schilderung ist wahr und das bischöfliche Generalvikariat kann die-
selbe mit mehreren Beyspielen belegen, und muss um so mehr
wünschen, das königl. General Kreis Kommissariat möge sich das
traurige Loos des Eroeriten, die oft Jahre lang schmachten müssen,
bis sie zur Pension gelangen können, empfohlen seyn lassen. Welcher
studirende Jüngling aber immer über die Be.schaffenheit dieses Standes
Erkundigung einzieht, muss gewiss bei so unangenehmen Verhält-
nissen von der Wahl eines Standes abgeschrecket werden, der von
ihm so grosse Opfer verlangt, dagegen so geringe zeitliche Vortheile
gewährt. Nur der höhere Sinn kann daher zu diesem Stande stim-
men, den man zwar bey den besonderen Werkzeugen der Vorsehung,
nicht aber allgemein und von der Gemeinheit erwarten darf.
Durch diese Ansichten scheint dem bischöflichen General Vikariate
die Aufgabe beantwortet zu seyn, woher es rühren dass so wenige
Studirende dem Studium der katholischen Theologie sich widmen.
Es gehet daher auf den zweyten Punkt über.
II.
Welche directe und indirecte Mittel aneuwenden seyn mögten,
um diesem Stande wieder mehrere Gandidaten jnmtführen ?
Die directen Mittel möchten seyn:
a. Beschwichtigung des Zeitgeistes.
Seine Tendenz ist unverkennbar revolutionair und zerstörend.
Alle Staaten, wo er sich immer äusserte, haben mehr oder weniger
dies erfahren. Die Re^erungen konnten und mussten sich hievon
fiberzengen.
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216 Dr. Htas,
Daher die Aufsicht auf denselben and manche Anstalten,
z. B. Verbot geheimer Orden, um ihm entgegen zu arbeiten. Es
mnss daher das gemeinsame Streben von Staat und Kirche dahin
gerichtet werden, Zucht und Ordnung herzustellen, Religion zu be-
fördern, die Gesinnungen der Menschen auf das gute zu lenken, das
Laster nachdrucksamer zu bestrafen, und die Tugend ausgezeich-
neter zu belohnen.
Diesen Zweck zu erreichen, ist aber
b. Verbesserung der öffentlichen Ereiehung nothwendig.
Bisher hat man zwar an der Bildung des Verstandes nichts
mangeln lassen, aber die Bildung des Herzens hat mit ihr nicht
gleiche Schritte gehalten. Es muss daher zwischen beyden das
nothwendige Gleichgewicht hergestellt werden.
Dies wird geschehen, wenn Männer zu Lehrern angestellt wer-
den, die eine ausgezeichnete Religiosität und Moralität besitzen, wenn
die Schuljugend unter genauere Aufsicht gesezt wird, und Gelegen-
heit vorhanden ist, sie in Anstalten zu sammeln und zu beobachten;
wenn das Erziehungs Wesen nicht allein als eine reine Staats Sache
betrachtet, der Geistlichkeit als solcher ihr gebührender Antheil und
Einfluss wieder hergestellt und ihr voriges Zensurgericht in jeder
Rücksicht mehr vom Staate geachtet und unterstützet wird; als-
dann, freylich erst bey der nächsten Generation, lässt sich erwarten,
dass, wenn die Institution religiöser und die Gesinnungen der Menschen
moralischer seyn werden, der geistliche Stand aus dem wahren Ge-
siclitspunkte betrachtet, mehr Reitz als dermalen erhalten und sich
manche Junglinge aus edlen Gründen demselben widmen dürften, da
dermalen nur die Aussicht auf dürftige Versorgung der dringendste
Beweggrund zu seiner Wahl ist: wird noch
c. diesen Stand die öffentliche Ächtung der Regierung begleiten
und sein sonst beschwerliches Loos erleichtern, so dürfte es ihm an
Candidaten weniger fehlen ; zwar wird und soll der Geistliche nach
seinem wahren Berufe seine Belohnung in dem tröstenden Gefühle
streng erfüllter Pflichten und nie in den vergänglichen Gütern der
Welt suchen, sondern auf die unvergänglichen einer höheren Welt
sehen. Allein da dies nur die Bahn der Vollkommeneren ist, der
Mensch, wie er gewöhnlich ist, doch sich auch der zeitlichen nicht
entschlagen kann, so trägt öffentliche Achtung, milde Behandlung
und Erleichterung der Lasten sehr viel dazu bey, einen Stand zu
wählen, der diese gewähret.
Es stellen sich aber dem bischöflichen General Vikariate noch
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Seelaorgermangel in Bayern im 2. Dez, des 19. Jht, 217
einige indirekte Mittel dar, wodurch dem geistlichen Stande mehrere
Kandidaten könnten zugeführt werden.
Diese sind:
1. Erleichterung der Studien für die dürftige Klasse der Bürger
und Landbewohner.
Unsere Vorfahren hatten dafür gesorgt, dass der dürftigen
Klasse der Bürger alle Erleichterung geschafft war, aucli ihren
Söhnen eine gelehrte Bildung geben zu können. Es existirten in
hiesiger Stadt nicht nur 2 Seminarien für arme Studenten, in wel-
chen 50 --60 Individuen theils unentgeldlich , theils mit geringen
Kosten unterhalten wurden, sondern jede Munizipalstadt hatte auch
eine lateinische Schule, in welcher der lateinische Elementar Unter-
richt ertheilt wurde.
Allein letztere Anstalten sind ganz unterdrücket und erstere
existiren nur noch so weit, dass einige Stipendien an arme studirende
verabreicht werden. Hiemit ist aber nicht viel geschehen. Das
wenige Qeld langt nicht hin, um die Bedürfnisse der Studirenden
zu decken, ist noch in den Händen des Studirenden ein gefährliches
Werkzeug, und er entbehrt hiebey der näheren Aufsicht und Zucht,
die ihm nothwendiger und gedeihlicher ist. Nie wird er diese in
den gewohnten Kosthäusern haben, indem sie weder im stände sind,
diese zu pflegen noch oft aus Interesse haben wollen.
Zu dem kommt noch, dass die Kosten, die das Studiren der-
malen verursachet, zu gross sind, so dass der minder bemittelte
Bürger sie kaum erschwingen kann. Wenn daher für Herstellung
solcher Institute gesorgt würde, welche den Armen das Studiren er-
leichtern, so würde sich nicht nur die Zahl der Studirenden ver-
mehren, sondern der geistliche Stand wieder Hoffnung haben,
mehrere gut gebildete Individuen zu erhalten.
Ein ferneres indirectes Mittel, dem geistlichen Stande Kandi-
daten zu schaffen, dürfte seyn:
2. die Verfügung, die Kandidaten der Theologie vorzüglich
mit Stipendien zu unterstützen.
Bey allen übrigen Ständen im Staate ist Überfluss an Kandi-
daten, nur bey dem Studium der Theologie fehlen diese.
Es mnste eine Aufmunterung zu diesem Studium seyn, wenn
sie durch Stipendien unterstützet würden, um so mehr, als diese
Kandidaten, grossen Theils Arme, sich als Instructoren nähren
müssen, wodurch ihnen viel Zeit entgehet, die sie auf diese Art
nnterstüzt zu ihrer Ausbildung verwenden könnten.
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218 Dr, HesSy SeeUorgermangel in Bayern im 2. Dez, des 19. Jht.
Endlich mdgte ein indirectes Mittel» diesem Stande Kandidaten
za schaffen, seyn:
3. definitive Befreyung von der Conscription.
Nicht ohne traurige Empfindung musste man bisher bemerken,
dass die Kandidaten zum Schullehrerstande und in der landärztlichen
Schule diese Befreyung genossen, dagegen die Theologen zur Stellung
unter das Maas, zur ärztlichen Visitation vorgeladen, sich dieser unter-
worfen und manchmal ganz rauh behandeln lassen mussten ; welchen
widrigen Eindruck dies machen musste, und wie abwendig junge
Leute von einem ohnehin beschwerlichen Stande werden mussten,
kann man sich leicht denken.
Dies sind die Ansichten, die über den vorgelegten Gegenstand
das Bischöfliche General Vikariat hat, die man aber so offen als
aufrichtig mitzutheilen nicht ermangelt.
Mit vollster Verehrung verharrt
Des Eönigl. General Gommissariats
des Main Kreisses
gehorsamstes General
Vikariat des Bisthums
Bamberg.
V. Gross, Psdt.
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219
3. Die Bassstatlonen in der abendländischen Kirche.
Von Prof. Dr. Ludwig in Dillingen.
In einem jener dankenswerten Referate, die Dr. Hugo Koch in
den letzten Nnmmern der Theologischen Revue über die neuesten
Forschungen zur Kunde des Urchristentums gibt, begegnet uns an-
lässlich der Besprechung von Batiffors wertvoller Abhandlung:
>£tudes d'histoire et de Theologie positivec die merkwürdige Be-
hauptung Eoch's, »man müsse sich nur wundern, wie in Deutsch-
land noch immer mancher mit der Zähigkeit des Aberglaubens an
dem Wahne festhalte, es habe in der abendländischen Kirche Buss-
Stationen gegebene. Ich bekenne, dass ich heute noch zu diesen
abergläubischen Leuten gehöre, wie bereits vor zehn Jahren, wo ich
gelegentlich meiner Arbeit über die Entwicklung des Sacrilegs- Be-
griffs in einem Excurs auf das tatsächliche Vorhandensein der Buss-
stationen im Abendland hinwies^). Ich weiss recht wohl, dass auch
Gelehrte von so bedeutendem Ansehen wie Funk, Frank, Hinschius')
derselben Ansicht sind wie Dr. Koch, aber ich kann mich nicht
überzeugen, dass sie in diesem Punkte ganz richtig gesehen haben.
Prüfen wir die Gründe:
1. Dass man in gewissen Teilen der abendländischen Kirche,
insbesondere in der fränkischen^ zu Beginn des MitteläUers die Buss-
stationen kannte, muss auch Funk zugestehen, wenn er auch dieses
offenbar ungern gemachte Zugeständnis möglichst abzuschwächen
sucht. In dem von ihm verfassten Artikel über die Bussdisciplin
im Kirchenlexikon von Wetzer und Weite U. Auflage 1883 stellt er
fest: »in der fränkischen Kirche wurde die Busse anfangs im wesent-
lichen nach den altkirchlichen griechischen Canones angeordnet«;
in den »Kircbengeschichtlichen Abhandlungen und Untersuchungen«
1. Band 1897 zwingen ihm gewisse Documente das Geständnis ab:
»Die Erkenntnisse beweisen, dass die Abendländer am Anfang des
Mittelalters etwas der alten griechischen Bussordnung Ähnliches an-
strebten .... man kann somit von einer Stationen-Ordnung in der
1) cfr. Archi? für kath. Kirchenrechfc, Jahrgg. 1898.
2) Die Autorität Batiffols darf A'oc^ nicht f&r sich anfahren, da der-
selbe anf die Bassstationen gar nicht n&her zu sprechen kommt. Er schildert
nar in grossen ZQgen die allmähliche Milderang des arsprünglichen Rigorismas
und die Haapt-Etappen in diesem Entwicklungsgang der Bussdisciplin.
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220 Dr. Ludwig,
lateinischen Kirche nar während des Mittelalters reden. c Es wird
also an dieser zweiten Stelle ein aber den Umfang der fränkischen
Kirche hinaasgreifender Bestand der Bussstationen zagegeben. [lud
in der Tat haben wir es hier mit einer Einrichtung zu tun, die
nicht nar darch Zeugnisse aus der fränkischen Kirclie für das
9. Jahrhundert belegt wird. Auch die deutsche Kirche kannte
sie, wie dies die Synoden zu Mainz 847 und 888 und zu Worms
868 zeigen. Letztere bestimmt z. B. als Busse für den Mörder
eines Priesters, dass er 5 Jahre lang vor der Kirchtur stehen,
danach seinen Platz unter den audientes erhalten soll und erst nach
10 Jahren wieder die Communion empfangen darf. Die Bewegung zur
Aufrechterhaltung der alten Bussdisciplin wurde übrigens vom päpst-
lichen Stuhl selbst gefordert, wie die bekannten Decretalen Nicolaus I.
an die Erzbischöfe Hincmar und Frotar beweisen (cf. Migne t. 119
p. 1122 und 1124). Hier ist nicht nur »gewissermasseuc <) yon
3 Bussstationen die Rede, sondern tatsächlich. Man lese doch nur
ohne Vorurteil die von Nicol. 1. für den Mörder eines Priesters vor-
geschriebene Busse: Er hat 3 Jahre in der 1. Station der Fleutes,
2 Jahre in der 2. Station der Audientes, 7 Jahre in der 4. Station
der Consistentes zu verbringen. Es wird zwar bestritten, dass diese
erste Station der Flentes in dieser Periode mit jener der itpooxXaiovTei;
in der griech. Kirche ganz zusammenfalle'), »da wohl von Bitten und
Bet^n, nicht aber von , Weinen' geredet werdet, aber abgesehen da-
von, dass das Wesentliche der 1. Bussstation in der völligen Aus-
schliessung vom Gottesdienst bestand und nicht im Vergiessen von
Busstränen, die bei männlichen Pönitenten ohnehin nicht wohl regel-
mässig sich einstellen mochten, heisst es in der angezogenen Decretale
ausdrücklich »ante fores ecciasiae lugendo€^ was eben die völlige
Identität dieser Station mit der griechischen erweist '). Wenn man
aber auch annehmen wollte, die beiden Decretalen Nicolaus I. hätten
eben nur die besonderen Verhältnisse der fränkischen Kirche berück-
sichtigen wollen, so bleibt erstens zu erwägen, dass der den kirch-
lichen Keforrobestrebungen auf dem Qebiel; der Kirchendisziplin so
günstig gesinnte Papst diese auf Beibehaltung resp. Wiederherstellung
der »legitimen Kirchenbusset gerichteten Bestrebungen sicher nicht
auf die fränk. Kirche allein beschränkt sehen wollte, zweitens haben
wir ein wichtiges Zeugnis für die Stellung des päpstlichen Stuhles zu
1) Funk, Kircheng. Abhandl. I. p. 196.
2) Funk in Kircheolexikon 1. c. p. 1579.
8) Dass der Pönitent in der 4. Station die Vergönstigang erhalt, an den
Festtagen zu coromanicieren, ist eine der Mheren Zeit anbekannte Weiterbildnng
nnd Milderang,
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Bu888taiionen in der abendländischen Kirche, 221
dieser Frage in der VerordDnng jenes Canons der achten öcunfieni-
schen Synode von Constantinopel , der unter dem vorwiegenden Ein-
fluss der päpstlichen Legaten gefasst wurde, wo wiederum deutlich
die Rede ist von der ersten, zweiten und vierten Bussstation; denn
es werden die falschen Ankläger des Patriarchen Ignatius zu einer
Kirchenbusse von 7 Jahren verurteilt, von denen sie zwei in der
ersten (extra ecclesiam esse), 2 in der zweiten (intra ecciesiam au-
dire divinas scripturas usque ad catechumenos), die 3 letzten in der
vierten Station (stare cum fidelibus) zu verbringen haben. Ob aber
nun Schmitz^) Recht hat, wenn er aus dieser Strafbestimmung der
8. öcum. Synode folgert, dass auch in der orientaK Kirche die alte
Busspraxis noch nicht gänzlich verschwunden war, ist sehr zweifel-
hart; denn es lassen sich für die Fortdauer der Stationen im Orient
keine sicheren Beweise anfuhren'), wenn es auch dann schwer er-
klärlich bleibt, wie das Goncil eine Strafe aussprechen konnte, die
seit Jahrhunderten abgeschafft war';. Denn wenn auch wirklich
die betreffenden Canones bereits in Rom formulirt worden wären,
wie Funk geneigt ist anzunehmen, so musste man doch auf die
oriental. Busspraxis Rücksicht nehmen und konnte um so weniger
versucht sein, den Orientalen die abendländische Praxis hier aufzu-
octroyieren, als die bereits vorhandene gefährliche Spannung zwischen
Orient und Occident auch dadurch unnötigerweise noch gesteigert
worden wäre. Vielleicht lässt sich die Schwierigkeit dadurch lösen,
dass wir annehmen, die alten canonischen Bussbestimmungen würden
auch von der oriental. Kirche theoretisch als noch zu Recht be-
stehend anerkannt, wofür auch die Citierung einer solchen Bestim-
mung durch das TruUanum spricht^), während in praxi nur in
einem ausserordentlichen Fall einmal davon Gebrauch gemacht wurde.
Sind doch auch im Bereich der abendländ. Kirche jene oben be-
rührten canonischen Strafen nur für schwere Fälle des Personal-
und Real-Sacrilegs verhängt worden*).
2. Wie erklärt sich nun diese unleugbare Erscheinung der
Bussstationen in der abendländ. Kirche zu Beginn des Mittelalters?
Haben wir es mit einer völligen Neueinführung zu tun oder mit
einer Fortsäzung aUkircMicher Disziplin? Funk erklärt sich un-
1) Bassbücher I. Bd. p. 53.
2) cf. Funk Kircheng. Abb. 1. Bd. p. 201 ff.
3) Mit der Abschaffung der öffentl. Beicht dnrch den Patriarchen Nec-
tarius war übrigens die öffentl. Busse als solche in d. Orient. Kirche darchans
nicht aufgehoben.
4) cf. Funk 1. c. p. 202.
5) cf. Meine Abhandiang übei das Sacrileg im Archiv f. K.-R. 1893.
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222 Dr. Ludu>ig,
bedingt für das erstere. Die Beweise, anf welche er sich hiebei
stützt^), ergeben aber an sich nur, dass es sich um eine Reaction
gegen die Bussbücher und ihre willkärlichen , von einander oft be-
deutend abweichenden Bussen für ein und dasselbe Vergehen han-
delt, nicht aber um eine Neuerung und teilweise missverstandene
Herübernahme altgriechischer Canones. Es soll, so verlangt ein
Capitular Benedict Levitas *), ein schweres Vergehen gesühnt werden
»per puram, probatamque atque pnblicam poenitentiam et per ec-
clesiae satisfactionem episcoporumque per manus impcsitionem iuxta
canonicas sanctionesc. In Übereinstimmung damit, sagt die Synode
von Verneuil 844, dass solche Pönitenten »nisi per publicam proba
tamque poenitentiam omnino non recipiantur«. Dafür brauchte man
aber nicht auf die altorientalische Busspraxis zurückzugehen. Man
fand die publica et probata poenitentia in den früheren Einricht-
ungen der eigenen Kirche vor. Allerdings nicht allein in den »Dicta
Gelasii papaec, die Funk als einziges, freilich ganz vereinzeltes,
Document für das Bestehen von Bussstationen im Abendland vor
Beginn des Mittelalters gelten lassen will, wenn auch seine Echt-
heit fraglich sei'). Denn der Wortlaut lässt die Stationen-Ein-
teilung hier nicht klar genug erkennen, wenn sie auch wahrschein-
lich hier angedeutet sind. Es wird nämlich nur unterschieden zwi-
schen Pönitenten, denen ihr Platz ausserhalb der Kirche angewiesen
wird und die dann nach gewisser Zeit innerhalb der Kirche dem
Gottesdienst folgen dürfen , bis sie nach weiterer Prüfung endlich
auch zur Communion zugelassen werden. Aber das erkennen wir
wenigstens deutlich aus den Dicta Gelasii, warum von lateinischen
Schriftstellern (z. B. Kufin) die griech. Station der äxpocofxevot oft
mit »inter catechumenosc wiedergegeben wird. Der Grund ist, weil
die Pönitenten dieser Klasse ihren Platz in unmütelbarer Nähe der
Caiechumenen hatten: »stet (seil, pönitens), so sagt Gelasius, per
statutos annos ad orandum et laudes Dei audiendum extra ecclesiam
inter audientes, id est catechumenos . . .< Beide werden deshalb
nicht identificirt und ich kann deshalb die Folgerung Funk's nicht
für richtig halten, wenn er sagt: »so werden also die Büsser der
Klasse der ixpocuiievoi durch die Lateiner einfach zu Katechumenen
gestempelt. Lässt sich aber ein solches Verfahren mit der Voraus-
setzung vereinigen, es habe in der abendlichen Kirche etwas ge-
geben, was der Bussstation der ixpocufievoi in der griech. Kirche
1) 1. c. p. 197.
2) cf. Walter,
3) cf. Furik 1. c p. 195.
2J cf. Walter, Corp. jur. germ. II c. 8 und Mansi XIV Apd. p. 285 flf.
3) cf. " '" "
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Bu888tationen in der abendländischen Kirche, 223
analog gewesen wäre? Die Frage wird wohl kein Unbefangener za
bejahen geneigt seine. Dass man sie doch bejahen kann, sehen wir
ans dem Obigen and dem, was noch folgt. Es gibt nämlich noch
ein klareres Zeugnis als es die Dicta Gelasii sind. Und das ist eine
Decretale Papst Felix III.^) (483-92), worin die Busse für die-
jenigen bestimmt wird, die, obwohl Christen, sich nochmals (von
Häretikern) taufen Hessen. Es heisst da: »tribns annis inter au-
dientes sit, Septem autem annis subjaceant inter poenitentes manibus
sacerdotum^ duobns etiam oblationes modis omnibus nan sinanlur
offerre^ sed tanturomodo saecalaribus in oratione socientnr«. Hier
ist mit der wünschenswertesten Deutlichkeit von der zweiten, dritten
und vierten Station die Rede. Zu verwundern ist nur, dass Funk
weder im Kirchenlexicon noch im l. Bd. der Kircheng. Abhanldung
dies wichtige Document erwähnt! Funk sucht nun diese Beweis-
stelle dadurch zu entkräften, dass er behauptet, es werde dieser dem
Concil von Nicäa entnommene Canon bloss deswegen vom Papste ein-
geschärft, um an diesem Canon zu zeigen, wie schwer das fragliche
Vergehen sei und um den richtigen Massstab zu haben, wie lange
Zeit man für dasselbe büssen muss, nicht aber wegen der in diesem
Canon ausgesprochenen Busse. So würden ja auch im britischen Buss-
buch Theodors griechische Canones als massgebend angenommen, ob-
wohl in England die öffentliche Busse nicht gebräuchlich war. Dagegen
habe ich nur zu bemerken: 1) dass Funk den wesentlichen Unter-
schied zwischen dem Pönitentiale Theodori und der bezüglichen
Decretale des Papstes ganz verkennt. Sehr richtig hat Schmitz *)
den Charakter der angelsächsischen Pönitentialien dahin bestimmt,
dass sie aus sog. »Weistümernc oder »Judiciac hervorragender
Theologen der alten Kirche bestehen. Sie bringen die Ansichten
dieser Männer in den Fragen der Bussdisziplin, geben aber selbst
keine autoritative Entscheidung, sondern nennen sich selbst Privat-
arbeiten, die dem Leser überlassen, die ihm zusagende Ansicht lu
der seinigen zu machen. Bei unserer Decretale dagegen handelt es
sich um eine legislatorische Entscheidung und Weisung für die
Bischöfe Siciliens und Africas, von welcher der Papst ausdrücklich
sagt: ^servari praecipimus hunc ienorem^. 2) Handelt es sich hier
nicht nur um eine beispielsweise Anführung der vom Nicaenum fest-
gelegten Strafe; denn der Papst dringt wi genaue Einhaltung der
in jeder eineeinen Station eueubringenden Zeitdauer und gestattet
1) cf. Manni YII p. 1056; Migne t. 58, 924; Morinua, Oomment. de
Saer. poenit. üb. 6 c. 8 n. 3.
2) Bossbftcher 1. Bd. p. 189.
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224 Ür. Ludwig,
eine Abkärzang nur bei Todesgefahr »qnod si, utpote mortales,
intra metas praescripti temporis coeperit vitae finis ärgere, sob-
veniendum est imploranti et seu ab episcopo qai poenitentiam de-
derit, seu ab alio, qui tarnen datam esse probaverit, aut similiter a
presbytero viaticum abeunti de saeculo non negetur«.
Dass der Papst auch die Bussbestimmung des Nicaenums ganz
genau eingehalten wissen will, beweist ferner noch die Verordnung,
dass der Pönitent im Fall der Wiedergenesung ganz wieder nach
der Vorschrift des Nicaenums (can. 13) zu behandeln sei, dass er
nämlich fär die Dauer seiner noch restirenden Busszeit unter die
Gonsistentes eingereiht werden soll: »servemus in eo, quod Nicaeni
canones ordinaverunt, ut habeatur inter eos, qui in oratione sola
communicant, donec impleatur spatium temporis eidem praestitutumc
Eine weitere Ausnahme, die wieder für die genaue Einhaltung
der nicän. Bussbestimmung spricht, lässt Felix nur noch zu fQr die
impuberos, denen die Unreife ihres Alters zu gute kommt; denn
diese sollen nur eine Zeit lang »unter der Händeauflegungc (d. h. in
der dritten Station) behalten und dann zum Empfang der Com-
munion zugelassen werden.
Eine solche Bussbestimmung hätte der Papst offenbar nicht
erlassen können , wenn die Bussstationen zu seiner Zeit überall in
der abendländischen Kirche etwas Unbekanntes gewesen wären. Sie
zeigt aber auch, dass die Bemerkung Funks ^), die Canones von
Nicäa hätten im wesentlichen nur dem Orient gegolten, dahin ein-
zuschränken ist, dass man zwar zunächst bei Abfassung der Buss-
canones die Verhältnisse des Orients im Auge gehabt hatte, dass
aber bei dem grossen Ansehen, dessen sich diese erste öcum. Synode
auch im Abendlande erfreute, vor allem die Päpste sich bemüht
haben werden, den Canones des Concils inclusive deren Strafbeslim-
mungen auch im Bereich der abendländischen Kirche Qeltung zu
verschaffen. Zum Beweis hiefür kann auch noch verwiesen werden
auf das 2. Concil von Arles aus der Mitte des 5. Jahrhunderts.
Die Bussbestimmung wird hier in Canon 10 nach Analogie eines
nicän. Canons getroffen, während Canon 11 dem 4. Canon der
Synode von Ancyra (314) nachgebildet ist. Auch hier erscheinen
deutlich 2 Bussstationen erwähnt : die der Audientes (was mit »inter
catechumenosc wiedergegeben wird) und die der Substrati (die hier
»poenitentes« xax'H. genannt werden). Wenn schliesslich noch die
Synode von Epaon (517) Canon 31 sich mit der Verfügung begnügt,
1) 1. c. p. 191 n, Kirchenlexic p. 1567.
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Buaasiationen in der ahendtändiaehen Kirche. 225
StrafbestimmuDgen der Synode von Äncyra für Mord, in denen doch
die öffentliche Basse in bestimmten Stationen verläuft, sollen auch
für die fränkische Kirche gelten, so kann doch, wenn wir die De-
cretale Felix III. mit den Dicta Oelasii und den Synoden von Arles
und Epaon zusammen halten, nicht mehr im Ernste behauptet wer-
den, das Abendland habe vor dem 9. Jahrh. von Bnssstationen nichts
gewusst! Wann sollen dieselben aber denn eingeführt worden sein?
Darüber lässt sich freilich nichts genaues sagen. Ich halte die schon
von Binterim >) ausgesprochene Vermutung für bedeutsam, dass Papst
Marcellus um ihre Einfuhrung sich zunächst erfolglos bemühte.
Dieselbe legt sich durch die Verse des Papstes Damasus nahe, der
von ersterem singt:
»Veridieas, rectas, lapsis quia crimina flere.
Praedixit miseris, fait omnibas hostis amaras.
Denn um die Einführung der längst geübten öff. Busse als solcher
kann es sich hier nicht handeln.
Doch mag man diese Worte auch anders deuten wollen, als
gewiss darf angenommen werden, dass die Päpste es waren ^ die
sich bemuhten, mit den Nicän. Canones auch die Bussstationen in
der abendländischen Kirche einaufUhreny und diese Bemühungen
müssen bereits zu Anfang des 5. Jahrh. zu einem teilweisen Erfolg
gefuhrt haben. Ich sage meinem teüweisen^^ denn das ist sicher,
dass die Bussstationen im Abendland noch weniger zu einer allge-
meinen Einrichtung geworden waren wie im Orient, wo sie ja, wie
Funk nachgewiesen hat'), auch nur auf Kleinasien beschränkt waren.
Auf keinen Fall ist es also ein Wahn oder ein wissenschaftlicher
Aberglaube, auch beim jetzigen Stand der Forschung in dieser Frage
daran festzuhalten, dass das Vorkommen von Bussstationen in der
alten wie mittelalterlichen Kirche des Occidents erwiesen ist.
1) DenkwQrdigkeiten der kath. E. 5 Bd. 2 p. 367.
2) l. c. p. 200.
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226
4. Die Besetznngswelse des (sehismatisehen) Patriarehalstahles
Yon Konstantinopel.
Eine kirchenrechtsgeschichtliche Abhandlung von Dr. Nico Cotlarciuc,
(Scblnss; vgl. I. Qnartalh. 1903 S. 8.)
C. Die Besetzungsweise des Konstantinopolitanlschen PatriarchaU
Stuhles unter der türkischen Herrschaft.
§ 16. Der Zustand eu Beginn der türkischen Regierung.
a) Die Wahl.
Im Jahre 1453, als die christliche Regierung der mohamedani-
schen Platz machte, wurde der Patriarch als das Haupt der griechisch-
christlichen Nation anerkannt. Mohamed IL, der das unterworfene
christliche Volk gegen den Willen der fanatischen Leiter der Türken
und selbst gegen den Sinn des Korans, der die Ausrottung aller
Nichtmohamedaner durch das Schwert anordnete^), im grossen und
ganzen gut und menschlich behandelte, liess kurze Zeit nach der
Eroberung der Stadt die in Schrecken versetzten Griechen, Kleriker
und Laien, im Patriarchatspalaste zusammen kommen und befahl
ihnen nach der althergebrachten Sitte sich selbst einen Patriarchen
zu wählen *). Der Patriarchenthron von Konstantinopel galt nämlich
seit 2 Jahren als erledigt, seit sich Gregor IV., ein Teilnehmer an
der Unionssynode von Florenz und ein Anhänger der Vereinigung
mit Rom, von dem öffentlichen Willen oder vielmehr Unwillen ge-
nötigt, zurückzog. An der Wahl hatten nach dem Berat Mohamed IL
teilzunehmen: Die nächst der Hauptstadt wohnenden Metropoliten
von Heraklea, Kyzikus, Nikomedien, Nikaea und Chalkedon und die
übrigen in Konstantinopel sich befindlichen Metropoliten. Griechisch
lautet die Stelle des Berats : 'Oxav ^fteXe X"^?^^^^ ^ naxpiapxeta xai
^fteXev IxXexft^ elc täv MexponoXitäiv xaxa xov &pif]axeuxix6v xavova
IlaxpiapxTjC xotv]ß yvcufi^^ xü>v xe icXirjotov xat nipii x^c BaotXsüOiQc 5vx(ov
MexpoicoXixdiv 'HpaxXetac, KüCtxoo, Nixatac, Ntxofujietac xat XaXxe-
dövoc xal xou XoiTcoü Iv KcuvoxavxivooicöXei eupioxofxivou &&poiOfiaxo<; x&v
MexpOTCoXixd)v, iTtetirj litexpaxijos va itÖYjxat ^ Ilaxpiapxeia etc JxeTvov
1) Koran, Sure 9, Sure 39 n. a. a. 0.
2j M. Cruaiua Turcograecia, Hb. IL p. 107, 108. Georgiua Phran%a,
Chronicon. lib. IV. Heinecciua, Abbildoagea der alten and neden griechischen
Kirchen. I. p. 46 ff.
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Besetzung atoeise des PairiarchatstufUes v. KonsiantinopeL 22?
TÖv onoTov IfeXi^avTO, aüxij '^«^^v ^ tita xaStc va ÄtaxTjpKjTat *). Die
anwesendeo Erzbischöfe und die einflussreichen Laien w&hlten eio-
stimmig den damals im Kloster Pantokrator sich aufhaltenden
Mönch Gennadios, dessen ursprunglicher Name Oeorgios Scholarios
war. Oennadios hatte noch kein geistliches Amt bekleidet , so
dass er, nachdem er sich nach wiederholter Ablehnung zur An-
nahme des Patriarchates entschlossen hatte, vor der Invesitur
zum Patriarchen an einem Tage die Weihen des Diakonats, des
Presbyterats und des Episcopats empfangen musste*), was, wenn es
der Wahrheit entspricht , den Ganones und dem usus der orientali-
schen Kirche widerspricht, da zwei höhere Weihen an einem und
demselben Tage nicht gespendet werden dürfen.
Die Weihe nahm der Metropolit von Heraklea vor. Nach der
Weihe wurde der neugewählte Patriarch in der Herrscherburg ?on
Mohamed mit grossen Ehren aufgenommen, mit einem Ehrenkaftan an-
getan, in Audienz empfangen und zum Mahle eingeladen. Auch die
übrigen Sitten der christlichen Kaiser wurden beobachtet. Beim
Abschiede zum Beispiele legte Mohamed dem Patriarchen ein kost-
bares Szepter in die Hand, geleitete ihn in den Hof des Serails, wo
ihm ein prächtig mit kaiserlicher Schabracke und weisser Decke auf-
geschirrtes Boss vorgeführt wurde, auf welchem er, begleitet von
einem grossen Gefolge türkischer Grossen, durch die Stadt in das
neue Patriarchat bei der Kirche der hl. Apostel seinen Einzug hielt.
Im Kloster der allerheiligen Jungfrau am »goldenen Hörn« haben
mehrere Unterredungen zwischen dem Sultan und dem von ihm hoch-
geachteten Patriarchen stattgefunden. Hier soll Gennadios auch auf
die Aufforderung des Sultans Mohamed IL das feierliche Bekenntnis
des christlichen Glaubens vor ihm abgelegt haben*). Das Resultat
dieser Unterredungen war, dass vom Sultan mittelst mehrerer Fermane
den griechischen Glaubensgenossen unter der Bedingung, dass sie
regelmässig den Tribut (haradsch) zahlen werden, sehr viele und be-
deutende Privilegien erteilt wurden. Hauptsache war, dass die ge-
samte griechische Nationalität unter die ausschliessliche zivile und
kriminelle Gerichtsbarkeit des Patriarchen gestellt wurde. Die Person
1) Tide Theologische Stadien and Kritiken. 1864. Pischon, Yerfassung
der or. Kirche in der TQrkei, p. 287, Note.
2) Ibidem p. 85.
3) Le Quien, 0. Chr. I. Konstantinopolis. Gennadios. Gass. Gennadios
und Pletho. Bresslaa 1844. Pischon, Th. St. 1864. p. 87. Die Auflforde-
rnng nnd das Glaubensbekenntnis bei Kimmtl^ libri symbolici eccl. or.
Jenae I84S.
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228 Dr. Cottarciue,
des Patriarcheo wurde für unTerletzlich erklärt und von jeder Kon-
tribution befreit.
Die Wahl des Patriarchen war ein ausschliessliches Recht der
Christen, jedoch sollten an der Wahl nicht nur die Bischöfe, sondern
auch die Laien (xoivov xou ylvouc d. i. die ganze Volksgemeinde)
teilnehmen^). Der Patriarchalsynode, die aus 10 bis 12 Bischöfen
unter dem Vorsitze des Patriarchen gebildet wurde, war die Zentral-
Terwaltung aller Angelegenheiten des Patriarchats anvertraut. Nur
die Übertretungen politischer Natur waren der Jurisdiktion des
Staates vorbehalten*).
Bezuglich der Wahl des Patriarchen finden wir auch kirchliche
Verordnungen. »Pravila T§rgovi§teanä< ordnet z. B. an, dass bei der
Patriarchenwahl mindestens 12 Bischöfe sich versammeln müssen').
b) Die Weihe.
Gennadios wurde unter allgemeiner Zustimmung gewählt, vom
Sultan anerkannt und vom Erzbischofe von Heraklea unter grosser
Assistenz geweiht. Dass die Weihe nach den alten Ganones vorge-
nommen wurde, ist daraus zu ersehen, dass auch im 17. Jahrhundert
ähnliche Vorschriften Geltung hatten. In der »Pravila von Törgovijtec
vom Jahre 1652 heisst es: »Warum erteilt der Herakleas die Weihe
dem Patriarchen ?€
Hört: »Tarigrad =s Zarigrad (Konstantinopel) hiess vormals
Byzantium. Metropolie und Erzbistum war Heraklea und der dortige
Metropolit weihte die übrigen Bischöfe. Als Konstantin der Grosse der
Stadt den Namen »Die Burg des Konstantin« gab, wollten auch die Väter
sie als eine Königin unter den Städten ehren und machten den dortigen
Bischof zum ökumenischen Patriarchen, damit er derselben Ehre teil-
haftig werde, wie der von Rom. Diese neue Burg sollte auch »Neu-
Bomc heissen. Dem Bistnme von Heraklea gaben der Kaiser und
der Sobor der Bischöfe das Becht, den Patriarchen zu weihen und
ein anderer Bischof soll nicht wagen, dies zu tun. Bei der Chirotonie
sollen 12 Bischöfe teilnehmen, um die 12 Apostel zu versinnbilden.
Im Falle dass der Herakleas durch Krankheit verhindert sei, oder
zur Zeit der Erledigung des Thrones von Heraklea, erteilt die Chi-
1) Die Privilegien bei M. Cruaius, Tarco-Oraecia. Baail. 1589. p. 107—120.
2) Tide auch Walter, K.-R. p. 53. Vering, E.-R. p. 374.
8) »Pravila yod Tdrgovistec oder »Pr. TdrgoYisteaok« ist in Törgoviste
am 20. Mfirz (7160) = 1652 gedruckt. Kap. 6 p. 19 bandelt Ober die Weibe
des Patriarcben von Konstantmopel.
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BfttzungsweUe de$ PatriarchaUtuMea v. Konstantinapel, 229
rotoDie der von Caesarea oder der ?on Ephes oder ein anderer rang-
ältester Erzbischof«. Es wird auch ein Fall angeführt a. zw. von
einem Sciliti in seinem Chroniken, dass ein Protosincel Stephan,
Bruder des Kaisers Leo des Weisen, vom Metropoliten von Caesarea
zum Patriarchen geweiht worden ist^).
c) Die Bekanntgabe und Inthronisation,
Auch bezuglich der >|Aigvufia< finden wir in dieser »Pravila«
einiges u. zw.: »Im Falle, dass der zum Patriarchen Gewählte be-
reits die bischöfliche Weihe hat, wird nur die »Bekanntgabe« vorge-
nommen. Sie nehmen ihn von seinem niedrigen Platze und setzen
ihn auf den hohen und grossen Patriarchalstuhl (wahrscheinlich in-
nerhalb des Altarranmes) der heiligen und grossen Kirche. Nach der
»lAi^vufAa« h< der Patriarch eine Dankrede. Hierauf nimmt der
Herakleas den Patriarchalstab und reicht ihn dem Patriarchen,
knsst ihm die Hand, fQhrt ihn durch die Haupttüren des Altars
heraus und setzt ihn auf den hohen und grossen Patriarchalstuhl
(wahrscheinlich im »Naos«), worauf man »Töv ÄeaicdxTj xat 'Apxisp^a
^fitt>v< singt, er aber alle Anwesenden segnet >)««
Es scheint also, dass an der Bekanntgabe, Investitur und In-
thronisation der Sultan, da er nicht der christlichen Religion ange-
hörte, nicht in der Weise teilnahm, wie früher die christlichen
byzantinischen Herrscher.
§ 17. Die weiteren VerhäUnisse unter der türkischen Herrschaft,
Gleich zu Beginn der türkischen Regierung waren die Verhält-
nisse der christlichen Glaubensgenossen noch leidlich. Die Wahl des
Patriarchen wurde, wie wir bereits gesehen haben, in der herkömm-
lichen Form vorgenommen, und der Vorgang bei der Wahl der
Hauptsache nach von der türkischen Regierung anerkannt'). Diese gute,
von Mohamed H. eingesetzte Ordnung dauerte aber nicht lange. Schon
Gennadios musste auch die Kirche der 12 Apostel preisgeben, die
in eine Moschee verwandelt wurde und die »fxovT) tffr icafifxaxa-
ptoTou« ^) beziehen. Im Laufe der Zeit verloren die Christen, nament-
lich durch die Gewalt der Janitscharen , auch jede Freiheit in der
Kirche. Die Willkür der Sultane nahm in allen Dingen überhand
1) Pravila ibidem. Anmerkung.
2) Pravila. ibidem.
3) Tide den Artikel diesbezüglich in »Urist. iteaije« des Milai, p. 108—111;
auch Milali, K.-R., übersetzt von Pessii, p. 299 Note 14.
4) ein anansehnlichee Kloster am »goldenen Hom«, im Stadtviertel
Phanar, wo der Patriarch noch jetzt residiert.
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230 />r. Cotlarciuc,
nnd verschonte selbst die Wahl des Patriarchen nicht. Die Pa-
triarchen wurden meist nach dem Willen der Pforte geradezu er-
nannt und vom Sultan mit den Insignien investiert^). Die Wahl
durfte nur nach erhaltener Erlaubnis der Pforte von der Patriarchal-
synode vorgenommen werden. Der Gewählte musste von der
Pforte bestätigt, mit dem Eaftan bekleidet und hierauf inthronisiert
werden*). Die Wahl ging aber, trotzdem es hiess, dass die Pa-
triarchalsynode sie vornehme, nicht regelrecht vor sich, sondern in
den meisten Fällen unter dem Einfluss der Pforte, welche sich in
sehr vielen Fällen sogar bestechen liess. Die lange Serie der Pa-
triarchen ^), die bald nach ihrer Einsetzung wieder abgesetzt wurden,
bezeugt diese traurige Tatsache.
Der hohe Klerus war auch sittlich entartet und unfähig, die
Rechte seines Volkes würdig zu vertreten. Die Volks- und Glaubens-
genossen waren verkommen und suchten durch Intriguen und
Schmeicheleien sich die Gunst der Pforte zu gewinnen. Daher kam
es, dass selbst Gennadios, von seinen Volksgenossen beim Sultan ver-
leumdet, in das Kloster »St. Johannes des Vorläufersc und später
in das Kloster »Vatopedic, das zu den Klöstern des Athosgebirges
gehört, sich zurückziehen musste^). Dem Joasaph I., Patriarch in
den sechziger Jahren des 15. Jahrhunderts, wurde der Bart mit
Gewalt rasiert^ weil er eine unkanonische Trauung nicht zuliess.
Die Trapezuntischen Adelsfamilien verleumdeten den Markos Xylo-
karabas beim Sultan, indem sie ihn fälschlich der Simonie anklagten.
Um einem der Ihrigen, dem unwürdigen Mönch Simeon zum Patriar-
chate zu verhelfen, boten sie freiwillig für seine Ernennung 1000 Du-
katen an. Damit wurde die türkische Regierung auf eine wichtige
Einnahmsquelle für ihre Finanzen aufmerksam gemacht. Dionysius II.
zahlte schon 2000 Dukaten. Raphael verpflichtete sich, jährlich je
2000 Dukaten zu entrichten; da er dies aber einzuhalten nicht im
stände war, wurde er mit eiserner Kette am Halse durch die Stadt
geführt. Joachim zahlte 3000 und Pachomius 8500 Gulden für die
Ernennung ^). Die Lage der Christen wurde immer trauriger. Diese
ungünstigen Verhältnisse dauerten so lange, als die türkische Re-
gierung in der Blüte stand. Als aber im 18. Jahrhundert die Macht
der Türken geschwächt wurde, wagten auch die Christen an die
1) M. Crusiua, T. G. VIII. p. 107—109. Leo Allatius, De perp. cona.
ecd. or. et occ. üb. III. Cap. 8 n. 2. Silbernagl, § 5. Vering, K.-R. p. 506.
2) Cruaiua Allaiius etc., vide et Walther, K.-E. p. £42 Note 6.
8) siehe Le Quien, 0. Chr. I. p. 812—850.
4) Ueinecdus I. p. 47 ff.
5) siehe Fitchon, Th. Stad. 1864 p. 91, Jl. Cruitiun, Le Quitn etc«
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Besetzung 9weUe des PairiarchaUiuhlea v. KonatantinopeL 231
Verbesserung ihrer Lage zq denkea. Der Patriarch Samuel (1764
bis 1780) setzte bei der Pforte darch, dass die Ein- und Absetzaog
des Patriarchen, sowie die Verwaltong der Eirchenangelegenheiten
anter die Kontrolle eines Kollegiums, der »Gernsia« ^) gestellt wurde.
Im übrigen aber dauerten die traurigen Zustände fort und zwar bis
znm Beginne des 19. Jahrhunderts, wo sich eine entscheidende
auf die Besserung der Lage der Christen im türkischen Reiche ge-
richtete Bewegung geltend machte. Die Staaten Europas nahmen
sich der Christen in der Türkei an, und die Pforte sah sich ge-
nötigt, Reformen im Staate durchzuführen. Die reformatorische
T&tigkeit fing nach der Unterdrückung des Janitscharentums 1826
an. Diese Tätigkeit blieb aber ohne Erfolg, weil Mahmud von Hass
gegen die Christen erfüllt war. Im Jahre 1821 liess Mahnjud den
Patriarchen Gregor XX. mit vielen anderen Bischöfen an den Pforten
des Phanars aufhängen >) und nährte den fanatischen Sektenhass, mit
dem die Christen sich untereinander verfolgten, mit grosser Vorliebe»
Erst nach dem Tode Mahmuds und der Thronbesteigung des
16jährigen Abdul Medschid zeigten sich in der Tat die unter Mahmud
ohne Erfolg gebliebenen Reformen ausfahrbarer. Am 2. November 1889
wurde der »Hattischerif von Gülhane« publiziert, mit dem die Gleich-
berechtigung jedermanns, ohne Unterschied der Konfession, und die
Freiheit jedes Glaubensbekenntnisses feierlich anerkannt wurde. In
diesem Hattischerif, der in Anwesenheit der Gesandten der christ-
lichen Mächte den Grossen des Reiches, dem griechischen, armenischen
und dem arm.-kath. Patriarchen, wie auch dem Chamcham-Baschi
der Israeliten vorgelesen wurde, hiess es: »Die kaiserlichen Be«
willigungen erstrecken sich auf alle unsere Untertanen, welcher Reli-
gion oder Sekte sie auch angehören mögen ; sie sollen sich derselben
ausnahmslos erfreuen*). Auf Grund dieses Hattischerifs wurde ein
Reichsrat »Tanzimat« gebildet, in dem auch die vier nichttürkischen
Nationen Sitz und Stimme hatten. Durch diesen Hattischerif war
schon ein grosser Schritt zur Besserung gemacht.
Am 6. Juni 1853 wurde ein neuer Hattischerif erlassen, der
die Verfügungen des Hattischerif vom 2. Nov. 1839 bestätigte und
1) Die Gerusia bestand ans 6 Bischöfen der hl. Synode, 2 Adeligen,
2 Kanflenten oder Handwerkern. Das Patriarchatssiegel wurde in 4 geteilt;
der Patriarch erhielt nur V^ davon, damit man sich vergewissere» dass der
Patriarch allein nichts nntemehme.
2) Pischon, o. c. 265 ff.
3) siehe Piachon, o. o. p. 269. Chriafophilns Alefhea, Die Lage der
Christen in der TOrkei. Berlin 1854. 2. 5. Brief nnd d. Anbang.
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232 Dr. Cotlarciuc,
sogar die Notwendigkeit der Beform des iDDeren Lebeos der Glanbens-
bekenntnisse betonte.
Deatlicher noch wurde die kaiserliche Absicht, allen Untertanen
vollkommene Sicherheit in der Ausübnng ihres Kultus zu erteilen,
am 18. Februar 1856 ausgesprochen, als ein Hatti-Humajnm heraus-
gegeben wurde, wodurch das VerhUtniss zwischen Staat und Kirche
genau geregelt wird. Die christliche Kirche wurde auf die Inter-
vention Englands, Frankreichs, Österreichs und Sardiniens unter den
internationalen Rechtsschutz gestellt^).
Dieser Hatti-Humajum selbst lautet bezflglich der Reorgani-
sation der Kirchenverwaltung wie folgt: »Im Namen des Sultans
Abdul Medschid : Alle geistlichen Privilegien und Immunitäten, sämt-
liche christliche Gemeinschaften oder sonst in meinem Reiche unter
meinem Schutz bestehende nicht mohamedanische Riten, die ab an-
tiquo, seitens Meiner Voreltern oder später zugestanden worden sind,
werden bestätigt und sollen aufrecht erhalten werden. Jede christ-
liche und sonstige nichtmohamedanische Religionsgesellschaft hat
binnen einer bestimmten Zeit und mit Hilfe einer aus der eigenen
Mitte gewählten Kommission , unter der Aufsicht der Hohen Pforte,
die ihr eingeräumten Privilegien einer Prüfung zu unterziehen, die
dem Zeitgeiste entsprechenden, notwendigen Reformen darzutun
und dieselben der h. Pforte zur Genehmigung vorzulegen. Alle den
christlichen Patriarchen und Bischöfen vom Sultane Mohamed U.,
sowie von seinen Nachfolgern verliehenen Privilegien sind mit der
neuen Lage der Dinge und mit meinen (des Sultans Abdul Medschid)
auf das beste Wohlergehen der christlichen Gemeinden gerichteten
Bestrebungen in Einklang zu bringen. Nach der Revision der gegen-
wärtig üblichen Art der Patriarchenwahl und gemäss den Vor-
schriften des Formans über die Investitur muss das Prinzip der lebens-
länglichen Einsetzung der Patriareben genau gewahrt werden. Die
Patriarchen, Metropoliten, Erzbischöfe und Bischöfe werden beim
Antritte ihres Amtes einen Eid nach dem zwischen der Pforte und
den Vorstehern der betreffenden Religionsgesellschaften vereinbarten
Wortlaut abzulegen haben. Alle geistlichen Abgaben, welcher Art
sie sein mögen, haben aufzuhören und sind durch ein fixes, den
Patriarchen, Bischöfen und den übrigen Mitgliedern der Hierarchie,
je nach ihrer Stellung zuerkanntes Einkommen zu ersetzen. Das
bewegliche und unbewegliche Vermögen der christlichen Kirche ist
unantastbar. Die weltliche Verwaltung der christlichen und der
1) vrgl. Mila%, K.-B. übers. ▼. Pessi^^. dietibei. Art
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Be$et%ung$tDei8e des PatHarchaMuhtei v. Konatantinopel. 233
anderen Religionsgesellschaften wird unter die Oberaafsicht einer
aus Mitgliedern des Klerus und aus Laien gebildeten Versammlung
gestellt, welche von den betreffenden Oemeinden aus deren Mitte ge-
wählt werden«^).
Auf Grund dieses Hatti-Humajums ist auch gegenwärtig der
Patriarch von Konstantinopel das geistliche Oberhaupt der ortodox-
orientalischen Kirche und das weltliche Haupt der griechischen Na-
tion*). Der Patriarch von Konstantinopel wusste sich im Laufe der
Zeiten sein Ansehen noch mehr zu heben, denn er besass und be-
sitzt zum grossen Teile auch jetzt noch nicht nur innerhalb seines
Patriarchates eine sehr grosse kirchliche Machtvollkommenheit, son-
dern er nimmt auch eine über dasselbe herausragende mächtige
politische Stellung ein. Die Pforte lässt die orthodoxen Untertanen
zum Gehorsam und zur Erfüllung ihrer Pflichten durch den Pa-
triarchen und den ihm untergeordneten Klerus anhalten. Zu diesem
Zwecke ist der Patriarch mit verschiedenen Privilegien, die in einem
Berat angeführt sind, ausgestattet. So hat der Konstantinopolitanische
Patriarch im türkischen Reiche, ausser der geistlichen Jurisdiktion
über seine Glaubensgenossen und der von der türkischen Regierung
zuerkannten weltlichen Jurisdiktion'), noch ein unbeschränktes Be-
steuerungsrecht ^).
Gegenüber den Patriarchen von Alexandria, Antiochia (Residenz
Damaskus) und Jerusalem hat er keine besonderen und wesentlichen
Rechte, ausser dass die drei Patriarchate durch das Patriarchat von
Konstantinopel mit der Pforte verkehren^), dass sie durch dessen
Vermittlung die Anerkennungsurkunden (Berats) bekommen und dass
sie die Hauptstadt ohne Bewilligung des Patriarchen und seiner
Synode nicht betreten dürfen*).
Die Stellung des Patriarchen ist demnach vom grössten Ein-
flüsse auf die Administration des türkischen Reiches. Das ist auch
ein Grund, weshalb die Pforte den Patriarchen so viel als möglich
1) Milai, K.-R. übers, von Pessiö p. 130 ff. Pi$ckon, Tb. Stad. 1864.
p. 272. Joarnal di Constantinopel 1856 Nr. 347.
2) »Nation c hat eine staatsrechtliche technische Bedeutung. Mit diesem
Aasdmcke werden im allgemeinen alle orthodoxen Nationen: Griechen, Slawen,
Romanen bezeichnet. vrgL Eichmann, Die Reformen des osman. Reiches.
Berlin 1858 p. 15. Sübemaqt, Verfassung u. gegenw. Best p. 7. übicini;
La Tnrqoie actnelle. Paris 1855. Introd. p. 9 ff.
3) SUbernagl, Verfassung und gegenwärtiger Bestand sämtlicher Kirchen
des Orients. § 6. p. 12.
4) HergenrOther, Kirchen^eschichte. Bd. 2. 7 Per. § 282; siehe Re-
▼ennao des Patriarchats im Kanonismos, auch Silbemagl^ 1. c. § 8. S. 16.
5) SUbertiagl, Verfassung p. 14.
6) 0. auch VeHng, E.-R. p. 875.
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234 Dr. CotlarHuc,
von ihr abhängig zu macheD sucht und die Wahl nach Tnnlichkeit
beeinflasst. Die Wahl und Absetzung geschieht zwar durch die
Synode, aber die Pforte mischt sich berufen und unberufen, durch Be-
stechung und Willkür in dieselbe, wie die ganze Reihe der Patriarchen-
wahlen und der Patriarchen-Ein- und -Absetzungen zeigt ^).
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts beabsichtigte die Pforte eine
Reform in Patriarchatsangelegenheiten und forderte den Patriarchen
von Eonstantinopel auf*), einen Qesetzentwurf im Sinne des Hatti-
Humajum fOr die innere Eirchenverwaltung zu verfassen. Die Auf-
forderung seitens der Pforte geschah in Form einer Instruktion, in
welcher die Pforte so manche Winke ihres Willens gab. Obgleich
diese Instruktion schon in mehreren Zeitschriften >) abgedruckt wurde,
soll sie wegen ihrer Wichtigkeit und wegen maunigfacher Be-
ziehungspunkte mit dieser Abhandlung hier wieder aufgenommen
werden. Diese Aufforderung ist folgenden Inhaltes:
»1. In Anbetracht der Festsetzung eines Artikels des Hatti-
Humajum über die staatliche Gesamtreform, welcher verordnet, dass
in einem bestimmten Zeiträume jede christliche oder sonst nicht
muselmanische Religionsgemeinschaft diejenigen von ihren zu Recht
bestehenden Privilegien und Immunitäten, deren Verbesserung der
Zivilisation und Aufklärung unserer Zeit gemäss sein machte, einer
Prüfung unterwerfen soll; und dass diese Verbesserung durch be-
ratende Versammlungen, die in den Patriarchaten unter Autorisation
und Aufsicht der hohen Pforte einberufen werden sollen, zu erwägen
und der hohen Pforte in Vorschlag zu bringen ist, um auf diese
Weise die durch Mohamed II. und seine Nachfolger den christlichen
Patriarchen und Bischöfen zugestandenen Machtvollkommenheiten mit
der diesen Gemeinschaften neuerdings gewährten Stellung in Ein-
klang zu bringen.
1) Le Quien, Oriens Chr. 1. p. 312—350.
2) Dieser Auftrag ist in Form einer Instruktion in der »Presse d'Orientc
1857 Nr. 302 abgedruckt.
Die Originalausgabe ist in Eonstantinopel 1888 erschienen unter dem
Titel »OdY^Y^ou Tvj; ^y)A9j( Kußepvrjoeco^ (rcaX^oat di xa IlaTptaY^a 7cep\ xe xou
^xntjLaTtvtiiou Tti5v, xata t^ Iwotw xou ntpi t^c yEvtxfj^ tou Kp^xou^^^xicovecuc iC(>oex-
dovevxoc G^eXou A&xoxpaxopixoO d(ax^(jiaxo(, hf xoi<; Uenpiot^tioi^ ou^xpoxT^^yjaofi^vcüV
€?8txcov npo((t>ptVbJV <7U(jLßouAi(i>v xal «spl xwv xa^xövxeov aoxoiv.«
3) wie im Journal von Konstantinopel, Presse d'Orientc Theologische
Studien und Kritiken.
In den Theologischen Studien und Kritiken ist sie in der Abhandlung
»Verfassung der gr.-or. Kirche in der TOrkei« von Pischon ins Deutsche über-
setzt unter der üeberschrift: Instruktion der hohen Pforte an das grieclffsch-
orthodoxe Patriarchat zu Konstantinopel, mitgeteilt durch das Journal Presse
d'Orient, ,rhr^. }857, Nr. 302«, angeA&hrt.
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Be$ei%ung8v>eUe des Patriarchalstuhlea v. KonaiantinopeL 235
In Anbetracht dessen^ dass das Reglement über die Patriarchen-
wahl in der Art verbessert werden soll, dass der Patriarch in der
Tat, wie es der Patriarchats- Berat vorschreibt, auf Lebenszeit ge*
wählt werde;
Id Anbetracht dessen, dass die Patriarchen, Metropoliten, die
Stellvertreter der Bischöfe and die Oberrabiner nach einer Form
beeidet werden sollen, die zwischen der hohen Pforte und den geist-
lichen Häuptern der verschiedenen Gemeinschaften zu vereinbaren ist;
In Anbetracht dessen, dass alle für den Eleras, unter was für
Form und Titel es sei, in Gemässheit der Eanones oder in Gemäss-
heit des Herkommens erhobenen Abgaben abgeschafft und statt
dessen für die Patriarchen und Häupter der Kirchengemeinschafben
ein regelmässiges Einkommen fixiert und dem übrigen Klerus ein
billiges Monatsgehalt je nach dem Range und den Bedürfnissen
jeder Exarchie ausgeworfen werden soll, ohne irgend wie an die
Eirchengüter Hand anzulegen;
In Anbetracht dessen, dass die Verwaltung bei den christlichen
und anderen nichtmohamedanischen Kirchengemeinschaften einem
Rate anvertraut werden soll, der von jeder derselben aus geistlichen
und Laienmitgliedern zu erwählen ist;
In Anbetracht dessen, dass dies alles kaiserliche Verordnung
ist, — wird diesen Vorschriften gemäs ein besonderer provisorischer
Ratskörper in dem griechischen, in dem armenischen, in dem katho-
lischen Patriarchate, sowie bei dem Oberrabiner zusammenberufen
werden.
2. Zur Bildung des provisorischen Spezial-Conseils der griechischen
Kirchengemeinschaft sollen die Patriarchen und Erzbischöfe sieben
Bischöfe aus ihrer Mitte wählen, die demselben beitreten sollen.
Diese sieben also gewählten Bischöfe sollen den klerikalen Teil des
Conseils bilden. Sie alle müssen das Zutrauen der hohen Pforte
und ihrer Kirchengemeinschaft, Kenntnis der religiösen und natio-
nalen Angelegenheiten und grosse Geschicklichkeit und Rechtlichkeit
besitzen.
3. Die in der Hauptstadt zu erwählenden (Laien)-Mitglieder
sollen zu 10 und 10 ernannt werden. Sie müssen sämtlich unbe-
dingt türkische Untertanen sein. Man wird hierbei auf dieselbe
Weise zu verfahren haben, wie man bisher bei Versammlungen
wichtiger Angelegenheiten des Millet verfahren ist, z. B. bei der
PatriarchenwaM. Wenn also in der Sitzung 20 Mitglieder erwählt
werden sollen, so sind hievon 10 durch die Notabein der Nation
und 10 durch die Zünfte (esnat) dem kaiserlichen Gouvernement in
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236 Dr. CoÜarduc,
Vorschlag zu bringen, welches seine Aaswahl treffen und die Ge-
samtzahl auf 10 zarückfahren wird, indem 5 von der einen und 5
von der anderen Seite genommen werden.
4. Die griechischen Notabein jeder Eaza (Kreises), jedes Ejalets
(Begierungsbezirkes), das in die Register des griechischen Millet ein-
geschrieben ist, haben einen Mann aus ihrer Mitte zu erwählen, der
türkischer Untertan und nicht nur frei ?on jedem Makel gegenüber
dem Staate, seinem Vaterlande und seiner Nation sei, sondern auch
die Angelegenheiten des Landes gut kennen, daselbst Eigentümer sein
und es seit mindestens 10 Jahren bewohnen muss. Der Erwählte
wird mit einem Mazbata (Vollmacht) nach dem Hauptorte seiner
Liva (Unterbezirk) geschickt Die Notabein der Li?a haben sodann
ebenso drei Männer, die die angegebenen Eigenschaften haben, zu
wählen und sie zusammen dem Localrate yorzustellen , der in amt-
licher Sitzung einen von ihnen auswählt und mit einem Mazbata
^nach dem Hauptorte des Ejalet (Regierungsbezirk) sendet. Endlich
versammeln sich sämtliche nach dem Hauptorte des Ejalet Ent-
sendeten in dem Medjlis (Provinzial-Regierungsbehörde) zusammen
mit den Ältesten, die ihrerseits ebenfalls die oben angegebenen
Eigenschaften haben sollen, wählen einen Deputierten und schicken
ihn nach der Hauptstadt.
5. Der Patriarch soll den Vorsitz in dem provisorischen Con-
seil haben. Ist er verhindert, so soll ein anderer von den geistlichen
Mitgliedern präsidieren.
6. Bei jeder Sitzung soll sich ein Kommissär der Regierung
gegenwärtig befinden, der den Auftrag hat, von den Verhandlungen
Kenntnis zu nehmen.
7. Da die kirchlichen Ganones und Glaubensbekenntnisse sich
rein auf geistliche Dinge beziehen, wird man vermeiden, sich in Be-
zug auf sie irgend eine Einmischung zu erlauben.
8. Die Ernennung (itoptofioc) des Patriarchen hängt allein
von der allerhöchsten kaiserlichen Wülenserldärung ab. Da jedoch
ein altes Privilegium die religiösen Häupter und Notabein jeder
Nationalität berechtigt, den Patriarchen eu erwählen^ so muss diese
den geistlichen Canones und religiösen Ordnungen jeder NcUionalität
streng entsprechende Wahl in einer Weise geregelt werden, die ge-
eignet ist, die kaiserliche Regierung und die Nation sicher eu stellen.
9. Wenn die Metropoliten und Bischöfe durch den Patriarchen
erwählt und mittelst eines Berats eingesetzt werden, so muss ihre
Wahl gleichfalls den kirchlichen Canones und religiösen Ordnungen
gemäss vollzogen werden; es soll aber zugleich auch eine solche
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BesetMungaweUe des PatriarckaUtuhtes v. Konstantinopet. 287
Form fttr die Erwählang derselben ansGodig gemacht and festge-
stellt werden, welche sowohl der kaiserlichen Regierang als aach der
Nation alle Sicherheit za geben geeignet ist.
10. Über den Modas, nach welchem die Synode zusamroenza-
rufen und zasammenzusetzen ist^ sind Nachforschangen und Fest-
stellungen in Gemässheit der kirchlichen Canones und religiösen
Reglements zu machen.
11. Da, abgesehen von den geistlichen Angelegenheiten des
Millet, aach für die Überwachung ihrer weltlichen Angelegenheiten
ein Rat nötig sein wird, der aus den geistlichen Chefs und weltlichen
Mitgliedern, die durch die Nation erwählt und durch die hohe Pforte
bestätigt werden, zusammenzusetzen ist, so muss ein Modus, nach
welchem dieser Ratskörper gebildet und seine Mitglieder gewählt
werden sollen, in Beratung gezogen werden.
12. Sowie die Angelegenheiten der allgemeinen Verwaltung von
Natur aus der kaiserlichen Regierung zustehen, so gehören die geist-
lichen Angelegenheiten den geistlichen Häuptern jeder Religions-
gemeinschaft zu. Folglich müssen auch die zeitlichen Angelegen-
heiten allein dem soeben erwähnten Rate unterbreitet werden, wie
in dem vorigen § gesagt ist. und damit dieser Ratskörper sich in
den rechten Schranken halte, ohne in die Befugnisse der Regierung
oder die Gerechtsame der Nation überzugreifen, ist es nötig, seine
Rechte zu prüfen und genau festzustellen.
13. Da den geistlichen Oberen ein Gehalt bestimmt und die
Rechte und Abgaben, die sie (bis jetzt) erhoben, abgeschafft werden
sollen, so wird für den Patriarchen ein seinem Range und seiner
Würde entsprechendes Jahreseinkommen festzustellen sein. Ebenso
wird man mit den übrigen geistlichen Würdenträgern verfahren ; ein
jeder soll nach dem Verhältnisse seiner Funktionen und der Wichtig-
keit der Nationalität, die er vertritt, besoldet werden. Der provi-
sorische Gonseil hat daher den von jedem Einzelnen bekleideten Rang
zu prüfen und das Gehalt, welches seiner Stellung entspricht, zu be-
stimmen.
14. Das Gonseil wird ebenfalls die Steuerquote zu ermitteln
haben, die jeder Laie zur Aufbringung des Gehaltes der geistlichen
Oberen und zur Deckung der Kosten des Kultus und der Verwaltung
beizusteuern haben wird. Ebenso hat sich das Gonseil mit der Be-
ratung über die Art und Weise, wie diese Quote verteilt und er-
hoben werden soll, zu beschäftigen, und da im Zusammenhange
mit dieser Besoldungsangelegenheit auch ein Mittel ausfindig ge-
macht werden muss, die Schuld der Patriarchats- und Milletskasse
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236 tor. CottarHue,
sei es auf einmal oder allmählich zn tilgen, so soll das Gonseil auch
diese Frage sorgAltig erwägen nnd seine Entschliessang kund machen.
Was die Unterstützung anbetrifft, welche die hohe Pforte hinsicht-
lich der Erhebung der Abgaben, die das Volk zu zahlen haben wird,
zu leisten haben dürfte, soll das Gonseil gründliche Untersuchung
anstellen und dann einen Bericht hierüber erstatten.
15. Die infolge der Beratungen des provisorischen Conseils ge-
fassten Beschlüsse müssen in Berichten formuliert und dann, nach-
dem sie in dem Tauzimatsrat reiflich zur Erwägung gekommen, der
hohen Pforte vorgelegt werden. Falls diese Berichte dann die kaiser-
liche Bestätigung erhalten, wird ihr Inhalt in den Augen des
Gouvernements konstitutives Gesetz sein für die Nationalität, durch
welche sie vorgeschlagen sind. Mit Hinsicht hierauf ist es nötig,
dass, wenn die Berichte, die das Ergebnis der Beratungen enthalten,
eine einstimmige Billigung erlangt haben, diese Tatsache darin aus-
drücklich bemerkt werden soll. Ist keine Meinungseinheit vorhanden,
so sollen die Berichte die beiden hauptsächlichsten Meinungsver-
schiedenheiten konstatieren.
16. Da es keinem Mitgliede des provisorischen Conseils ver-
stattet werden kann, seine eigene Ansicht oder die Beschlüsse des
Conseils zu veröffentlichen, so soll der Patriarch die nötigen Mass-
regeln treffen, um zu verhindern, dass in dieser oder sonst einer
Beziehung durch die Conseilsmitglieder ein Verstoss begangen
werde, c
Aus dem Inhalte dieser Instruktion ist der Zweck hinreichend
ersichtlich. Sowohl die Regierung als auch die Nation wollte die
Wirkungs- nnd Machtsphäre der Hierarchie beschränken. Die
wichtigsten Angelegenheiten sollten einer Nationalversammlung
vorbehalten werden. Die Hierarchie widersetzte sich aber auf alle
möglichen Weisen gegen das Zustandekommen einer solchen ihre
Macht beschränkenden Massregel. Aus diesem Grunde blieb die
Instruktion resultatlos. Selbst ein zweiter Erlass im Jahre 1857
hatte keine andere Wirkung als die Wahl der Nationalversammlung
(IftvoGoveXeoaK;). Die Tätigkeit dieser Nationalversammlung begann
zwar im Jahre 1858, aber ihre Arbeiten gingen äusserst langsam
von statten. Die Zwietracht und Polemik standen in Blüte. In
dieser Zeit kam auch dtis Bulgarische Schisma zustande ^). Die
Gerusia wurde aufgehoben und die Geronten in ihre Bischofssitze
fortgeschickt'). Die Geronten hinterliessen einen Protest, in wel-
1) Tide Pischorit Th. Stadien und Kritiken.
2) Pischon a. a. 0.
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ßesetzungsweise des PatriarehaUtuhUs v. KonstaniinopeL 239
chem sie besonders dem Patriarchen verschiedene Yorwfirfe machten^),
wogegen sich der Patriarch Cyrillns in einer sehr überlegten Weise
verteidigte, die Oeronten vollständig widerlegte und besonders die
nicht apostolischen Privilegien der Gerasia als scbriftwidrig and bis
ins 18. Jahrhundert in den Canones und den kirchlichen Satzungen
unbegründet darstellte').
Aus diesem Qrunde konnte auch die Nationalversammlung keine
Tätigkeit entwickeln. Erst im Jahre 1860, als es nötig war, nach
dem Rücktritte des Cyrillns eine Patriarchenwahl vorzunehmen, war
die Nationalversammlung im Stande, einen Gesetzentwurf zu verfassen
und der hohen Pforte zur Genehmigung vorzulegen. Im September
1860 erhielt dieser Gesetzentwurf die Sanction des Sultans und
wurde zum Reichsgesetze.
§. 18, Das neueste Oesete betreffend die Wahl des Patriarchen
von KonstanHnopel,
Die im Jahre 1860 genehmigten und erlassenen Gesetze sind
für die gegenwärtige Abhandlung von besonderer Wichtigkeit, da
sie unter vielen anderen auch die Patriarchen wähl betreffende An-
ordnungen enthalten. Dieselben sind unter dem Titel »xavoviG|Aoic *)
bekannt und enthalten auch tatsächlich 7 Kanonismen oder Kapitel:
1. Ober die Wahl und Einsetzung des Patriarchen;
2. Über die Wahl der Bischöfe;
3. Über die Organisation der hl. Synode;
4. Über den gemischten Rat;
5. Über die Bezüge des Patriarchen und der Bischöfe;
6. Über die Besoldung der Patriarchalbeamten und über die
Bilanz des Patriarchats;
7. Über die Klöster.
Da für die gegenwärtige Abhandlung die sechs letzten Cano-
nismen zu besprechen als überflüssig erscheint, wird auch nur der
erste, der über die Wahl und Einsetzung des Patriarchen handelt,
berücksichtigt werden.
a) Die WaM.
Nach diesem ersten Kanonismos^) wird die Wahl folgender-
massen vorgenommen:
1) Diese AnkWeschriffc ist in den Th. Stadien 1864 p. 288.
2) dMelbst p. 28S anch die Verteidignnff.
8) Die neueste Aasgabe ist im Jahre XnBS anter dem Titel: r£vixo\ xa-
vovta(jio\ 7itp\ 5icu&eTv|aEus tdiv £xxXY)aiaaitxu>v xal ^dvixcov noa^^iaxti})f täv ötco tbv
olxouucvixov <^övov SiatcXotivTcov ^pdo$^((i>v xpioTiacvoiV 6^xo(i>v ttJc A. MeYotXciÖTviTo^
lou touXxdvou* KoviJTOorncX. 1888.
4) Dieser erste Kanonismos lerfSllt in drei Kapitel and die Kapitel in Artikel.
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240 Or. CoÜardut,
Im Falle der Erledigang des öknmenischen Stahles tritt die
»Synode der Metropoliten c mit den Mitgliedern des »gemischten
Ratest zusammen and wählt einen Stellvertreter zam Verweser des
Patriarchats. Dieser Verweser soll aas der Mitte der Eonstantino-
politanischen Metropoliten genommen werden und soll die erforderlichen
Eigenschaften und Fähigiceiten besitzen. Hierauf meldet diese Ver-
sammlang der Metropoliten und Mitglieder des gemischten Rates der
hohen Pforte die Sedisvakanz des Patriarchalstnhles nnd die vor-
läuftge Verwesung des Stahles durch den gewählten Stellvertreter.
Die hohe Pforte erlässt sofort die Verfügung hinsichtlich der Er-
nennung und der Wirkungssphäre des Stellvertreters und hinsichtlich
der im Sinne des Oesetzes vorzunehmenden Wahl des Patriarchen ^).
Nachdem diese Bestimmungen, wie erwähnt, vorschriftsmässig
ausgeführt worden, werden an alle dem ökumenischen Patriarchate
untergeordneten Metropoliten Briefe >) mit der Aufforderung geschickt,
dass sie binnen höchstens 41 Tagen ein versiegeltes Schreiben nach
Eonstantinopel mit dem Namen desjenigen aus der Gesamtzahl der
Bischöfe absenden, den jeder einzelne nach dem eigenen Gewissen
als den würdigsten und mit allen zum Empfange des Patriarchen-
thrones erforderlichen Eigenschaften ausgestattet hält. Ausserdem
werden Briefe an die 28 Eparchien*) des Patriarchats geschickt, da-
mit sie Sorge tragen, dass an dem für die Wahl bestimmten Tage
je ein Vertreter des Volkes sich einfinde*).
Die Mitglieder der hl. Synode und alle sonst in der Hauptstadt
befindlichen Metropoliten schreiben fünf Tage vor der Wahl in einem
Briefe den Namen desjenigen, welchen jeder von ihnen für den wür-
digsten Kandidaten hält. Der Brief wird versiegelt und zu denen der
auswärtigen Bischöfe hinzagelegt^).
Fünf Tage vor dem angesetzten Termine der 41 Tage schickt
der Verweser Einladungsbriefe an alle wahlberechtigten Kleriker und
Laien. In dem Einladungsbriefe muss der Tag und die Stunde deut-
lich angegeben werden.
Am Wahltage selbst kommen alle Wahlberechtigten *) zusammen
und es wird eine Untersuchung vorgenommen, ob alle stimmberech-
tigt sind.
1) Tiko? ^xXopi?. Art. 1.
2) Ein loicher Brief steht im *ExxXc<T(a<mxov tod Kaliphron. 1876. p. 6.
3) Die 28 Eparchien im Kanonismos p. 7 and in dieser Abhandlang xn
Ende des | 18.
4) f. £. Art. 3.
5) T. 6. Art 3.
6) Die Mitglieder der Versammlang vom J. 1867 im TxxXsotaaruov p. 8.
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Beseizungsweise des PatriarckaUtuhtea v, KonataniinopeL 241
Dann werden die Türen geschlossen und der Schriftführer mit
zwei anderen Mitgliedern der Synode öffnen und zählen in Qegenwart
aller die Wahlbriefe ^).
Alle, welche Stimmen, seien es viele oder wenige, in den Wahl-
briefen erhalten haben, sind als wählbare Kandidaten zu betrachten ').
Diese Kandidaten sind aber, da alle Briefe nur von Klerikern
sind, nur Kandidaten der Kleriicer. Falls also manche wahlbe-
rechtigte Vertreter des Volkes ausser den bereits von den Klerikern
aufgestellten Kandidaten auch noch andere würdige Männer zu Kan-
didaten aufstellen '), können diese ebenfalls als Kandidaten betrachtet
werden, wenn mindestens ein Drittel der priesterlichen Wähler zu-
stimmt^).
Nachdem auf diese Weise die Kandidaten aufgestellt worden,
werden in einem Verzeichnisse die Namen aller Kandidaten aufge-
schrieben, vom Patriarchats- Verweser, von der Synode der Metropo-
liten und von den Mitgliedern des >gomischten Ratest unterschrieben
und dann öffentlich gesiegelt^).
Da aber der Patriarch nicht nur kirchlicher, sondern auch
politischer Führer ist und damit er auch weltliche Angelegenheiten
der Christen nebst den geistlichen ordnen könne, wird das Ergebnis
der sowohl priesterlichen als auch weltlichen Obrigkeit bekannt ge-
geben. Die hohe Pforte mnss auch ans dem Gründe verständigt
werden, weil es möglich wäre, dass sie irgend einen der Kan-
didaten anszuschliessen sich bemüssigt finden könnte. Darum muss
und wird sogleich das Verzeichnis der Kandidaten an die hohe Pforte
geschickt«).
Wenn die hohe Pforte einen ansschliesst , setzt sie hieven das
Patriarchat durch ein Schreiben (xeoxape) binnen 24 Stunden in
Kenntniss, damit man die Wahl aus den übrigen vornehme ^).
Nach Vidiernng des Katalogs durch die hohe Pforte werden
die Akten an die Versammlung zurückgeschickt und der Topoteretes
verkündet das Gutachten der Pforte. Hierauf wählt die ganze Ver-
sammlung, Priester und Laien, drei Kandidaten aus der Zahl der
von der Pforte nicht Ausgeschlossenen. Die Wahl ist geheim und
die Stimmenmehrheit siegt®).
1) T. 6. Art. 4.
2) Art. 5.
3) Im Jahre 1876 warden Von den Laien die Metropoliten Fon Üngro-
Wlachien, vonKyzikas, Philippopolis und Chios gewählt; aber Fon den geist-
lichen Mitgliedern nicht anerkannt ['ExxXsaiaTnxov 1876. p. 10].
4) Art. 6. — 5) Art. 7. — 6) Im Jahre 1876 waren 17 Kandidaten. —
7) Art 8. — 8) Art. 9. im Jahre 1875 waren die drei Kandidaten : Qregorias IV.,
Anthim von Ephes nnd der Metropolit von Chalcedon.
Arohiv für Kinshenreeht. LXXXIIL r^A^ 1
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242 Dr. Cotlardud,
Alle Mitglieder der Versammlungi seien sie Laien oder Kleriker,
haben je eine Stioome ^).
Sobald die drei Kandidaten gewählt worden, gehen alle Mit-
glieder der Versaminlnng in die Kirche, wo nunmehr nur die Mit-
glieder des geistlichen Standes unter Anrufung des hl. Geistes durch
geheime Wahl nach dem Prinzipe der Stimmenmehrheit einen zum
Patriarchen wählen*).
Im Falle der Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des
Verwesers «).
In dieser Weise ist die Wahl beendet, das Resultat wird der
hohen Pforte berichtet und nachdem der Sultan den gewählten
Patriarchen anerkannt hat, stellt sich der Neugewählte nach
Aufforderung der hohen Pforte dem Sultan persönlich ?or. Ebenso
und zu demselben Zwecke geht er zur hohen Pforte und dann begibt
er sich mit dem gewöhnlichen Gefolge^) in die Patriarchalresidenz,
wo die Installation vorgenommen wird^).
h) Die erforderlichen Eigenschaften der Kandidaten.
Als Kandidat für den Patriarchalstuhl kann derjenige betrachtet
werden, der die erforderlichen Eigenschaften in seiner Person ver-
einigt. Wie im christlichen Altertume werden auch jetzt von den
Kandidaten alle guten Eigenschaften erfordert. Besonders wird durch
den Kanonismos verlangt, dass der Kandidat das vorgeschriebene
Alter habe, dass er aus der Oesammtzahl der Diözesanbischöfe sei —
was früher nicht der Fall war — und dass er eine Eparchie tadellos
und wenigstens sieben Jahre lang verwaltet habe^). Dann soll der
Kandidat politisch unbefleckt sein und Bildung besitzen. Gelehrt
soll er unbedingt sein, wenn nicht allgemein, so wenigstens die
Kenntnisse der wichtigsten kirchlichen Lehren und der Caoones nach-
weisen. Ferner soll er aus seinem früheren Leben als treuer Wächter
der kirchlichen Dogmen und der heiligen Überlieferungen, als guter
Anführer der rechtgläubigen Kirche, als guter geistlicher Vater aller
jener, die seiner Kirche angehören, als ein wirklicher Einheitspunkt
der ihm untergeordneten Metropoliten bekannt sein, da er jedermann
mit Wort und Tat behilflich zu sein hat^).
1) Art. 10.
2) Art. 11. Im J. 1876 wnrde Gregor TL mit 12 Stimmen gewählt
3) Art 12.
4) Das Qefolge im J. 1867 war die Synode, der gemischte Rat, die
Amanten und die Volksmenge.
5) Art 13.
6) Kavov(a(Aoi 9cpo9ovTa xou ^xXe^ipiou. Art 1
7) daselbst Art 2.
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6esei»ung8wei8e des PatriarehaUtuhles v. Konaiantinopeh 24 o
Der Patriarch mnss ferner, da er ein grosser geistlicher Fürst
der orientalischen Kirche ist und über alle im kaiserlichen Berat
Moharoed II. aufgeführten Privilegien zu wachen hat, und in ge-
wissen Beziehungen das Mittel (t6 fiioov) der Regierang bei der Aus-
führung ihrer Befehle ist, sich des vollen Vertrauens sowohl der Re-
gierung als auch des Volkes erfreuen. Zum Schlüsse ist noch als
Bedingung sine qua non zu erwähnen, dass der Neugewählte seiner
Abkunft nach ein türkischer Untertan sei^}.
c) Mitglieder der Wahlversammlung,
Wahlberechtigte Mitglieder der Wahlversammlung sind sowohl
Kleriker als auch Laien.
Von den Klerikern haben das Wahlrecht alle Mitglieder der
bl. Synode und alle zufällig in Konstantinopel anwesenden Metro-
politen. Der Metropolit von Heraklea wird besonders eingeladen,
teilzunehmen, da er nach althergebrachter Sitte den Patriarchalstab
einzuhändigen pflegt').
Von Laien sind Mitglieder:
a) Drei Beamte des Patriarchats, unter ihnen der Grosslogothet;
b) die Mitglieder des gemischten Rates');
c) drei Rangältere aus der ersten und zweiten Klasse, zwei Mit-
glieder des Militärstandes und zwar vom Oberst aufwärts und
drei politische Beamte;
d) der Statthalter von Samos oder dessen Stellvertreter;
e) drei Vertreter der Donauffirstentümer;
Tier berühmte Gelehrte;
a) fünf Handeltreibende;
h) ein Banquier;
i) zehn aus den Qenossenschaftsgruppen ;
k) zwei aus den Vorstädten und der Meerenge (Bosporus);
1) Acbtundzwanzig aus den Eparchien u. zw. Caesarea, Ephes,
Heraklea, Kyzikus, Nikomedien und Nikäa, Ghalkedon und
Derke, Thessalonike, Ternovo, Adrianopel, Amasia, Joanina,
Prussa, Pelagonia, Bosna, Kreta, Trapezunt, Larissa, Philip-
popel, Serae, Smyrna, Mitylene, Varna, Widin, Sophia, Ghios,
Skopiä, Pisidia und Gastamoni^).
1) daMlbst Art. 8.
2) Art. 2 der 9jcpoafa)7Cixb( 9X^Y)(&atia{ibc t^( IxXoyixiJc ouvcXeiJaeco^c.
8) Der »gemischte Bat« ist ans 4 Ersbischdfen and 8 Laienmitpliedem
smamraenffesetzt. Ausserdem gehören hinza 2 Schriftführer, welche gnechiseh,
tärkisch, balgarisch and gallisch verstehen müssen, vide Kavovt(7[Aoi p. 87.
4) daselbst Art. 8.
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(Sdogle
244 Dr. Coitarciuc,
§. 19. Die Besetzung des PcUriarchalstuhles im Jahre 1867
durch Oregorius VI.
a) DU Wahl
Einige Beispiele werden uns die oberwähnten Gesetze näher
beleuchten. Nach den bestehenden Gesetzen ist der Patriarchalstuhl
seit 1860 stets besetzt worden. Am 4. Dezember 1866 wurde der
Patriarchalstuhl nach dem Patriarchen Sophronius^) frei und der
Synodalmetropolit von Korytsas Neophyt zum Verweser des erledigten
ökumenischen Thrones gewählt. Dieser erliess am 18. Dez. 1866 an
alle dem ökumenischen Patriarchalstuhle untergeordneten Metro-
politen ein Synodalschreiben*), mit welchem der Verweser alle
Bischöfe, welche dem Patriarchalstuhle untergeordnet waren, auf-
fordert, im Sinne des Kanonismos*) binnen 41 Tagen die Wahlbriefe
und am Wahltage je einen Vertreter zu entsenden. Dies taten auch
alle Bischöfe. Die Wahlversammlung für die Wahl der Kandidaten
wurde vom Topoteretes auf den 3. Februar 1867 einberufen und
unter seinem Vorsitze am festgesetzten Tage abgehalten. Zu-
erst wurde die Entsieglung der eingeschickten bischöflichen Wahl-
briefe (72 an der Zahl) durch die gewählten Skrutatoren^) ange-
sichts der 60 Metropoliten und mehr als 60 Laien vorgenommen.
Es worden 17 Kandidaten gewählt^). Die 17 waren also die
für den im Jahre 1867 zu besetzenden Patriarchalstuhl vorge-
schlagenen Kandidaten. Die von den Laien vorgeschlagenen Kan-
didaten wurden nicht anerkannt. Der Katalog mit den 17 Kandi-
daten, unterfertigt von der Synode und dem gemischten Rate, wurde
laut den Bestimmungen des Kanonismos^) der h. Pforte zur Ein-
sicht und Genehmigung vorgelegt.
Am Sonntag abends wurde von der hohen Pforte der Katalog
mit dem Bemerken, dass alle Kandidaten angenehm seien (icopa xj
Küßepviiaei eioi icavteg dextol), zuruckvermittelt. Aus dem xeoxepe des
1) Tide OedeoTif nivoxcc icaTptopX, p. 703; siehe auch Matha.
2) Das Schreiben seinem ganzen Inhalte nach ist in KallifronoB, Ex-
xX£9ia(7Tixov AeXtiov m finden.
8) T. 6. Art. 2.
4) der Metropolit von Pelagoneia nnd Herr Earatheodore.
5) Das Wahlergebnis war folgendes: Der Bischof von Pelagoneia erhielt
12 Stimmen, Patriarch Gregorias 10, der Binchof von Derke 10, der Bischof
von Nikäa 9, der frQhere Patriarch 8, der Patriarch von Epbes Anthiro 5, der
Bischof von Phanariopharsal 4, der Bischof von Chalkedon 3, der Bischof von
Thessalonike 8, Raskopresrenes 2, der Patriarch Anthimos der Byiantier 1, der
Patriarch Kyriilos I, der Verweser 1, der Bischof von Mityleue 1, der Smjrnär 1,
der Proistos von Rhodos 1 and der Bischof von Kreta 8 Stimmen, (siehe
Kallifron. o. c).
6) Art. 7.
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ßeaetzungsweUe des PatriarchalstuhUs v, Konatantinopel. 245
Fuat Pascha ist noch ersichtlich, dass er die Versammlang auf-
forderte, die Wahl gesetzlich and im Sinne des Kanonismos vorzn-
nehmen und einen zu wählen, der nicht nur gottesfärchtig, sondern
auch gelehrt^ in gutem Ansehen und dieser hohen Stelle würdig sei^).
Hierauf schickte man an alle Wahlberechtigten Einladungs-
briefe zur Wahlsitzung, welche am 10. Februar in Anwesenheit von
74 Mitgliedern, von denen 18 Kleriker waren, im Patriarchats-
synodalsaale stattfand. Den Vorsitz fährte der Verweser. Nach einer
kurzen Ansprache des Vorsitzenden und nach Verlesung des Teoxepe
in türkischer und griechischer Sprache schritt man zur Wahl. Im
Ternovorschlage der Wahlversammlung erschienen jene drei Bischöfe,
welche die meisten Stimmen hatten, nämlich: 1} Oregorius VI.,
2) der Bischof von Ghalkedon und 3) der Bischof von Ephes ').
Unmittelbar darauf begaben sich die Kleriker in die Kirche
des hl. Grossmärtyrers Georg und nahmen die engere Wahl vor.
Bei dieser geheimen Wahl wurde Gregorius VI. mit 12 Stimmen
gewählt.
Sobald das Ergebnis bekannt wurde, wiederhallte die Kirche
von Rufen : ^Zrfto} ^ öpftoÄoStat •).
Eine Deputation von 3 Klerikern und 3 Laien begab sich her-
nach zu der hohen Pforte^), um das Ergebnis der Wahl mitzuteilen.
Gleichzeitig begaben sich die Synode, der gemischte Bat und das
Volk mit den Amanten an der Spitze zum neugewählten Patriarchen,
um ihn zu beglückwünschen. Auf eine kurze Anrede des Metropoliten
von Derke dankte der greise Patriarch und erklärte sich bereit, das
hohe aber schwere Amt wieder anzunehmen.
Alle Mitglieder der Wahlversammlung wurden verständigt, dass
Gregorius das Patriarchat mit Zustimmung der Kirche und des
Volkes annehme^).
1) das ganze xeaxEpe ist in Kallifron. o. c. p. IQ.
2) Die Stimmen verteilten sich auf die Kandidaten folgendennassen:
Gregorins erhielt 52 Stimmen; der Metrop. von Chalkedon 45, der Patriarch
von Ephes 41, der Bischof von Derke 84, Joakim 29, der Bischof von
Pelaffoneia 24, der Bischof von Thessalonike 22. der Proistos von Rhodos 20,
der Bischof von Nikäa 19 , der Bischof von Kreta 18 , der Bischof von Phana-
riopharsal 16, Anthim der Byxantier 16, Raskopresrenes 14, Kyrill von Amasia
10 Stimmen. Kallifron. o. c. p. 11.
3) idera p. 12.
4) Q. zw. dem Minister des Äusseren Fuat Pascha.
5) Derselbe Gregorius VI. war schon von 1834 — 40 und zw. 6 Jahre und
5 Monate Patriarch. (Matha, Gedeon). Hierauf folgte Anthim IV. u. d. V.,
Meletios III.. Gerraanos IV., Anthim VI. (i. 2tenmale), Kyrill VII., Joakim IL,
Sophroniui III. ^
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246 Dr. CoÜardue,
b) Die Inatallation.
Am 16. Februar (also 5 Tage nach der Wahl) um 6 Dhr
türkisch ^) (also mittags) begab sich einer der höheren Offizialen
des äusseren Chores, nämlich der Siegelbewahrer, in das in der Nähe
des Bosporus befindliche Hans des neugewählten ökumenischen
Patriarchen Gregorius VI. und verkündete ihm, dass er, der Siegel-
bewahrer, bestimmt sei, ihn nach althergebrachtem usus zum
Herrscher zur Aufwartung zu begleiten. Ausser dem Siegelbewahrer
begleitete den Patriarchen zunächst auf demselben Wagen (ifiaS^)) >)
Eir. J. Mnsuros als Dolmetsch. Dann begleiteten ihn der Leiter
der grossen Schule, andere hohe Persönlichkeiten und einige Reiter.
Beim Sultan erwarteten ihn auch andere Metropoliten und
Notabein. Empfangen wurde der Patriarch vom Einfährer der Ge-
sandtschaften (eloTjYTjTiic TQ)v icpeoßiü>v) Seiner Excellenz dem Eamil
Bej *). Dieser führte den Patriarchen in die Empfangshalle, wo ihm
Pfeife und Kaffee (xoinouxia xai xaf ^g) mit der grössten Ehrfurcht
und Achtung und mit kaiserlicher Geziemtheit (ßaoiXix^g fieraXo-
icpeicetag) gereicht wurde*).
Als die angesagte Stunde der zu erteilenden Audienz schlug,
machten sich der Patriarch, 2 Erzbischöfe und der Dolmetsch bereit
und gingen vom Kamil Bej geleitet näher. Ihnen entgegen kam
auch Seine Excellenz der Emil Bej, der Sekretär des Sultans. Nach
einigen Momenten wurden die Türen des kaiserlichen Gemaches ge-
öffnet und die Geladenen schritten langsamen Schrittes vor. Gleich-
zeitig erschien von der entgegenstehenden Türe auch der Sultan, in
kaiserlicher Pracht und Würde ihnen entgegenkommend. Gleich be-
grüssten alle den Sultan in gewohnter Weise mit dreifacher Ver-
beugung. Hierauf redete der Patriarch den Sultan mit einer sorg-
fllltig ausgearbeiteten Ansprache in griechischer Sprache an, worauf
der Dolmetsch Musuros die Ansprache des Patriarchen ins Türkische
übersetzte. Der Inhalt der Anrede des Patriarchen war beiläufig
folgender *) :
1) Die Türken beginnen die Standen vom Sonnenaufgang an tu zählen.
2) Der Ausdruck a^&iri wird mit Absicht gebraucht and bezeichnet be-
sonders bei Homer, wo er öfters vorkommt, einen vierrädrigen Wagen, gewöhn-
lich mit Rindern und Maultieren bespannt (Odysee 9. 241).
3) Bej (Bey, Bei) d. h. Herr ist bei den Türken ein [dem Namen ange-
hängter Titel, der den Söhnen der Paschas, den höheren Beamten, wie auch
den MilitSrbeamten , vom Oberstenrang aufwärts, dann aber angesehenen Ans-
l&ndem beigelegt wird. Der Titel steht dem Range nach zwischen Effendi und
Pascha, siehe »rockhaus, Art. Bej.
4) KaUifron, Eccl. 1867. p. 17.
5) Der griechische Text ist in Kallifrona oberwähntem Ecclesiasticon
p. 17 SU finden.
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Besetzungtweiae des PairiarchaUtuhlea v, Konataniinopeh 247
Als höchster Fürst des Urbildes der orientalischen Kirche bin
ich stets dein unterwarfigster und treuester Untertan. Die Väter
meiner Kirche haben immer m den schweren Zeiten eine grosse
Stütze gehabt in dem Schutze der Otomanischen Dynastie, unter
welcher die von uns von allem Anfang an angenommene Lehre sich
unversehrt erhalten hat. Ich habe amtiert als Patriarch unter der
ruhmvollen Regierung deines unvergesslichen, berühmten und viel
gepriesenen Vaters. Nach seinem Tode hatte ich das Unglück durch
(zufällige), äussere Umstände entsetzt zu werden. Niemals aber
habe ich meine frommen Gebete für deine Dynastie an Qott zu
richten aufgehört und nun habe ich erlebt, der Qnade und Erbarmung
deiner Allmacht teilhaftig zu werden. Jetzt bin ich in der Lage,
auch dem Sohne meines edlen Wohltäters, vor ihm niederfallend,
zur herzlichsten Dankverpflichtung verbunden zu sein. Von Deiner
Allmächtigen Majestät berufen , zu der von mir vor 27 Jahren ver-
walteten Patriarchie, nehme ich sie jetzt als Greis, von Schwäche
fiberfallen, wieder in Besitz, aus keinem anderen Grunde, als zu
dem einzigen Zwecke, um vor dem Ende meines Lebens das zu voll-
bringen, wozu ich mich verbunden fühle, nämlich die Herzen meiner
Herde nach Möglichkeit an deinen Thron zq fesseln mit starken
Banden und meiner Kirche den alten Ruhm aufrecht zu erhalten,
den sie sich ununterbrochen durch vier Jahrhunderte unter der
starken Ägide deiner unvergesslichen Vorfahren erworben hat.
Hoch mögest Du, mächtigster und wohlwollendster Herrscher
auf deinem unabhängigen Throne unter dem Schutze des alles be-
herrschenden Gottes lauge und glücklich leben und jeden guten Vor-
satz deines Herzens und jede philantrope Unternehmung glücklich
vollbringen. Mögest Du leben zum Wohle deiner treuen Untertanen.
Hoch mögest leben 1 Hoch 1 Amen I
Der Sultan hörte dies freundlich an und antwortete:
Die Wohlfahrt meines Volkes ist meine erste Sorge. Ausser
dem Wunsche, dass meine Völker sich wohl befinden, halte ich sehr
viel darauf, dass sie ihre Religion bewahren und ihre religiösen
Pflichten erfüllen.
Nach einem kurzen Dialog ^) zwischen dem Patriarchen und
dem Sultan händigte letzterer dem neugewählten Patriarchen den
Orden »Medzietec ein, worauf der Patriarch nochmals dankend sich
verabschiedete und bis zu den Toren ging, wohin ihm auch Kamil
Bej entgegengekommen war.
1) Kallifron. o. e. p. 19.
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248 Or. Collarciuc,
Hierauf bestiegen sie die Wagen und Tuhren mitten durch die
zahllose Menge zur Hohen Pforte, wo sie den ersten Besuch dem
Ministerpräsidenten (icpcoftuicoupr^c) Ali Pascha, den zweiten dem
Minister des Äusseren (täv iSooTeptxtov uicoupYoc), Seiner Hoheit
Fuat Pascha, und den dritten dem Vorsitzenden des orientalischen
Gemischten Rates, Seiner Hoheit dem Kamil Pascha, abstatteten.
Die ganze Deputation bestand aus dem Patriarchen und den übrigen
Metropoliten mit dem Dolmetsch E. Eleobnlos, 17 Laienmitgliedern
des grossen »gemischten Ratest und anderen, zusammen 35 Mitglieder,
ausser der vollzähligen Patriarchalbegleitung ^).
Am wichtigsten war der Einzug des Patriarchen in die Patriarchal-
kirche. Derselbe fand unter Hoch- und anderen Zurufen, Hände-
klatschen und anderen Freudeuäusserangen des enthusiasmierten Volkes
1) Überall wurden Ansprachen gebalten; Beim MinisterprSsidenten hielt
der Patriarch folgende Ansprache:
Sehr bewegt fiber den zuvorkommenden und wohlwollenden Empfang
meines des unterwürfigsten Üntertanes bei seiner Majestät, meinem volks-
p^eliebten Herrscher, und nicht im Stande das mir innewohnende GefQhl der
innigen Dankbarkeit in Worten genfigend auszusprechen, begnOge ich mich da-
mit, die Hohe kaiserliche Regierung dringend zu oitten, sie möffe der Dolmetsch
meiner Dankbarkeitsgefühle t>ei Seiner Majestät, meinem Wohltäter, sein.
Der Ministerpräsident antwortete folgendermassen:
Dem Beispiele der guten Gefühle unseres volksgeliebten Herrschers folgend,
zeigen auch wir alle Bereitwilligkeit für das Glück unserer Untertanen. Ich
will ein treuer Dolmetsch Euerer Dankbarkeitsgefühle bei Seiner Majestät sein.
Ich freue mich sehr über die glückliche Wahl Euerer werten Person.
Nach einer nochmaligen Anrede des Patriarchen und einer Antwort des
Ministerpräsidenten begab sich die Deputation zum Minister des Äusseren, Fuat
Pascha, bei welchem der Patriarch etwas ähnliches wie beim Ministerpräsi-
denten sprach, hinzufQgend, dass er sich glücklich schätze, an der Spitze der
auswärtigen Geschäfte einen Mann zu finden, dessen bewährte Umsicht den
wahren Nutzen eines jeden der beiden (Griechen und Türken) Völker zu schätzen
versteht
Fuat Pascha antwortete folgendes: In Übereinstimmung mit dem
Herrscherwillen legt die Pforte grosses Gewicht auf das Glück der Völker und
besonders unserer Mitbürger der Romaer-Griechen. Dem Herrscher hat Gott
sein Volk anvertraut, wegen der Verschiedenheit der Religionen aber stellt der
Herrscher das »Nützliche« seiner andersgläubigen Untertanen der Sorge der
kirchlichen Würdenträger anheim. Ihr übrigens seid als solcher einer der
höheren Beamten des Kaisertums. Da aber die Religionsangelegenheiten zu
meinem Geschäftskreise gehören, wollet mir freimütig jedes Bedürfnis Euerer
Glaubensgenossen bekannt geben und Ihr werdet mich stets bereit finden, jeden
Fall wünschenswert zu erledigen. Ich ersuche aber mir behilflich zu sein, denn
ohne das Zusammenwirken der Vornehmeren unter den Glaubensgenossen des
Patriarchen kann kein guter Vorsatz zu Ende geführt werden, weil alles gute
durch Liebe und Eintracht bewirkt wird.
Der Patriarch appelierte nochmals an das Wohlwollen des Fuat Pascha
und verliess die Pforte. Begleitet wurde der neiye Würdenträger, abgesehen
ron seiner Begleitung, auch noch von vielen Würdenträgern und Beamten
der Hohen Pforte, von Reitern, von Wachleuten etc. bis zum Patriarchal-
ffebäude. Der Zug ging mitten durch die zahllose Menge, welche sich durch
Jen fortwährenden Regen nicht schrecken und vertreiben Hess.
Vide KaUifran. o. c 20 C
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BesetmAfigtweUe des Patriarchalstuhles v, Konsiantinopel, 249
statt. In der Patriarchalkirche warde die Messe gelesen, nach wel-
cher der Polychronioa gesungen wurde und dann vom Patriarchen
wie auch von Anderen Reden gehalten wurden ^).
Nach dem Eirchengottesdicnste wurde er in den Patriarchal-
palast begleitet, worauf sich die Terschiedenartigen Deputationen
der Reihe nach vorstellten, uro dem neuen Wnrdentr&ger ihre Glück-
wfinsche darzubringen*).
§ 20. Die jüngste Besetzung des PatriarchalstiMes im Jahre 1901.
In derselben Weise wurde der Patriarchalthron mit den Nach-
folgern des Qregorius VI. besetzt. So wurde er besetzt mit An-
thim III. im Jahre 1871*) am. 5. September, mit Joachim II>) im
Jahre 1878 am 28. November, im Jahre 1878 mit Joachim III. am
4. October*) und so weiter mit Joachim IV., Dionis V., Neophyt VIII.,
Anthim VII., Gonstantin V. und endlich vom letzten und gegen-
wärtigen Patriarchen Joachim III. Letzterer wurde am 5. Mai 1901
in der durch den Kanonismos festgesetzten Weise gewählt. Nach
der Demission seines Vorgängers, Patriarchen Konstantin V., wurde
zum Verweser der Metropolit Natanail von Brusse gewählt. Allen
dem Patriarchate untergeordneten Erzbistümern wurden Schreiben
mit der Aufforderung geschickt sowohl die f&r die Wahl be-
stimmten Delegaten zu wählen, als auch in einem versiegelten
Briefe den Namen des von jedem einzelnen Metropoliten würdig ge-
haltenen Kandidaten zu senden. Die Liste der Kandidaten wurde
hierauf am festgesetzten Tage zusammengestellt und der hohen
Pforte geschickt. Die Liste enthielt 24 Kandidaten, von denen die
Pforte sieben streichen liess*).
Mittels eines Erlasses wurde die von der Pforte genehmigte
Liste bekannt gegeben und am 25. Mai (a. St.) 1901 die Wahl vor-
genommen. Die Wahl fand im grossen Patriarchalsaale statt. Wahl-
mitglieder waren die Patriarchalsynode , der gemischte Rat und die
Delegaten der Untergeordneten der Patriarchie. Den Vorsitz führte
der Verweser. Die Stimmen waren zersplittert, die meisten aber
erhielten Joachim III., Polykarp von Varna und Konstantin von
1) Kallifron. Eccl. 1867 p. 22 and ff.
2) Alle Deputationen samt ihren Ansprachen and den Antwortreden des
Patriarchen im Eccl. o. c. p. 34 ff.
3) Oedeon^ IIivaxE? ^rarp. p. 705,
4) ibidem p. 706.
b) ibidem p. 706, dessen Wahl aber auch in KallifrofCs Eccl. 1879
p. 38—41 angegeoen ist.
6) Die vollständige Liste in der Patriarcbalzeitang »ExxXeaiaTrtxiI aXiI^ciac
vom 25. Mai 1901.
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250 Dr. CoHarduc,
Ghios, welche auch im Ternovorschlage blieben. Die Patriarchal-
syoode begab sich mit diesem Ternovorschlage in die Patriarchal-
kirche, wo sie in Anwesenheit des Volkes Joachim III. einstimmig
wählte. Die Bekanntgabe wurde mittels einer vom Metropoliten zu-
sammengesetzten Deputation , welche sich auf den Athosberg begab«
wo der Neugewählte sich befand, Torgenommen. Am 11. Juni fand
die Installation statt ^). Nach den üblichen Besuchen beim Sultan
und den Ministern ging er in die Patriarchalkirche und wurde
unter grossem Enthusiasmus vom Bischöfe von Heraklea in-
stalliert, der ihm den Patriarchalstab überreichte und ihm nach einer
Bede unter SCiog-Rufen auf den Patriarchalstuhl setzte. Hierauf
begab sich der neue Patriarch in die Patriarchalresidenz, wo er ver-
schiedene Deputationen empfing').
D. Schluss.
a) Die Wahl
Wenn wir die Verfügungen des Kanonismos und die 2 Fälle
nochmals zusammen fassen, so ist die Art und Weise der Besetzung
des Patriarchalstuhles in der Gegenwart klar. Der Patriarch, der
auch den Titel Ethnarchis, d. i. Nationalhaupt führt, wird von der
oberen Geistlichkeit der orthodoxen Kirche im ottomanischen Reiche
gewählt. An der Wahl nehmen aber auch nur die Vertreter des
orthodoi christlichen Volkes der Türkei teil. Das Verfahren bei der
Patriarchen wähl ist, wie wir gesehen haben, folgendes: Gleich nach
der Sedisvakanz wird ein Verweser gewählt, der ein Synodalcircular
an alle Bistümer des Patriarchates erlässt mit der Aufforderung,
binnen 41 Tagen ihre Stimmzettel und am festgesetzten Wahltage
je einen Diözesanvertreter zu schicken. Nachdem diese Wahlbriefe
anlangen, wird eine vorbereitende Wahlsitzung in dem Patriarcbats-
synodalsaale einberufen, an der die Synode, der gemischte Rat und
die Vertreter der Eparchien unter dem Vorsitze des Verweser teil-
nehmen. In dieser Sitzung werden die Wahlbriefe der Bischöfe
1) »ExxX. ÄXij*. 1901, 18. Juni
2) vid6 *ExxX. oLhfi. 1901, Mai n. Jani. Biserica ortodoza roinana. 1901,
Mai. TelegrafU romin und viele andere Zeitschriften and Zeitungen betchif-
tigtea sich mit der letzten Besetsnng.
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Be$etzung8%teUe des PairiarchaMuhtes v. Konstantinopel. 2*^1
öffentlich geöffnet nnd jeder ^ der eine Stimme bekommt, wird auf
die Liste der Kandidaten gestellt. Ausserdem stellen auch die Hit-
glieder der Wahkersammlung Kandidaten auf. Die Kandidaten
müssen Bischöfe sein, da nur ein solcher ewm Patriarchen gewählt
werden kann^). Die so zusammengestellte Kandidatenliste wird der
h. Pforte übersendet, welche binnen 24 Stunden dieselbe mit Aus-
schliessung der ihr missliebigen Kandidaten zurfick zu senden hat
Vor 40 Jahren hatte die Pforte dieses Recht nicht, aber anlässlich
der Parteistreitigkeiten aus den Jahren 1860 — 1867 gelang es ihr,
sich dieses Recht zu erwerben. Nach der Rückstellung der Kandi-
datenliste kommt die Wahlversammlung wieder im Patriarchalsaale
zusammen, wo jedes Mitglied drei Namen aufschreibt. Die drei,
welche die meisten Stimmen erhalten haben, sind als endgiltige
Kandidaten und als Terno?orschlag zu betrachten, aus denen die
Synodalmitglieder in der Patriarchalkirche unter Anrufung des
hl. Oeistes einen in Anwesenheit aller nach Stimmenmehrheit wählen.
Bei Stimmengleichheit entscheidet der Verweser, der immer den
Vorsitz fahrt. Die wichtigsten Momente bei der Wahl sind also
folgende vier:
1. die Kandidatenaufstellung,
2. der Ternovorschlag,
3. die eigentliche engere Wahl eines Patriarchen
4. und die Sanktion seitens des Sultans.
Das Recht Kandidaten aufzustellen, ist demnach in den Händen
des höheren Klerus; denn das Recht der Laien, Kandidaten aufzu-
stellen, ist ein mehr formelles, da die Ton den Vertretern der Laien
aufgestellten Kandidaten nur dann als solche betrachtet werden
können, wenn ihnen wenigstens ein Drittel des Klerus zustimmt.
Der Pforte bleibt auch nichts anderes übrig, als gegen unliebsame
Kandidaten ein Veto einzulegen. Die eigentliche engere Wahl steht
in jeder Beziehung ausschliesslich dem Episkopate und nur die
Sanktion des Patriarchen steht dem Sultan zu. Also die Vertreter
des orthodoien Volkes haben einen wirklichen Anteil nur an dem
Ternovorschlage, an welchem sie sich mit gleichem Rechte beteiligen.
Sonst ist die Teilnahme des Volkes an der Wahl des Patriarchen
von Konstantinopel nur eine figürliche. Das Volk selbst beteiligt
sich an derselben nur durch die von ihm entsendeten Vertreter, direkt
1) SilbernagJ, Verfassang und geffenw&rtiger Bestand sftiDtlicher Fircban
des Orients, Landshnt 1865, p. 19. Ch. Muradgta d^Ohaaon, Tableau general
de Pempire Othoroan. T. III. p. 50.
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252 Dr. Cotlarciuc,
aber nimmt es an der Wahl keinen Anteil. Die Ansicht Silbernagls ^),
dass die Versammlung durch Akklamation und den Zuruf Ton >a(toc<
den würdigsten bezeichnet , kann auf ein Missverständnis zurückge-
führt werden. Es lässt sich das weder aus dem Eanonismos noch
aus den angeführten Fällen deduzieren. Die Beteiligung des Volkes
kann nur eine nach der Wahl durch die Bischöfe eintretende Freuden-
äusserung oder eine Zeremonie bei der Chirotonie sein, sofern näm-
lich Kleriker und Sänger nach dem agtoc-liufe des die Chirotonie
spendenden Bischofs in S^toc-Rufe einfallen. Ganz richtig wird Ton
Silbernagl bemerkt, dass dies eine leere Formel sei, die an das uralte
Wahlrecht oder besser an den Wahlusus erinnern soll, da die Pa-
triarchenwahl von den Mitgliedern der Synode und zum Teil von
den Notabein abhängig ist.
b) Die Bekanntgabe, Investitur und Installation.
Nach der Wahl geht eine Deputation und meldet das Wahl-
ergebnis der Pforte. Von der Pforte wird ein Berat [Investitur-
dekret] verabfolgt, in welchem die dem Patriarchen und der Synode
zustehenden Rechte angegeben sind >). Dieses Berat wird gewöhnlich
mit einer grossen Geldsumme erkault. Eine andere Deputation be-
gibt sich zum Neugewählten, ihm das Resultat der Wahl bekannt
zu geben und ihn zu ersuchen, die Wahl anzunehmen. Nachdem
beides geschehen ist, geht gewöhnlich am zweiten Tage der neuge-
wählte Patriarch mit seiner Assistenz zum Sultan in Audienz, wo
er, nachdem ihm der Grossvisier das Berat einhändigt, vom Sultan
beglückwünscht und Sj/ierkannt wird. Nach der noch aus byzan-
tinischen Zeiten hergebrachten Sitte empAngt der neue Patriarch einen
Kaftan*) und die übrigen Insignien. Hierauf erhält er vom Sultan
auch ein weisses Pferd aus dem kaiserlichen Marstalle, auf welchem
er bis zur Patriarchalkirche reitet^). Nach diesem hohen Besuche
stattet er wieder mit seiner ganzen Assistenz auch Anderen Besuche
ab wie z. B. dem Ministerpräsidenten, dem Minister des Äusseren etc.
Am nächstfolgenden Sonntage begibt sich gewöhnlich der Ge-
wählte im Festzuge in den Patriarch al pal ast. Am Festzuge
nehmen der Kapigi (Kapukechagiä, Trabant der Pforte), zwei Chargen
1) Silbernagl, Verfasfang ... p. 10.
2) Die im Berat enthal&nen Befoffnisse sind Terschiedenartig. yrgl.
VeHng, K.-R. II. Aofl. Preiborg i. Br. 1881. p. 629. SUbemagl, Verfassung
p. 12. Eicfimann, Die Reformen d. t. R. Berlin 1851. p. 28.
8) ein langet Kleid«
4) Heinecciui, Abbild, d. a. a. n. griech. Kirche IL p. 886.
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Beietvungsweiae dea Patriarchatituhlen v. KonatanÜnopel, 253
Ton der Leibwache des Saltans, der Sekretär des GrossTisiers, Ver-
treter der Ministerien, der Miliz und aller übrigen Ämter. Im
Patriarchalhofe empfangen ihn die yersammelten Metropoliten und
Bischöfe mit brennenden Kerzen.
Vom Patriarchalhofe geht der neugewählte Patriarch, begleitet
von der grossen Assistenz und von den Kirchenepitropen in die Pa-
triarchalkirche. Vor dem Eintritt in die Kirche verliest der Sekretär
das Berat, worauf der Zug sich in die Kirche begibt. Die Inthroni-
sation wird durch den Metropoliten von Heraklea vorgenommen.
Dieser führt den Neugewählten, nachdem er das vorgeschriebene
Bekenntnis abgelegt hat, zum Patriarchalthrone, überreicht ihm den
Stab und den Hut und setzt ihn dreimal unter £(to<;- Rufen auf den
Patriarchalstuhl. Der Inthronisirende hält noch eine kurze Rede,
worauf der Patriarch kurz antwortet. Es folgt hierauf die Liturgie,
nach welcher der Patriarch die Gläubigen entlässt und selbst in den
Patriarchalpalast geht, wo er die Deputationen empfängt.
Die Einsetzung sollte nach dem Sinne des Hatti-Humajum
eine lebenslängliche sein^). Trotzdem werden die Patriarchen ge-
stürzt nach dem Belieben der Pforte. Das Recht des Sultans, den
Patriarchen zu bestätigen, wäre an und für sich in der griechisch-
orientalischen Kirche nicht antikanonisch; ein solches bestand auch
in der byzantinischen Zeit'). Wenn etwas zu beklagen wäre, so
ist es vielmehr die Bestechlichkeit der massgebenden Faktoren.
Zum Schlüsse wäre noch zu erwähnen, dass der Patriarch von
Konstantinopel gleich nach seiner Einsetzung alle übrigen orientali-
schen autokephalen Bistümer, Erzbistümer und Patriarchate von der
erfolgten Inthronisation verständigt und sie um die Kirchengemein-
schaft ersucht. Dies geschieht beiläufig in folgender Weise: Der
neneingesetzte Patriarch schildert gewöhnlich seinen bisherigen geist-
lichen Lebenslauf, legt ein ausführliches Glaubensbekenntnis ab und
ersucht die übrigen autokephalen Bischöfe, in Glaubens- und Liebes-
gemeinschatt auch fernerhin zu verbleiben. Mit den üblichen Grüssen
seinerseits und von Seite der ihm unterstehenden Synode an die Person
und die Synode des Adressaten schliessen gewöhnlich die Patriarchen
solche Anzeigen. Die Bischöfe, an die sich der Patriarch gewendet
hat, antworten auch in entsprechender Weise. Die Korrespondenz
wird nicht direkt geführt, sondern mittelbar und zwar in alter Zeit
1) Hatti-Hamajara. Wenger, Beitrag zur Kenntnig des gegenwärtigen
Zastandes der griech. Kirche, p. 81. Eicfimann o. c. p. 22.
2) Symeon von Thessalonika, vgl. aach MUai , K.-R. übersetzt von
Pessia p. 298 N. 12.
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254 Dr. Coitarduc, BeaeiwngHo, d. PäMarchatst v. KonaiafUinapet.
durch den Kaiser >), heutzutage aber durch die Ministerien der
äusseren Angelegenheiten').
1) Tide Acta Patr. ed. M. et M. I. p. 20.
2) Formalare solcher Anxeiffen (in griechischer Sprache) sind ahffedmckt
in Synt. des R. u. P. V. p. 568 ff. — Leanclayii Jas ^.-rom. I. p. 488 ff. —
Acta Patr. Mikl. a. MfilL I. p. 2. •— ibidem p. 25. — Ein Erwiderangsschreiben
ist in Acta Patr. I. p. 22. — Unter den Aiten des Bakowiner enbisch. Con-
sistoriams sind aach mehrere derartige Anieigen. Im J. 1897 hat der Patriarch
Konstantin eine solche A nieige an die Ciemo witzer Metropolie geschickt. In
diesem Schreiben, das der Patriarch selbst »l}ct<rcoX^ ({piivtx^« nennt, warde der
Grass an den Enbischof voraasgeschickt, dann die Demission seines Vorgängers
Anthim, seine Wahl, die Best&tigong seitens des Herrschers and die erfolgte
Inthronisation angezeigt Er gab aach dem Wunsche Aasdrack, dass in allen
Kirchen Einheit in Allem herrsche und lam Schiasse ersachte er den Erzbischof^
für ihn znm AUm&chtigen za beten.
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255
II. Kirchliche Aktenstücke und Entscheidungen.
1. Dekret, durch welches die neue Ausgabe des rom. Mar-
tyrologiams approbiert wird.
Praesens Martyrologium novissime recognttum et aucturo, Sacra
Bituom Cougregatio, probante Sanctissimo Domino Nostro Leone
Papa XIII., imprimi decrevit per Typographiam Polyglottam Sacrae
Congregationis de Propaganda Fide : stataitqae ab aliis nbique loco-
rum deinceps typis edi non posse ntsi accedente auctoritate Ordinarii
loci et omnino ad normam hoins exemplaris.
Die 1. Maii 1902.
D. Card. Ferrata. Praef,
L. f S. D. Panici^ Archiep. Laodicen., Secret
2. Lesaog der hl. Hesse In Kabinen anf den Schiffen.
Folgende Erklärung zum Dekret yom 1. März 1902 (rergl.
Arch. Bd. 81 (1902) S. 534)^ durch welches das Lesen der hl. Messe
in Kabinen auf den Schiffen verboten wurde, besagt, dass das Ver-
bot kein absolutes sei.
Roma 13. Agosto 1902.
lU.me ae Bev.me Damine^
Quod per Decretum S. huius Congregationis diei 1. Martii
yertentis anni est cantum super celebratione roissae in nanbos,
tantum respicit abusus illos qui orirentur, si in privatis cellnlis
yiatorum, usibus vitae destinatis, indecenter offerretur augustissimum
Sacrificium Missae. Non autem absolute celebratio in cellis prohi-
bita est, quando adiuncta omnia removeant irreverentiae pericula.
Quamobrem firmis manentibns Decreti praedicti ^ praescriptionibus,
yelit Amplitudo Tua idem sincero sensu intelligere ac missionarios
sine causa tnrbatos quietos facere.
Ego vero Deum rogo ut Te diu servet ac sospitet.
Amplitudinis Tuae addictissimus ser?U8.
Pro Emin. Card. Praefecto
Jdomus Veceia, Secret.
B. P. D. loanni B Gazet
Vic. Aposi. Madagasc. Centr.
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256 mrchliche AkienHIUke
3. Dlspensfakaltat yom Impedlment der geistllclien Yeiv
wandtschaft«
(Dekret des h. Offixinms toid 3. Dei. 1902.)
Wird in Rom die einfache »facultas dispensandi soper impedi-
mento cognationia spiritaalisc gewährt, so ist unter dieser Formel
nicht die Dispensfakultät einbegriffen, welche sich aaf die geistliche
Verwandtschaft bezieht, die zwischen dem Spender der Taufe und
dem Täufling kontrahiert wird, wie folgendes Dekret besagt:
Decretum Supremae CongregcUionis 5. 0. circa facuUatem dispensandi
super impedimenio cognationia spiritualis,
Feria IV die 8. Decembris 1902.
In Gongregatione Generali S. B. et Univ. Inquisitionis proposito
dubio : Utrum in fortntdiSy quibus concedi solet facultas dispensandi
super impedimento cognationis spiritualis j comprehendatur castus
cognationis spirüuaUis inter baj^igantem et baptiaatum^ in iisdem
formulis non praevisus: Eminentissimi ac Reverendissimi DD. Car-
dinales Inquisitores Generales respondendum decreverunt: Negative;
seu non posse, qui concessa per praedictas formülas facultate gaudent^
super impedimento cognationis spiritualis inter baptistantem et
baptieatum dispensare; idque communicandum cum omnibus quorum
interesse queat, atque in posterum expresse in formulis edicendum.
8i quae vero mairimonia cum huiusmodi dispensationCy vi earumdem
formülarum concessa forte hucusque contracta fuerint, ad omnem
circa eorum valorem quaesHonem dirimendam, supplicandum SSmo^
ut eadem in radtce sanata declarare dignetur.
Et sequenti feria VI, die 5 eiusdem mensis in solita audientia
R. P. D. Adsessori S. Ofticii impertita, SSmus D. N. D. Leo divina
Providentia Pp. XIII. relatam Sibi Ethorum Patrum resolutionem
adprobare, et pro sanatione in radice iuxta eorum Emorum Patrum
suffragia benigne annuere dignatus est. Contrariis quibuscumque
non obstantibus.
(Ex Arch. S. Congregationis de Propaganda Fide.)
4. Gewinnung Yon Abl&ssen seitens der Taubstummen.
Quamvis haec S. C. Indulgentiis Sacrisque Reliquiis praeposita,
ut suppleretur impotentiae, qua surdo-muti detineutur recitandi preces
ad lucrandas indulgenlias ininnctas, iara providerit per Generale De-
cretum diei 16. Februarii 1852. in quo edixit: ^Quod si agatur de
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und ^nticheidungen, 257
tyrivaiis orationibus, prqprii mtdorum et surdorum canfessarii valeant
easdem orcUiones commutare in alia pia opera aliquo modo mani-
feskUa, proiä in D.no expedire iudicav€rint€ ; nihilominus Episcopos
Chamberiensis animo revolvens surdo-mutos nunc perfectiori methodo
esse instractos, ut ipsi facilias et uberiori spirituali fructu Indolgen-
tias assequi valeant, sequens dubiam huic S. Congregationi dirimen-
dum exhibuit:
»Utrum expediat, ut surdo-mutis , quin in singulis casibus ad
proprium confessarium recurrant, per generale decretnm gratia con-
cedatur acquirendi Indulgentias , iniunctas preces signis, yel mente
fundendo, Tel tantum easdem legende sine ulla pronuntiationePc
E.mi Patres in generalibus Coroitiis ad Vaticanum habitis die
15. Jolii huius decarrentis anni responderunt :
Affirmative; et supplicandum SS.mo pro gratia, firmo manente
decreto generali diei 16. Febrnarii 1852.
In andientia vero habita ab infrascripto Card. Praefecto die
18. Julii anni praedicti, SS.mns sententiam Emorum Patrum ap-
probavit et petitam gratiam clementer elargitns est.
Datum Romae ei Secr. eiusdem S. C. die 18. Julii 1902.
S. Card. Gretoni^ Praef.
Pro jB. P. D. Franc. Sogaro Archiep. Amiden., Secr.
L. t S. los. M. Canonicus CoseUi^ Sub.tus.
5. Stiftangen ad pias causas and die Beehte des Bischofs
bezflglleh der Aufsieht Ober die Yerwaltimg derselben.
Die Zeitschrift »Pastor bonusc brachte vor einiger Zeit folgen-
den Rechtsfall, der von der römischen Konzilskongregation zu Gun-
sten des Bischofs entschieden wurde: Ein Priester hinterliess im
Testamente eine Summe Oeldes behufs Fundirung einiger Eaplaneien
mit der besonderen Bestimmung, dass die Eapläne in ihrer Gesamt-
heit die freieste Verfugung und Verwaltung haben sollten nicht min-
der als er selbst, mit Ausschluss aller Beehte einer Einmischung
von Seiten des Bischofs oder des hl. Stuhles. Der Bischof verlangte
nun, dass die Kapitalien bei ihm niedergelegt und ihm über die
sonstige Verwaltung Rechenschaft erstattet werde, zumal auch Mess-
verpflichtungen zu erfüllen seien. Auf die Weigerung der Kapläne,
sich seinem Willen zu fügen, legte er die Streitfrage der S. G. G.
zur Entscheidung vor. Diese entschied zu seinen Gunsten. Unter
den Gründen, welche der Consultor anführte, verdienen die folgenden
▲rehiv ftlr Kirohwureoht. LXXXIU. 17
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258 Kirchliche Aktenstücke
besondere Erwähnang. Eia Fall wie der vorliegende ist nicht allzo
selten. Deshalb bestinamte das Tridentiner Konzil bereits in seiner
22. Sitzung, Kapitel 9: »Sowohl die geistlichen als die weltlichen
Verwalter einer jeden Kirchenkasse, ebenso ?on Kathedralen, Hospi-
tälern, Braderschaften , Almosenstiftungen, der Leihhäuser und von
allen frommen Orten sollen gehalten sein, alljährlich dem Bischöfe
Rechenschaft über die Verwaltung abzulegen. Alle Herkommen und
Privilegien für das Gegenteil seien aufgehoben. Wenn zufolge eines
Herkommens oder Privilegiums oder irgend welcher Ortlichen Ein-
richtung die Rechenschaft anderen hierzu bestellten Personen abzu-
legen ist, soll zu dieser auch der Bischof beigezogen werden, und
anderweitig geschehene Befreiungen hiervon sollen den gedachten
Verwaltern in keiner Weise zu gute kommen.c Ferraris erläutert
diese Bestimmungen, gestützt auf einige Erklärungen der hl. Con-
gregation dahin, dass die Bischöfe, auch wenn der Testator sie aus-
drücklich von der Prüfung der Rechnungen ausschliesst , dennoch
berechtigt sind , die Verwaltung zu überwachen und die Verwalter,
im Falle sie es für notwendig erachten, zu entfernen befugt sind,
wie sie auch von ihnen selbst in dem Falle Rechnungslegung fordern
dürfen, dass der Verstorbene festgesetzt hat, sein Legat verliere seine
Geltung, im Falle der Bischof sich in die Verwaltung einmische und
Rechnungslegung von dem Administrator fordere. Das Gleiche er-
klärt Fagnanus zum Capitel Tua nobis de testam. Auf die Frage,
ob der Bischof, den der Akt der Stiftung von jeder Einmischung in
die Verwaltung, der Visitation, Mahnung u. s. f. ausschliesst, im
Falle der Nachlässigkeit seitens der Verwalter eingreifen dürfe, ent-
schied die hl. Congregation : Ja, er darf es. Diese Entscheidung
ward in der heiligen Concilscongregation am 10. Dezember 1695
von neuem bestätigt. Der Grund hierfür ist, dass die Pflicht der
Rechnungslegung eine von der höchsten Gewalt zum Besten der
Allgeroeinheit getroffene Massregel ist, weshalb ein privater Testator
dieselbe nicht unwirksam zu machen vermag. Damit wird aber der
Freiheit der Erblasser kein Eintrag getan. Wohl kann ein locus
pius von der Visitation ausgenommen werden (Trid. Conc. 22. Okt,
Kap. 8), aber nicht von der Verpflichtung« Rechnung zu legen;
denn wie könnte der Bischof sonst sein Amt ausüben, die Ausführung
frommer Legate zu überwachen? Nun ist zudem nach mehrfacher
Entscheidung der hl. Congregation die Verpflichtung, Rechnung zu
legen, eine geringere Last als die der Visitation des Bischofs, und
in einem ähnlichen Falle entschied die S. C. C. am 6. Juni 1750,
dass ein Hospital, welches der Visitation des Bischofs nicht unter-
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und EnUcheiäungen, ^&d
stand, dennoch, selbst gegen den Willen des Stifters, der Verp&ich-
tong unterworfen sei, Rechnung zu legen.
6. NaehträgUcli begehrte kirchliche Einsegnung bereits ge-
schlossener Mischehen.
(Verordn. des Bisch. GenenÜT.- Amtes xn Breslau Nr. 401.)
Über die Behandlung einer zwar gültig, aber unerlaubt ge-
schlossenen Ehe heisst es bei Heiner, Eherecht (Münster, 4. Aufl.
1900) S. 259 f.:
Ist eine Ehe giUtig, aber unerlaubt geschlossen, z. B. eine ge-
mischte Ehe an den nichtlridentinischen oder an den sog. benedik-
tinischen Orten vor dem akatholischen Religionsdiener, so bedarf es
einer Revalidation derselben nicht.
Doch kann der kirchliche Eheschiiessungsrüus, wie solcher für
gemischte Ehen in Deutschland toleriert wird, an dem betr. Paare,
obgleich eine gültige Ehe bereits besteht, auch noch nachträglich
vorgenommen werden, zumal wenn das Ärgernis nur durch Nach-
trauung gehoben werden kann ; jedoch soll dies geschehen mit Aus-
lassung der Eonsensabgabe, da ja ein verum matrimonium bereits
vorliegt, und mit vorausgehender Erfüllung gewisser Bedingungen,
welche der Pfarrer zu stellen hat. Der Moralist Eenrik^) schreibt
über die kirchliche Nachtrauung solcher Ehen kurz: *Non est iis
facile indülgendum, ut benedictio detur, vel ritus sacer peragatur,
quo se indignos praestiterunt ; nam Benedictus XIV. testatur, nuJ-
lam ab Ecclesia sölliciiudinem demonstrari^ ut ritus sacri sup^
pleantur, matrimonio valide contracto. Multo mintAS licet consensum
exigere vd excipere^ qnae ratio agendi errori faveret, quasi con-
tractus foret invalidus. Quod si verae poenitentiae indida exhi*
luerint et scandälum reparaverint, poterunt ritus expleri, nisi Frae-
stdi aliter visum fuerit.€
Soll demnach die kirchliche Nachtrauung, die hier nur in der
Ergänzung des kirchlichen Bitus besteht, stattfinden, so muss
1. der katholische Teil seinen Fehltritt bereuen und bekennen,
besonders durch den würdigen Empfang der hl. Sakramente dies an
den Tag legen.
2. Derselbe muss zuvor das gegebene Ärgernis gut zu machen
suchen, was besonders dadurch geschieht, dass die bereits vorhan-
1) Theol. mor. ed. Mechl. 1860. 1. 2 tr. 21. n. 188.
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260 Kirchliche AkiensHicke
denen Kinder schon jetzt in der katholischen Religion erzogen,
z. B. zur katholischen Schale geschickt werden etc.
3. Beide Teile müssen auch jetzt noch — event in einem
Revers — das Versprechen abgeben, sämtliche bereits vorhandenen
and noch zu erhoffenden Kinder in der katholischen Religion er-
ziehen zu wollen, und der protestantische Teil muss versprechen,
dem katholischen kein Hindernis in der Erfüllung der Religions-
pflichten in den Weg legen zu wollen.
4. Der Pfarrer unterbreite die Angelegenheit behufs Ent-
scheidung dem Bischöfe und bitte — unter Einsendung obigen Re-
verses bezüglich der katholischen Kindererziehung — um Instruktion
für den gegebenen Fall, »ut Ecclesiae a conjugibus satisfiatc ^), und
um die facultas absolvendi a censuris, da durch die protestantische
Trauung die Exkommunikation 1. s., die dem Papste besonders vor-
behalten ist, inkurriert wird, indem solche Katholiken durch diesen
Akt der Häresie Vorschub leisten*).
Als Bestätigung bezw. Ergänzung dieser Ausführungen möge
ein Erlass des Fürstbisch. General vikariats Breslau vom 21. Januar
1903 dienen, der seinem Wortlaute nach hier folgt:
Breslau, den 31. Januar 1903.
»Die 6en.-Vik.-Verordn. Nr. 242, VII (siehe Sammlung S. 240)
ist wiederholt so aufgefasst worden, als ob das dort empfohlene Ver-
fahren einer förmlichen Trauung gleichzuhalten sei. Dagegen spricht
die ausdrückliche Hervorhebung, dass die nicht coram parocho ca-
tholico geschlossene Mischehe, wenn sonst keine kanonische trennende
Bhehindernisse vorhanden sind, gültig ist. Ferner lassen obige Auf-
fassung als gegen den Sinn jener Verordnung gerichtet die beiden
weiteren Bestimmungen erkennen, dass diese Nachholung nicht als
Vorbedingung zum Empfange der hl. Sakramente betrachtet werden
dürfe, sowie dass es der Einholung der Dispense super impedimento
miztae religionis nicht bedürfe.
Daraus folgt ganz klar, dass die genannte Verordnung nicht
eine Wiederholung des ganzen Trauungsritus mit Konsenserklärung,
Ringwechsel und Zeugen, sondern lediglich eine Nachholung des
kirchlichen Segens im Auge gehabt und auch selbst diesen nicht
als durchaus notwendig geschweige denn als unerlässlich ange-
sehen hat.
Auch die Instructio de modo tractandi matrimonia mizta de
1) S. Off. 21. Jan. 1876 a. 12. Märt 1881.
2) S. Off. 29. Ang. 1888; Ygl. Der k. Seelsorger 1889. S. 163.
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und EnUeheidungen. 261
11. Febraarii 1893 schreibt deshalb unter den für die RekoDziliation
solcher Eheleute angeführten Bedingangen eine Nachtrauung nicht vor.
Um indes jedem weiteren Missverstftndnis vorzubeugen, will
ich hiermit bestimmen , dass , wenn sonst kein kanonisches trennen-
des Ehehindernis vorliegt, eine Nachtrauung mit Eonsenserklftrung,
Bingwechsel und Zeugen bei solchen Eheleuten nicht stattzufinden
hat, sondern höchstens auf deren Wunsch die Nachholung des kirch-
lichen Segens nach dem Wortlaute von Nr. 9, cap. 2 Tit. VIII des
Rituale Wratislaviense vorzunehmen ist, welchem die Psalmen und
Versikel aus cap. 4 vorhergeschickt werden kOnnen.c
Der Fürstbischof.
ff. Kard. Kopp,
7. Anstellmig der Organisten in Baden.
(Anzeigebl. f. d. Endiözese Freibarg Nr. 7. 1908.)
Verordnung.
Die Anstellung der Organisten betreffend.
Nr. 12460. unter Aufhebung unserer Verordnungen vom
22. Januar 1863 Nr. 720 und vom 29. Oktober 1868 Nr. 8153
(Erzb. Anzeigeblatt Nr. 17), soweit sich dieselben auf den Organisten-
Dienst beziehen, verordnen wir für den badischen Teil der Erzdiözese,
was folgt:
§1.
Bei allen künftigen Übertragungen von Organisten- Diensten ist
ein förmlicher Vertrag nach Massgabe des angeschlossenen Formulars^)
abznschliessen.
Auf Antrag bereits angestellter Organisten ist der Vertrag unter
Zugrundelegung dieses Formulars zu erneuem.
§2.
Zu § 3 des Vertrages ist das Diensteinkommen des Organisten
aufzuführen.
Dabei sind die einzelnen Bezüge nach den dienstlichen Ob-
liegenheiten, sowie nach Art und Betrag zu spezialisieren. Auch ist.
anzugeben, von welcher Stiftung oder Körperschaft sie geleistet werden.
Es werden nachbezeichnete Ansprüche als berechtigt anerkannt:
a) für Mitwirkung beim Gottesdienste:
1. in Pfarrkirchen
die Zugrundelegung einer Taxe von einer Mark für
jeden öffentlichen Gottesdienst, welcher kraft allge-
1) Siehe Enb. Anzeigeblatt 1901 Nr. 1.
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262 Kirchliche Aktenstücke
meiner kirchlicher Vorschrift, örtlichen Herkommens
oder besonderer kirchenobrigkeitlich erlassenen oder
genehmigten Anordnung stattfindet, und demgemäss
die Gewährung eines jährlichen Gehalts yon min-
destens eweihundert Mark für die Gesamtheit dieser
Leistungen.
2. in Filialkirchen
die Zugrundelegung derselben Taxe, wie nach Ziffer 1,
und demgemäss die Gewährung eines hiernach zu
bemessenden Jahresgehaltes.
Bei der Berechnung des Jahresgehaltes nach
Ziffer 1 und 2 bleiben solche Gottesdienste ausser
Betracht, für die regelmässig — z. B. bei Abhaltung
gestifteter Anniversarien oder bestellter Seelenämter
im Schülergottesdienst — eine besondere Gebühr
föUig wird,
b) für Abhaltung van Proben mit einem besonderen Kir-
chenchar
zu den in lit. a. erwähnten Gottesdiensten die Ge-
währung einer Vergütung von einer Mark für je
eine wöchentliche Probe in der Mindestdauer einer
Stunde, jedenfalls aber eine Gesamtvergütnng von
mindestens fünfzig Mark im Jahre, gegen folgende
Verpflichtung :
a. Aufrechterhaltung des Bestandes an bereits ein-
geübten Gesängen;
ß. jährliche Neueinübung von wenigstens ^tvei der
Leistungsfllhigkeit des Chores entsprechenden
mehrstimmigen lateinischen Messen (auch kann
unter besonderen Verhältnissen eine einstim-
mige gewählt werden), welche dem Zäzilien-
vereins-Eatalog oder den liturgischen Büchern
(Choral) zu entnehmen sind , oder, sofern be-
reits ein genügender Bestand von Messen ein-
geübt ist, die Neueinübung anderer für den
Gottesdienst geeigneter Gesänge aus den
gleichen Quellen in einem Umfange, welcher
der eben bezüglich der Einübung von Messen
bezeichneten Anforderung entspricht;
7. Einübung der für den öffentlichen Gottesdienst
erforderlichen deutschen Gesänge aus dem
»Magnifikatc;
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und Entscheidungen. 263
i. wärdiger Vortrag der Messen und sonstiger Ge-
sänge.
Etwa nötige Auslagen für Heizung und Beleuchtung
bei den Proben werden dem Organisten aus dem
örtlichen EirchenverroOgen ersetzt,
c) In Städten unter 8000 Einwohnern und in Landgemein-
den (unter Abänderung von Ziffer II des Erlasses
vom 8. Juni 1876, die Stiftungskapitalien fdr Mess-
stiftungen und die Gebfihren för deren Persolvierung
betreffend) für die Mitwirkung bei einem VotivanUe
und bei einem Seelenamt eine Gebühr von ein^r Mark,
§3.
Werden ausserordentliche musikalische Leistungen verlangt« so
ist dafür ein besonderes Honorar zu vereinbaren.
Handelt es sich hierbei um regelmässig wiederkehrende Dienste,
so ist unsere Genehmigung durch Vermittelung des Katholischen
Oberstiftungsrates einzuholen.
Über die eventuelle Mitwirkung des Organisten oder Chor-
dirigenten bei Begräbnissen und die dafür zu entrichtende Ver-
gütung ist zwischen Pfarramt und Stiftungsrat einerseits und dem
Organisten (Chordirigenten) anderseits ein besonderes schriftliches
Übereinkommen abzuschliessen , dessen Genehmigung wir uns vor-
behalten.
Nach Lage der örtlichen Verhältnisse bereits genehmigte höhere
Bezüge bleiben in Geltung.
Wo die Gewährung höherer als die in § 2 bezeichneten Be-
züge in Rücksicht auf umfang und Beschaffenheit der Leistungen
künftig angemessen erscheint, und die Mittel vorhanden sind, wer-
den wir die Genehmigung dazu nicht versagen.
Bei Unzulänglichkeit der verfügbaren Stiftungsmittel bleibt für
die Gewährung der normierten Bezüge Beschlussfassung der Eirchen-
gemeinde bezw. Kirchengemeindevertretung gemäss Art. 2 Absatz 2
Ziff. 3 und Art. 8 des Ortskirchensteuergesetzes ^) vorbehalten.
1) OrtskircheDsteuergesetz Art. 2. »Zar Bestreitoog der f&r die öffent-
liche ReligionsQbang der Qemeinde erforderlichen AnsgMien — der örtlichen
kirchlichen Bedürfnisse — können die Kirchengemeinden von ihren An-
gehörigen Steaem (Umlagen) fordern, für deren Erhebung die Hilfe der Staats-
gewalt anter den Voraassetiangen and nach Massgabe der Bestimnanngen dieses
uesetzes gewährt wird.
Als örtliche kirchliehe Bedürfnisse sind jedenfalls aniosehen:
3. Belohnang der sogenanoteii niederen kirchlichen Bediensteten
(Küster, Organisten etc.).«
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264 Kirchliche Aktenatücke
Wo es nicht möglich ist, die Mittel zur Gewährung der in
§ 2 bezeichneten Bezüge zu beschaffen, behalten wir uns die Ent-
scheidung ?or, ob eine Einschränkung des Unafanges der pflicht-
massigen Leistungen des Organisten eintreten kann.
§5.
Als Gottesdienste, welche kraft allgemeiner kirchlicher Vor-
schrift stattfinden, sind jedenfalls anzusehen :
a) die Vorroittagsgottesdienste am Aschermittwoch, an den
drei letzten Tagen der Karwoche, den drei Tagen der
Bittwoche, in der Fronleichnams-Okta? und an Allerseelen,
b) die Abendandachten in der Fastenzeit (6) , der Charwoche,
der Fronleichnams-Okta? und am Sylvesterabend,
c) eine der wöchentlichen Schülermessen als Singmesse.
§6.
Dem Organisten steht alljährlich Urlaub in der Gesamtdauer
von drei Wochen mit drei gewöhnlichen Sonntagen, jedoch keinem
Feiertage, zu.
Er wird für die Qrlaubszeit soweit nötig nach Möglichkeit für
Stellvertretung sorgen, für deren eventuelle Hooorierung er jedoch
nar dann aufzukommen hat, wenn sein fixer Gehaltsbezug die in
§ 2 normierten Sätze übersteigt.
Der Organist ist verpflichtet, dem Pfarramte über Beginn and
Dauer seiner Abwesenheit so frühzeitig vorher Anzeige zu machen,
dass die etwa erforderlichen gottesdienstlicheu Anordnungen recht-
zeitig getroffen und verkündigt werden können.
§7.
Ist der Organist Lehrer, so erlischt der Vertrag mit dessen
Abzug auf eine auswärtige Dienststelle.
Als wichtige Gründe zur Kündigung des Vertrages ohne Frist
(§ 626 des Bürgerlichen Gesetzbuches^) gelten jedenfalls: sitten-
oder religionswidriges Verhalten des Organisten, andauernde Ver-
Artikel 8. »Für die Erhebang einer kirchlichen Steuer bedarf es
eines auf Vorschlag der Behörde, welche das örtliche KirohenTermögen ver-
waltet, gefassten Beschlusses der Kircbengemeindeversaromlung bexiehungsweise
der Qeroeindevertretnng.
Ein solcher Beschluss hat sowohl den durch Umlage aufsubringenden
Betrag als die Art der Verwendung su bestimmen.
Derselbe unterliegt der staatlichen Qenehmigung.«
1) Bürgerliches Gesetzbuch § 626: »Das DienstTerhaltnii kann Ton jedem
Teile ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn ein wich-
tiger Grund Torliegt.«
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und Enticheidimgen, 265
letzang seiner vertragsmftssigeD Dienstpflichten, ungehorsam gegen
dienstliche Anordnungen diesseitiger Behörde.
§8.
Die Verträge sind in vierfacher Ausfertigung behufs Prüfung
und- Erwirkung unserer Genehmigung dem Katholischen Ober-
stiftungsrate vorzulegen.
Nach erfolgter Genehmigung des Dienstvertrages weist das
Pfarramt den Organisten unter Aushändigung der für ihn bestimmten
Vertragsfertigung in seinen Eirchendienst ein und übergibt ihm gegen
Beurkundung das vorhandene kirchenmusikalische Inventar.
Über die geschehene Diensteinweisung ist uns Anzeige zu
machen und der örtliche Stiftnngsrat zu verständigen.
§ 10.
Kommt ein schriftlicher Vertrag gemäss § 1 fi. dieser Ver-
ordnung nicht zu Stande, so bewirkt die tatsächliche Zulassung einer
Person zur Besorgung des Organistendienstes durch Pfarramt und
Stiftungsrat bloss die Pflicht zur nachträglichen Bezahlung von Ge-
halt und Gebühren nach den ortsüblichen Sätzen insoweit, als der
Organist die in § 2 des Vertragsformulars bezeichneten Verpflich-
tungen jeweils nachweisbar erfüllt, bezw. die besonders zu vergüten-
den Dienste geleistet hat.
Die Kündigung kann in diesem Falle jederzeit vom Pfarramt
und Stiftungsrat nach eingeholter diesseitiger Genehmigung ge-
schehen (§ 623 des Bürgerlichen Gesetzbuches).
Hiervon ist bei Weigerung, einen schriftlichen Vertrag wie
vorgeschrieben abzuschliessen, dem Organisten schriftlich Mitteilung
zu machen und, dass dies geschehen, uns anzuzeigen und zu den
Stiftungsratsakten ordnungsgemäss zu beurkunden.
§11.
Für die Organisten vertrage sind Impressen zu verwenden, auf
welchen gegenwärtige Verordnung dem Vertragsformular beige-
druckt ist.
„ .. , 19. Dezember 1900
^^^»»^"^8, den 5, M&rz 1903.
Ergbischöfliches Ordinariat,
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266 Kirchliche Ahiemiücke
8. PersoMenuig gestifteter Messe.
Messfundationen sollen keine Last, sondern eine Wohltat für
die Kirche, in welcher sie gestiftet werden, sein. Jedenfalls mnss
diese Intention des Stifters präsumiert werden. Unter dieser An-
nahme ist die Entscheidung der römischen Eonzilskongregation vom
24. März 1902 zu verstehen, wornach dem Fürstbischöfe von Breslaa
gestattet wurde, im Falle gestiftete Messen nicht von den Rektoren
der betr. Kirche gelesen werden können, nur das entsprechende
Stipendium fär den Oeistlichen abzugeben, dagegen den für die
Kirchenfabrik, Mesner etc. bestimmten Teil diesen zu belassen. Die
diesbezügliche interessante Causa, wie sie von den Analecta eccle-
siastica gebracht wird, lautet:
Qeorgius Cardinalis Kopp, Princeps Episcopus Wratislavieusis,
haec humillime exponit: »Die 23. Septembris 1895 S. Gongr. Con-
cilii ad dubium B.mi Archiepiscopi Coloniensis:
»„utrum, quando missae fundatae transmittuntur ad Curiam
Archiepiscopalem , praeter stipendia missarum transmitti etiam de-
beant portiones ex reditibus fundationum assignatae fabricis, eccle-
siae ministris, sacristis, organistis etc. in missis cantandis vel etiam
legendis aliquo modo cooperantibus , vel potius eisdem relinquiP'
respondit: .portionem fabricis ecciesiarum legitime assignatam ipsis
posse remanere"*.
»Cum dein R.mus Episcopus Hildesiensis sub die 1. Octobris
1895 supplicasset, ut pro aedituis quoque ceterisque ministris portio
posset retineri, S. Congr. Concilii die 21. lanuarii 1896 respondit:
»9 pro missis lecüs retineri posse favore ministrorum et ecclesiae
inservientium eam redituum portionem, quae in limine fundationis vel
alio legitime modo ipsis assignata fuit, independenter ab opere spe-
ciali praestando pro legati adimplemento.
»Quod ultimum rescriptum etiam fundationibus Archidioecesis
Colonien., quippe in qua eaedem rationes valerent, applicari posse,
eadem S. Congregatio sub die 8. Augusti 1896 benigne indulsit.
»Porro eaedem prorsus rationes pro fundationibus dioecesis
Wratislavien. , valent ei accedit, quod portiones ex missis fundatis
tarn legendis quam cantandis sacristis et praesertim organistis com-
petentes a Regio Gubernio plerumque (ni semper) ut pars salarii
dictis personis competentis numerantur, ita ut, quando parochns im-
peditus quominus fundationes in propria parochia persolvat, simu!
cum missis totum Stipendium, i. e. omnes reditns respectivae funda-
tionis transmittere deberet, portiones sacristis, organistis aliisque
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und ßnUd^iäungen. 267
personis assignatas iisdem ex propriis cum proprio damno restitnere
cogeretor.
»Hinc boraillime petere audeo, ut:
»«parochi impediti, quoininus missas fundatas tarn legendas
quam cantandas in propria parochia persolvant, solum eani portio-
nem redituam ad Curiam Episcopalem transmittere debeant, qnae
ipsis taroquam fuodatioDem persolventibns competit, portiones vero
tarn ecciesiis quam organistis, aedituis, aliis personis aliquo modo
cooperantibas, paaperibusque assignatas pro iisdem retinere possint^'t.
Ad has litteras B.mi Bpiscopi repositum fiiit ab H. S. G. sob
die 24. Martii 1902 — videri, rescripta diei 23. Septembris 1895
Archiepiscopo Coloniensi et diei 1. Odobris eiusdem anni Episcopo
Hildesiensi coneessa ecUenus extendi non passe ut ex reditibus fun-
dationum detrahatur Stipendium pro opere quod minime praestatur.
Betinendutn enim est in casu exposito, Stipendium persolvi debere a
parochis qui forsan Missas fundatianum minime celfSbrant eo quod
abfinde pinguiores habent eleemosynas.
B.mus Episcopas baec reposuit:
»Porro exposoi in snpplici libello citato easdem prorsus ra-
tiones a R.mis Antistitibas Coloniensi et Hildesiensi pro suis re-
spectivis dioecesibus allatas valere eodem modo pro dioecesi Wra-
iislaviensi. Permittant, quaeso, E.mi Patres, ut eas in succo repetam ;
et quidem
>1. Fundatores, qni in stabiliendis legatis piis certos reditns
ecciesiis assignarnnt, certo certius liberalitate sua ecciesiis suis, non
alienis, snbvenire intenderunt. Hinc haec portio fabricis quasi ex
titulo iustitiae coropetere videtur.
>2. Bcclesiarum benefactores fandationibus suis etiam susten-
tationi ministrorum snccurrere studuerunt, ita ut proventus earum
partem efficiant congruae ipsis competentis, qua ipsos spoliare aequnm
non videtur.
»3. Exposui has portiones tum fabricis tum ecclesiarum ministris
competentes Regio Onbernio notas ab ipso tamquam partem salarii
dictis personis competentis coroputari, ita ut parochus lege civili
cogatnr, ut has portiones sive fabricis sive ministris restituat, si
omnes reditus fundationum, quas ipse persolvere nequit, transmittere
debet. Et hoc quidem bene quoad illos parochos, de quibus S. Con-
gregatio in litteris d. d. 24. Martii a. c. (^) supponit, «qui forsan
missas fundationum minime celebrant eo quod aliunde pinguiores
habent eleemosynas". Quod quidem non licere nemo ignorat, et
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268 /kirchliche Aktenstücke
iuxta taliter agentes poenas luent. Sed quid qooad illos parochos,
qui quotannis 300, 400, 500 et plura sacra fundata persolvere de>
bent? Quid quoad illos, qui tot spiritualibus necessitatibus vivonim
suorum parocbianorum succurrere debent, ut ipsis pro omnibns missis
fnndatis persolvendis dies non suppetant? Et credo suppoui posse
hanc esse mentetn S. Congregationis , ut parocbns primo loco ne-
cessitatibus spiritualibus vivorum parocbianorum provideat, ut seil.
primo loco manualia persolvat pro praegnantibus , pro aegrotis, pro
rooribundis, pro receuter mortuis etc. et dein missas fundatas. Et
si hoc, debetne parochus eo quod caritatis ni dicam iustitiae officia
erga vivos parochianos satisfaciat, detrimentura subire, quia non pot-
est simul missas fundatas persolvere, et nihilominus portiones ec-
clesiae ministris competentes ipsis ex propriis corapensare debet?
>4. Tandem ne illud praeterire videar .non posse detrahi ex
reditibus fundationum Stipendium pro opere quod minime praestatur*
— ecclesia, seu fabrica ecclesiae idem omnino praestat sive missa
fundata persolvatur sive manualis, seil, praestat paramenta, vinuro,
bostiam, candelas aliaque ad missam necessaria, organista pulsat
Organum, sive missa fundata persolvatur, sive manualis; item aedi-
tuus vestit parochum et parat necessaria, pueri inserviunt missae,
sive fundata persolvatur sive manualis, quippe qui quotidie officio
suo consueto fungi teneantur. Hinc patet, fructum fundationum non
solum tamquam remunerationem servitii in fundatis missis exbibendi,
sed etiam tamquam meliorationem salarii deberi aestimari, et in-
super per transmissionem missarum fundatarum neque tolli opus
neque imponi, si excipias solum parochum celebrantem. At si hoc,
suscipientes fundationem, si semper excipias parochum seu sacerdotem
persolventem, carent titulo quo mercedem recipiant, et non est, cur
transmittentes, si iterum excipias parochum, qui missam persolvere
debet, fructibus sibi competentibus frustrentur.
»Haec iterum examini S. Gongregationis Concilii subiicienda
dnxi et omni qua par est reverentia et obsequio iterum petere aodeo:
>1. gratiosam condonationem pro praeterito, quatenus hucusque
absque indulto S. Sedis aliter gesserint parochi;
>2. ut pro futuro parochi impediti, quominus missas fundatas
tam legendas quam cantandas per seipsos persolvant, solum eam
portionem reddituum ad Curiam Episcopalem transmitierc debeant,
quae ipsis tanquam fundationes persolventibus competit; portiones
vero tam ecclesiis quam organistis, aedituis, aliis personis aliquo
modo cooperantibus , pauperibusque assignatas pro iisdem retinere
t€.
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und BnUcheidungen. 26d
Qaoad preces E.mi Episcopi haec mihi, de more, advertenda
yidentar. — Equidem patet, quamlibet stipis «listractionem in aliuro
usam licet pium, mentis offerentium commutationem secumferre;
eodem modo qao commutatio adest coro celebratio io loco ab obla-
toribus haud desigoato perficitur. Ne a piis elargitionibus erga Ec-
clesiam fideles semovereotar, ob frequentes volantatum defunctoraro
commntatioDes, Ganones solemniter praeceperant, pias foDdationes vel
altimas morientiam voluntates religiöse servandas esse; Gan. Ultima
voluni. dist. 13 q. 2; Glement. Quia conüngü 2 de rdig. domib.;
Caput 8% haeredes et Tua nobis de Testam.
Gam tarnen ob effraenatas hominara cupiditates innameris in-
commodis Missarnm stipendia occasionem praebnerint, plures ad baec
removenda ab Ecclesia sanctissimae leges ac decreta diversis tempo-
ribas lata fnerunt; qnae diligenter a Benedicto XIV. Instit. tlcdes, 66;
De Synod. Dioeces. lib. 5 cap. 9; De Sacr. miss. lib. 3 aap. 21
recensentnr. Item Gonc. Trid. Sess. 22, Decret. de observai. et rit.
in celebrat Miss, decretum: »Gum maltat. Unic Goncilii decreto
accessernnt celebres illae H. S. Gong, declarationes sea Decreta de
celdrtraüone Missarum ürbani VIII anctoritate editae die 21. lunii
1625 per Gonst. qnae incipit »Cum saepe contingatt^ ac postea ad-
ditis aliis resolntionibns ab Innocent. XIl., decimo Kai. lan. 1697
edita est Gonst. quae incipit ^Nuper innavata et c(mfirmata€; et
Epistola Encyclica a Bened. XIV. qnae incipit >Quanta cura€^ diel
30. lunii 1741; et nuper, ut alia omittamus, Decretum datum est
ab H. S. G. die 25, Maii 1893 ita conceptum:
»Vigilanti studio convellendis eradicandisque abusibus missarum
celebrationem spectantibus ... Ad cohibendam pravam quornudam
licentiam qui ad ephemerides, libros aliasque merces facilius cum
clero commutandas missarum ope utebanlur . . . Propositis namque
inter alia sequentibus dubiis:
»III. An, buiusmodi eleemosynarum collectiones et erogationes
tunc etiam improbandae et coercendae, ut sapra, siut ab Episcopis,
quando lucrum, quod ex mercium cum eleemosynis permutatione
hauritur, non in proprium coUigentiura commodum, sed in piarum
institutionum, et bonorum operum usum vel incrementum impenditur;
»IV. — An liceat Episcopis sine speciali S. Sedis venia ex
eleemosynis missarum, quas fideles celebrioribus Sanctuariis tradere
solent, aliquid detrahere, ut eorum decori et ornamento consulatur,
quando praesertim ea propriis reditibus careant: In peculiari con-
ventu an. 1874 S. G. resolvit: Ad III. Affirmative. Ad IV. Nega-
tive, nisi de consensu oblatorum.
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270 Kirchiiche Aktenstücke
»Sed cum postremis hisce annis constiteriot salatares huinsroodi
dispositiones ignorantia aut malitia neglectas fuisse . . . E.rni Patres
S. G. ... in daplici generali conventa officii sui esse dnxerant, quod
pridem decretam erat in plenam observantiaro, denao apud omoes
revocare . . .
»Praeterea iidem E.mi Patres inhaerentes dispositionibus a
Romanis Pontificibus» ac praesertim ab Urbano VIII. et iDoocentio XII.
in Const. Cum saepe, alias datis, sub gravi obedientiae praecepto
decernnnt ac mandant nt in posternm omnes et singoli nbique
locorum beneficiati et administratores piaruro causarnm ant atcamqne
ad missarum onera implenda obligati, sive ecciesiastici sive laici, in
fine cninslibet anni missaram onera qoae reliqoa snnt, et quibus
nondnn) satisfecerint propriis Ordinariis tradant inxta moduro ab iis
definienduro.
»Denique, revocatis qaibuscnmqne indultis et privilegüs nsque
nunc concessis, quae praesentis decreti dispositionibus utcumque ad-
versentur, S. C. curae singulorum Ordinariornm committit, ut prae-
sens decretum omnibns ecciesiasticis . . . notum sollieite faciant . . .c
Bpistola Circularis H. S. C. diei 28. Aug. 1897, ad Ordinarios
Italiae directa, denuo inculcat strictam observantiam anterioris de-
creti, necnon decretorum (Drbaniani et Innocentiani) iaro citatorum.
Allata testimonia licet de missis manualibus intelligi videantur, at-
taroen ex rationis identitate etiam ad pias missarum fnndationes re-
ferri debent.
Hisce in iure praeiactis, cum B.mus Episcopus ad Pontificem
confugerit, videndum est an causae adsint ut eins preces admittantur.
Tales causae non apparent eo magis in themate in quo cum agatur
de absolutione quoad praeteritum et de dispensatione quoad fnturum,
ea agendi ratio videtnr opposita allatis constitutionibus, ideoque tole-
rari band posse.
Etenim Rectores ecciesiarum et sacerdotes eisdem addicti, non
solum habent ins celebrandi missas in respectivis ecclesiis fundatas;
sed imprimis, nominatim Rectores, habent strictam obligationem illas
celebrandi aut curandi nt per alios celebrentur, et hac conditione
praesumuntur ab initio acceptae. — Missae fundaiae, non sunt or-
dinatae ad supplendum defectui missarum adventitiarum , sed hae
potius acceptari possunt ad supplendum illarum defectui; ita ut si
Rectores ecciesiarum illis, sive per se sive per alios, satisfacere non
possint, has non licet illis acceptare, nisi sub conditione easdem
tradendi aliis cum integro atipendio accepto. Clara bac in re est
citata Const. Inuocent. XIl. ubi ita legitur: »Eleemosynas vero ma-
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und ^ischeidungen. 2^1
Duales et quotidianas pro Missis celebrandis ita demaoi iidem ac-
cipere possint, si oneribus antea impositis ita satisfecerint, ut Dova
qaoque onera suscipere valeant^ alioquin omnino abstineant ab
haiasmodi eleemosynis, etiam sponte oblatis/ in futurum recipiend ist.
Et boc consonum esse videtur fundatorum menti, tum quia in bis
stabiliendis legatis piis noo aliter intendeiunt implicite vel explicite
quandam portionem ex fructibus fundationum ecciesiae fabricae as-
siguare, nisi mediante missarum applicatione in eadem; tum quia
semper, inxta effatum, qui prior est tempore potior est iure. Igitnr,
cum redituum portio alicui Ecciesiae ob Missarum celebrationem
assignata consideretur tamquam accessorium propter principale, si
missae fundatae ob aliquam iustam causam ad alium locum trans-
mittantur, praeter stipendia missarum (quod est principale) transmitti
etiam debet portio ex fundationis fructibus fabricis seu Ecciesiae
ministris assignata, quod est accessorium. Nam yalet contractus do
fU facias^ dum coutrarium non constat.
Sed e converso in themate favore supplicantium animadver-
tendum est bonam fidem illis suffragari ut condonationem quoad
praeteritnra consequantur, uti passim S. C. Congr. indulgere solet,
si pia opera absque culpa non fnerant impleta, neque superest ei
quo impleri possint.
In puncto autem dispensationis quoad futurum advertendum
est Trid. Synod. Sess. 23 cap. 6 de Ref. ; H. S. C. Conc. in Taurinen.
1, Mariii 1877, et Lucana 14, Decembris 1893 nos edocere, ad
voluntatis commutationem concedendam generatim sufficientes causas
esse necessitatem vel evidentem Ecciesiae tUilitatem, maxime si com-
mntatio voluntatis fuerit temporanea; neque raro contingit ut legata
pia seu missae reducantur aut suspendantur, quando prospici debeat
templi reparationi aut domibus beneKciarii aliisque beneficiornm ne-
cessitatibus , ut penes S. G. Conc. in Vüerbien, 2. Martii 1765 et
1874; in Leodien., 18. Maii 1776; in Syracusana 8. Febr. 1773 et
passim. Ob Ecciesiae utilitatem non reduci tantum sed supprimi
etiam missarum onera monet Amostazus De causis piis libr. 1.
cap. 14 n. 1, Et merito quidem; quia haec missarum legata praeter
rationem suffragii, habent rationem eleemosynae et subsidii pro ec-
ciesiae necessitatibus et ministris.
Unde, cum in casu non agatur nisi de quadam portione de-
trahenda quamvis inibi Missae non celebrarentur, uti hucusque
factum est, in subsidium divini cultus, ministrorum, pauperum loci,
aliarumque spiritualium necessitatum ob parocborum impotentiam ea
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272 ttircktiche Aktenatücke
satisfaciendiy videtar adesse causa iasta at E.mi Episcopi petitioni
annuatar.
Tandem iniquum videretur parochis invitis contra praxim
bucusque observatam quae plnrimi facienda est uti optima mentis
fundatoris interpres, (Lotter. de re benef, h 7. q. 11 n. 125; Bota
decis. 62 n. 3 part. 10) noYum onus imponere dictam portionero
solvendi, ob impotentiam celebrandi missas fnndatas sive in featis
diebus in qaibus pro popnlo sibi concredito oiferre debent, sive in
pauperum funeribus , aiüsque solemnitatibus quae aliter cum populi
scandalo forsan non celebrarentur, sive ob aliam rationabilem causam,
non ex desiderio pinguioris stipendii ut patet, promanantem, sed
potius ex penuria sacerdotnm, et ex proprio officio.
Quare si fnndatores id praevidissent , aliter de sna substantia
disposuissent, Beiffenstuel De testam. n. 804, et S. H. C. in jSWrina,
Trand. 10. Sept. 1803. Hinc valida concedendae gratiae causa ex
praesumpta oritur fundatoris voluntate.
Hisce hinc inde pro meo munere animadversis , Sapientia EB.
PP. deliberabit an locus sit condonationi aut cuique alii provisioni.
Quare etc.
E.mi Patres rescripserunt : Praevia sanatione quoad praeUrüum
pro facuUate iuxia petita^ et ad meniem.
9. Gesehäfts-Anweisnng für die katholisehen Kirehen-Yor-
stände and Gemeinde-Tertretnngen in der Diözese Mfinster
vom 15. August 1902.
Im Einvernehmen mit den Herren Oberpräsidenten der Provinz
Westfalen und der Rheinprovinz erteile ich hierdurch auf Qrund der
§§ 42 und 44 des Gesetzes vom 20. Juni 1875 fQr die katholischen
Kirchen vorstände und Gemeindevertretungen in der Diözese Münster
die nachfolgende Geschäftsanweisung.
I. Allgemeine Bestimmungen
(zu den §§ 13—19, 22—24, 31 und 33 des Gesetzes).
Artikel 1.
Funktionen des Vorsitzenden.
Der Vorsitzende des Eirchenvorstandes bezw. der Gemeinde-
vertretung hat in den Sitzungen die Verhandlung zu leiten, die
Reihenfolge der Beratungsgegenstände und der Abstimmungen zu be-
stimmen, für die Protokollführung durch ein Mitglied des Eirchen-
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und Mntscheidungen, 27d
Vorstandes bezw. Gemeindevertretung zu sorgen, auch die Ruhe und
Ordnung in den Sitzungen aufrecht zu erhalten.
Erfolgt ausnahmsweise die Zuziehung eines besonderen Schrift-
führers, so muss das Protokoll nicht nur von diesem Schriftführer,
sondern auch von dem Vorsitzenden und von mindestens zwei Mit-
gliedern des Kirchenvorstandes bezw. der Oemeindevei tretung unter-
schrieben werden.
Artikel IL
Oesehaftaverteüung. Ausfertigung,
Der Vorsitzende hat für den ordnungsmässigen Fortgang der
Geschäfte des Eirchenvorstandes, bezw. der Gemeindevertretung, für
gründliche Vorbereitung der Beratungsgegenstände, sowie für die
Ausführung der Beschlüsse Sorge zu tragen. Er kann dabei die
Mitwirkung der übrigen Mitglieder in Anspruch nehmen. Der Vor-
sitzende bestimmt die Geschäftsverteilung. Die Berichte, Schreiben
und Erklärungen des Eirchenvorstandes gehen unter der Unterschrift
des Vorsitzenden allein, sofern es sich nicht um Willenserklärungen
der im § 19 des Gesetzes bezeichneten Art handelt, oder für einzelne
Fälle im Wege der Geschäftsanweisung etwas anderes bestimmt
wird.
Artikd IIL
Amtaverschwiegenheit.
Die Mitglieder des Eirchenvorstandes bezw. der Gemeinde-
vertretung sind zur Verschwiegenheit über solche Angelegenheiten
verpflichtet, welche von der staatlichen oder kirchlichen Aufsichts-
behörde oder durch ausdrücklichen Beschluss der Versammlung als
vertraulich bezeichnet werden.
Artikel IV.
Veraammlungalokal.
Die generelle Bestimmung des regelmässigen Lokals für die
Sitzungen bleibt der Beschlussfassung des Eirchenvorstandes bezw.
der Gemeindevertretung vorbehalten. Ausnahmsweise kann der Vor-
sitzende, wenn er aus besonderen Gründen die Abhaltung einer
Sitzung in dem regelmässigen Sitzungslokale für untunlich erachtet,
unter kurzer Angabe des Grundes die Sitzung in einem anderen,
von ihm zu bestimmenden Lokale anberaumen. Auch in diesem
Falle sind die Kirchenvorsteher bezw. Gemeindevertreter verpflichtet,
der Einladung unbedingt Folge zu leisten. Die Abhaltung der
Eirchenvorstandssitzungen in Wirtshäusern ist unzulässig. Auch die
Gemeindevertretungen dürfen ihre regelmässigen Sitzungen ohne Ge-
Archiv Ar Rireh«ir«ebt. LXXXUI.
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2?4 kirchticke Aktenstücke
nehmigang der kirchlichen Aufsichtsbehörde in Wirtshäusern nicht
abhalten. Die Abhaltung der Sitzungen ist nur mit Zustimmung
des Pfarrers zulässig.
Falls durch Beschluss des Eirchenvorstandes regelmässige
Sitznngstage festgesetzt werden (§ 13 des Gesetzes)^ so müssen die-
selben in jedem Monat wenigstens einmal stattfinden. Auch zu
diesen regelmässigen Sitzungen sind die Einladungen den Mitgliedern
des Kirchenvorstandes, wenn der Beschluss der Zustimmung der Ge-
meindevertretung bedarf, schriftlich unter Angabe des Gegenstandes
spätestens am Tage vor der Sitzung zuzustellen (§ 16 des Gesetzes).
Artikel F.
Registratur.
Der Eirchenvorstand hat dafür zu sorgen, dass ihm die Akten
und Dokumente, welche sich auf das kirchliche Vermögen (§ 8,
Nr. 1 — 1 des Gesetzes) beziehen, von etwaigen anderen Verwaltern
desselben namentlich den Pfründen-Inhabern überliefert werden. Im
Falle der Weigerung hat er sich an den Eöniglichen Regierungs-
Präsidenten oder an die Bischöfliche Behörde zu wenden. Beziehen
diese Akten pp. sich auf die zur Besoldung der Geistlichen oder
anderer Eirchendiener bestimmten Vermögensstücke (§ 3 Nr. 1), so
hat der Eirchenvorstand die Einsicht der Akten pp. dem jeweiligen
Inhaber der betreffenden Stelle jederzeit zu gestatten. Für die Auf-
bewahrung der Akten pp. ist von dem Eirchenvorstande ein ge-
eignetes Lokal zu bestimmen. Für die Ordnung der Registratur ist
der Vorsitzende verantwortlich.
Artikel VI.
Beschlussfähigkeit.
Wenn die Mitglieder des Eirchenvorstandes bezw. der Ge-
meindevertretung zu einer gehörig berufenen Sitzung nicht in be-
schlussfUhiger Anzahl erschienen sind, so hat der Vorsitzende unter
Hinweis auf die §§ 37, 38 und 46 des Gesetzes die Mitglieder noch-
mals zu einer zweiten Sitzung ordnungsmässig vorzuladen. Erscheinen
die Mitglieder auch dann nicht in beschlussfähiger Anzahl, so ist
dies sowohl dem Eöniglichen Regierungs-Präsidenten, als der Bischöf-
lichen Behörde durch den Vorsitzenden anzuzeigen.
AHikel ril.
Neuvodhlen,
Der Vorsitzende des Eirchenvorstandes ist dafür verantwort-
lich, dass die Wahlen rechtzeitig vorgenommen werden.
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und tintscheidtmgen. ^'ih
Die Wahlperiode beträgt drei Jahre und ist jedesmal vom
1. Oktober des ersteo Jahres in dem betreffenden Triennium zu be-
rechnen, gleichviel an welchem Tage die Wahlen stattgefunden
haben oder die Gewählten in Wirksamkeit getreten sind. In den
Jahren 1902, 1905, 1908 u. s. w. finden regelmässig Neuwahlen
«tatt. Zum Zweck der Neuwahlen ist mit Aufstellung der Wahl-
liste so fräh zu beginnen, dass dieselbe spätestens zum 15. August
des betreffenden Jahres offen gelegt wird. Dem Protokollbuche des
Kirchenvorstandes wie dem der Oemeindevertretung ist ein Verzeich-
nis der Kirchenvorsteher bezw. der Gemeindevertreter beizufügen,
ans welchen zugleich deren Wahlperiode ersichtlich ist. Nach jeder
Neuwahl ist das Verzeichnis zu ergänzen.
Vorstehende Bestimmungen finden keine Anwendung auf die-
jenigen Kirchenvorstände, welche etwa nach § 38 des Gesetzes auf-
gelöst werden sollen. In solchen Fällen wird vielmehr von Auf-
sichtswegen die erforderliche Anordnung wegen der Neuwahlen er-
lassen werden.
Neu eintretende Kirchenvorsteher und Gemeindevertreter sind
in der ersten Sitzung des Kirchenvorstandes bezw. der Gemeinde-
vertretung, an welcher sie teilnehmen, vor Eintritt in die Geschäfte
durch den Vorsitzenden in ihr Amt einzuführen und auf treue Er-
füllung ihrer Obliegenheiten mittels Handschlags zu verpflichten
(§ 31 des Gesetzes). Die Namen ausgeschiedener und neugewählter
Kirchenvorsteher und Gemeindevertreter, sowie neugewählter Vor-
sitzender sind alsbald nach stattgehabter Wahl dem Königlichen
Regierungs- Präsidenten und der Bischöflichen Behörde anzuzeigen.
IL Besondere Bestimmungen.
A. Inventar.
(§11 des Gesetzes.)
AHikel rill.
Das Inventar ist die Grundlage des Voranschlags und der ge-
samten Verwaltung des kirchlichen Vermögens. Auf die Aufstellung
des Inventars, die Prüfung seiner Vollständigkeit und auf die regel-
mässige Berichtigung desselben ist daher besondere Sorgfalt zu ver-
wenden.
In das Inventar sind alle zum kirchlichen Vermögen gehören-
den unbeweglichen und beweglichen Vermögensstucke gemäss § 3
Nr. 1—4 des Gesetzes in der dort beobachteten Reihenfolge einzu-
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276 kirchliche AkiensUUke
tragen. Das Inventar mass demgeraäss mindestens nachstehende
vier Abteilangen nmfassen, nämlich:
1. Kirchen vermögen (einschliesslich derzaEultuszwecken dienen-
den Bezüge),
2. Pfarrvermögen,
3. Kaplanei, Vikarie- Vermögen,
A. Eüsterei-Vermögen and
5. Organistensfonds,
6. Stiftangsvermögen a. s. w. soweit Vermögensobjekte der be-
treffenden Abteilang vorhanden sind.
Innerhalb jeder Abteilung können zam Zwecke der besseren
Debersicht Unterabteilungen gebildet werden.
Anliegendes Formular zum Inventar wird empfohlen. In dem
Inventar ist demnach bei jedem Gebäude und Grundstücke die Art
der Benatzung anzugeben, ob es verpachtet, ob es Dienstgrandstück
ist u. s. w. In dem Inventar sind auch solche Vermögensstücke
aufzuführen, welche einen Ertrag nicht geben, oder deren Nutzungen
nicht durch die Rechnungen laufen. Ebenso müssen alle Schulden
und Lasten in dem Inventar angegeben werden, und zwar die Schulden
unter Bezeichnung der Schuldsumme, des Zinsfusses des Gläubigers
und des Schulddokuments. Wo ein besonderer Eirchenbaufonds,
Pfarrhausbaufonds, Eüstereibaufonds oder ein der Verwaltung des
Eirchenvorstandes (nicht eines besonderen Eapellenvorstandes) unter-
stehender Kapellenfonds vorhanden ist, mnss derselbe in dem In-
ventar unter besonderem Titel aufgeführt und specialisirt werden. In
dem Inventar über das Stiftungsvermögen muss das Vermögen jeder
einzelnen Stiftung abgesondert unter Angabe des Stifters, des Stif-
tungszwecks und des Datums der Stiftungsurkunde eingetragen werden.
Das Inventar ist in einem festen Umschlage aufzubewahren.
Artikel IX.
Die Aufstellung des Inventars erfolgt durch den Vorsitzenden
des Kirchen Vorstandes unter Zuziehung des Rechnungsführers
(Ei rchen Vorstehers bezw. Rendanten). Nach der Fertigstellung wird
dasselbe dem gesamten Eirchenvorstande vorgelegt. Etwaige Er-
innerungen sind zu erledigen.
Demnächst ist am Schlüsse des Inventars durch den Vor-
sitzenden und zwei Mitglieder des Eirchenvorstandes unter Bezug-
nahme auf den, die Feststellung des Inventars betreffenden Beschluss
des Eirchenvorstandes und unter Beidrückung des Amtssiegels zu
bescheinigen,
»dass das Inventar vollständig und richtig sei.c
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und Entadieidungtn 277
Kosten, welche durch die erste Aufstellung bezw. Umarbeitung
des Inventars entstehen, sind auf die Eirchenkasse anzuweisen.
Artikel X.
Das Inventar ist sowohl dem Königlichen Begierungspräsidenten
als der Bischöflichen Behörde auf Verlangen jederzeit einzureichen.
Die von diesen Aufsichtsbehörden in gegenseitigem Einvernehmen
gegen das Inventar gezogenen Erinnerungen hat der Kirchenvorstand
zu erledigen.
Artikel XL
Jede spätere, in dem Vermögensstande eintretende Veränderung
rouss sofort an der betreffenden Stelle in dem Inventar eingetragen
werden.
Jede solche Nachtragung ist nach der Vorschrift des Artikel 9
(Absatz 2) zu bescheinigen. Ffir die richtige Fortführung des In-
ventars ist der Vorsitzende des Kirchenvorstandes zunächst verant-
wortlich.
Artikel XIL
Ausaerordenfliche RevMon des Inventars,
Eine ausserordentliche Bevision des Inventars ist von dem
Kirchenvorstande vorzunehmen, wenn eine Veränderung in den Mit-
gliedern des Kirchenvorstandes oder in der Person des Nutzniessers
eines Fonds eintritt, dessen Vermögen Gegenstand des Inventars ist.
Dabei ist zugleich die Sicherheit der ausgeliehenen Kapitalien, das
Vorhandensein der inventarisirten Inhaberpapiere, die ordnungsmässige
Versicherung der Gebäude und alles dasjenige zu prüfen, was zur
ordnungsmässigen Sicherung und Erhaltung des von dem Kirchen-
vorstande verwalteten Vermögens gehört.
B. Voranschlag, Etat
(zu den §§ 11, 21 Nr. 12, 41, 52, 53 des Gesetzes).
ArtiM XIIL
Rechnung^ahr,
Als Bechnungsjahr für die kirchliche Vermögensverwaltung
gilt das Kalenderjahr.
Nachdem indes durch § 1 des Gesetzes vom 29. Juni 1876
(Gesetz-Sammlung S. 177) das Etatsjahr für den Staatshaushalt
vom 1. April 1877 ab in der Art verlegt ist, dass dasselbe mit
dem 1. April beginnt und mit dem 31. März jedes Jahres schliesst,
bleibt dem Kirchenvorstande überlassen, mit Zustimmung der Ge-
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278 Kirchliche Aktenstücke
meindeyertretuDg auch fär den Haushalt der EircheDgemeinde das
veränderte Etatsjahr durch Beschluss anzuDehmen.
Artikel XIV.
Einreichung des Voranschlages.
Bis zum 1. November jeden Jahres ist der für das nächste
Rechnungsjahr bestimmte Voranschlag (Etat) durch den Kirchen-
vorstand aufzustellen. Der Aufstellung ist ein durch den Rech-
nungsführer (Kirchenvorsteher bezw. Rendanten) im Einvernehmen
mit dem Vorsitzenden zu fertigender Entwurf zu Grunde zu legen.
Ist eine mehrjährige Voranschlagsperiode, die jedoch nicht über drei
Jahre ausgedehnt werden darf, mit Zustimmung der Gemeindever-
tretung (§ 21 Nr. 12 des Gesetzes) beschlossen, so erfolgt die Auf-
stellung durch den Kirchen vorstand bis zum 1. November des letzten
Jahres dieser Voranschlagsperiode.
Der von dem Kirchenvorstande aufgestellte Voranschlag ist bis
zum 20. November von der Gemeindevertretung festzustellen. Nach
dieser Feststellung ist der Voranschlag gemäss § 21 (Schlusssatz)
auf 2 Wochen zur Einsicht der Gemeindeglieder nach vorgängiger
ortsüblichen Bekanntmachung öffentlich auszulegen, und in den
linksrheinischen Kirchengemeinden nach Massgabe des § 41 dem
Bürgermeister abschriftlich mitzuteilen. Sodann ist der Voranschlag
in 2 Exemplaren nebst etwaigen Kostenanschlägen für Bauten und
sonstigem Zubehör bis zum 10. Dezember der Bischöflichen Behörde
einzureichen, welche ihn der staatlichen Aufsichtsbehörde mitteilt.
Die vorbezeichneten Termine werden für diejenigen Kirchengemein-
den, in denen das veränderte Rechnungsjahr nach Artikel 13 (Ab-
satz 2) angenommen ist, um je 3 Monate hinausgeschoben. Es tritt
also an die Stelle des 1. und 20. November der 1. und 20. Februar,
an die Stelle des 10. Dezember der 10. März des nächstfolgenden
Kalenderjahres.
Auf Erfordern ist der Voranschlag auch im Laufe des Rech-
nungsjahres der staatlichen Aufsichtsbehörde jederzeit vorzulegen.
Artikel XV.
Einrichtung des Voranschlages.
Der Voranschlag muss die zu erwartenden Einnahmen und
Ausgaben, nach Titeln geordnet, speziell ersichtlich machen. Wer-
den die Einnahmen durch die Ausgaben überschritten, so muss das
Fehlende — falls nicht ausnahmsweise die Aufnahme einer Anleihe
beschlossen und genehmigt wird — durch Umlagen auf die Ge-
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und Entscheidungen 279
meindeglieder aufgebracht werden. In diesem Falle ist der Ertrag
der Unalagen in die Einnahme des Voranschlags einzustellen, und
gleichzeitig in den Vorbemerkungen der Verteilungsmassstab anzn-
geben, nach welchem die Umlagen aufgebracht werden sollen.
Voranschläge, in denen die Aufbringung von Oemeinde-JJmlagen
vorgesehen ist, müssen ausserdem in den Vorbemerkungen den Be-
trag der von den Gemeindegliedern aufzubringenden direkten Staats-
steuern ersichtlich machen und falls die Umlagen nach dem Mass-
stabe besonderer Eommunalsteuern aufgebracht werden sollen, auch
den Betrag dieser von den Oemeindegliedern aufzubringenden Kom-
munalsteuern.
Anliegendes Formular für den Voranschlag wird empfohlen.
Für die linksrheinischen Gemeinden tritt diesem Formular ein
Titel Va »Zuschuss der bürgerlichen Gemeindet hinzu.
Wenn es sich in linksrheinischen Eirchengemeinden um die
Deckung eines ausserordentlichen kirchlichen Bedürfnisses im Sinne
des § 3 des Gesetzes vom 14. März 1845 (Gesetz-Sammlung S. 163),
oder um den Neubau, oder die Reparatur des Pfarrhauses handelt,
so hat der Eirchenvorstand unter Beifügung der das Bedürfniss
nachweisenden Stücke sich an den Königlichen Regierungs- Präsidenten
zu Dusseldorf behufs Inanspruchnahme der verpflichteten bürgerlichen
Gemeinde zu wenden.
C. Eassenverwaltung und Rechnungsführung
(zu den §§ 8 bis 10, 11, 21 Nr. 13, 41, 54 des Gesetzes).
AHikel XV L
Verantwortlichkeit der Kirchenvorateher,
Die nach § 8 des Gesetzes dem Eirchenvorstande obliegende
Vermögensverwaltung ist von den Mitgliedern desselben gemein-
schaftlich wahrzunehmen, soweit nicht die Kassenverwaltung und
die Rechnungsführung nach § 10 des Gesetzes einem Eirchenvor-
steher oder einem besonderen Rechnungsführer (Rendanten) über-
tragen ist. Der Eirchenvorstand ist jedoch auch in diesem Falle
verpflichtet, die Geschäftsführung des Rechnungsführers (Eirchen-
vorstehers bezw. Rendanten) sorgfältig zu beaufsichtigen, die Be-
obachtung der dem letzteren erteilten Anweisungen zu überwachen
und wahrgenommene Unregelmässigkeiten abzustellen. Insoweit ist
der Eirchenvorstand für die Handlungen des Rechnungsführers
(Eirchenvörstebers bezw. Rendanten) wie für seine eigenen verant-
wortlich.
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280 Kirchliche AktenHücke
Artikel XVIL
Stellung des Rechnungsführers (Rendanien).
Der Vorsitzende des Kirchenvorstandes führt den rechnuogs-
führenden Eirchenvorsteher in sein Amt ein und verpflichtet den
etwa angestellten besonderen Rendanten mittels Handschlags auf
die getreue und gewissenhafte Erffillung seiner Dienstobliegenheiten.
Der Name des Rechnungsführers (Eirchenvorstehers bezw.
Rendanten) ist sowohl der staatlichen als der kirchlichen Aufsichts-
behörde anzuzeigen.
Die Bestellung des Vorsitjsenden des Kirchenvorstandes sum
Rechnungsführer (Rendanten) ist unzulässig.
Dem Rechnungsführer (Eirchenvorsteher bezw. Rendanten)
liegt ob:
1. Die Erhebung sämtlicher Einnahmen und Einkünfte der
Eirche, sowie der mit ihr verbundenen geistlichen Stellen, soweit
die Einkünfte der Stellen nicht dem jeweiligen Inhaber zukommen,
und von diesem direkt zu erheben sind, ferner die Erhebung der
Einnahmen und Einkünfte aller der Verwaltung des Eirchenvor-
standes unterliegenden sonstigen Anstalten, Stiftungen und Fonds.
2. Die Leistung der Ausgaben dieser Institute und zwar Beides
(zu 1 und 2) nach Massgabe des Voranschlags und der Anweisungen
des Eirchenvorstandes (vergl. Art. XX).
3. Die Führung der Eassenbücher (des Journals, des Verzeich-
nisses der Wertpapiere, des Porto- und Eollektenverzeichnisses und
eventuell des Manuals), sowie die Beschaffung, Ordnung und Aufbe-
wahrung der Rechnungsbeläge.
4. Die Entwerfung des Inventars und des Voranschlags (Art. IX
und XIV).
5. Die Aufstellung der Jahresrechnuug und die Erledigung der
gegen dieselbe gezogenen Erinnerungen.
6. Die Mitwirkung bei allen Verwaltungsgeschäften des Eirchen-
vorstandes, welche auf das Eassen- und Rechnungswesen Bezug haben.
7. Die Eontrolle der Auslosung von Wertpapieren, für deren
sorgfältige Beachtung neben dem Rechnungsführer insbesondere auch
der Vorsitzende des Eirchenvorstandes verantwortlich ist.
AHikel XrilL
Kaution des Rechnungsführers.
Ob und welche Eaution der Rechnungsführer (Eirchenvorsteher
bezw. Rendant) zu bestellen bat, hängt von dem pflichtmässigen Er-
messen des Eirchenvorstandes ab. Eine Eaution ist zu bestellen^
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und Entscheidungen, 281
sobald dies von dem Königlichen Oberpräsidenten oder von der
Bischöflichen Behörde anter gegenseitigem Einvernehmen für erfor-
derlich erachtet wird.
Artikel XIX.
Kassenbücher.
In jeder Gemeinde ist über die kirchliche Kassen Verwaltung
ein Kassenbach (Joarnal) zu führen, in welches alle Einnahmen und
Aasgaben sofort, nachdem sie stattgefunden haben, nach der Zeit-
folge einzutragen sind.
Das beigefügte Formular (Anlage 3) zum Journal wird em-
pfohlen. Neben dem Journal ist bei grösseren Vermögensverwaltungen
ein Manual zu führen, welches die Einnahmen und Ausgaben und
zwar geordnet nach den Titeln des Voranschlags enthält, auch zu-
gleich die einzelnen Ansätze des letzteren ersichtlich macht.
Ein Formular ist beigefügt (Anlage 4).
Ausserdem hat der Rechnungsführer (Kirchenvorsteher bezw.
Rendant) über alle geldwerten, auf den Inhaber lautenden Papiere
ein Verzeichnis aufzustellen und pünktlich fortzuführen, welches an
einem von der Kasse getrennten Orte (bei dem Vorsitzenden des
Kirchenvorstandes oder einem Mitgliede des letzteren) aufbewahrt wird.
Artikel XX.
Anweisungen^ Etalsüberschreitungeny Quittungen^ Postscheine.
Der Rechnungsführer (Kirchenvorsteher bezw. Rendant) darf
ohne besondere Anweisung nur solche Einnahmen annehmen und nur
solche Ausgaben leisten, deren Betrag nach dem Voranschlage fest-
steht, (z. B. Gehälter, Zinsen, Renten, Pachtgelder pp.). Alle an-
deren Einnahmen und Ausgaben dagegen, deren Betrag nur über-
schläglich oder gar nicht in dem Voranschlage enthalten ist, dürfen
nur auf Grund besonderer Anweisung des Vorsitzenden des Kirchen-
vorstandes erhoben oder gezahlt werden.
Ergibt die Vergleichung des Voranschlags mit dem Kassen-
buche bezw. dem Manual^ dass eine Position des Voranschlages
durch eine bevorstehende Ausgabe überschritten werden wird, so hat
der Rechnungsführer den Vorsitzenden hierauf behufs Herbeiführung
der erforderlichen Beschlüsse des Kirchenvorstandes und der Ge-
meindevertretung aufmerksam zu machen.
Alle von dem Vorsitzenden ausgestellten Anweisungen werden
der Jahresrechnung (zugleich mit den Quittungen) als Beläge bei-
gefügt. Auszahlungen dürfen nur gegen Ausstellung einer ord-
nungsmässigen Quittung seitens des Empfangsberechtigten erfolgen.
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282 Kirchiiche Aktenstücke
wobei der quittierte Betrag in Buchstaben anzugeben ist. Ist der
Empf&nger des Schreibens unkundig, so muss ein glaubwürdiger
Schriftzeuge zugezogen werden, der die richtig erfolgte Zahlung und
die ünterkreuzung der Quittung durch den Empfänger als in seiner,
des Zeugen, Gegenwart geschehen, durch Namensunterschrift unter
Beifügung des Vornamens, Standes und Wohnortes zu bekunden hat.
Auszahlungen bis zum Betrage von 800 Jl einschl. können im
Wege des Postanweisungsverkehrs bewirkt werden. Hiervon ist
namentlich bei auswärts wohnenden Empfängern Gebrauch zu machen.
Der Empfangsberechtigte ist jedoch auch brieflich oder durch Post-
karte von der Absendung zu benachrichtigen.
In solchen Fällen dient der Postscliein als gültiger Beleg.
AHiM XXL
Konlrolverzeichnia des Vorsiluenden.
Der Vorsitzende des Kirchenvorstandes führt ein fortlaufendes
Verzeichnis, in welches er alle von ihm erteilten Einnahme-Anweisungen
nach der Zeitfolge einträgt.
Artikel XXJl
Revision der Kasse,
Mindestens einmal im Jahre hat der Vorsitzende des Kirchen-
vorstandes in Gemeinschaft mit einem hierfür von dem Kirchenvor-
stande zu erwählenden Eirchenvorsteher die Kasse unvermutet zu
revidieren. Es ist dabei insbesondere darauf zu sehen, ob der vor-
handene Barbestand mit derjenigen Summe übereinstimmt, welche
sich aus dem Kassen-Journal durch Abrechnung der gesamten Aus-
gabe von der Einnahme als Soll-Bestand ergibt. Dabei ist die Voll-
ständigkeit und Richtigkeit der Eintragungen, insbesondere der Ein-
nahmen, unter Vergleichung der eingetragenen Posten mit den Be-
lägen und mit dem nach Artikel 21 zu führenden Kontrolverzeich-
nisse zu prüfen. Die Prüfung muss mindestens für die Buchungen
zweier Monaten Post für Post geschehen, und hat sich zugleich
darauf mitzuerstrecken, ob die gesamte Kassenverwaltung ordnungs-
mässig geführt wird. Ueber die Revision ist eine Verhandlung auf-
zunehmen, welche das Ergebnis ersichtlich macht. Die Verhandlung
ist von dem Rechnungsführer (Kirchenvorsteher bezw. Rendanten) zu
unterschreiben, von den beiden Revisoren zu vollziehen und sodann
der Bischöflichen Behörde einzureichen.
Die Revision hat sich auch auf das von dem Rechnungsführer
zu führende Verzeichnis der Wertpapiere zu erstrecken, insbesondere
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und Entscheidungen. 283
darauf; ob die Wertpapiere richtig verzeichnet und sämtlich vor-
handen sind; ob Auslosungen derselben stattgefunden haben , bezw.
was etwa infolge dessen wegen der Realisierung noch zu veranlassen
ist. Es bleibt dem Beschlüsse des Kirchenvorstandes überlassen, ob
weitere, namentlich auch regelmässig wiederkehrende Kassenrevisionen
abzuhalten sind.
Artikel XXIIL
Aufbewahrung der Kasse.
1. Die Kasse ist an einem sicheren, durch Yorstandsbeschluss
festzustellenden Orte aufzubewahren.
2. Der Kircbenvorstand hat für die nötigen Behälter (Schränke,
feste, mit Eisen beschlagene Kisten pp.) zu sorgen.
3. Nachdem gemäss § 176 des Einführungsgesetzes zum B. G.-B.
die Ausserkurssetzung von Schuldverschreibungen auf den Inhaber
nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht mehr
stattfindet und eine vorher erfolgte Ausserkurssetzung mit dem In-
krafttreten des B. G.-B., d. i. den 1. Januar 1900 ihre Wirkung
verloren hat, hat sich der Kirchenvorstand bezüglich der in seiner
Verwaltung bereits befindlichen oder später gelangenden, auf den
Inhaber lautenden Wertpapiere, darüber schlüssig zu machen,
a. ob dieselben bei einer unter Staats- bezw. Reichsaufsicht
stehenden Bank (Keichsbank, Seehandlung, preussische
Gentralgenossenschaftskasse) oder einer anderen , von dem
Oberpräsidenten nach Benehmen mit der Bischöflichen Be-
hörde als geeignet befundenen Anstalt zur Aufbewahrung
niederzulegen,
b. oder ob die in Schuldverschreibungen des deutschen Reiches
oder des Preussischen Staates bestehenden Wertpapiere zu-
folge Antrags bei der Hauptverwaltung der Staatsschulden
in Berlin in eine Buchschuld umzuwandeln.
c. oder ob die Schuldverschreibungen auf den Inhaber, welche
von einer Preussischen Körperschaft, Stiftung oder Anstalt
des öffentlichen Rechtes ausgestellt sind, zufolge Antrags
an den Aussteller, auf den Namen umzuschreiben sind.
Macht der Kirchenvorstand ven keiner dieser Alternativen Ge-
brauch, so hat derselbe dafür Sorge zu tragen, dass die in dem Ge-
wahrsam des Kirchen Vorstandes verbleibenden, auf den Inhaber
lautenden Wertpapiere von den dazu gehörigen Zinsscheinen und
Zinsanweisungen getrennt und jedenfalls so aufbewahrt werden, dass
niemals einer einzelnen Person allein der gleichzeitige Zutritt zu
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284 Kirchliche Akttnstückt
den Wertpapieren einerseits und den dazu gehörigen Ziusscheinen
und Zinsanweisungen andererseits möglich ist. Ausserdem ist auf
Versicherung gegen Einbruchsdiebstahl Bedacht zu nehmen.
4. Der zur Aufbewahrung der Kasse bezw. der Dokumente
dienende Behälter ist unter mehrfachem Verschluss zu halten. Den
ersten Schlüssel führt der Vorsitzende des Kirchenvorstandes; den
zweiten hat der Rechnungsführer (Kirchenvorsteher bezw. Rendant).
Derjenige, welcher bei dreifachem Verschluss den dritten Schlüssel
führen soll, ist vom Kirchenvorstande aus der Zahl seiner Mitglieder
zu bestimmen.
Dem Hechnungsführer ist zur Bestreitung der laufenden Aus-
gaben ein eiserner, von Zeit zu Zeit zu ergänzender Geldbestand zu
belassen, dessen Höhe vom Kirchenvorstand bestimmt wird.
Sparkassenbücher gehören nicht zu den Inhaberpapieren und
sind nach § 808 B. G.-B. und § 177 des Einführungsgesetzes dazu
zu beurteilen.
5. Es ist unzulässig, dass andere, als die nach Vorstehendem
hierzu berechtigten Personen einen der Schlüssel zur Kasse oder zum
Dokumentenbehälter führen.
Artikel XXIV.
Jahresrechnung,
Aus der Jahresrechnung müssen die Einnahmen und Ausgaben
speziell, und zwar im Anschluss an die Titel des Voranschlags und
in Vergleichung mit den Ansätzen des letzteren, ersichtlich sein.
Jede üeberschreitung des Voranschlags ist durch Hinweisung auf
die betreifenden Beschlüsse des Kirchen vorstand es und der Gemeinde-
vertretung zu rechtfertigen. Der Rechnung sind die Beläge über die
Einnahmen und Ausgaben geheftet und nach Nummern geordnet,
beizufügen. Bei denjenigen Einnahmen und Ausgaben, zu denen
nach § 50 des Gesetzes die Genehmigung der staatlichen Aufsichts-
behörde erforderlich ist, ist in den Belägen auf die betreffende Ge-
nehmigungsverfügung Bezug zu nehmen. Dasselbe gilt in betreff
der Genehmiguugsverftigungen der Bischöflichen Behörde.
Beiliegendes Formular für die Jahresrechnung wird empfohlen.
Artikel XXV.
Die Jahresrechnung ist bis zum 1. März des auf das Rech-
nungsjahr folgenden Jahres von dem Rechnungsführer (Kirchenvor-
steher bezw. Rendanten) aufzustellen und dem Kirchenvorstande zur
Prüfung vorzulegen. Dem letzteren bleibt es überlassen, mit Vor-
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und Entscheidungen, 285
prüfong der Rechnung einzelne Eirchenvorsteher zu beauftragen.
Bis spätestens zum 15. April wird die Jahresrechnung mit dem be-
treffenden Etat den Belägen und mit dem Nachweise über die Er-
ledigung der etwa von dem Eirchenvorstande gezogenen Erinnerungen,
sowie unter Beifügung aller Revisionsbemerkungen des Vorjahres und
deren Beantwortung von dem Eircbenvorstande an den Eöniglicben
Regierungspräsidenten zur Prüfung eingereicht, ob die Verwaltung
etatsmässig geführt worden ist. Der Regierungspräsident wird dem-
nächst die Rechnung mit der Bemerkung, dass er nichts dagegen
zu erinnern hat, bezw., nachdem er den Eirchenvorstand zur Er-
ledigung der gegen die Etatsmässigkeit der Verwaltung sich er-
gebenden Erinnerungen veranlasst hat, an die Bischöfliche Behörde
gelangen lassen.
Die vorbezeichneten Termine werden für diejenigen Eirchen-
gemeinden, in denen das veränderte Rechnungsjahr nach Art. 13
(Absatz 2) angenommen ist, um je 3 Monate hinausgeschoben. Es
tritt also an die Stelle des 1. März der 1. Juni, an die Stelle des
15. April der 15. Juli.
Artikel XXVI.
Entlastung des Rechnungsführers.
Nach Erledigung der von der staatlichen und Bischöflichen Be-
hörde gegen die Rechnung gezogenen Erinnerungen hat der Eirchen-
vorstand die Rechnung der Gemeindevertretung vorzulegen. Nach-
dem diese der Abnahme und Erteilung der Entlastung (§ 21 Nr. 13
des Gesetzes) zugestimmt hat, ist die Rechnung auf zwei Wocheq
zur Einsicht der Gemeindeglieder nach vorgängiger ortsüblicher Be-
kanntmachung öffentlich auszulegen und in den linksrheinischen
Eirchengemeinden nach Massgabe des § 41 dem Bürgermeister ab-
schriftlich mitzuteilen.
Nach Ablauf der vorbezeichneten Frist hat der Eirchenvor-
stand dem Rechnungsfahrer (Eirchenvorsteher bezw. Rendanten)
schriftlich die Entlastung wegen der Rechnung auszusprechen. Die
geschehene öffentliche Auslegung und die Entlastung wird auf der
Rechnung durch den Vorsitzenden des Vorstandes vermerkt.
AHikel XXVII.
Der Rechnungsführer (Eirchenvorsteher bezw. Rendant) hat
1, über dia Jahres- Ausgaben an Porto,
2. über die Jahres- Einnahmen aus Eollekten und aus dem
Elingelbeutel je ein, von dem Vorsitzenden des Eirchenvorstandes
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286 Kirchliche Aktenstücke
zu beglaubigendes Verzeichnis aufzustellen und der Jahresrechnung
als Beläge beizufügen.
Der Ankauf und Verkauf von Wertpapieren ist stets durch
eine Euisbescheinigung zu belegen.
D. Verwaltungsgrundsätze.
Artikel XXVIII.
Belegung von Öeldern.
Bei der zinsbaren Belegung von kirchlichen Geldern sind die
Vorschriften in §§ 1807, 1808 des B. G.-B. und Artikel 73 bis 76
des Preüssischen Ausfuhrungsgesetzes vom 20. September 1899 zur
Richtschnur zu nehmen.
Artikel XXIX.
Postsendungen,
Postsendungen des Eirchenvorstandes an die Aufsichtsbehörden
sind unter der Rubrik »Portopflichtige Dienstsachec zu frankieren.
Frei von der Frankierung der Postsendungen an die Staats-
behörden in Angelegenheiten des fiskalischen Patronats sowie Post-
sendungen an die Staatsbehörden, die ausschliesslich im Staats-
interesse liegen oder aus der staatlichen Oberaufsicht hervorgehen,
insbesondere die Einsendung der Eirchengemeinde-Etats und Rech-
nungen an die staatlichen Aufsichtsbehörden, Berichte der Eirchen-
vorstände an die Regierungspräsidenten über Ersatzwahlen und Ver-
änderungen in den Eirchengemeinde-Organen, Berichte der Eirchen-
vorstände wegen Einholung der im § 50 des Gesetzes mm 20. 6.
1875 vorgeschriebenen Genehmigung der staatlichen Aufsichts-
behörden. (Verord. vom 30. 1. 1893 Ges.-Samml. S. 13).
Arükd XXX.
Verkauf von Wertpapieren.
Auf die Inhaber lautende Wertpapiere dürfen unter dem An»
kaufspreise nur mit Genehmigung der Gemeindevertretung verkauft
werden.
AHikel XXXI.
Schenkungen sowie Erwerb und Veräusserung von Kirchengut.
Wenn vermöge Testaments oder Schenkung einer Eirche zur
Errichtung einer neuen oder Erweiterung einer schon bestehenden
Stiftung eine Zuwendung gemacht wird, so hat der Eirchenvorstand
ohne Verzug das betreffende Testament bezw. Schenkungsurkunde
der Bischöflichen Behörden zu fernerer Anordnung einzusenden.
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und EniMcheidungen, 287
Letztwillige Zuwendungen oder Schenkungen im Betrage oder Werte
von mehr als 5000 J( bedürfen nach Axt. 6 § 1 des Preussischen
Ausführungs-Qesetzes zum Bürgerl. Gesetzbuch vom 20. September
1899 die Genehmigung des Königs oder der durch Königliche Ver-
ordnung bestimmten l^ehörde. Bei Berechnung des Wertes werden
wiederkehrende Leistungen mit vier vom Hundert zu Kapital ge-
rechnet.
Die Erteilung der Staatsgenehmigung ist von dem Kirchen-
vorstande bei dem Regierungspräsidenten in Antrag zu bringen.
Nach Artikel 6 § 3 a. a. 0. wird mit Geldstrafe bis zu 900 J(
bestraft, wer für eine juristische Person, die in Preussen ihren Sitz
hat, als deren Vorsteher eine Schenkung oder eine Zuwendung von
Todeswegen in Empfang nimmt und nicht binnen 4 Wochen die er-
forderliche Genehmigung nachsucht. Zum Erwerb von Grundstücken
im Werte von nicht mehr als 5000 Jl ist eine staatliche Ge-
nehmigung gemäss Artikel 7 Abs. 1 a. a. 0. nicht mehr erforderlich.
Bezüglich der Verämserung von Grundstücken und anderem
Kirchengat wird auf die in der obigen Anmerkung zu Artikel XXVIII
schon herangezogene Anweisung vom 20. August 1898 zu B. hier-
mit Bezug genommen.
Münster, den 15. August 1902.
Der Bischof von Münster
t Hermann.
(Auf den Abdrack der im Texte yeneichneten Formalare ist der Raum-
erspamog wegen hier verzichtet worden. Die Red.)
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288
III. Staatliche Aktenstücke und Entscheidungen.
1. Einholuiig der Genehmlgang zum kirch liehen Gr ander werb
im ZwangSTerstelgernngsyerfahren in Prenssen.
(Erl. des Minister der geistl., Unterrichts- and Medizinal-Angel. G. J. Nr. 3283
A. G. IL)
Berlin W. 64, den 31. Januar 1903.
Während nach dem Preussischen Gesetze , betr. die Zwangs-
vollstreckung in das unbewegliche Vermögen, vom 13. Juli 1883
— • Q.-S. S. 131 — der Nachweis der staatlichen Genehmigung zum
Erwerbe von Grundeigentum durch Eircheogemeinden seitens des
Subhastationsgerichtes bis zur Erteilung des Zuschlages, d. h. regel-
mässig bis nach Ablauf der zwischen dem Yersteigerungs- und dem
Verkündigungstermine liegenden Zeit, hinausgeschoben werden konnte,
muss nach § 71 Abs. 2 des nunmehr geltenden Keichsgesetzes über
die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung vom 24. März
1897 — B.-G.-Bl. S. 97 — ein Gebot im Versteigerungstermine zu-
röckgewiesen werden, falls die Wirksamkeit des Gebotes von der
Zustimmung einer Behörde abhängig und diese Zustimmmung nicht
bei dem Gerichte offenkundig ist oder durch eine öffentlich beglaubigte
Urkunde sofort nachgewiesen wird. Hiernach ist eine Eirchengemeinde,
die behufs Sicherung einer im Grundbuche eingetragenen Forderung
zum Mitbieten im Versteigerungstermine genötigt ist, nur dann in
der Lage, ein wirksames Gebot abzugeben, wenn sie bereits die
staatsaufsichtliche Genehmigung — soweit es einer solchen nach
Art. 7 § 1 des preussischen Ausführungsgesetzes zum B. G.-B. noch
bedarf — in öffentlich beglaubigter Form vorlegen kann.
Indem ich hierauf aufmerksam mache, ersuche ich Ew. Hoch-
wohlgeboren ergebenst, die Gemeinde-Eirchenräte und Eirchenvor-
vorstände auf die neue Rechtsordnung mit dem Bemerken besonders
hinzuweisen, dass zum Grunderwerbe, wenn derselbe im Zwangsver-
steigerungsverfahren zur Sicherung einer eingetragenen Forderung
in Frage kommen kann, die Staatsgenehmigung für diesen Fall auf
Antrag dortseits bezw. von mir bereits vor dem Termine unverzüg-
lich erteilt werden wird, damit sie, wenn nötig, schon in dem
Termine benutzt werden kann.
(Unterschrift.)
An die Herren Regierungs- Präsidenten.
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staatliche Aktenstücke und intseheidungen. 28Ö
2. Zoständiglceit des die Staatsaufsicht über die Kirehenge-
melnde fahrenden Begierangs-Präsldenten zar Genehmigung
von Beschlüssen der liirchl. Gemeindeorgane über Eirchhofs-
anlagen in einem benachbarten Regierungsbezirice.
(Zirkular-Erlt des Min. der geistl. Angel, in Prenssen.)
Berlin, den 24. Dezember 1902.
Aus Anlass der Anlegung eines kirchlichen Begräbnisplatzes
haben sich Zweifel erhoben , ob die Staatsgenehmigung zu den Be-
schlüssen der kirchlichen Gemeindeorgane zu erteilen sei von dem
Regierungs-Präsidenten, in dessen Bezirk die beschliessende Kirchen-
gemeinde ihren Sitz hat and dessen Staatsaufsicht sie demgemäss
untersteht, oder von dem Regierungs-Präsidenten des Nachbarbezirks,
in dessen Bereich der Begräbnisplatz angelegt werden sollte. Zur
Beseitigung solcher Zweifel bemerke ich, dass die Erteilung der
Staatsgenehmigung zu den Beschlüssen kirchlicher Gemeindeorgane
in den gesetzlich vorgesehenen Fällen stets dem die Staatsaufsicht
über die Kirchengemeinde fuhrenden Regierungs-Präsidenten gebührt,
auch dann, wenn die Beschlüsse gegenständlich über seineu örtlichen
Verwaltungsbezirk hinaus- und in einen anderen Begierungsbezirk
hinübergreifen.
Der Minister der geistlichen Angelegenheiten.
In Vertretung:
Wever.
An samtliche Herren Begienings-Prasidenten and
an den Herrn Polizei-Präsidenten in Berlin.
G. I. No. 2279. G. H. M.
3. Zahlung der staatllehen Beihilfen in Prenssen.
(Erl. des Min. der geistl., Unterrichts- and Medizinal-Angel. A. 965. G. I.
G. II. U. III. B. ü. III. E. M.)
Berlin W. 64, den 14. August 1902.
Durch die Verfügungen des Herrn Finanzministers vom 22. April
1899 I. 3747. IL 3636 III. 4862 und vom 30. August 1900 I. 9894.
n. 8175. III. 10073 ist nachgelassen worden, dass Beträge bis zu
800 Ji einschliesslich an Privatempfänger und öffentliche Behörden
und Kassen ohne Quittung, sowie bis zur gleichen Höhe staatliche
Civilpensionen , Wartegelder, Ilinterbliebenenbezuge und im Voraus
zahlbare Unterstützungen und Erziehungsbeihilfen ohne Erteilung
von Quittungen im Laufe des EtcUsjahres und ohne jedesmalige Be-
Archiv für Kirchenrecbt. LXXXIII. 19
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290 SiaailieJie AkiensHlcke
nachrichtigung des Empfängers von der Absehdung des Geldes, im
Postanweisungsverkehr gezahlt werden können und der Postein-
lieferungsschein als gültiger Rechnungsbelag angesehen wird. Auf
Anregung des Herrn Finanzministers und im Einverständnis mit der
Königlichen Oberrechnungskammer sollen diese Vorschriften fortan
unter Vorbehalt jederzeitigen Widerrufe auch bei der Zahlung der
Diensteinkünfte derjenigen unmittelbaren Staatsbeamten Anwendung
finden, die nicht am Sitze der zahlenden Kasse ihren amtlichen
Wohnsitz haben und zufolge Anordnung der vorgesetzten Dienst-
behörde ihre Diensteinkommensbezüge unmittelbar mit der Post zu-
gesandt erhalten (vgl. Bunderlass des Herrn Finanzministers vom
13. Dezember 1882 I. 10277 U. 14017 III. 16721). Die gleiche
Zahlungserleichterung soll den Kirchengemeinden, Kirchenkassen,
Pfarrkassen, Schul verbänden, Geistlichen, Kirchenbeamten, Lehrern,
sowie mittelbaren Staatsbeamten, Kommunalverbänden pp. hinsicht-
lich der ihnen aus der Staatskasse zustehenden fortlaufenden
Zahlungen für den Fall eingeräumt werden, dass eine zahlende Kasse
an dem betreffenden Orte nicht vorhanden ist.
Ausgenommen bleiben die Fälle/ in denen zu den Quittungen
bestimmungsmässig eine besondere Bescheinigung beizubringen ist.
Als besondere Bescheinigung gilt es auch, wenn nach den gegebenen
Vorschriften Vierteljahrs- oder Monatsquittungen der Verwalter von
Kirchenkassen, Pfarrkassen, Schulkassen, Gemeindekassen u. s. w.
seitens der Vorsitzenden des Gemeindekirchenrates (Kirchenvorstandes,
Presbyteriums) oder des Schul Vorstandes , des Gemeindevorstehers
(Bürgermeisters) pp. mit dem Vermerke »Gesehene zu verstehen sind.
In betreff der Geistlichen, Kirchenbeamten, Lehrer, Kirchen-
gemeinden und Schulverbände enthält der Runderlass vom 26. Januar
1893, Fin.-Min. I. 925. M. d. g. A. G. lü. 3147. — G. I. D. U.
III. E. — (Centr.-Bl. d. ges. Ünterr.-Verwaltg. S. 296) nähere Be-
stimmungen. Danach sind auf Kosten der Staatskasse, also unter
Anwendung des Aversionierungsvermerks, nur diejenigen Bezüge ab-
zusenden, welche als wirkliches Diensteinkommen anzusehen sind und
deren Zahlung unmittelbar an die Geistlichen, Kirchenbeamten und
Lehrer erfolgt, während bei einmaligen Zuwendungen, ausserordent-
lichen Remunerationen und Unterstützungen für Geistliche, Kirchen-
beamte und Lehrer, sowie bei allen Zahlungen an Gemeinden und
Verbände das Übersendungsporto den Empföngern zur Last fallt,
also von dem zu zahlenden Geldbetrage in Abzug zu bringen ist.
Die Zusendung erfolgt nur auf schriftlichen Antrag der Be-
rechtigten, welcher enthalten muss:
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iAnd tinUchtidwigin. 291
1. die Erklärung, dass die Zusendung und Aushändigung des
Qeldes auf Gefahr der Empfänger geschieht,
2. den Verzicht auf eine besondere Benachrichtigung von der
Absendung des Qeldes, soweit es sich um fortlaufende Bezüge handelt,
3. die Verpflichtung, dass die Berechtigten bei der Zahlung des
letzten Teilbetrages des Jahres — die Beamten, Geistlichen und
Lehrer auch bei dem Übertritt in eine andere Stelle oder bei dem
Ausscheiden aus dem Dienste — über die fortlaufenden Bezüge vor-
schriftsmässige Jahresquittungen an die zahlende Kasse einreichen
werden.
Von der Absendung einmaliger Bezüge sind die Empfänger
dagegen zu benachrichtigen.
Damit die Empßlnger rechtzeitig in den Besitz des Qeldes
gelangen, sind die Postanweisungen bei der Postanstalt an dem dem
Fälligkeitstermine vorhergehenden Werktage einzuliefern, falls es
nach dem Postenlaufe nicht schon früher geschehen muss.
In bezug auf die Buchung der fraglichen Zahlungen bei der
zahlenden Kasse tritt in dem seitherigen Verfahren eine Änderung
nicht ein.
Die Königlichen Regierungen wollen das hiemach zur Durch-
führung dieser Anordnungen Erforderliche veranlassen, soweit der
diesseitige Geschäftsbereich in Frage kommt.
Iq Yertretang:
gez. Wever.
An die Königlichen Regierungen.
4. Stiftmessen während der Pfarrprovlsnren in Österreich.
(Ans St. Pöltner Didzesanblatt. Nr. IL 1903.)
Der Minister für Kultus und Unterricht hat unterm 12. De-
zember 1901, Z. 4686, betreffend die Behandlung der Messen-
stiftungen während der Vakanz der Pfarrpfründen folgenden Erlass
herausgegeben :
»Auf Grund der übereinstimmenden Anträge der beteiligten
Landesstellen finde ich angesichts der Bestimmung des § 10 al. 4
des Gesetzes vom 19. September 1898, R.-G.-Bl. Nr. 176, zu ge^
nehmigen, dass hinfort entsprechend der bestehenden Praxis seit dem
Inkrafttreten des vorbezogenen Gesetzes von der Anforderung nach
Ausweisung der unter die Bestimmung des § 5 dieses Gesetzes
fallenden Stiftungen, speziell der Messenstiftungen — das ist also
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2d2 Staattiehe Aktenstücke
der »mit einem bestimmten Betrage errichteten« — in der dem
ReligioDsfonde als Interkalar-Nutzniesser gelegten Interkalar-Ver-
rechnung — beziehungsweise in den Früchten-Absonderungsproto-
kollen — gänzlich abgesehen und das bezügliche Stiftungs-Ein-
kommen den Provisoren, bezw. den Interkalar-Mitinteressenten rech-
nungsfrei überlassen werde.
Die einschlägigen Bestimmungen des Ministerial-Erlasses vom
10. Juni 1872, Z. 5024, werden hiemit ausser Kraft gesetzt.
Bezüglich der Behandlung der sogenannten »Dotationsmessen«
in den Interkalar-Bechnungsoperaten wird eine abgesonderte Weisung
demnächst nachfolgen.«
5. Ergänzung bezw. Abänderung der Yollzagsbestimmungen
zum kath. Pfarrgemeindegesetz v. 1887 in Württemberg.
(Ministerialerl. v. 13. Febr. 1903. Nr. 395.)
K. WürU. Ministerium des Kirchen- und Schulwesens,
Stuttgart, den 13. Februar 1903. Nr. 395.
In Ergänzung bezw. Abänderung der Vollzugsbestimmungen
zu dem evangelischen Eirchengemeinde- und dem katholischen
Pfarrgemeindegesetz vom 14. Juni 1887 (Reg.-Bl. S. 237 und 272)
wird nachstehendes verfügt:
1) Ortsstatuten, die auf Grund der Art. 67 und 85 des evan-
gelischen Kirchengemeindegesetzes und der Art. 1, 40 und 61 des
katholischen Pfarrgemeindegesetzes erlassen sind, ohne dass sie eine
bestimmte Giltigkeitsdauer festsetzen, sind staatlicherseits nicht zu
beanstanden. Auch wird den K. Ereisregierungen anheimgegeben,
den K. Oberämtern die Ermächtigung zu erteilen, Beschlüsse der ört-
lichen kirchlichen Kollegien, welche lediglich die Giltigkeitsdauer
eines Orisstatuts verlängern oder eine bisherige Bestimmuui? über
die Giltigkeitsdauer aufheben, sofern keine Bedenken obwalten,
namens der K. Kreisregierungen zu genehmigen. Dabei ist übrigens
den K. Oberämtern zu bemerken, dass bei geeignetem Anlass auch
zu erwägen sein wird, ob nicht in den durch Ortsstatut geregelten
Änderungen eingetreten sind, welche eine Abänderung des Statuts
notwendig machen.
2) Der § 18 Abs. 1 der Vermögens Verwaltungsvorschriften für
die evangelischen Kirchengemeinden und ebenso der § 18 Abs. 1
der Vermögensverwaltungsvorschriften für die katholischen Pfarr-
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und Entscheidunyen, 293
gt'meinden werden dabin abgeändert, dass unter Neubau oder einem
sonst bedeutenden Bauwesen, beziehungsweise einer bedeutenden Re-
paratur an kirchlichen Gebäuden oder deren Bestandteilen und Zu-
bebörden im Sinne des Art. 62 Abs. 1 Ziff. 2 des evang. Eirchen-
gemeindegesetzes und des Art. 32 Abs. 1 Ziff. 2 des tath. Pfarr-
gemeindegesetzes (zu vergl. auch Ministerialerlass vom 27. März 1900
Nr. 1642) nur solche Bauwesen zu verstehen sind, welche einen
Aufwiind von 6000 Jl oder mehr erfordern.
3) Als »beteiligte« bezw. »betreffende« Gemeinde im Sinne
der Art. 4 Abs. l, 62 letzter Abs., 69 Abs. 4, 85 Abs. 2 des
evangelischen Eirchengemeindegesetzes und der Art. 32 letzter Abs.,
41 Abs. 4 und 61 Abs. 2 des kath. Pfarrgemeindegesetzes ist eine
bürgerliche Gemeinde oder Teilgeraeinde in der Regel nur dann an-
zusehen, wenn mindestens ein Viertel ihrer Einwohner Eirchen- bezw.
Pfarrgenossen der betreffenden kirchlichen Gemeinde sind. Hiedurch
ist nicht ausgeschlossen, dass in einzelnen besonderen Fällen die
Äusserung weiterer bürgerlicher Gemeinden, in welchen Angehörige
der betreffenden kirchlichen Gemeinde wohnen, eingeholt wird, so-
fern dies nach Lage der Verhältnisse geboten erscheint.
4) Sind über einen Beschluss des Eirchengemeinderats bezw.
des Eirchenstiftungsrats die bürgerlichen EoUegien der beteilig! en
Gemeinde zu hören (vgl. Art. 62 letzter Abs. und Art. 69 Abs. 4
des evang. Eirchengemeindegesetzes und Art. 32 letzter Abs. und
Art. 41 Abs. 4 des kath. Pfarrgemeindegesetzes), so kann die
Äusserung der bürgerlichen EoUegien von den örtlichen kirchlichen
Organen sofort, d. h. vor der Vorlage des Beschlusses an die Auf-
sichtsbehörden eingeholt werden. Den staatlichen Aufsichtsbehörden
bleibt es in solchen Fällen anheimgestellt, eine weitere Äusserung
der bürgerlichen Gemeinde einzuholen ; falls dies nach Lage der
Verhältnisse etwa noch geboten erscheint.
Die E. Ereisregierungen werden beauftragt, von vorstehendem
den nachgeordneten Stellen mit dem Anfügen Eröffnung zu machen,
dass die getroffenen Anordnungen sofort in Eraft treten.
Hienach ist alles Weitere zu besorgen.
WeijssäcJcer.
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294 Staatliche Aktenstücke
6. Befugnis des Gemeindekirchenrats (KireheiiTorstandes) zur
Einziehung Ton Kirchensitzen ans klrchenpollzelUchen Grün-
den in Prenssen.
(Erk. des Reichsger. IV. Civilsenat, y. 30. Okt. 1901.)
Im Namen des Reichs,
In Sachen der Eirchengemeinde zu D., vertreten durch ihren
Gemeindekirchenrat, Beklagten, Revisionsklägerin und Revisions-
beklagten
wider
den Rittergutsbesitzer N. zu D., Kläger, Revisionsbeklagten und
Revisionskläger,
hat das Reichsgericht, IV. Civilsenat,
auf die mündliche Verhandlung vom 30. Oktober 1901
unter Mitwirkung
des Präsidenten des Reichsgerichts, Wirklichen Geheimen
Rats Dr. von Öhlschläger
und der Reichsgerichtsräte Nötel, Reincke, Yeltman, Weichsel,
Helf, Hesse
für Recht erkannt:
I. die Revision des Klägers gegen das Urteil des Ersten Civil-
senats des Königlich Preussischen Oberlandesgerichts zu
Stettin vom 26. Mai 1900 wird zurückgewiesen.
IL Auf die Revision der Beklagten wird das vorgedachte Ur-
teil, insoweit dadurch die Aufhebung des Urteils des Land-
gerichts zu Stargard i. Pom. vom 21. März 1900 ausge-
sprochen und die Sache zu anderweiter Verhandlung und
Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen worden
ist, aufgehoben und auch bezüglich dieses aufgehobenen
Teils die Berufung des Klägers gegen die erste Entscheidung
zurückgewiesen.
III. Die Kosten der Berufungs- und der Revisionsinstanz werden
dem Kläger auferlegt.
Von Rechts wegen.
Tatbestand.
Die Kirche zu D. ist im Jahre 1899 renoviert und bei dieser
Gelegenheit die Kassierung von 12 Kirchensitzen erfolgt , welche
sich seit alten Zeiten auf beiden Seiten des Altars für die Prediger,
Lehrer u. s. w. befimden hatten. Der Kläger, der eingetragener
Eigentümer des zu D. eingepfarrten Rittergutes D. ist, hatte bis
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ufid Entscheidungen, 295
dahin fär sich beziehungsweise seine Familie, Beamten und Dienst-
leute 1. sechs Sitze auf dem höheren Chore rechts vor dem Altar,
2. zwölf Sitze auf der darüber befindlichen Empore und 3. die Tage-
löhnersitze auf dem sogenannten Freienwalder Chore benutzt.
Um nun den Predigern, Lehrern u. s. w. für die kassierten
Sitze andere zu verschaffen und in der Annahme, dass der Kläger,
seine Familie und Gutsangehörigen genug Kirchensitze hätten, teilte
der Oemeindekirchenrat gegen Ende November 1899 dem Kläger
mit, dass dem Gute die zwölf Emporensitze (zu 2) entzogen und
auch die sechs Sitze auf dem höheren Chor (zu 1) nur zeitweise
überlassen würden, indem er zugleich den Beamten des Gutes statt
der 12 Sit/.e auf der Empore 4 Sitze auf dem Freienwalder Chor
zuwies.
Der Kläger behauptet, dass die sämtlichen zu 1 bis 3 bezeich-
neten Kirchensitze im Jahre 1846 von dem damaligen Superinten-
denten M. für das Rittergut D. dem damaligen Besitzer L. und im
Jahre 1861 von dem damaligen Superintendenten W. auch dem
Kläger eingeräumt worden seien, und dass sich seit dieser Zeit (1846)
das Gut im Besitze von Schlüsseln zu den betreffenden Sitzen be-
funden und letztere bo Jahre lang ausschliesslich und ungestört be-
nutzt habe.
Auf Grund dieses Sachverhalts hat der Kläger beantragt,
»die Beklagte zu verurteilen, sich jeder Störung des Klägers
oder dessen Angehörigen oder Beamten bei Benutzung der
Kirchensitze seitens derselben auf der über dem höheren
Chore rechts von dem Altar befindlichen sechs Sitze zu 1
zur Vermeidung einer fiskalischen Strafe von 10 Jl für
jeden Wiederholungstall jm enthalten, dem Kläger auch die
Schlüssel zur Empore wieder einzuhändigen, und das Urteil
gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu er-
klären, c
Das Landgericht hat auf völlige Klageabweisung erkannt, weil
es den Rechtsweg in dieser Sache für ausgeschlossen hält.
Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers ist von dem
Oberlandesgericht durch Urteil vom 19./26. Mai 1901 insoweit zu-
rückgewiesen, als der Rechtsstreit die 12 Sitze auf der über dem
höheren Chor rechts vom Altar befindlichen Empore zum Gegenstand
hat, im übrigen aber das angefochtene Urteil aufgehoben und die
Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Ge-
richt erster Instanz zurückverwiesen.
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296 Staatliche Aktenstücke
Gegen diese Eotscheidung haben beide Teile Revision eingelegt,
und zwar
der Kläger mit dem Antrage,
das Benifungsurteil , insoweit es die Berufung des Klägers
zurückweist, aufzuheben und auch insoweit, dem Berufungs-
antrage entsprechend, die Sache zur anderweiten Verhand-
jung und Entscheidung in die erste Instanz zurückzuver-
weisen.
die Beklagte mit dem Antrage,
1. die Revision des Klägers zurückzuweisen,
2. auf ihre eigene Revision das angefochtene Urteil, insoweit
als dadurch das Urteil erster Instanz aufgehoben und die
Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung au
das Gericht erster Instanz zurückverwiesen worden ist, auf-
zuheben und auch in betreff des aufgehobenen Teils des
ersten Urteils die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Parteien haben auf Grund des Tatbestandes des Berufungs-
urteils mit einander verhandelt.
Entscheidungsgründe.
Anlangend zunächst die Revision des Klägers, so erscheint
dieselbe nicht begründet.
Der Kläger beschwert sich darüber, dass der Berufungsrichter
bezüglich der zwölf Sitze auf der Empore den Rechtswog mit dem
ersten Richter für ausgeschlossen hält und in ihrer Entziehung eine
Massregel erblickt, die der Gemeindekirchenrat kraft seiner kirchen-
polizeilichen Befugnisse vorgenommen hat. Der Gemeindekirchenrat,
so führt der Beschwerdeführer aus, habe nach den Peststellungen
der Vorderrichter das klägerische Recht auf diese zwölf Sitze über-
haupt bestritten und ihre Entziehung »in der Annähmet verfügt,
dass der Kläger, seine Familien- und Gutsangehörigen genug
Kirchensitze hätten. Hieraus gehe hervor, dass für die Massregel
des Gemeindekirchenrats gar nicht die im Innern der Kirche vor-
genommene bauliche Veränderung und ein hiermit zusammenhängen-
des Interesse des Kultus bestimmend gewesen sei; vielmehr seien
diese Momente nur benutzt und aus ihnen der »Anlass« entnommen
worden, um dem Privatrechte des Klägers entgegenzutreten. Ab-
gesehen hiervon gehe auch der § 41 der Verwaltungsordnung für
das kirchliche Vermögen in den östlichen Provinzen der preussischen
Landeskirche vom ^^it:^ ^" Tsos (Kirchliches Gesetz- und Verord-
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und Entscheidung en, 297
nuDgsblatt 1893 Seite 23), von welchem das BerufuDgsgericht die
öffentlich rechtliche Befugnis des Gemeindekirchenrates zu jener
Entziehung herleitet, davon aus, dass bei Regelung der Eirchensitze
etwaige Privatrechte, die allerdings besonders zu erweisen seien, be-
rücksichtigt werden sollen, und dass nur die im öffentlichen Interesse
erfolgte Entscheidung bis zum Nachweise entgegenstehender Privat-
ansprüche im Rechtswege nicht anzufechten sei. Dem Nachweise des
Privatrechts des Klägers diene aber gerade der gegenwärtige Rechts-
streit. Der Kläger habe seine Klage petitorisch begründet, und die
Bemerkung am Schlüsse des Schriftsatzes vom 3. Mai 1900 be-
rechtigte das Berufungsgericht nicht zu der Unterstellung, dass er
nur die Besitzklage habe anstellen wollen. Auch in zweiter Instanz
habe er ausgeführt, dass ihm in keinem Falle der Rechtsweg zur
Feststellung seiner Rechte verweigert werden könne, und dass er,
um diese Feststellung zu erreichen, nicht auf den Weg der für ihn
wertlosen Entschädigungsklage verwiesen werden dürfe* Kläger sei
auch wegen § 268 Ziffer 2 Civilprozessordnung ungeachtet eines
Widerspruches des Gegners nicht behindert gewesen, den Klage-
antrag auf die Feststellung zu erweitem. Da der Berufungsrichter
offenbar der Ansicht gewesen, dass der Feststellungsanspruch nicht
schon in dem gestellten petitorischen Klageantrage enthalten sei, so
hätte er durch Ausübung der Fragepflicht den Kläger »zur formellen
Ergänzung seiner Anträge« veranlassen müssen.
Der Beschwerdeführer geht also zunächst davon aus, dass er
in Ansehung der 12 Kirchensitze auf der Empore nicht die Besitz-
klage, sondern die Rechtsanerkennungsklage (Klage auf Feststellung
eines negativen Rechts, actio confessoria) angestellt habe. Eine solche
Auffassung aber erscheint durch die Form seines Klageantrages aus-
geschlossen. Derselbe lautet ausdrücklich dahin, die Beklagte zu
verurteilen, sich ^jeder Störung bei der Benuteung der Kirchensitze
zu enthalten« und dem Kläger »die Schlüssel zur Empore wieder
einzuhändigen^. Hiemach aber betrifft der von ihm erhobene An-
sprach niu* die Frage , ob sich der Kläger im tatsächlichen Besitz
der Kirchenstühle befunden hat, und ob ihm derselbe zu Unrecht
(durch verbotene Eigenmacht — § 858 Bürgerlichen Gesetzbuchs)
von der Beklagten entzogen und beziehungsweise gestört und er des-
halb befugt ist, die Beseitigung der Störung und die Wiederein-
ränmung des Besitzes (§§ 861, 862 a. a. 0.) zu fordem. An diesem
Charakter des Anspruchs wird auch nichts dadurch geändert, dass
Kläger seine Klage nicht bloss possessorisch (durch die Angabe, dass
die Superintendenten M. und W. dem Besitzer des Ritterguts D. den
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298 Staaüiche Aktenstücke
Besitz an den Eirchenstühlen 1846 und beziehungsweise 1861 ein-
geräumt und seitdem das Gut im Besitze der Schlüssel zu den
Sitzen gewesen und letztere 53 Jahre lang ausschliesslich und un-
gestört benutzt habe), sondern daneben auch petitorisch (durch die
in seinem Vorbringen zugleich liegende Behauptung einer 44jährigen
Ersitzung) begründet hat. Entscheidend ist vielmehr, dass er einen
richterlichen Ausspruch nicht über die Anerkennung seines Rechte,
sondern lediglich über die Aufhebung einer Störung und über die
Wiederherstellung des früheren tatsächlichen Besitzstandes begehrt.
Richtig ist allerdings, dass der Kläger in zweiter Instanz auch
geltend gemacht hat, »in keinem Falle dürfe ihm der Rechtsweg
zur Feststellung seiner Rechte an den bisher von ihm benutzten
Chorstühlen versagt werden, c Eine Veränderung oder Erweiterung
seines Klageantrages hat er aber hieran nicht geknüpft und auf den
Widerspruch der Beklagten gegen eine in diesem Sinne vorzu-
nehmende Klageänderung auch keineswegs eingewendet, dass seine
Erklärung gar keine Klageänderung oder beziehungsweise Erweiter-
ung des Klageantrages beziele, sondern den bereits gestellten An-
trag einfach in dem von ihm gemeinten Sinne erläutern solle.
Unter diesen Umständen war der Vorderrichter prozessualisch
nicht genötigt, auf eine »formelle Ergänzung des Klageantrages
durch Ausübung seiner Fragepflichtc (§ 139 Civilprozessordnung) hin-
zuwirken. Es kann somit auch unerörtert bleiben, ob durch Er-
hebung des vorgedachten petitorischen Anspruches vorliegenden
Falles eine Änderang der Klage oder nur eine Erweiterung des An-
trages im Sinne des § 268 Ziffer 2 Civilprozessordnung bedingt
worden wäre.
Nimmt hiemach nun aber das Berufungsgericht mit Recht an,
dass die erhobene Klage nur die BesitzUage ist, so muss ihm auch
weiter darin beigetreten werden, dass über den dadurch geltend ge-
machten Anspruch, welcher sich gegen eine von dem Qemeinde-
kirchenrat innerhalb seiner Zuständigkeit getroffene kirchenpolizei-
liche Massregel richtet, eine Erörterung im ordentlichen Rechtswege
ausgeschlossen ist.
Unstreitig ist nach den Feststellungen des BerufungsurteilS;
dass der Gemeindekirchenrat dem Kläger die 12 Emporensitze ent-
zogen hat aus Anlass einer baulichen Veränderung im Innern der
Kirche zu D., welche zur Folge gehabt hat, dass eine gleiche An-
zahl für die Prediger, Lehrer u. s. w. bestimmter Sitze beseitigt
und insoweit eine anderweite Verteilung der Kirchensitze erforder-
lich geworden ist. Wenngleich nun kein Zweifel besteht, dass das
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und Entscheidungen» 299
Recht, von der Kirchengemeinde die dauernde Überlassung gewisser
Sitze zum ausschliesslichen Gebrauche bei der Teilnahme am Gottes-
dienste der Gemeinde zu fordern, auch auf Grund eines privatrecht-
lichen Titels sowohl persönlich als dinglich einem Gemeindemitglied
zustehen und dass nach dem Preussischen Allgemeinen Landrecht ein
solches Recht insbesondere auch durch Verleihung (§§ 676 bis 685
Titel 11 Teil II) und durch Ersitzung (§§ 629 bis 631 Titel 9 Teil I)
von ihm erworben werden kann, so erscheint es doch ebenso un-
zweifelhaft, dass eine petitorische oder possessorische Verfolgung
desselben, obwohl an sich statthaft, doch nur unter denjenigen Ein-
schränkungen zugelassen ist; die sich aus seiner Bestimmung zum
Gottesdienst und aus der Beobachtung der äusseren kirchlichen
Ordnung ergeben. Durch das Bürgerliche Gesetzbuch ist an den
landesgesetzlichen Vorschriften über dieses Recht nichts geändert
worden (Artikel 133 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch).
Die Befagnisse des Gemeindekirchenrats rücksichtlich der
Kirchensitze regeln sich durch § 15 Abs. 1 der Eirchengemeinde-
and Synodalordnung far die östlichen Provinzen vom 10. September
1873, wonach ihm die Sorge för die Erhaltung der äusseren gottes-
dienstlichen Ordnung obliegt, insbesondere aber durch § 41 der Ver-
waltungsordnung für das kirchliche Vermögen in den östlichen Pro-
vinzen der preussischen Landeskirche vom ^ n^juniTBos ^ Solcher
in Absatz 1 bestimmt:
»die Regelung der Eirchensitze ist, soweit nicht etwaige
(jedesmal besonders eu erweisende) Privatrechte in Frage
sind, unter Beachtung der bestehenden allgemeinen Bestim-
mungen (§§ 676 bis 685 Allgemeinen Landrechts Teil n
Titel 11) und örtlichen Rechtsordnungen von dem Gemeinde-
kirchenrat im Verwaltungswege nach Gesichtspunkten des
öffentlichen Interesses vorzunehmen. Die Entscheidungen
derselben sind bis ßum Nachweis entgegenstehender Privat-
ansprüche im Rechtswege nicht aneufechten und nötigenfalls
polizeilich zu schützen (Entscheidungen des Eompetenzge-
gerichts vom 18. März 1865, Justizministerialblatt Seite 134,
und vom 14. April 1883, Eirchl. Gesetz- und Verordnungs-
blatt Seite 70, und des Oberverwaltungsgerichts vom 10. De-
zember 1884, ebenda 1885 Seite 29).c
Hieraus folgt, dass dem Eläger, der durch die Anordnung des
Gemeindekirchenrats sich in dem von ihm beanspruchten Privatrecht
auf die ausschliessliche Benutzung der Emporensitze verletzt fühlt,
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300 Staatliche Aktenstücke
unbedenklich zwar freisteht , gegen die Kirchengemeinde auf Aner-
kennung desselben und ffir den Fall der Erstreitung dieses Anspruchs
eventuell auch auf Entschädigung zu klagen, dass er jedoch mittels
seiner gegenwärtigen Besitzklage nicht verlangen kann, dass der
(remeindekirchenrat unter Androhung einer fiskalischen Strafe ver-
urteilt werde, die im Interesse des Kultus von ihm getroflFene Ent-
ziehungsmassregel rückgängig zu machen. Über einen Anspruch
dieser Art, der die Aufhebung einer polizeilichen Verfügung betrifft,
würde die Entscheidung nur der vorgesetzten Verwaltungsbehörde ge-
bühren (vgl. auch Entscheidungen des Beichsgerichts in Givilsachen,
Band 7 Seite 137, Band 16 Seite 159, Band 24 Seite 176).
Bezüglich der sechs Sitze auf dem höheren Chor rechts vom
Altar, auf welche sich die Revision der Beklagten bezieht, hat der
Gemeindekirchenrat dem Kläger nach dessen eigenem in dem ange-
fochtenen Urteil festgestellten Vortrage lediglich die Eröffnung ge-
macht, dass dieselben ihm fortan »nur zeitweisec überlassen würden.
Das Berufungsgericht legt nun diese Eröffnung dahin aus, dass
es sich hierbei um nichts weiter als um eine Ȁusserungc des Ge-
meindekirchenrats handle, »durch welche das angebliche Recht des
Klägers an diesen Sitzen bestritten wird, nicht also um eine kirchen-
polizeiliche oder sonst im Interesse des Kultus ergangene Anordnung,
welche geeignet wäre, den Kläger — sofern er überhaupt ein Recht
an diesen Sitzen hat ~ des gerichtlichen Schutzes dieses Rechts
verlustig zu machen«, und dass »nicht erfindlich« sei, wie diese Er.
klärung mit der baulichen Veränderung der Kirche in ursächlichen
Zusammenhang zu bringen wäre. Der Gemeindekirchenrat habe
»damit bei der tatsächlichen Belassung des Klägers in der Be-
nutzung dieser Stühle nichts anderes sagen wollen, als dass er die
Rechtsansprüche des Klägers auf diese Stühle ebensowenig anerkenne,
als diejenigen auf die Emporensitze«. Die Willenserklärung sei also
»rein privatrechtlichen Charakters« gewesen und auch »dadurch nicht
zu einer öffentlichen Anordnung geworden« dass sie der Gemeinde-
kirchenrat mit der Mitteilung einer solchen zu verbinden für gut
befand«.
Der Berufungsrichter zieht hieraus den Schluss, dass dem
Kläger in Ansehung der sechs Altarchorsitze für die Besitzklage
der Rechtsweg nicht versagt werden könne, und dass daher die
Sache insoweit unter Aufhebung des hierauf bezüglichen Teiles der
landgerichtlichen Entscheidung »ohne Prüfung der Frage, ob jene
Erklärung des Gemeindekirchenrats überhaupt ausreichen kann, die
Besitzklage zu begründen«, an die Vorinstanz zurückzuverweisen sei.
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und Entscheidungen. 301
Die Bevision der Beklagten macht hiergegen geltend, dass
diese Erwägungen »auf einer Verkennung des rechtlichen Charakters«
der betreffenden Anordnung des Gemeindekirchenrates beruhten.
»Die Bestimmung, dass gewisse Sitze dem, welcher ein Recht auf
sie zu haben behauptet, nur zeitweise, also auf Widei ruf seitens des
Gemeindekirchenrats überlassen werden« , ent halte — so meint die
Beschwerdeführerin — eine Anordnung über die Verteilung be-
ziehungsweise Neuverteilung der Eirchensitze , eine kirchenpolizei-
liche Anordnung, die ebensowenig, wie die sofortige Entziehung von
Sitzen im Rechtswege angefochten werden kann. Keinesfalls »könne«
ihr gegenüber das vermeintliche Recht des Klägers auf die dauernde
Benutzung dieser Sitze durch die angestellte Klage geltend gemacht
werden^ durch welche dem Qemeindekirchenrat jede Störung des
Klägers bei Benutzung der Sitze bei Strafe verboten, ihm also auch
die Befugnis abgesprochen werden soll, künftig kirchenpolizeiliche
Anordnungen zu erlassen, durch welche dem Kläger diese Kirchen-
stühle entzogen werden.«
Der Angriff erscheint begründet. Da der Gemeindekirchenrat
auch diese Verfügung, durch welche er die sechs Kirchensitze auf
dem höheren Chor dem Kläger fortan nur widerruflich überliess,
festgestelltermassen aus Anlass der baulichen Veränderung der Kirche
und in seiner amtlichen Eigenschaft erlassen hat, so ergibt sich auch
hier ihr polizeilicher Charakter von selbst. Die Beklagte selbst be-
ruft sich auf diesen Charakter, und in eine Prüfung darüber, ob die
Verfugung, wie die Beklagte vermeint, durch den § 41 des Ver-
mögensverwaltungsgesetzes sich rechtfertigt, kann demnach, ebenso
wie in dem ersten Falle, nur die vorgesetzte kirchliche Verwaltungs-
instanz, nicht aber der ordentliche Richter eintreten, denn auch hier
begehrt der Kläger nicht Feststellung seines Rechts, sondern ledig-
hch die Beseitigung der Massregel. Auch die Frage, ob in der vor-
gedachten Eröffnung des Gemeindekirchenrats vorliegendenfalls schon
eine Besitzstörung gefunden werden könnte, darf daher aui sich be-
ruhen bleiben.
Hiernach war, wie geschehen, zu erkennen.
Unterschriften.
IV. 216/00.
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302 staatliche Aktenstücke
7. Aufbringung Ton Pfarrgehalt seitens mehrerer unter einem
gemeinsehaftllehen Pfarramte yerbnndenen Kirehengemeinden
in Prenssen.
(Erk. d. kgl. OberverwaltungagerichU v. 5. März 1901.)
Im Namen des Königs!
In den Verwaltungsstreitsachen
1. der Kirchengemeinde Lipkesbruch,
2. der Kirchengemeinde Pollychener-HoUaender,
Klägerinnen,
wider
1. das K. Konsistorium der Provinz Brandenburg,
2. den K. Regierungspräsidenten zu Frankfurt a/0.,
Beklagte,
hat das K. Oberverwaltungsgericht, Erster Senat, in seiner Sitzung
vom 5. März 1901 . . .
für Becht erkannt,
dass die Klagen gegen die Zwangsetatisirungsverfügung der
Beklagten vom 27./31. Januar 1900 abzuweisen und die
Kosten — unter Festsetzung des Werts des Streitgegen-
standes auf 100,52 Ji — den Klägerinnen zur Last zu legen«
Von Rechts Wegen.
Gründe.
Unter dem gemeinschaftlichen Pfarramte zu Lipke, Diözese
Landsberg a/W., sind die Kirchengemeinden Lipke, Christophswalde,
Lipkesbruch (oder Lipkeschbruch) und Pollychener-HoUaender ver-
bunden. Um in dem Pforretat, der in Einnahme und Ä^usgabe mit
jährlich 3415 Jl abschliesst, das Gleichgewicht herzustellen^ bedurfte
es im Rechnungsjahre 1899 einer Summe von 1210,52 Ji* Davon
wurden 1110 Ji durch Gewährung einer Beihülfe aus dem staat-
lichen Zuschussfonds übertragen (Art. 3, 4 des Staatsgesetzes über
das Diensteinkommen der evangelischen Plarrer vom 2. Juli 1898
und § 21 des betreffenden Kirchengesetzes für die älteren Provinzen
von demselben Tage — Gesetzsammlung S. 155, 159 — ). Den
Überrest von 100,52 Ji aufzubringen, erklärte das K. Konsistorium
der Provinz Brandenburg, nach Anhörung des Vorstandes der Kreis-
synode Landsberg a/W., durch Verfügung an den Oemeinde-Kirchen-
rat zu Lipke vom 15. Dezember 1899 die Kirchengemeinden Lip-
kesbruch und Pollychener-HoUaender für leistungsfllhig und mit der
Massgabe für verpflichtet, dass der Fehlbetrag zwischen ihnen »nach
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und Bntadheidungen. 303
Verhältnis ihres Einkommensteuersolls« zu verteilen sei. Zugleich
machte das Konsistorium dem Gemeinde-Eirchenrat bemerklich:
>Die der Pfarrgemeinde gewährte Beihülfe sei mit Rücksicht auf
die Leistungsunfähigkeit der Gemeinden Lipke und Christophswalde
und um den gesamten Gemeinden der Parochie nach Möglichkeit zu
Hülfe zu kommen, auf den sehr hohen Betrag von 1110 Jt be-
messen; in ihr sei mithin der ganise von Lipke und Christophswalde
zu Pfarrbesoldungszwecken aufzubringende Betrag enthalten.« Der
Gemeinde-Eirchenrat Lipke lehnte es jedoch ab, sich der ihm auf-
getragenen ünterverteilung der 100,52 Ji zwischen Lipkesbruch
und Pollychener-Hollaender zu unterziehen. Demzufolge schritt das
Eonsistorium im Einvernehmen mit dem E. Begierungspräsidenten
zu Frankfurt a/0. zur Zwangsetatisierung^. Unter Bezugnahme auf
die Art. 27 Absatz 2, 28 des EirchenverflEtösungsgesetzes v. 3. Juni
1876 nebst Eöniglicher Ausftthrungs- Verordnung vom 9. September
1876 (Ges.-Samml. S. 1^, 395) und Art. 6 des staatlichen Pfarr-
besoldungsgesetzes ordneten beide Behörden durch Verfügung vom
27./31. Januar 1900 an,
»dass in den Etat der Eirchengemeinden Lipkesbruch und
Pollychener-Hollaender die auf sie entfallenden Anteile an
dem Gemeindebeitrage zur Deckung des Fehlbetrags im
Pfarrkassenetat der Parochie Lipke von zusammen 100,52 Ji
einzutragen seien.«
Auch hierbei wurde erläuternd darauf hingewiesen:
»dass die gewährte Beihülfe von 1110 cM nicht nur die
nach Massgabe des Steuersolls berechneten Anteile an dem
Fehlbetrage, welche auf Lipke und Ghristophswalde fielen,
sondern auch die nach der Höhe der Einkommensteuer aller
Beteiligten bemessenen Anteile von Lipkesbruch und PoUy-
chener-Hötlaender bis auf den Betrag von 100 jS2 Jt decke,
zu dessen Aufbringung die letzteren Gemeinden fär fähig zu
erachten seien.«
Am Schlüsse der Verfügung hiess es : Falls nicht^n einer drei-
wöchigen Frist die Gemeinde-Eirchenräte der Gesamtparochie über
die Verteilung der 100,52 Ji auf Lipkesbruch und Pollychener-
Hollaender und die kirchlichen Gemeindekörperschaften dieser beiden
Gemeinden über die Aufbringung der auf sie entfallenden Beträge
beschlössen, so würden die letzteren Beträge auf die Gemeinden
nocA der Einkommensteuer von Amtswegen verteilt und im Ver-
waltungswege beigetrieben werden.
Hiergegen erhoben zunächst namens der Earchengemeinde Lip-
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304 Staatliche Aktenstücke
kesbruch und des Gemeinde-Kirchenrats und der Gemeindevertretung
von PoUychener-Hollaender einzelne von den Mitgliedern der beider-
seitigen Kirch engemeindekörperscbaften je besondere Klagen, von
denen die erstere gegen das Konsistorium und den Regierungs-
präsidenten, die letztere gegen das Konsistorium und die Regierung
zu Frankfurt a/0. gerichtet waren. Innerhalb einer Frist jedoch,
die der Gerichtshof hierzu gemäss § 89 der Civilprozessordnuug
(in der neuen Fassung) gesetzt hatte, sind die Gemeinde-Kirchenräte
von Lipkesbruch und von Poliychener-HoUaender für diese beiden
Gemeinden unter Genehmigung der bisherigen Prozessführung, in
den Rechtsstreit eingetreten.
I. Die Gemeinde Lipkesbruch stellt in Abrede, dass sie zur
Übernahme der ihr angesonnenen Leistung föhig sei. Hierfür macht
sie namentlich (mit näheren tatsächlichen Angaben) die noch an-
dauernden Folgen erlittener Wasserschäden und den landwirtschaft-
lichen Notstand überhaupt, sowie das Erfordernis fast unerschwing-
licher Ausgaben für teils kürzlich ausgeführte, teils bald in Angriff
zu nehmende Schul-, Kirchen- und Brückenbauten und die Höhe
der Abgaben im Koramunalver bände geltend. Mit Rücksicht hierauf
bittet die Klägerin in erster Linie, den Fehlbetrag von 100,52 Jl
ebenfalls aus dem Zuschussfonds zu bewilligen. Für den Fall, dass
dem nicht stattgegeben werden könne, wendet die Klägerin ein : Den
Pfarrkassenetat habe der Kirchenrat von Lipke aufgestellt, ohne die
Gemeindevertretung von Lipkesbruch zu befragen ; dazu sei er nicht
befugt gewesen, »indem doch jetzt, wo es sich um die Deckung eines
Ausfalls im Etat handle, die Gemeindevertretung von Lipkesbruch
ihre Genehmigung erteilen solle.« Jedenfalls müsse der Ausfall von
allen Kirchengemeinden der Gesamtparochie Lipke nach dem Ver-
hältnis ihres Einkommensteuersolls »wie alle anderen Kirchenbe-
amtenlasten« getragen werden. Gerade behufs Sicherstellung einer
sachgemässen Erledigung der Angelegenheit alle ihr sonst dienlich
erscheinenden, an sich statthaften Anordnungen zu erlassen. Letzteres
bringt Art. 27 Absatz 2 des Kirchen Verfassungsgesetzes vom 3. Juni
1876 noch besonders zum Ausdruck, indem er gegenüber der
Weigerung eines Gemeinde-Kirchenrats oder einer Gemeindever-
tretung, gesetzliche Leistungen, welche aus dem kirchlichen Ver-
mögen zu bestreiten sind, oder den Pfarreingesessenen obliegen, auf
den Etat zu bringen, festzusetzen oder zu genehmigen, sowohl dem
Konsistorium als auch der Staatsbehörde unter gegenseitigem Ein-
vernehmen nicht bloss die Befugnis zur Zwangsetatisirung , sondern
ausserdem noch die Befugnis beilegt, »die weiter erforderlichen An-
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und Entscheidttngen, 305
ordnuDgen zu treffenc Den Gegenstand des Verwaltangsstreitver-
fahrens aber, welches durch Absatz 3 a. a. 0. den Oemeindeorgaoen
eröffnet ist, wenn sie ... . »die Verpflichtung zu den auf Anord-
nung des Konsistoriums und der Staatsbehörde in den Etat einge-
tragenen Leistungen bestreitenc, bildet nach dem klaren Wortlaute
des Gesetzes nur und ausschliesslich die Frage nach dem Bestehen
oder Nichtbestehen eben dieser Verpflichtung, d. i. der Gesetzmässig-
keit der Zwangsetatisierung, keineswegs aber die rechtliche Zulässig-
keit oder gar die Zweckmässigkeit, Dienlichkeit und Angemessenheit
derjenigen Anordnungen, zu welchen sich etwa Konsistorium oder
Staatsbehörde noch neben der Zwangsetatisierung behufs deren ord-
nungsmässiger Durchfährung bewogen gefunden haben. Genau so
wie in Fällen der Zwangsetatisierung gegen kommunale Verbände
im weitesten Sinne des Wortes (bürgerliche oder Schulgemeinden,
Amts-, Kreis-, Provinzial-Korporationen u. s. w.) bestimmt sich
vielmehr die Zulässigkeit der Rechtsmittel zur Anfechtung derjenigen
Anordnungen jedweder Art, welche die Behörde zur Durchsetzung
der zwangsetatisierten Ausgabe überhaupt oder in einer dem Kor-
porationsinteresse tunlichst wenig abträglichen Weise sonst noch ge-
troffen hat, nicht nach anderen Grundsätzen als denen, die mass-
gebend sein würden, wenn die Leistung einer von der Korporation
freiwillig auf ihren Etat übernommenen gesetzlichen Ausgabe er-
zwungen werden sollte und deshalb Anlass zur Zwangsetatisierung
nicht vorgelegen hätte. Je nach der Art des gewählten ander-
weitigen Zwangsmittels bleibt alsdann zu prüfen, wie die Gesetze
die hiergegen zulässigen Rechtsbehelfe regeln und ob insbesondere
die Klage im Verwaltungsstreitverfahren stattfindet (§ 7 des
Landesverwaltungsgesetzes — Entscheidungen des Oberverwaltungs-
gerichts vom 27. November 1880 und 11. November 1882, Bd. VII
S. 211, Bd. IX S. 93 und 106). Hier enthielt die angegriffene Ver-
fügung ein Zwiefaches, nämlich einmal die Eintragung eines Pfarr-
besoldungsbeitrages in den Etat und zugleich Weisungen darüber,
dass und wie für die Herbeischaffung von Zahlungsmitteln Sorge
getragen werden solle. Beide Gruppen und Anordnungen sind durch-
aas verschiedener rechtlicher Natur. Nur die erstere kennzeichnet
sich als eine mit der Klage aus Art. 27 Absatz 3 des Kirchenver-
fassungsgesetzes anfechtbare Zwangsetatisierung, während die letztere
unter den Begriff der im Absatz 2 erwähnten »weiter erforderlichen
Anordnungenc fällt, da sie lediglich auf eine angemessene Durch-
filhrung der Zwangsetatisierung abzielte. Die Entscheidung darüber,
ob und nach welchem Massstabe kirchliche Umlagen auf die Mit-
▲rohiT fitr Kirohenraofat. LXXXm.
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306 StaaÜiehe Aktenstücke
glieder einer kirchlichen EinzelgemeiDde auszaschreiben sind, ist
aber dem Oberverwaltungsgerichte weder im Art. 27 a. a. 0., noch
irgendwo sonst im Oesetz übertragen. So weit daher die Klage der
Gemeinde Pollychener-Hollaender nicht bloss gegen die Zwangs-
etatisierung, sondern auch gegen die mit dieser verbundene weitere
Anordnung gerichtet ist, die Dnterverteilung der zwangsetatisierten
Qemeindeleistung nach der Einkommensteuer zu bewirken, muss sie
schon wegen Unzulässigkeit des Verwaltungsstreitverfahrens abge-
wiesen werden.
Zur Berücksichtigung an sich geeignet sind die Ausstellungeni
welche die Klägerinnen dagegen erheben, dass, wie sie meinen, die
Deckung des Fehlbetrages ihnen allein, unter Freilassung der mit-
verpflichteten Gemeinden Lipke und Christophswalde, angesonnen
worden sei. Inhaltlich erweisen sich jedoch die An- und Aus-
führungen, welche die Klägerinnen hierfür geltend machen, als nicht
stichhaltig. Zuzugeben ist den Klägerinnen, dass zur Bereitstellung
der Mittel, deren es bedurfte, um das Gleichgewicht im Pfarrkassen-
etat der Gesammtparochie herzustellen, atte vier eingepfarrten Ge-
meinden gesetzlich verpflichtet waren. Aber die Klägerinnen be-
finden sich im Irrtum mit ihrer Annahme, dass von dem Kon-
sistorium eine diese Rechtslage verkennende Festsetzung getroffen
worden sei. Konsistorium und Regierungspräsident hatten vielmehr,
was bereits in der Feststellungsverfügnng vom 15. Dezember 1899
an den Gemeinde-Kirchenrat zu Lipke gesagt war und in der Zwangs-
etatisierungsverfüguug nochmals wiederholt und nachdrücklich betont
wurde, die Beihülfe von 1110 e/4( aus dem Zuschussfonds zur Er-
leichterung der Gesamiparochie bewilligt und aus ihr die nach dem
Steuer- (d, i. dem Einkommensteuer-) Soll aller vier vereinigten Ge-
meinden berechneten Anteile , soweit sie auf Lipke und Christophs-
walde entfielen, in voller Höhe, nicht minder aber auch, soweit sie
auf Lipkesbruch und Pollychener-Hollaender entfielen, bis cmf den
jetzt streitigen Besibetragy zu dessen Aufbringung sie diese für fthig
erachteten, übertragen. So zu verfahren, waren die Beklagten nach
der unmissverständlichen Vorschrift im Art. 4 des staatlichen Pfarr-
besoldungsgesetzes durchaus befugt. Die Beklagten würden noch
weiter haben gehen und von jeder Zuwendung an die Klägerinnen
absehen, von ihnen den auf sie entfallenden Anteil unverkürzt er-
fordern können, vorausgesetzt, dass sie — was lediglich ihrem pflicht-
mässigen Ermessen überlassen blieb — die Klägerinnen auch dazu
für ausreichend leistungsfähig erachtet hätten. Einen Rechtsanspruch
auf Beihülfe überhaupt oder darauf, dass die der Gesamtparochie ge-
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und BM^cheidungefi» SOt
währte Beihulfe den Einzelgemeinden gleichinässig^überwiesen werde,
hatten die Klägerioneo nicht. Ob and in welcher Höhe eine Bei-
hülfe zu gewähren und wie die gewährte auf die vier Yerbandsge-
meinden zu verteilen sei, hing ausschliesslich von der — keiner
richterlichen Nachprüfung unterworfenen — Entschliessung der Auf-
sichtsbehörden ab. Wie sich die Klägerinnen dies nicht gegenwärtig
gehalten haben, so ist ihnen auch entgangen, dass auf dem öffent-
lichen Rechte beruhende Abgaben und Lasten eine Änderung ihrer
rechtlichen Natur nicht dadurch erleiden, dass sie an Stelle des
Pflichtigen von einem Dritten freiwillig ohne rechtliche Verpflichtung
erfüllt werden. Lipke und Christophs walde sind keineswegs über-
gangen. Ihre Anteile sind nicht ausgefallen, sondern, obschon sie
durch die Beihülfe ausgeglichen wurden, nichts destoweniger doch
der Gesamtheit zu statten gekommen. Von einer Überbürdung der
Klägerinnen könne nur die Kode sein, wenn auf jede von ihnen nach
dem der 06erverteilung des Fehlbetrags der 1210,52 Ji zwischen
den vier Gemeinden zu gründe zu legenden Massstab nicht einmal
ein Anteil in Höhe desjenigen Betrages entfallen sein würde, wel-
chen sie nun zu dem die Beihülfe übersteigenden Beslheir^ge der
100,52 Ji beitragen soll. Dass dem so sei, haben aber die Klägerinnen
weder behauptet, noch ist es nach den sonst vorliegenden Nachrichten
anzunehmen.
Anlangend die Rechtmässigkeit des Oberverteilungsmassstabs
nach der staatlichen Einkommensteuer, so kommt folgendes in Be-
tracht:
Der § 252 Titel 11 Theil II des Allgemeinen Landrechts
schreibt vor:
»Inwiefern die vereinigten Kirchen zum Unterhalte des
gemeinschaftlichen Pfarrers und seiner Qehülfen beitragen
müssen, beruht hauptsächlich auf Verträgen und ist in deren
Ermangelung durch die hergebrachte Verfassung einer jeden
Kirche bestimmt.«
Für den Fall des Nichtbestehens von Verträgen oder einer her-
gebrachten Kirchenverfassung ergab sich früher aus § 2 Absatz 2
der Kirchengemeinde- und Synodalordnung die rechtliche Folge,
dass der Anteil jeder einzelnen Gemeinde durch einen der Ge-
nehmigung der kirchlichen und staatlichen Aufsichtsbehörde unter-
liegenden BesctUuss der vereinigten Gemeindekörperschaften ent-
sprechend den Grundsätzen des § 31 Nr. 6 a. a. 0., »nach Mass-
gabe direkter Staatssteuern oder am Orte erhobener Kommunal-
steuern« festzusetzen war (vergl. § 52 der Verwaltungsordnung vom
Digitizec^^GoOgle
30d kaaäiche Akienaiüeke
17. Juni 1893 — Kirchl. Ges.- und Verordn.- Blatt S. 28 ff. — Or-
teil des Ober Verwaltungsgerichts vom 28. Okt. 1898, Entscheidungen
Band XXXV S. 173, 174). Im § 12 Absatz 4 des kirchlichen Pfarr-
besoldungsgesetzes ist dagegen verordnet:
»Bei den unter einem Pfarramte vereinigten Gemeinden
entscheidet über das Verhältnis, in welchem sie zu den nach
diesem Gesetz ihnen obliegenden Leistungen beizutragen haben,
in Ermangelung vorhandener Bestimmungen oder rechtsgül-
tiger Vereinbarungen das Konsistorium nach Anhörung des
Ereissy nodal Vorstandes. €
Es hat somit zwar sein Bewenden behalten bei der landrecht-
lichen Regel, dass die örtliche Kirchenverfassung, mögen ihre Normen
auf Vertrag, Observanz oder anderen Titeln des öffentlichen Rechts
beruhen, in erster Linie den Ausschlag gibt. Wo es aber an der-
artigen Normen fehlt und sich auch eine Vereinbarung der be-
teiligten Gemeinden nicht erzielen l&sst, gebührt die Entscheidung
dem Konsistorium, das vorher den Kreissynodalvorstand zu hören hat
Im vorliegenden Falle hat das Konsistorium das Staatsein-
kommensteuersoll als Verteilungsmassstab festgesetzt. Diese Fest-
setzung ist im Verwaltungsstreitverfahren allerdings auf ihre Ange-
messenheit nicht, wohl aber darauf hin nachzuprüfen, ob sie nicht
dem bestehenden Rechte widerstreitet. Daran würde, feststehender
Rechtsprechung gemäss, festzuhalten sein, selbst wenn, was jedoch
kaum anzunehmen ist , das Konsistorium es zn bestreiten beabsich-
tigt haben sollte. Bedenken gegen die Festsetzung walten indess
nicht ob. Von den Klägerinnen hat Pollychener-Hollaender eine Er-
klärung darüber, ob der Massstab für die Pfarrlastenverteilung zwi-
schen den Gemeinden durch die Kirchenverfassung geregelt sei, nicht
abgegeben, sondern sich auf die Anfuhrung beschränkt, dass im
Kreise ihrer eigenen Gemeindeglieder alle Abgaben nach dem Soll
an Einkommen-, Grund- und Gebäudesteuer aufgebracht würden,
was nach den örtlichen Verhältnissen in der Billigkeit begründet sei ;
darauf kommt es jedoch, wie oben dargelegt ist, nicht an. Lipkes-
brach behauptet eine gleichmässige Uebung, wonach in der Parochie
Lipke alle »Kirchenbeamtenlastenc nach dem Einkommensteuersoll
auf die Gemeinden umzulegen seien. Eine Äusserung der beklagten
Behörden hierüber liegt nicht vor. Danach lässt die Frage nach
dem Bestehen oder Nichtbestehen der von Lipkesbruch behaupteten
Übung zur Zeit nicht abschliessend beantworten. Jedenfalls spricht
aber nichts dafür, dass der vom Konsistorium gewählte die beiden
kleinen Gemeinden Lipkesbruch und Pollychener-Hollaender allein
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und EtUacheidungen. 309
mit dem Fehlbetrage zu belasten, sei nnstatthaft and entspreche
auch nicht der Billigkeit. Denn Lipkesbruch zähle nur 260, Ghristophs-
walde dagegen 800 und Lipke sogar 3000 Einwohner, unter denen
sich bedeutend mehr wohlhabende befänden; auch predige der Pfarrer
in Lipkesbruch nur achtmal im Jahre, während die grosse Gemeinde
Lipke sonntäglichen Gottesdienst habe. Es werde beantragt zu ent^
scheiden :
dass die fehlenden 100,52 oM nach dem Verhältnisse des
Staatseinkommensteuersolls 7on sämtlichen Eirchengemeinden
der Parochie Lipke aufzubringea seien.
IL Die Gemeinde Pollychener-HoUaender will die Notwendig-
keit der Aufbringung des Fehlbetrages von 100,52 Jl an sich nicht
bemängeln, fühlt sich aber ebenfalls dadurch beschwert, dass die
Last ihr zusammen mit Lipkesbruch allein aufgebürdet und dass sie
von ihr nur nach der Einkommensteuer umgelegt werden solle. Die
Pfarrgenossen von Pollychener-Hollaender — so wird ausgeführt —
seien nicht in höherem Masse leistungsßihig als diejenigen in den
anderen Teilen der Gesamtparochie. Wie eine amtliche Auskunft
des K. Landratsamts bestätigen werde, habe in Pollychener-Hollaen-
der das Einkommensteuersoll 1899 nur 672 Ji, in Lipke dagegen
in demselben Jahre 2X12 Jt und im folgenden Jahre in Folge Zu-
zugs sehr reicher Personen noch mehrere hundert Mark mehr be-
tragen. Die wirtschaftliche Lage der Gemeindeglieder sei überall
annähernd gleich. Es fehle an jedem Grund und Anlasse, Lipke
und Christophswalde , namentlich erstere Gemeinde , von der Pflicht
der Beisteuer zu den 100,52 Ji zu entbinden. Den Verteilungs-
massstab anlangend, so erscheine es unbillig, ihn für Pollychener-
Hollaender nur nach dem Einkommensteuersoll zu bestimmen. Denn
dort gebe es zahlreiche Grundbesitzer, welche zwar nicht zur Ein-
kommensteuer veranlagt, aber doch so gut gestellt seien, dass sie
gleich den wenigen, Einkommensteuer zahlenden Personen an den
Gemeindeabgaben teilnehmen könnten. Alle Steuern in Pollychener-
Hollaender würden denn auch, wie eine amtliche Auskunft des Orts-
Torstandes ergeben werde, nach dem Soll an Einkommen-, Grund-
nnd Gebäudesteuer aufgebracht. Danach rechtfertige sich der Antrag :
die Zwangsetatisierung dahin zu ändern, dass der Fehlbetrag
100,52 Jt von der Gesamtparochie Lipke statt von Lip-
kesbruch und Pollychener-Hollaender allein aufzubringen,
und dass der von der Klägerin zu leistende Beitrag nicht
nach dem Einkommensteuersoll, sondern nach dem Soll an
Einkommen-, Grund- und Gebäudesteuer zu verteilen sei.
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310 Staatliche Aktenstücke
Von den beUagten Behörden, die mit Überreichung der akten-
raässigen Vorgänge übereinstimmend Abweisung der Klage beantragt
haben, entgegnete das Konsistorium :
Die Regierung zu Frankfurt a/0. sei bei der angefochtenen
Verfügung nicht beteiligt, daher nicht passi? legitimiert.
Nach § 12 des kirchlichen PfarrbesoIduDgsgesetzes liege den
Kirchengemeinden der Parochie Lipke die Pflicht ob, den zur Her-
stellung des Gleichgewichts im Pfarrkassenetat erforderlichen Betrag,
also auch den durch Beibülfe nicht gedeckten Fehlbetrag von
100,52 Ji zu gewähren. Die Entscheidung der kirchlichen und
staatlichen Aufsichtsbehörde über das Beitragsverhältniss der ein-
zelnen Kirchengemeinden sowie über deren Leistungsfähigkeit sei im
Verwaltungsstreitverfahren nicht anfechtbar. Da hier auf Qrund ein-
gehender Ermittelungen und gutachtlicher Äusserungen die Regierung
zu Frankfurt a/0. die klagenden Gemeinden und nur sie allein leist-
ungsföhig befunden worden, habe der entsprechende Anteil einer jeden
von ihnen an dem Fehlbetrage zwangsetatisiert werden dürfen.
Der Regierungspräsident hält die Klägerinnen nicht für befugt.
Rechte für sich aus der Nichtinanspruchnahme von Lipke und Chri-
stophswalde herzuleiten.
Zur mündlichen Verhandlung hatten sich nur ein Kirchen-
gemeindevertreter von Lipkesbruch und ein Kirchenältester von
PoUychener-Holiaender eingefunden, von denen jeder den Stand-
punkt seiner Gemeinde im Sinne ihrer Klageschrift und zwar ohne
neue tatsächliche Anführungen verteidigte.
Bei dieser Sachlage und nachdem der Gerichtshof die Ver-
bindung beider Streitsachen miteinander beschlossen hatte, war, wie
geschehen, zu erkennen.
Die Bedenken, die von den beklagten Behörden gegen die
Prozesslegitimation der anfänglich im Namen der Kirchengemeinden
Lipkesbruch und Pollychener-Hollaender klagend vorgegangenen ein-
zelnen Ältesten und Gemeindevertreter mit Recht angeregt waren,
haben sich in der oben angegebenen Weise erledigt. Dass in der
Aufschrift der für Pollychener-Hollaender angestellten Klage als
mitbeklagt die unbeteiligte Regierung und nicht der beteiligte Re-
gierungspräsident zu Prankfurt a/0. bezeichnet worden, ist unerheb-
lich, da die Klageschrift keinen Zweifel darüber lässt, dass der Re-
gierungspräsident hat mitbeklagt werden sollen, und dieser auch die
Klage beantwortet hat.
Sachlich erwies sich der Klageanspruch als unbegründet.
Im Streite befangen ist die Leistung von Bestandteilen des
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ufu2 Entscheidungen. 311
DieDsteinkommeos för den Inhaber des gemeinschaftlichea Pfarramts
zu Lipke, unter dem nach dem Einverständnisse der Parteien die
klagenden Eirchengemeinden Lipkesbruch und Pollychener-Hollaender
mit denen zu Lipke und Christophswalde vereinigt sind. Zur Fest-
stellung dieser Leistung war das beklagte Konsistorium zuständig
(Endurteil des Oberverwaltungsgerichts vom 24. Januar 1894, Ent-
scheidungen Band XXVI S. 146 ff.). Auf Grund der von ihm mit-
tels Yerfäguug vom 1. September 1899 getroffenen Feststellung
konnte das Konsistorium ferner im Einvernehmen mit dem beklagten
Begierungspräsidenten nach den gesetzlichen Vorschriften, auf die in
der angefochtenen Verfügung verwiesen ist, zur Zwangsetatisierung
schreiten. Zu prüfen bleibt, ob der zwangsetatisierte Beitrag zu
dem Pfarrgehalte eine gesetzliche Leistung darstellt, welche aus
dem kirchlichen Vermögen der in Anspruch genommenen Gemeinden
zu bestreiten ist, oder ihren Pfarreingesessenen obliegt (Art. 27 Ab-
satz 2 des Kirchenverfassungsgesetzes).
Wie sich aus den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten
einschlägigen Akten des Konsistoriums ergibt, war für die Pfarr-
stelle zu Lipke von den vereinigten kirchlichen Gemeindeorganen
der Gesamtparochie durch Beschluss vom 23. Januar 1899 ein Kassen-
etat genehmigt worden, der 8415 eJl als jährliche Einnahme und
Ausgabe nachwies und auf das Jahr vom 1. April 1899 bis zum
31. März 1900 Geltung haben sollte. Hierbei bewegten sich der
Kirchenrat und die Gemeindevertretung der Gesamtparochie in den
Grenzen ihrer gesetzlichen Befugnisse (§§ 22 Nr. 9, 31 Nr. 9 der
Kirchengemeinde- und Synodalordnung vom 10. September 1873
— Ges.-Samml. S. 417 — ); insbesondere waren sie — entgegen der
Ansicht der Gemeinde Lipkesbruch — an eine Mitwirkung und Zu-
stimmung der Gemeindekörperschaften der Einzelgemeinden nicht
gebunden (§ 2 Absatz 2 a. a. 0.). Gegen die Richtigkeit der Etats-
ansätze, namentlich an Erträgen aus dem Stellenvermögen, an Grund-
gehalt für den Pfarrer und an Beiträgen für die Versicherung der
Pfarrstelle bei der Alterszulagekasse, haben die Klägerinnen nichts
erinnert, weshalb von der Gesetzmässigkeit der Ansätze ausgegangen
und also mit der Tatsache gerechnet werden darf, dass zur Her-
stellung des Gleichgewichts in dem Etat, mit anderen Worten zur
Bereitstellung der erforderlichen Zahlungsmittel, ein Fehlbetrag
Deckung erheischte, der sich auf 1210,52 Ji und für das Rechnungs-
jahr 1899 — nach Abzug der durch das Konsistorium mit Zustim-
mung des Begierungspräsidenten bewilligten Beihülfe von 1110 e>^
aus dem Zuschussfonds (Art. 3, 4, 7 Absatz 2 des staatlichen Pfarr-
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312 Staatliche AktefMtücke
besoldangsgesetzes) — auf noch 100,52 JK belief. Das Bedfirfois
der Aafbringang von 100,52 oM an sich erkennt denn anch — ab-
weichend von dem unhaltbaren Standpunkte, den hierzu Lipkesbruch
einnimmt -— PoUychener-HoUaender ausdrücklich an. —
Schon gelegentlich der Beratung und Beschlussfassung der Ge-
samtgemeindeorgane über den Etat hatte die Gemeinde Lipkesbruch
mit dem Vorgeben, dass sie unvermögend sei, es abgelehnt, ihrer-
seits zu den fehlenden 1210,52 oM irgend etwas herzugeben. Auf
dieselbe Behauptung stützt Lipkesbruch in erster Linie den in der
Klage gestellten Antrag, die Zwangsetatisierung ausser Kraft zu
setzen. Die Behauptung verdient jedoch keine Beachtung, weil sich
gegenüber der Anfechtung einer Zwangsetatisierung die Rechtskon-
trolle auf die Leistungsfähigkeit der belasteten Korporation nicht er-
streckt. Nachdem der Regierungspräsident durch die Erklärung seines
Einverständnisses mit der Zwangsetatisierung die Leistungsfähigkeit
der Gemeinde Lipkesbruch zur Erfüllung der streitigen Auflage be-
zeugt hat, ist — in Ermangelung auch nur des mindesten Anhalts
dafür, dass er diese Entschliessung willkürlich oder offenbar sach-
und darum zugleich rechtswidrig gefasst habe — jede weitere Er-
örterung hierüber im Verwaltungsstreitverfahren ausgeschlossen (Bnd-
urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 26. November 1897, Ent-
scheidungen Band XXXII S. 178, 181).
Nicht minder fehl gehen die Angriffe der Gemeinde Polljchener-
Hollaender gegen die in die Zwangsetatisierungsverfügung aufge-
nommene Ankündigung, dass der erforderte Anteil an dem Gemeinde-
beitrage zur Pfarrbesoldung, sofern nicht die Gemeindekörperschaften
der Gesamtparochie binnen drei Wochen über seine Verteilung auf
Lipkesbruch und PoUychener-Hollaender, und deren Oemeindekörper-
Schäften über die Aufbringung der auf sie entfallenden Beti'äge be-
schliessen sollten, nach dem EinkommensteuersoU auf die Gemeinde^
müglieder von Aratswegen würden verteilt und im Verwaltungswege
beigetrieben werden. Die Zwangsetatisierung gegen eine öffentliche
Korporation ersetzt den von dieser oder ihrem Verwaltungsorgane zu
fassenden Beschluss, eine ihr gesetzlich obliegende Leistung zu er-
füllen und die Zahlungsmittel erforderlichenfalls durch Besteuerung
der Verbandsgenossen nach Massgabe der Korporationsverfassung
flüssig zu machen. Auf Grund einer unanfechtbar gewordenen oder
(s. § 53 des Landesverwaltuugsgesetzes vom 30. Juli 1883) der An-
fechtung ungeachtet für sofort vollstreckbar erklärten Zwangs-
etatisierung ist daher der Korporationsvorstand zur Zahlungsan-
weisung auf die Kasse und zur Ausschreibung und Einziehung von
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und EntBcheidungen. 313
Steuern, deren es zur Erschliessung einer entsprechenden Einnahme-
quelle etwa bedarf, sowie die Aufsichtsbehörde ihrerseits erm&chtigt,
Verteilungsmassstab nach der Einkommensteuer einer in der Parochie
Lipke geltenden Verfassung euwiderlaufe. unter solchen ümst&nden
durfte das Konsistorium ihn nach Anhörung des Ereissynodalvor-
Standes, die ausweislich der Konsistorialakten nicht unterblieben ist,
festsetzen.
Hiernach konnten die Klagen Erfolg nicht haben. Sie sind
deshalb, unter Regelung des Kostenpunktes gemäss § 103 des Landes-
verwaltungsgesetzes vom 30. Juli 1883, zurückgewiesen worden.
Urkundlich etc.
8« Zulässlgkeit von Polizei- Verordnungen Aber die ftossere
Heilighaltang der 8onn- und Festtage in Preossen.
(Erk. des k. Oberverwaltangsgerichts t. 15. Mai 1902).
Im Namen des Königs!
In der Verwaltungsstreitsache
des Baumeisters Z. zu Berlin, Klägers,
wider
den K. Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg und von
Berlin, Beklagten,
hat das K. Oberverwaltungsgericht, Dritter Senat, in seiner Sitzung
vom 15. Mai 1902 ....
fär Recht erkannt,
dass der Kläger mit seiner Klage abzuweisen und ihm die
Kosten des Verfahrens, unter Festsetzung des Wertes des
Streitgegenstandes auf 500 Jf^ zur Last zu legen.
Von Rechts Wegen.
Gründe :
Die Polizeiverordnung über die äussere Heilighaltung der Sonn-
und Feiertage, welche unter Ausserkraftsetzung der bis dabin gelten-
den, den gleichen Gegenstand betreffenden Polizeiverordnungen von
dem Königlichen Polizeipräsidenten zu Berlin am 10. Oktober 1896
erlassen worden war (Amtsblatt der K. Regierung zu Potsdam und
der Stadt Berlin S. 475), bestimmte im § 12 :
»1. Am Gharfreitage und am Busstage sind alle öffentlichen und
privaten Lustbarkeiten mit Einschluss der Theater- und
Cirkusvorstellungen verboten.
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314 Staaüiehe AktensiUcke
Nur geistliche Masikaufführungen (Oratorien) in Kirchen,
Theatern und Eonzertlokalen sind gestattet.
2. In der Charwoche sind verboten:
a) öffentliche and private Tanzlustbarkeiten und Bälle,
b) Gesangs- und deklamatorische Vorträge, Schaustellungen
von Personen und theatralische Vorstellungen, falls sie
nicht in Theatern und Zirkussen stattfinden,
c) alle Mnsikaufführungen, die nicht in einem Eonzertlokale
veranstaltet werden und ernsten Charakters sind.
3. An den ersten Tagen der drei grossen Feste (Weihnachten,
Ostern und Pfingsten) und an dem, dem Andenken der
Verstorbenen gewidmeten Jahrestage sind verboten:
a) öffentliche und private Tanzlustbarkeiten und B&lle,
b) Musikaufführungen, Vorstellungen in Caf^s chantants
(Tingel-Tangeln) und auf Marionetten-Theatern,
c) Musikaufffihrungen, Gesangs- und deklamatorische Vor-
träge, Schaustellungen von Personen und theatralische
Vorstellungen in Schanklokalen, falls nicht der ernste, den
Feiertagen entsprechende Charakter gewahrt wird.
4. An den Vorabenden der drei grossen Feste, des Basstages
und des dem Andenken der Verstorbenen gewidmeten Jahres-
tages sind öffentliche und private Tanzlustbarkeiten und Bälle
verboten.
5. An dem Nachmittage des dem Andenken der Verstorbenen
gewidmeten Jahrestages sind Vorstellungen in Theatern und
Zirkussen verboten, c
An die Stelle der Polizeiverordnung vom 10. Oktober 1896 trat
vom 27. März 1898 ab die Polizei Verordnung des Polizeipräsidenten
vom 19. März 1898 über die äussere Heilighaltung der Sonn- und
Feiertage (Amtsblatt S. 120), deren § 12 lautet:
>1. Am Charfreitag und am Busstag sind alle öffentlichen Lust-
barkeiten mit Eiuschluss der Gesangs- und deklamatorischen
Vorträge, Schaustellungen von Personen, theatralischen Vor-
stellungen und Musikaufffihrungen verboten.
Nur geistliche Musikaufffihrungen (Oratorien) sind gestattet.
2. In der Charwoche und an den ersten Tagen der drei grossen
Feste (Weihnachten, Ostern und Pfingsten) sind verboten:
a) öffentliche Tanzlustbarkeiten und Bälle,
b) Gesangs- und deklamatorische Vorträge, Schaustellungen
von Personen, theatralische Vorstellungen und alle Musik-
auffährungen, falls nicht der ernste Charakter gewahrt
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und Enfacheidtmgen. 315
ist, Vorträge, Schaustellangen und MusikauffahrnngeD in
Gafi^ chaotants (Tingel-Tangeln). Die Bestimmung unter
b) findet keine Anwendung auf die Vorstellungen in den
Theatern im eigentlichen Sinne, d. h. solchen, deren Zweck
es ist, Schauspielvorstellungen zu veranstalten, bei wel-
chen ein höheres Interesse der Kunst obwaltet.
3. Die Vorschriften der Ziffer 2 gelten gleichmässig für den
dem Andenken der Verstorbenen gewidmeten Jahrestag, je-
doch mit der Massgabe, dass an diesem Tage auch bei den
Theatern im eigentlichen Sinne der ernste Charakter ge-
wahrt sein muss.
4. An den Vorabenden des Weihnachts- und Pfingstfestes , des
Busstages und des dem Andenken der Verstorbenen gewid-
meten Jahrestages sind öffentliche Tanzlustbarkeiten und
Bälle verboten.
Das Verbot der öffentlichen Lustbarkeiten erstreckt sich
auch auf private Lustbarkeiten, die geeignet sind, die
äussere Heilighaltung der Sonn- und Feiertage zu beein-
trächtigen, c
An diesen Bestimmungen ist durch die neueste Polizeiverord-
nung des Polizeipräsidenten, betreffend die äussere Heilighaltung der
Sonn- und Feiertage, vom 30. Juli 1901 (Amtsblatt S. 392) nichts
geändert worden.
Der Kläger ist Eigentümer des Apollo-Theaters zu Berlin und
hat dafür am 18. Januar 1898 die Konzession gemäss § 32 der
Reichsgewerbeordnung und am 22. März desselben Jahres die Er-
laubnis gemäss § 33 a daselbst erhalten. Auf seine Mitteilung, dass
er am 6. April 1901 — Sonnabend vor Ostern — und am 7. April
1901 — Ostersonntag — die Singspiele »Des Löwen Erwachenc und
»Frau Lunac zur Aufführung bringen wolle, eröffnete ihm der Polizei-
präsident am 4. desselben Monats, dass die Aufführung nicht ge-
stattet werden könne, da die Operetten keinen ernsten Charakter
hätten und das Apollo-Theater als Theater im eigentlichen Sinne
nach der Voraussetzung im § 12 Nr. 2 b der Polizeiverordnung vom
19. März 1838 nicht anzusehen sei. Die hierüber geführte Be-
schwerde wies der Beklagte am 10. Mai 1901 mit folgender Be-
gründung zurück:
»Das Apollo- Theater kann nach den tatsächlichen Verhält-
nissen, wie sie sich aus der Zusammensetzung seines Spielplans
ergeben, nicht zu den Theatern im eigentlichen Sinne, d. h. sol-
chen, deren Zweck es ist, Schauspielvorstellungen zu veranstalten,
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316 Staaüiehe AktefMiüche
bei denen ein höheres Interesse der Kunst obwaltet , gerechnet
werden. Die Zulassung der Aufführung jener Stücke unterlag
deshalb der Vorschrift des § 12 Nr. 2 b Satz 1 der Polizei-
verordnung vom 19. März 1898, betreffend die äussere Heilig-
haltung der Sonn- und Feiertage, und erschien nicht ang&ngig,
weil die erforderliche Voraussetzung, n&ralich die Wahrung des
ernsten Charakters, bei diesen Stücken nicht gegeben war. Der
Umstand, dass Sie neben der gewerbepolizeilichen Erlaubnis auf
Grund des §S3a der Gewerbeordnung auch noch die Erlaubnis
zum Betriebe des Gewerbes als Schauspielunternehmer im Sinne
des § 82 a. a. 0. besitzen, ist für die vorliegende Frage ohne
Bedeutung. €
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger geklagt. Er hat zuge-
geben, dass sich die Aufführung der beiden Operetten nicht zu den
Vorstellungen rechnen lasse, bei denen »der ernste Charakter ge-
wahrt seic, aber behauptet, dass zu »den Theatern im eigentlichen
Sinne, d. h. solchen, deren Zweck es ist, Schauspielvorstellungen zu
veranstalten, bei welchen ein höheres Interesse der Kunst obwaltet«,
auch das Apollo- Theater gehöre.
Die Klage musste, nachdem wegen der Wichtigkeit der Sache
den beteiligten Ministern von dem Termin zur mündlichen Verhand-
lung Kenntnis gegeben worden ist, abgewiesen werden.
Die Polizeiverordnung vom 19. März 1898, auf die sich das
an den Kläger gerichtete Verbot vom 4. April 1901 stützt, ist, wie
ihr Eingang ergibt, von dem Polizeipräsidenten zu Berlin als Landes-
polizeibehörde in Ausübung der Befugnis erlassen worden, welche
die zweifellos noch fortdauernd geltende (vergl. z. B. die Urteile des
Oberverwaltungsgerichts vom 21. Januar 1898, Preussisches Ver-
waltungsblatt Jahrgang XX S. 6, und vom 9. Januar 1899, Ent-
scheidungen desselben Band XXXV S. 424) Kabinets-Ordre vom
7. Februar 1837 über die Befugnis der Behörden, durch polizeiliche
Bestimmungen die äussere Heilighaltung der Sonn- und Festtage
zu bewahren (Ges.-Samml. S. 19), den Regierungen gegeben hat
und jetzt den Etegierungspräsidenten und den Oberpräsidenten
gibt. In ähnlicher Weise, wie sie, enthalten noch zahlreiche
andere Polizeiverordnungen beschränkende Bestimmungen nicht
bloss für die Sonn- und Festtage selbst, sondern auch für Abende
vor diesen und für die ganze Gharwoche, und zwar sowohl bereits
Polizeiverordnungen aus den 80, 40 und 50 er Jahren des vergangenen
Jahrhunderts als auch spätere Polizeiverordnuugen bis in die neueren
und neuesten Zeiten hinein, unter den letzteren auch solche, die auf
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und ^nisthektungen. dl?
Orund des Qesetzes, betreffend die äussere Heilighaltong der Sonn*
nnd Festtage in den Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover und
Hessen-Nassau sowie in den Hohenzollernschen Landen, vom 9. Mai
1892 (Ges.-Samml. S. 107) erlassen worden sind (z. B. Polizei Ver-
ordnungen für die Provinz Brandenburg vom 4. Juli 1898, Amts-
blatt S. 306, § 12, und für die Provinz Hannover vom 22. August
1900, Amtsblatt der Königlichen Begierung zu Stade S. 283, § 12,
vergl. auch die Zusammenstellung bei Biermann, Privatrecht und
Polizei in Preussen, S. 62 Anm. 2). Der durch den Erlass des Mi-
nisters för Handel und Qe werbe vom 9. April 1892 veröffentlichte
Entwurf einer Polizeiverordnung über die äussere Heilighaltung der
Sonn- und Festtage (Reichs- und Staatsanzeiger vom 14. April 1892
Nr. 93, zweite Beilage) sah im § 8 ebenfalls Beschränkungen für
Vorabende und für die Gharwoche vor. Die Zulässigkeit derartiger Be-
stimmungen ist, soviel bekannt, früher nie bemängelt worden (siehe
Biermann a. a. 0. S. 62, sowie Roedenbeck, Das Polizeiverordnungs-
recht in Preussen mit besonderer Beziehung auf die Sonntagsruhe,
S. 79 ff.). Insbesondere scheint dies auch nicht bei den vielen Er-
örterungen geschehen zu sein, zu denen die Polizeiverordnung vom
10. Oktober 1896 Anlass gegeben hat, und die dazu geführt haben,
diese Polizeiverordnung durch die vom 19. März 1898 zu ersetzen;
soweit es sich hierbei um die Gharwoche handelte, wurde bloss das
Verbot auch privater Lustbarkeiten und auch dieses bloss als zu
weit gehend — nicht als unbedingt unzulässig — beanstandet. Eine
andere Ansicht hat erst Ausdruck gefunden in dem Urteile des Straf-
senats des KönigL Kammergerichts vom 27. Juni 1901 (Jahrbuch
für Entscheidungen des Kammergerichts Bd. XXIII S. G. 81), wel-
ches den die Veranstaltung öffentlicher und privater Tanzmusiken,
Bälle und ähnlicher Lustbarkeiten in der Busstagswoche, von Sonn-
tag zu Sonntag und in der ganzen Gharwoche verbietenden § 12 der
Polizeiverordnung des Regierungspräsidenten zu Kassel vom 31. De-
zember 1896 betrifft und ausspricht, das polizeiliche Verordnungs-
rech't sei nur zum Schutze der kirchlichen Sonn- und Feiertage ge-
geben und dürfe nicht auf Tage ausgedehnt werden, welche kirch-
lich nicht als Sonn- oder Festtage anerkannt würden; an solchen
Tagen finde auch tatsächlich eine »Feiere gar nicht statt, sodass es
begrifflich unmöglich sei, »zu deren Schützet Polizei Verordnungen zu
erlassen. Der in diesem Urteile mitgeteilten Ansicht der Vorinstanz,
für die Vorabende zum Busstag und zum ersten Osterfeiertag er-
mangele der § 12 der gesetzlichen Gültigkeit nicht, ist nicht ent-
gegengetreten worden, obwohl doch diese Vorabende nicht Teile
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318 SiaaUiehe Aktenstücke
kirchlich anerkannter Sonn- oder Festtage sind. Vordem hatte der
Strafsenat in dem Urteile vom 8. Juli 1897 (Deutsche Juristea-
Zeituug Bd. II S. 494) angenommen, dass die allgemeine Feier der
Sonn- und Festtage nicht schon mit dem Anfange des Kalender-
tages, sondern erst mit den Morgenstunden beginne, ohne nähere
Angabe f von wann ab in dieser Weise der Sonn- oder Festtag zu
rechnen sei, dass es sich aber anders mit den drei grossen Festen
(Ostern, Pfingsten und Weihnachten) sowie den dem Busstage, dem
evangelischen Totenfest und dem katholischen Allerseelentage vor-
ausgehenden Nächten verhalte; diese Vorabende dienten nach reli-
giösem Brauche schon der Vorbereitung zum folgenden Feiertage
und wurden auch im bürgerlichen Leben als einleitende Teile der-
selben betrachtet, wie sich aus ihrer Bezeichnung mit dem Namen
»Heiligabende ergebe. Gleiche Ausführungen finden sich in den
Urteileil vom 29. November 1897 und 16. Mai 1898 (Jahrbuch für
Entscheidungen des Kammergerichts Bd. XVIII S. 809 und Bd. XIX
S. 328) mit der Anwendung, dass am Sonntagmorgen um 3 und um
4 Uhr beendigte Vergnügungen noch nicht die Sonntagsfeier gestört
hätten. In dem Urteile vom 20. Januar 1898 (daselbst Bd. XVIU
S. 311) ist untersucht worden, ob der Palmsonntag zur Charwoche
zu rechnen sei, was vorausgesetzt, dass für zulässig gehalten wurde,
für die Charwoche besondere Bestimmungen zu treffen.
Es kann dahin gestellt bleiben, ob sich diese Urteile überall
mit einander vereinigen lassen. Jedenfalls ist dem Eammergerichte
darin nicht zu folgen, dass nur an Sonn- und Festtagen selbst und
etwa noch an sogenannten Vorabenden stattfindende Lustbarkeiten,
nicht aber auch Lustbarkeiten in der ganzen Charwoche im Interesse
der Sonntagsheiligung durch Polizeiverordnungen untersagt werden
dürften.
Aus dem Wortlaute der Eabinets-Ordre vom 7. Februar 1837,
auf welchen in dem Urteile vom 27. Juni 1901 entscheidendes Ge-
wicht gelegt worden ist, folgt noch nicht die Unzulässigkeit eines
Verbots für Wochentage. Allerdings sind bloss die Sonn- und Fest-
tage genannt worden. Damit ist jedoch noch nicht ausgesprochen,
dass nur für den Zeitraum, der als Sonntag oder Festtag bezeichnet
wird, Beschränkungen möglich sein sollen. Denn auf der anderen
Seite ist ganz allgemein von den zu diesem Zwecke, d. h. zum
Zwecke der Verhinderung einer Störung der Heilighaltung der
Sonn- und Festtage, erforderlichen Anordnungen die Rede, und,
wenn schon natürlich die Feier der Sonn- und Festtage nur an den
Sonn- und Festtagen selbst stattfinden kann, vermögen doch auch
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und SntBCheidungen. 319
schon diese Feier Handlungen za stören, die zwar bereits an Wochen-
tagen vorher geschehen sind, aber bis zam nachfolgenden Sonn- oder
Festtage nachwirken. Das Verbot solcher Handlangen ist deshalb
Verbot einer Störung der Sonn- oder Pesttagsfeier, nicht Verbot
einer Störung bloss der Vorbereitung znr Sonn- und Festtagsfeier.
Wie sehr es aber bei der Kabinets- Ordre fern gelegen hat,
lediglich die Sonn- und Festtage selbst treffende Anordnungen zu-
zulassen und Anordnungen für andere Tage vollständig auszuschliessen,
stellen die Bestimmungen, die in der Zeit kurz vor und nach ihrem
Erlasse getroffen worden sind, ausser Zweifel (vergl. die Zusammen-
stellung in von Rönne's Ergänzungen und Erläuterungen der Preussi-
schen Rechtsbücher, 7. Ausgabe, Band IV. S. 95 zu § 35 Titel 11
Teil II des Allgemeinen Landrechts und in Eoch's Kommentar zum
Allgemeinen Landrecht, 8. Aufl., Band IV. S. 179-181, Anm. 43
zum § 35). Bereits die Eabinets-Ordre vom 14. März 1818
(von Eamptz, Annalen Bd. II S. 348) beschränkte sich nicht auf
die Sonn- und Festtage als solche, sondern erklärte auch die Ent-
heiligung der Vorabende grosser ■— einzeln bezeichneter — Kirchen-
feste durch Bälle und ähnliche Lustbarkeiten für nicht gestattet.
In dem Reskripte der Königlichen Ministerien der geistlichen,
Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten und der Polizei vom
7. Mai 1818 (daselbst S. 349) wurde sodann ausgesprochen, dass
die Erlaubnis zu Trauungen in der Charwoche selbst nur in dringen-
den Fällen und auch dann ohne Oestattung eines Hochzeitsmahls
erteilt werden dürfe. Nachdem die Kabinets-Ordres vom 26. Fe-
bruar und 20. März 1826 (ebenda Bd. X. S. 86 und 87) ergangen
waren, welche die ünzulässigkeit von Bällen und ähnlichen Lust-
barkeiten an den Vorabenden der grossen Kirchenfeste, des Char«
freitags und des allgemeinen Buss- und Bettags betrafen und be-
stimmten, dass an den Orten, wo es bisher üblich und hergebracht
gewesen sei, an den ersten Tagen des Weihnachts-, Oster- und
Pfingstfestes Schauspiel Vorstellungen, Bälle und ähnliche Lustbar-
keiten nicht stattfinden zu lassen, es ferner bei dieser Ordnung und
Gewohnheit bleiben solle, ordnete die Kabinets-Ordre v. 26. Februar
1837 (a. a. 0. Bd. XXI S. 84) — also wenige Tage nach dem
7. Februar 1837 — an, dass Bälle und ähnliche Lustbarkeiten nicht
nur am Vorabende der drei grossen Feste : Weihnachten, Ostern und
Pfingsten, des Charfreitags, des allgemeinen Buss- und Bettages und
des dem Andenken der Verstorbenen gewidmeten Jahrestages, sowie
auch an den Abenden dieser drei letzten Tage, sondern auch in der
gansen Charwoche und ebenso am Aschermittwoche nicht stattfinden
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320 Staaifiehe Aktemtüeke
sollten. Unter dem 16. April 1837 wurde darauf durch die Reskripte
der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegen-
heiten, des Innern und der Polizei (von Kamptz, Annalen Bd. XXI
S. 83, 84) bestimmt, dass der Ausdruck: Ȋhnliche Lustbar Iceitenc
auf Schauspielvorstellungen nicht zu beziehen sei, diese vielmehr nur
am Gharfreitage und am Buss- und Bettage ganz unterbleiben
müssten, am Gedächtnistage der Verstorbenen aber, insofern sie
ernsten Inhalts seien, stattfinden dürften, und dass es in Ansehung der
Schauspielvorstellungen für Berlin bei den früheren diesfälligen Vor-
schriften namentlich dabei verbleibe, dass an den Tagen, wo bisher
keine Schauspielvorstellungen hätten stattfinden dürfen, dergleichen
auch künftig unzulässig seien. Dieselben Minister wiesen in einem
Reskripte vom 28. April 1837 (das. S. 409) darauf hin, wie ein er-
wünschter Erfolg der gesetzlichen Bestimmungen , durch welche die
äusseren Störungen der gottesdienstlichen Ordnung verhindert wer-
den sollen, hauptsächlich auch dadurch bedingt sei, dass die beson-
deren provinziellen und örtlichen Verhältnisse dabei möglichst be-
rücksichtigt würden. Endlich wurde durch die Eabinets-Ordre vom
19. August 1837 (ebenda S. 972), die vom 26. Februar dess. Jahres
dahin »deklarirtc (vergl. das Reskript vom 6. November 1837,
von Kamptz, Annalen Bd. XXI S. 972), dass die letztere auf Lokal-
observanzen keine Beziehung habe und es nicht Absicht des Königs
gewesen sei, in solchen Lokalobservanzen etwas zu ändern. Wenn
nun so im wesentlichen gleichzeitig mit der Eabinets-Ordre vom
7. Februar 1837 Beschränkungen nicht bloss an den Sonn- und
Festtagen selbst, sondern auch an Vorabenden, an Tagen, die wie
der Charfreitag, noch nicht allgemein Feiertage waren (Qesetz, be-
treffend den Charfreitag, vom 2. September 1899, Ges.-S. S. 161),
und vor allem während der ganzen Charwoche für zulässig erklärt
worden sind und wiederholt hervorgehoben ist, es sollten die Ge-
wohnheit, das bisher Übliche und Hergebrachte, die Lokalobservanzen
nicht geändert werden, so kann es keinem Bedenken unterliegen,
dass die Eabinets-Ordre vom 7. Februar 1837, die in gleicher Weise
ausdrücklich die Berücksichtigung der Verhältnisse der einzelnen
Orte oder Qegenden vorschreibt, auf keinem abweichenden Stand-
punkte steht, sondern ebenfalls namentlich für die Charwoche Be-
schränkungen zulässt. Dass die vorstehenden Bestimmungen teils
überhaupt nicht ebenfalls Eabinets-Ordres, teils nicht in der Ge-
setzsammlung verkündete Eabinets-Ordres sind, hindert ihre Be-
nutzung zur Ermittelung der Bedeutung und Tragweite der Eabinets-
Ordre vom 7. Februar 1837 selbstverständlich nicht. Ebensowenig
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und BnUcheidtsngen. 321
steht der aus ihnen für die Aaslegang der Kabinets-Ordre gezogenen
Folgerung entgegen, dass es sich bei ihnen bloss um bestimmte
Arten von Lustbarkeiten gehandelt hat. Gegen diese Auslegung ist
auch aus dem Allerhöchsten Erlasse vom 18. Dezember 1869 (Amts-
blatt der E. Regierung zu Schleswig von 1870 S. 33), durch wel-
chen für die Provinz Schleswig-Holstein die damals geltenden Vor-
schriften über die Sonntagsheiligung in einzelnen Beziehungen abge-
ändert worden sind (vergl. hierzu Preussisches Verwaltungsblatt
Jahrg. IV S. 255, auch die Schrift: »Der Amtsvorsteher in der
Provinz Schleswig- Holstein c Bd. I - 1889 — §§ 57, 58 S. 66 ff.),
sowie aus dem Gesetze vom 9. Mai 1892 und dessen Materialien
nichts zu entnehmen.
An dem, was hiernach die Kabinets-Ordre vom 7. Februar 1837
zum Gegenstande des Polizeiverordnungsrechts gemacht hat, ist nach-
träglich nichts geändert worden, namentlich nicht durch den § 340
Nr. 8 des Preussischen Strafgesetzbuchs vom 14. April 1851 und
den hiermit übereinstimmenden § 366 Nr. 1 des Reichsstrafgesetz-
buchs. Diese Vorschriften sind blosse Blankettstrafgesetze in der
Art, dass sie nur eine Strafandrohung enthalten, die Festsetzung der
Normen aber, deren Verletzung unter die Strafandrohung ßllt, ander-
weitiger Bestimmung überlassen, im Gebiete der Kabinets-Ordre vom
7. Februar 1837 also den gemäss dieser ergehenden Polizeiverord-
nungen« Sie verfügen nichts über den umfang, in welchem Anord-
nungen gegen die Störung der Feier der Sonn- und Festtage er-
lassen werden können, insbesondere nicht, dass diese allein gegen
Störungen ergehen dürfen , die an einem Sonn- oder Festtage selbst
vorgenommen werden, sondern besagen nur, dass, wenn und soweit
nach dem sonst geltenden Rechte Anordnungen gegen die Störung
der Feier der Sonn- und Festtage zulässig und erlassen worden sind,
bei Zuwiderhandlungen die angedrohte Strafe verwirkt ist. Die zu
den §§ 340 Nr. 8 und 366 Nr. 1 ergangenen, bekannt gewordenen
Entscheidungen der Strafgerichte bringen keine andere Auffassung
zum Ausdrucke (vergleiche Roedenbeck a. a. a. 0. S. 68 ff. und
24
z. B. noch das Urteil des Reichsgerichts vom ^ Oktober 1889 in
dessen Entscheidungen in Strafsachen Bd. XX S. 81).
War demgemäss die bisherige lange und gleichmässige An-
wendung der Eabinets- Ordre dahin, dass sie für Polizei Verordnungen,
welche Vorabende und die Cbarwoche treffen, gleichfalls die gesetz-
liche Unterlage gebe, gerechtfertigt, so ist auch die Zulässigkeit des
§ 12 Nr. 2b der Polizeiverordnung vom 19. März 1898 nicht zu be-
ArohiT fiir Kirchenrecht LXXXIIL 2h i
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322 Staaüiche AhUnstüeke
anstanden. Welche Massregeln zur Erreichung eines der Regelung
durch Polizeiverordnung unterliegenden Zweckes notwendig und sach-
gemäss sind, ist von denjenigen Behörden selbständig zu ermessen
und zu bestimmen, welche zum Erlasse der Polizei Verordnung oder
zur Mitwirkung dabei berufen sind; nur darf die getroffene Vor-
schrift nicht mit den Gesetzen oder den Verordnungen einer höheren
Instanz im Widerspruche stehen (§ 15 des Gesetzes über die Polizei-
verwaltung vom 11. März 18S0). Dieser allgemeine, zweifellos fest-
stehende Grundsatz (vergl. dazu z. B. Rosin, Das Polizeiverord-
nungsrecht in Preussen, 2. Aufl. S. 94 ff., 293, 299, 300) gilt auch
für die Polizei Verordnungen, die auf Grund der Eabinets-Ordre vom
7. Februar 1837 erlassen werden (Entscheid, des Oberverwaltungs-
gerichts Bd. XXXV S. 426 und die hier angezogenen Stellen, sowie
S. 97 in Roedenbeck's »Polizeiverordnungsrecht in Preussen mit be-
sonderer Beziehung auf die Sonntagsruhec). Ganz abgesehen davon,
dass deshalb dem Verwaltungsrichter eine Nachprüfung des § 12
Nr. 2b nur in ganz beschränktem Umfange zusteht, ist ausser
allem Zweifel, dass es für Berlin stets ebenfalls der Sitte und dem
religiösen Gefühle entsprochen hat und noch entspricht, nicht bloss
an den Vorabenden einzelner Feste, sondern auch während der Char-
woche gewisse Lustbarkeiten nicht zuzulassen, damit diese der Er-
innerung an Jesu Leiden und Sterben geweihte Woche nicht zu sehr
verweltlicht wird, vielmehr möglichst »die stille Wochec und eine
Zeit ernster Sammlung bleibt, ohne welche der Charfreitag und das
Osterfest nicht so heilig gehalten werden können, wie sie es sollen
und von Vielen auch werden.
Somit kommt es nur noch darauf an, ob bei den beiden Stücken
»Das Erwachen des Löwenc und »Frau Lunac der ernste Cnarakter
gewahrt und ob das Apollo-Theater zu den Theatern im eigentlichen
Sinne, d. h. solchen, deren Zweck es ist, Schauspielvorstellungen zu
veranstalten, bei welchen ein höheres Interesse der Kunst obwaltet,
zu rechnen ist, oder nicht.
Das erstere ist, da die Stücke nach den vorgelegten Text-
büchern Operetten sind, die komisch, zum Teil derb komisch wirken
sollen nnd jeder Wirkung nach ernster Richtung hin entbehren, un-
bedenklich zu verneinen. Der Kläger hat dies auch selbst zugegeben.
Aber auch die zweite Frage ist verneinend zu beantworten,
ohne dass es noch weiterer tatsächlicher Ermittelungen über die Ver-
hältnisse und Einrichtungen am Apollo- Theater bedurfte. Die Aus-
nahme,!, welche der zweite Satz des § 12 Nr. 2b der Polizeiverord-
nung vom 19. März 1898 von der vorher aufgestellten Regel des
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und Bniacheidungen. 323
Verbots der Vorstellungen ohne ernsten Charakter zulässt, ist wesent-
lich enger, als diejenige, welche die Polizeiverordnung vom 10. Ok-
tober 1896 zugelassen hatte (»Theater und Zirkussec), sodass die
Regel jetzt in weiterem Umfange Platz greift als früher. Sie mehr
zu beschränken, als der Wortlaut fordert, erscheint nicht zulässig;
es würde damit gegen die in der in Betracht kommenden Beziehung
offenbar vorhandene Absicht einer strengeren Heilighaltung der Sonn-
und Feiertage Verstössen werden. Die Worte »bei welchen ein
höheres Interesse der Kunst obwaltete sind augenscheinlich den
§§ 33 a Abs. 1, 33 b und 55 Nr. 4 der Reichsgewerbeordnung ent-
nommen und ebenso wie hier zu verstehen. Es sind also nicht
bloss Leistungen von aussergewShnlichem Eunstwerte gemeint, son-
dern nur solche ausgeschlossen , die lediglich Kunstfertigkeiten sind
und Uoss zur Befriedigung der Schaulust oder zur gewöhnlichen
Unterhaltung dienen, wenn schon andererseits eine Leistung nicht
schon deshalb, weil sie auch zur Unterhaltung dient, aufhört, eine
Leistung zu sein, bei welcher ein höheres Interesse der Kunst ob-
waltet. Ob man es in dieser Weise mit Leistungen von höherem
Eunstinteresse zu tun hat, ist nach den gesamten objektiven Ver-
hältnissen des einzelnen Falles zu beurteilen (vergl. z. B. die Kom-
mentare zur Oewerbeordnung von von Landmann-Rohmer, 3. Aufl.,
Bd. I S. 310; von Schicker, 4. Aufl., Bd. I S. 154, und Kayser-
Steiniger, 3. Aufl. — Ausgabe för Preussen — S. 90 und 171;
Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts Bd. XV S. 254
und Bd. XVI S. 354; Urteile des Oberverwaltungsgerichts vom
23. April 1898 und 21. Juni 1901 im Preussischen Verwaltungs-
blatt [Jahrg. XX S. 37 und Jahrg. XXIII S. 151). Ebenso bestimmt
sich nach den gesamten Umständen für jedes Theater besonders, ob
es ein Theater im eigentlichen Sinne, d. h. nach der diesem Aus-
drucke gegebenen autentischen Erklärung sein Zweck ist, Schau-
spielvorstellungen zu veranstalten, bei denen ein höheres Interesse
der Kunst obwaltet. Es sind also der Ort, die Art des regelmässigen
Publikums, die Eintrittspreise, das durchschnittliche Repertoir u. s. w.
zu berücksichtigen, in der Weise, dass, sobald hiernach ein Theater
nicht unter die Ausnahme des § 12 Nr. 2 b der Verordnung vom
19. März 1898 fällt, sich daran nichts ändert, wenn es auch einzelne
Produktionen von höherem Kunstinteresse bietet. Dass diejenigen
Unternehmungen, für welche die Erlaubnis nach § 33 a der Reichs-
gewerbeordnung erteilt worden ist und benutzt wird, und diejenigen,
in welchen während der Vorstellungen geraucht und getrunken wer-
den darf, niemals Theater im eigentlichen Sinne sein könnten, wie
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324 Staatliehe Aktenstücke
der Vertreter des Beklagten behauptet hat, lässt sich nicht aner-
kennen. Beides fällt nur sehr erheblich daför ins Gewicht, die
Eigenschaft eines solchen Theaters nicht anzunehmen.
Von diesen Gesichtspunkten aus kann das Apollo- Theater, bei
welchem nach den vom Beklagten überreichten Programmen die
Darbietungen von Gesangshumoristen, musikalischen Clowns, Jong-
leuren, ausländischen Tanzgesellschaften, Akrobaten, Scbnellmalern,
Badfahrern u. s. w. einen sehr breiten Raum einnehmen, zeitweise
sogar, z. B. vom 1. bis zum 24. März 1901, also unmittelbar vor
der Zeit, nm die es sich bei dem Verbote vom 4. April 1901 han-
delt, allein das Repertoir gebildet haben, nicht als Theater im
eigentlichen Sinne gelten. Dass auch Operetten gegeben worden
sind und diese einen höheren Kunstwort haben mögen, ist unerheb-
lich. Denn jedenfalls liegt die Sache nicht so, wie sie der Kläger
hinstellt, dass die des höheren Kunstinteresses entbehrenden Dar-
bietungen nur ein Beiwerk zu den Vorstellungen sind, bei welchen
ein höheres Interesse der Kunst obwaltet; das Verhältnis ist viel-
mehr eher umgekehrt, und das Apollo- Theater ist und bleibt trotz
dieser Vorstellungen das, als was es der Beklagte bezeichnet, ein
sogenanntes Rauch-Theater, welches überwiegend die Aufführung von
sogenannten Spezialitäten bezweckt, mithin kein »Theater im eigent-
lichen Sinnec ist. Noch mehr ist ohne Bedeutung, dass auch ein-
zelne Künstler ersten Ranges beschäftigt werden mögen, dass das
ApoUo-Tbeater in baulicher Beziehung zu den Volltheatern gerechnet
wird, und dass der Kläger ausser im Besitze der Erlaubnis aas
§ 33 a der Reichsgewerbeordnung noch in dem der Konzession aus
§ 32 daselbst ist, welcher letzteren, wie feststeht (z. B. von Land-
mann-Rohroer a. a. 0. S. 259; von Schicker a. a. 0. S. 118 und
Kay ser- Steiniger a. a. 0. S. 90), auch derjenige bedarf, der Schau-
spiele ohne höheren Kunstwort darbieten will.
Nach alledem ist die Klage unbegründet.
Wegen der Kosten ist nach § 103 des Gesetzes über die all-
gemeine Landesverwaltung vom 80. Juli 1883 Bestimmung getroffen
worden.
Urkundlich unter dem Siegel des Königlichen Oberverwaltungs-
gej-ichts und der verordneten Unterschrift.
(L. S.) Dr. von Stratiss und Torney.
0. V. ü. Nr. III. 863.
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whd Eniacheiättngen, 325
9. Der § 166 des D. Strafgesetzbuches im Leipziger Tolstoi-
prozess.
Bei der Strafkammer in Leipzig war gegen Übersetzer und
Verleger der Antwort ^) des Grafen L. Tolstoi an den russ. hl. Synod
anf dessen gegen den Grafen gerichteten Exkommunikationsbeschluss
wegen Verstosses gegen den § 166 Anklage erhoben, weil in der-
selben, wenn auch zunächst gegen die griechisch- kathol. Kirche ge-
richtet, auch andere im D. Reiche anerkannte christliche Kirchen
durch Herabwürdigung des Glaubens an die Gottheit Christi und
durch Schmähung der Sakramente als Hokuspokus, niederträchtig
rohe und roheste Taschenspielerkünste , Betrug, als beschimpft zu
betrachten seien. Es erfolgte im Juli v. Js. Freisprechung und Frei-
gabe der Schrift. Die gegen das Urteil von ihr eingelegte Revision
zog die Staatsanwaltschaft im Einvernehmen mit der Generalstaats-
anwaltschaft zurück. Das urteil ist besonders beachtenswert , weil
es für die Anwendbarkeit des § 166 eigenartige Gesichtspunkte auf-
stellt, im Wesentlichen wie folgt:
Die Annahme einer »Beschimpfungc im Sinne des § 166 wird
objektiv wie subjektiv verneint. Die Frage, ob eine solche >JBe-
schimpfung€ vorliege, welche anerkanntermassen, nach Literatur und
steter Rechtsprechung, mehr als Beleidigung, Verspottung und Lächer-
lichmachung, einen stärkeren Grad und verletzendere Form grob ent-
würdigenderer Missachtung, vor allem eine besondere Roheit des
Ausdrucks erfordert, muss nach den Umständen des Einzelfalles
(Person und Lebensumstände des Täters, Veranlassung) geprüft wer-
den, besonders bei Werken und Persönlichkeiten, welche die Ver-
mutung für sich in Anspruch nehmen dürfen, dass sie es selbst mit
schroffster und schonungslosester Kritik ernst und heilig meinen.
Zu diesen Personen sind zweifellos alle diejenigen zu nehmen, die
Andersgläubige angreifen, ja verletzen, wenn sie es aus unwider-
stehlichem Drange tun, um ihre innersten glühendsten Ueberzeug-
ungen in religiösen Dingen rücksichtslos zum Ausdruck zu bringen.
Bei solchen Personen werden Worte, die bei gemeinen Naturen
Ausdrücke verwerflichster Schmähsucht und lästerlicher Frivolität
wären ^ zu Erkennungszeichen heiligsten Ernstes^ tiefster religiöser
Überzeugung.
Nach Hinweis auf die kirchengeschichtlichen Beispiele starker
1) Dieselbe erschien bei Eng. Diedericbs in Leipzig mitsamt dem Ex-
koromanikationsbeschlasse als Anhang an den pantheistisch auslaufenden »Sinn
des Lebensc von ToUioi, übersetzt von R. Löwenfeld, Preis 1 e/41
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326 Staatfiehe Aktenstücke
beleidigender Ausdrücke gegenäber kirchlichen Gegnern in den
Schriften Luthers und den Reformationsbekenntnisschriften, sowie in
Eonzilsbeschlüssen und päpstlichen Ballen wird Wach (in der Zeit-
schrift für Kirchenrecht II, 161) dahin beigepflichtet, dass von Be-
tätigung schnöder (?) herabwürdigender Gesinnung, wie sie nach der
herrschenden Ansicht der § 166 erfordere, im ernsten Kampfe der
relig. Überzeugung schlechterdings nicht die Rede sein können.
Es wird dann ausgeführt, dass Tolstoi sittlich derart hoch
stehe, dass bei ihm, wenn er im heissen Kampfe um seine ihm heilige
und ernste relig. Überzeugung zu scharfen und harten Worten greife,
zumal die Abwehr gegenüber den in dem Exkommunikationsbe-
Schlüsse ihm widerfahrenen Angriffen der ebenbezeichnete Massstab
anzulegen und nicht auszuschliessen sei, dass er nicht mit Willen
oder auch nur dem Bewusstsein gehandelt habe, zu beschimpfen oder
auch nur so aufgefasst werden zu können, dass also die Yon ihm
gebrauchten scharfen Ausdrücke subjektiv (d. h. also in Anbetracht
seiner Persönlichkeit und der von ihm verfolgten Absicht) nicht als
beschimpfend im Sinne des § 166 anzusehen seien. Die gleiche
Möglichkeit wird sodann auch dem Angeklagten zugestanden, insbe-
sondere in Rücksicht darauf, dass derselbe die Äusserungen T.s nur
als gegen die im D. Reiche nicht anerkannte ^iecA.-kath. Kirche
gerichtet erschienen sein könnten. Hierauf wird auch die Freigabe
der Schrift selbst trotz etwa anzunehmenden objektiv beschimpfenden
Inhalts (§ 42 des Str.-G.-Bs.) gegründet.
Nach diesen ürteilsaufstellungen würde das Anwendungsgebiet
des § 166 auf ausserhalb ernster Kritik liegende rohe Schmähungen
beschränkt, allen kritisierenden relig. Eiferern aber auch für pöbel-
haft ausartende Angriffe ä la Tolstoi ein Freipass gegeben sein.
Die wiederholt unternommene Agitation auf Beseitigung des § 166
wenigstens in der hier fraglichen Richtung, als angeblich der freien
Bewegung der relig. Polemik hinderlich , wäre demnach so gut wie
überflüssig. Bei der engen Einschränkung, welche schon die bis-
herige Rechtsprechung der Anwendbarkeit des § 166 zog, indem
dieselbe die schärfste Kritik sich frei ergehen Hess, wenn nur nicht
Roheit in der Form unterlief (nach neuern Reichsgerichtsentscheid-
ungen in Band 28, 30 und 31 sind hiezu auch Behauptungen von
für den Angegriffenen an sich schimpflichen Tatsachen zu rechnen),
konnte bislang schon von zu weit gehender Einengung der Kritik
nicht die Rede sein ; nach dem Urteile wäre aber auch diese Schranke
gefallen; was einem Pantheisten Tolstoi recht, dürfte Atheisten,
Liberalen und Sozialdemokraten billig sein ; warum sollte ihnen nicht
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wid Entscheidungen, 327
geglaubt werden, wenn sie ihre Schinopfereien als Ausflüsse ernster
heiliger Überzeugung hinstellen? — Der in dieser Hinsicht wohl
nnerhörte Standpunkt des Urteils geht aber über Absicht und Wort-
laut des § 166, der aller Beschimpfung steuere und den Staatsange-
hörigen das Gut ihres kirchlichen Glaubens nicht zwar gegen die
schärfste Kritik, wohl aber gegen Kritik beschimpfender Art schützen
will, entschieden hinaus (auch der bekannte Strafrechtslehrer v. Liszt
sagt, auch der Zweck wissenschaftlicher Untersuchung rechtfertige
nienials die Wahl beschimpfender Äusserungen ; es ist daher nur zu
bedauern, dass das Reichsgericht nicht in die Lage gebracht ist,
hiezu Stellung zu nehmen^), ebenso auch zu der in der strafrecht-
lichen Literatur streitigen Frage, ob auch die griech.-kath. Kirche
auf den Schutz des § 166 Anspruch habe.
Was den Übersetzer anbetrifft, so mag ja nicht zu widerlegen
sein, dass ihm zumal bei der Richtung der Schrift gegen die grie-
chische Kirche das Bewusstsein der Beschimpfung auch andrer
Kirchen gefehlt habe. Immerhin dürfte dieser Gedanke nicht fern
gelegen haben, da T.s Herabwürdigung des Glaubens an die Gott-
heit Christi und der Sakramente, bei denen nicht etwa nur der
griech. Kirche eigner Ceremonien angegriffen sind, auch deutsche
Kirchen trifft und dieses im allgemeinen wohl als bekannt zu be-
trachten ist. — i —
1) Dasselbe hat Dach Bd. 28 S. 128 den guten Glauben an die Richtig-
keit des beschimpfenden Vorwurfes (hier Ritnalmord) für an sich anerheblich
erklärt; aber das ßewiMStsein des beschimpfenden Charakters könne dadurch
möglicherweise ausgeschlossen sein — was bei den Tolstoi*schen Schmäh werten
doch nicht anzunehmen wäre.
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328
IT. Mitteiluugen.
1. Eherechtliche Fragen der österreichischen Altliatholiken.
Von Max v, Uussareh,
(Separatabdrack ans der »AllgemeineD österr. Geriohts-Zeitnng«, Nr. 47, 1902.)
Dem innigen Zusammenhange des Rechtsinstitutes der Ehe mit
religiösen Überzeugungen und Satzungen trägt das österreichische
Eherecht auch insoferne Rechnung, als es wegen der Mehrheit der
im Staate bestehenden Religionen mancher Frage eine differenzierende
Behandlung zuteil werden lässt und an die im Zivilrechte sonst fast
überall irrelevante Verschiedenheit der Religionsangehörigkeit ver-
schiedene Rechtsfolgen knüpft. Aber in den Rechtsquellen geschieht
nicht aller im Staate anerkannten Bekenntnisse ausdrücklich Er-
wähnung. Die Anwendung der unterscheidenden Rechtssätze hängt
in solchen Fällen davon ab, welche der einschlägigen Normen sich
nach dem ganzen Zusammenhange der eherechtlichen Ordnung als
die nächstverwandte darstellt. Die Beantwortung dieser Frage wird
regelmässig von der staatskirchenrechtlichen Stellung der betreffen-
den Religionsgesellschaft abhängig sein. Diese Stellung ist daher
für unsere Untersuchung zunächst zu klären.
I.
Die altkatholische Bewegung hatte wie anderwärts^) so auch
in Österreich') die Überzeugung vertreten, dass sie die Nachfolge
in die Lehre und den Rechtsbestand der katholischen Kirche vor
dem vatikanischen Konzil darstelle. Nach ihrem Standpunkte waren
die grosse Mehrzahl der Katholiken und namentlich die sämtlichen
Bischöfe sowie die weit überwiegende Mehrheit der niederen Geist-
lichkeit, welche die Lehre von der Unfehlbarkeit kathedratischer
1) Statt auf anderes sei hiefür nur aaf die sogenannte Nürnberger Er-
klärung vom 26. August 1870, die Münchener Erklärung von Pfingsten ,1871,
das Programm des Münchener Katholiken- Kongresses vom September 1871 und
die an die preussische Regierung gerichtete Denkschrift der deutschen altkatho-
lischen Synodal-Repräsentanz vom 29. Juni 1873 verwiesen, abgedruckt bei
r. Schulte, Der Altkatholicismus , S. 14—24 und 386—399. Die Kritik dieser
Anschauung bei Hinschius, System d. kath. K.-R., III, S. 634 kann wohl^ali
abschliessend erachtet werden.
2) Denkschrift an das österreichische Abgeordnetenhaus vom März 1872.
Vgl. »Zum kommenden Jubiläum« in »Der Altkatholik« Jahrg. 1895, S. 109.
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Mitteilungen. 329
Emanationen des Papstes in Sachen des Glaubens und der Sitten
and von dessen ordentlichem Jurisdiktionsprimate rezipiert hatten,
eine von der historischen Kirche abgezweigte Sekte, eine neue
religionsgenossenschaftliche Bildung ohne legitimen Anspruch auf
die Bechtsstellung , welche die vorvatikanische katholische Kirche
unter staatlichem Schutze innegehabt hatte. Darum erachteten sich
die Autiinfallibilisten unausgesetzt als Katholiken. Sie erhoben den
Anspruch auf mindestens Mitbesitz und Mitgenuss der der katho-
lischen Kirche gewidmeten gottesdienstlichen Sachen und der ihr
sonst gehörigen Vermögenschaften. Ferner forderten die Altkatho-
liken für ihre Priester die Befugnisse, welche der Staat den katho-
lischen Seelsorgern übertragen hat, namentlich die Kompetenz zur
Intervention bei der Eheschliessung und die Berechtigung zur Be-
gisterführung, dann für alle ihre Anhänger Teilnahme an den kirch-
lichen Akten und Ehrenrechten, namentlich am Begräbnisse ein-
schliesslich des Glockengeläutes bei demselben. Endlich beanspruchten
sie das Recht, innerhalb der Kirche selbständige Gemeinden zu
bilden, lehnten dagegen ihre Konstituierung als besondere neue
Religionsgesellschaft sowie den formellen Austritt aus der katho-
lischen Kirche zu diesem Zwecke ab. ünfragiich war ihnen endlich,
dass sie für ihren Gottesdienst nicht auf die in Art. 16 St. G. G.
vom 21. Dezember 1867, R. G. BI. Nr. 142, den Anhängern eines
gesetzlich nicht anerkannten Religionsbekenntnisses gestattete Haus-
andacht beschränkt seien, sondern das Recht der gemeinsamen und
öffentlichen Religionsübung nach Art. 15 desselben St. G. G. haben.
Die Regierung nahm zur altkatholischen Bewegung im allge-
meinen und grundsätzlich zuerst mit dem Erlasse des Kultusministers
vom 20. Februar 1872, Z. 98/Pr.») Stellung. Danach wurden die
Anhänger der antiinfallibilistischen Bewegung »insolange als inner-
halb der katholischen Kirche und auf dem Boden des geschichtlich
herausgestalteten kirchlichen Gesamtorganismus stehend betrachtet,
als dieselben nicht in Gemässheit des Art. 6 des Gesetzes vom
25. Mai 1868, R. G. Bl. Nr. 49, ihrem Austritte aus der Kirche
den vorgeschriebenen Ausdruck gegeben babenc. Aus diesem Grund-
satze wurde die Folgerung gezogen, dass »zur Ausübung jener [staat-
lichen Funktionen, welche der Seelsorgegeistlichkeit der gesetzlich
anerkannten Bekenntnisse anvertraut sind, nur diejenigen Priester als
legitimiert« anzusehen seien, »welche nach den bestehenden Gesetzen
3) Abgedrackt im Archiv f. katb. K.-B. (hier weiter nur als »Archiv«
citirt), Bd. 27, 8. CXXXV. Dann bei Friedberg, Slg. d. Aktenstücke zum
ersten Vatikan. Konzil, S. 782 flg.
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330 Mitteilungen.
QDd kirchlich staatlichen Einrichtuugen als die ordentlichen Seelsorger
. . . erscheinenc. Daraus ergab sich namentlich, dass die Führung
von Zivilstandesregistern durch sogenannte altkatholische Geistliche
unstatthaft^) und dass die Nichtigerklärung von Eheschliessungen
vor solchen Beligionsdienern wegen des Mangels der Erfüllung der
Forravorschriften der §§ 74 und 75 a. b. G. B. durch die Gerichte
zu gewärtigen sei.
Es wird kaum in Abrede gestellt werden können, dass die Auf-
fassung der österreichischen Regierung folgerichtig gewesen ist. Das
österreichische Staatskirchenrecht kannte seit der kais. Vdg. vom
18. April 1850, R. G. Bl. Nr. 156, § 2 die Institution des placeturo
regium nicht mehr. Es konnte also die Frage überhaupt nicht auf-
geworfen werden, ob die vatikanischen Dekrete für die katholische
Kirche Österreichs auch staatskirchenrechtlich bestehen <^). Der um
dieselben entfachte Streit war von vorneherein ein innerkirchlicher.
Damit war aber auch jeder Zweifel darüber ausgeschlossen, dass für
das Verhältnis nach aussen, namentlich das dem Staate gegenüber,
nur die Gemeinschaft derjenigen als legitime Fortsetzung der katho-
lischen Kirche zu behandeln sei, welche im Zusammenhange mit dem
Papste und den übrigen hierarchischen Organen, die das Unfehlbar-
keitsdogma rezipiert hatten, blieben; diejenigen, die ihm wider-
strebten, mussten allerdings zunächst noch als Glieder der Kirche
angesehen werden. Ein Anspruch auf eine selbständige Organisation
inner der Kirche, auf gesonderten Gottesdienst, auf selbständige
Sakramentsverwaltung u. s. w. stand ihnen aber nicht zu. In der
Kirche bildeten diese Antiinfallibilisten rechtlich nur eine ungeord-
nete, unorganisierte Masse, eine Summe einzelner Dissidenten, nicht
eine kirchliche Sonderorganisation. Diese hätten sie mit Wirksam-
keit nach aussen nur durch einen Akt des bestehenden kirchlichen
Organismus erhalten können. Von staatswegen aber hätte ihnen die
Eigenschaft eines Selbstverwaltnngskörpers in der Kirche nicht ohne
Verletzung der dieser staatsgrundgesetzlich gewährleisteten Rechts-
stellung verschafft werden können. Strenge genommen wäre ihnen
4) Yergl. Min.-Erl. 12. Oktober 1882, Z. 14.984, sbgedr. im Archiv,
Bd. 29, S. 176.
5) Es ist bekannt, welche Schwierigkeiten sich in Bayern deshalb er-
geben haben, weil dort das avitiscbe Institat des landesfürstlicben Placet nicht
beseitigt ist. Für Österreich ist aach darauf za verweisen, dass Art 2 des mit
dem k. Fat vom 5 Norember 1855, R.-G.-ßl. Nr. 195 kundgemachten Kon-
kordates, welche Stelle den Ehren- und Jurisdiktionsprimat dss Fapstes aus-
drücklich anerkennt, damals noch geltendes Staatskirchenrecht war. Die ge-
hässigen Angriffe von mancher Seite gegen die Haltung der dsterreichischen
Regierung, i. B. bei v. Schulte, a.a.O. 8. 435, vgl. damit Nippold, Hdb. d.
n. £.• Gesch. II, S. 150 und 491, stellen sich demnach als ungerechtfertigt dar.
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Mitteüungen. 331
nach Art. 15 des angefubrteD St.-G.-Q. nur das Recht der Hans-
andacbt zugekommen^). Kurz, es stellen sich die mit dem Erlasse
vom 20. Februar 1872 getroffenen Anordnungen nur als notwendige
rechtliche Folgerungen aus der tatsächlichen Stellung der Altkatho-
liken dar, und die ihnen gegenüber in einigen Punkten geübte
Eonnivenzlder Regierung, welche gegen die gottesdienstlichen Ver-
sammlungen der Altkatholiken nicht einschritt^), erscheint vielmehr
als Verletzung der Rechtsstellung der katholischen Kirche im'Staate.
Allerdings fehlte es nicht an dem Versuche, den Altkatholiken,
ähnlich wie dies in Preussen ^) und Baden ^) geschehen ist, auf Kosten
der katholischen Kirche eine besondere rechtliche Stellung zu ver-
schafiTen. Nachdem nämlich schon im Jahre 1872 ^<^) ein Antrag
auf gesetzliche Regelung der Verhältnisse der Altkatholiken im Ab-
georduetenhause des österreichischen Reichsrates eingebracht worden
war, befasste sich dasselbe in den Jahren 1874/75 neuerlich mit
diesem Gegenstande ^^). Es kam zur Ausarbeitung und zum Be-
schlüsse eines .Gesetzentwurfs, nach welchem jene Katholiken, welche
alle Lehrsätze der katholischen Kirche mit Ausnahme der Bulle
Fastor ^aeternus anerkennen , berechtigt sein sollten , »eigene , den
bisherigen kirchlichen Oberen nicht unterstehende Kirchengemeinden
innerhalb der bestehenden Pfarrsprengel oder auch solche, die sich
über mehrere derselben erstrecken, zu bildenc. Wäre dieser Ent-
wurf Gesetz geworden, so wäre von staatswegen in die katholische
Kirche eine selbständige Organisation gefügt worden, die zwar mit
den Organen der Kirche nicht zusammenhing, auf die aber unzwei-
felhaft alle Rechtsvorschriften, die allgemein für Katholiken bestehen,
hätten Anwendung finden müssen ^^).
ß) MHn Staatskircbenrecht , S. 12; a. A. Richter y Lehrb. d. K.-R.
S. 571,iAnm. 2.
7) Z. B. in Ried, FHedherq, a. a. 0. S. 776 und 783. Über die Vor-
fSnge in Wien, wo der Gemeinderat dem antünfallibilistischen Priester A. Anton
ie Salvatorkircbe zur Abhaltang des Gottesdienstes eingeraamt Chatte, s. Ar-
chiv Bd. 28, S. XXIX. flg. üeber die Tragweite einer solchen faktischen
Dnldnng vgL die E. d. 0. G. H. bei Olaser-Unger XII, Nr. 5225 nnd 5556.
8) Gesetz vom 4. Juli 1875, Archiv Bd. 34, S. 403.
9) Gesetz vom 15. Jani 1874 and Verordnung vom 27. Juni 1874, abffedr.
bei V. Schulte^ Der Altkatholicismus, S. 42 flg., über Hessen ebenda S. 416 flg.
10) Antrag Dr. Waldert u. Gen. vom 16. Februar 1872, Nr. 88 der Bei-
lagen zu den.stenographischen Protokollen des Abgeordnetenhauses, YII.' Session.
11) Antrag Dr. Klepsch u. Gen. Vom 11. November 1874. Der Bericht
des konfessionellen Ausschusses über denselben, sowie der dem Hause vorge-
legte Entwurf in Nr. 340 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des
Abgeordnetenhauses, YIII. Session; die Debatte darüber (16. u. 17. Mfirz 1875)
ebenda 8. 4608 flg.
12) Zutreffend bemerkt der Bericht der konfessionellen Kommission des
Herrenhauses (Beil. 235, VIII. Session): Die Staatsgesetzgebung würde durch
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332 MUteüungen.
Tatsächlich ist dieser Entwurf nicht Gesetz geworden. Das
Herrenhaus ist über denselben zur Tagesordnung übergegangen i'),
weil nach seiner Anschauung alle Schwierigkeiten, zu denen die alt-
katholische Bewegung Anlass gegeben hatte, an der Hand des be-
reits bestehenden Gesetzes vom 20. Mai 1874, R.-0.-BI Nr. 68,
betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften
beseitigt zu werden vermochten. Es könne eben niemand die Tat-
sache verleugnen, dass in Österreich bisher nur diejenige katholische
Kirche, deren kirchliche Gewalt ... das Dogma vom 18. Juli 1870
unter ihre Satzungen aufgenommen bat, als katholische Kirche an-
erkannt ist, und dass diejenigen Fraktionen derselben, welche dieses
Dogma verwerfen, bisher noch nicht gesetzlich anerkannt sind.
Zu diesem Vorgehen war das Herrenhaus auch durch die Er-
klärung **) der Regierung bewogen worden, dass von ihrer Seite gegen
die Konstituierung der Altkatholiken als Religionsgesellschaft und
gegen das Recht des Seelsorgers dieser neuen Gemeinde zur Ehe-
schliessung und Matrikenführung, unter der Voraussetzung der Er-
füllung der gesetzlichen Bedingungen, kein Anstand erhoben werden
wird. Den damit angedeuteten Weg haben die Altkatholiken in der
Tat betreten.
Unter dem 9./13. März 1876 überreichten die Anhänger der alt-
katholischen Bewegung ein Gesuch, mit welchem sie unter Wahrung
ihrer Auffassung, die katholische Kirche darzustellen, um Aner-
kennung ihrer Kultusgemeinden in Gemässheit des Gesetzes vom
20. Mai 1874 baten ^^). Die bei diesem Anlasse vorgelegte »Synodal-
das Gesetz aussprechen, dass auch diejenigen bisherigen Katholiken, welche das
Unfehlbarkeitsdogma verwerfen, noch fortan Katholiken und Mitglieder der bis-
her von dem österreichischen Staate allein als katholische Kirche gesetzlich an-
erkannten Kirche bleiben, and . . . dass die sogenannten Altkatholiken alle
übrigen Lehrsätze der katholischen Kirche annehmen. Dies seien aber Ans-
spräche rein (?) dogmatischer Natar, welche über den Rechtsbereich der Staats-
gesetzgebnng hinaosgreifen.
13) Beschluss des Herrenhauses vom 17. Januar 1876, a. a. 0. S. 740.
14) Beil. 235 der stenogr. Protokolle des Herrenhauses, YIIL Session.
15) Wortlaut der wesentlichen Stellen: »Die Anhänger des seit jeher in
dem österreichischen Kaiserstaate anerkannten katholischen Religionsbekennt-
nisses, wie dasselbe bis zum 18. Juli 1870 bestanden hat, sehen sich durch
den Umstand, dass sich eine grosse Anzahl ihrer damaligen Glaubensgenossen
Satzungen und Bestimmungen gefügt hat, welche eine Versammlung von
Bischöfen in Rom unter dem Namen eines vatikanischen Konzils aufgestellt
hat, im Widerspruche mit dem, was immer, überall und von allen geglaubt
worden, der äusseren Bedingung der Geltendmachung ihrer Rechte oeraubt.
Ohne sich als Anhänger eines bisher nicht gesetzlich anerkannten Religions-
bekenntnisses zu betrachten, sondern als die Anhänger eines seit jeher in
Österreich anerkannten Religionsbekenntnisses, welches nie und nimmer die An-
erkennung verwirkt oder Terloren hat, sind sie daher bemüssigt, von einzelnen
Bestimmungen des Gesetzes Tom 20. Mai 1874 insofern Gebrauch zu machen,
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Mitteilungen. 833
und Qemeindeordnung der altkatholischen Eirchengemeinden Öster-
reichs« stimmte in den hauptsächlichen Punkten mit derjenigen ge-
nau überein, welche sich die Altkatholiken des Deutschen Reiches
gegeben hatten ^*).
Die Antwort der Regierung auf dieses Ansuchen erfolgte mit
dem Erlasse des Kultusministers vom 6. Januar 1877, Z. 20.148/76.
Es wurde erklärt, dass die Regierung, soweit sie die Tendenzen der
altkatholischen Partei kenne, kein prinzipielles Bedenken finde, diesem
Bekenntnisse die Behandlung nach dem Gesetze vom 20. Mai 1874,
B.-Q.-Bl. Nr. 68, angedeihen zu lassen. Hiezu sei jedoch erforder-
lich, dass die Altkatholiken selbst auf die Anwendung des berufenen
Gesetzes Anspruch erheben und dessen Bedingungen erfüllen. Dies
sei in der Eingabe vom 9. März 1876 nicht geschehen. Die alt-
katholische Partei möge immerhin für sich den Anspruch erheben,
das wahre katholische Bekenntnis zu besitzen, wie denn naturgemäss
jede Eonfession die religiöse Wahrheit für sich allein in Anspruch
nehme, allein in Akten, welche die Genehmigung der Regierung er-
halten sollen, dürfe dieser Standpunkt nicht zum Ausdruck gelangen.
»Soll die Anerkennung des altkatholischen Bekenntnisses erfolgen, so
müssen sich diejenigen, welche für dasselbe das Wort führen, ohne
Reticenz unter das Gesetz vom 20. Mai 1874 stellen, es müssen
alle und nicht bloss ausgewählte Bestimmungen desselben acceptiert
werden und es muss jeder in den Rechtsbestand eines anderen Be-
kenntnisses hinübergreifende Anspruch bei Seite gelassen werden.c
Dieser Auffassung gemäss stellte die Regierung folgende Be-
dingungen der Anerkennung der altkatholischen Eirche: a) Elimi-
als sie für die Betatigang ihres anerkannten Religionsbekenntnisses der
Sasseren Form der gesetzmässigen Anerkennang and Eonstitairang ihrer
Kirchengemeinden bedürfen. Die Unterzeichneten sind beauftragt, im Sinne
der eingangs erwähnten katholischen, nanmehr altkatholisch genannten Ge-
meinden and Vereine . . . mit Berafang auf die Erklarang (der Begiernng) . . .,
dass von keinem der altkatholischen Religionsgesellschaft beitretenden Glanhens-
genossen eine vorhergehende AastrittserkläraDg aas der allgemeinen katholischen
Kirche gefordert werden kann and wird, und dass von Seite der . . . Regierang
gegen die angedeutete Eonstitnierang and gegen das Recht des Seelsorgers der
altkatholischen Gemeinden zar Eheschliessang and Matrikenf&hrung anter der
Voraassetzang der Erfüllung der gesetzlichen Bedingungen kein Anstand er-
hoben werden wird: das Ansuchen . . . za richten, auf Grund des beiliegenden
Statutes, welches allen Gemeinden altkatholischen Ritus gemeinsam ist, die ge-
setzliche Errichtung von altkatholischen Eirchengemeinden derzeit in Wien,
Wamsdorf und Ried genehmigen zu wollen . . . .c (Diese und die folgenden
Mittellungen ohne Angabe einer gedruckten Quelle beruhen auf den Akten des
Ministeriums für Eultus und Unterricht.)
IQ Abgedruckt bei Friedberg, Aktenstücke, die altkatholische Bewegung
betr., 8. 359 flg.; Schulte. Der Altkatholicisraus, S. 46 flg., §§ 1—59; Ent-
stehungsgeschichte ebenda S. 577. — In dem der österr. Regierang vorgelegten
Entwürfe fehlten die §§ 3 und 4.
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334 Mitteüungen.
DiruDg der §§ 1 and 2 des Synodal- und Oemeinde-Ordnongs- Ent-
wurfes, Präzisierung der Religionslehre und des Gottesdienstes : »So-
weit hiebei die Lehren und Einrichtungen der katholischen' Kirche
festgehalten werden, genügt die einfache Angabe hierüber; soweit
jedoch in irgend einem Punkte etwas, was in der katholischen Kirche
als symbolische Lehre oder als Vorschrift für den Gottesdienst gilt,
nicht vollständig angenommen werden soll, muss dies im Interesse
der Ordnung deutlich präzisiert werden.c Dies gelte namentlich von
allen mit der Kirchenverfassung zusammenhängenden Lehren, b) Ge-
naue Festsetzung der Stellung a) des Bischofs, ß) der Synode. Die
übrigen noch zur Sprache gebrachten Punkte sind von untergeordneter
Bedeutung.
Die Anhänger der altkatholischen Bewegung entsprachen dem
Ansinnen der Regierung. Mit einer am 5. März 1877 überreichten
Eingabe stellten sie formell die Bitte, es wolle der Religionsgesell-
schaft jener Katholiken, welche die auf dem sogenannten vatikanischen
Konzile sess. IV in der päpstlichen Bulle »Pastor aeternusc prokla-
mierten Lehren von der Unfehlbarkeit des Papstes und seiner Macht-
vollkommenheit über die ganze Kirche ihre Zustimmung versagen,
die staatliche Anerkennung unter der Bezeichnung »Altkatholische
Kirchec gewährt werden. Sie erklärten ferner, dass das Glaubens-
bekenntnis der Altkatboliken das seit jeher anerkannte katholische
ist; nur verwerfen sie die seit dem 18. Juli 1870 von Pius IX. pro-
klamierten Lehren de Infallibilitate et universali Jurisdictione Summi
Pontificis; dass der altkatholische Gottesdienst der katholische ist,
dessen Mittelpunkt die hl. Messe und die Predigt bilden; dass die
Verfassung die katholische ist mit Priestern und Bischöfen wie sie in
der (revidierten) Synodal- und Gemeinde-Ordnung näher gegliedert ist
Auf diese Eingabe erhielten die Altkatholiken mit dem Ministerial-
Erlasse vom 28. September 1877, Z. 15942 Bescheid, indem die er-
betene Anerkennung noch »von folgenden Bedingungen abhängige
erklärt wurde: 1. Stellung des klaren und vorbehaltlosen Begehrens
um »Anerkennung der altkatholischen Kirche als einer selbständigen
Religionsgesellschaft nach Massgabe des Gesetzes vom 20.^Mai 1874,
R. G. Bl. Nr. 68c. 2. Im Titel der vorgelegten Religionsbücher
habe es statt »katholische »altkatholisch« zu heissen. 3. Der Synodal-
rat habe vor^der Vornahme der Bischofswahl in geeigneter Weise
festzustellen, welche Priester der Regierung minus grati sind; diese
dürfen nicht zum^Bischofe gewählt werden. 4. »Es muss ferner zu
dem Ende, damit jeder auffällige Zweifel über die volle Anwendbar-
keit der [die Ehen der Katholiken betrefienden Bestimmungen des
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Mitteilungen. 385
allg. bürgerlichen Gesetzbuchs auf die von Altkatholiken eingegangenen
Ehen begegnet werde, auf die bestimmte Erklärung gedrungen wer-
den : dass die Ehe der Altkatholiken durchaus nach dem katholischen
Lehrbegriffe geordnet sein soll, und dass insbesondere auch den Alt-
katholiken die Ehe als eine untrennbare Verbindung gilt.c Die
übrigen auf die Legitimation der Gesuchsteller bezüglichen Aus-
führungen des berufenen Ministerial-Erlasses sind in diesem Zu-
sammenhange nicht von Interesse.
Die Anhänger der altkatholischen Bewegung sind diesen An-
forderungen nachgekommen. In drei fast wörtlich übereinstimmenden
Eingaben vom 1., 3. u. 6. Oktober 1877 ^^) haben sie konform den
vier von der Begierung gestellten Bedingungen Erklärungen abge-
geben, namentlich »dass die Ehe der Altkatholiken durcJums nach
dem katholischen Lehrbegriffe geordnet ist und dass den Altkatho-
liken die Ehe als eine unaerirennliche (Eingaben der Altkatholiken
in Wien und ßied), untrennbare (derjenigen in Warnsdorf) Verbindung
giltc und dass sie »die Bitte um Anerkennung der altkatholischen
Kirche als einer selbständigen Religionsgesellschaft nach Massgabe
des Gesetzes vom 20. Mai 1874, R. G. Bl. Nr. 68c, stellen. Hierauf
ist mit dem Ministerial-Erlasse vom 18. Oktober 1877^^) die Aner-
kennung der altkatholischen Religionsgesellschaft unter der Bezeich-
nung »Altkatholische Eirchec ausgesprochen worden. Gleichzeitig
ist deren Synodal- und Gemeinde-Ordnung im Sinne der §§ 2 und 6
des Gesetzes vom 20. Mai 1874, ß. G. Bl. Nr. 68, genehmigt *») und
17) Überreicht am 13. Oktober 1877, daher das Datum im MiDisterial-
18) Kundgemacht im R.-G.-ßl. Nr. 99.
19) Die Synodal- und Gemeinde-Ordnung der österreichischen Altkatho-
liken unterscheidet sich von der oben A. 16 erwähnten in folgenden wesentlichen
Punkten. An Stelle der §§ 1 und 2 der letzteren lautet ihr § 1: »Diejenigen
Katholiken, welche die auf dem sogenannten vatikanischen Konzile sess. IV in
der päpstlichen Bulle »Pastor aeternus« neu aufgestellten Lehren von der Un-
fehlbarkeit des Papstes und seiner Allgewalt über die ganze Kirche verwerfen,
bilden die Beligionsgesellschaft unter der Benennung »Altkatholische Kirche«.
In § 2 wird die Stellung des Bischofes näher ezemplificirt, indem von dem-
selben noch gesagt wird: »und zwar hat er das Recht der Bestätigung der von
den Gemeinden gewählten Pfarrer und Geistlichen ; er erteilt die Weinen, visitiert
die einzelnen Kirchen, Kirchenbücher u. s. w.; er beruft die Synode ein, führt
auf derselben den Vorsitz, spendet das hl. Sakrament der Firmung; besitzt das
Becht, den Gottesdienst in jeder Gemeinde (Kirche) abzuhalten, zu predigen
u. 8. w. Der Bischof ist Vertreter der Kirche nach aussen. So lange kein
Bischof vorhanden ist, werden alle geistlichen Rechte ausgeübt durch den von
dem Synodalrate damit betrauten Geistlichen, mit Ausschluss der Weihen und
Firmung«. § 4 stellt die Pflicht des Synodalrates fest, vor der Bischofswahl
zu constatieren , welche Priester der Regierung minus grati sind ; diese dürfen
nicht gewählt werden. § 12, 2. Abs. der deutschen Synodal- und Gemeinde-
Ordnung fehlt. § 20 der österr. Synodal- und Gemeinde-Ordnung umschreibt
den Wirkungskreis der Synode: »Der Wirkungskreis der Synode ist: a) Fest-
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336 MiHeüungen.
die Konstitaierung altkatbolischer Eultusgemeinden aaf Grund der-
selben gestattet worden.
Die staatskircheQrechtliche Stellang der altkatbolischen Bell-
gioDSgesellschaft kann demnach als die einer selbständigen, mit der
katbolischen weder in ihrer Organisation noch in ihrem sonstigen
Bechtsbeistande zusammenhängenden Kirche bestimmt werden. Der
Übertritt vom Katholizismus zum Altkatholizismus erscheint als
Beligionswechsel und müsste jetzt in der Form des Art. 6 des Ge-
setzes vom 25. Mai 1868, R. G. Bl. Nr. 49 vollzogen werden, um
gesetzliche Wirkung zu haben ^<^). Die altkatholische Kirche hat
keinen Anteil an der der katholischen Kirche durch besondere Bechts-
sätze staatlicherseits bestimmten eigentümlichen Stellung, mag darin
eine begünstigende oder lästige Behandlung in kirchenpolitischer,
wirtschaftlicher oder sonstiger Bichtung gelegen sein. Normen, die
für oder gegen die katholische Kirche erlassen werden, haben keine
Anwendung auf die altkatholische oder umgekehrt'^). Kurz, die
Setzung aller normativen Bestimmungen in inneren Angelegenheiten, mögen sie
den Gottesdienst oder die Leitung der kirchlichen Angelegenheiten u. s. w. be-
treffen; b) definitive Erkenntnis in allen kirchlichen Disziplinarsachen gegen
Geistliche und Laien; c) Besteuerung zu allgemeinen Zwecken; d) Bischofs-
wahl; e) Genehmigung bezw. Feststellung von Antragen an (üe Regierung,
welche Angelegenheiten betreffen, die nicht rein lokaler Natur sind; f) Fest-
stellung der Dotation des Bischofs.« Dann ist § 48 s^enauer ffefasst: »Die Ton
der Kirchen-Gemeinde in Orten zerstreuten Mitglieaer erhalten den Gottes-
dienst durch den Geistlichen der nfichstgelegenen Gemeinde, in welche sie auch
eingepfarrt sind.« Endlich ordnet § 53 die Grundzüge des Disziplinarwesem
und -Verfahrens gegen Geistliche. — Im Jahre 1897 ist die Synodalordnung
dahin abgeändert worden, dass die Synode alle zwei Jahre abgehalten wira
(§§ 18, 12 und 29).
20) Bei der ersten Konstituierung der altkatholischen Kultuseemeinden
im Jahre 1877 vollzog er sich gemäss § 7 des Gesetzes vom 20. Mai 1874^
E.-G..B1. Nr. 68.
21) Es kann kein Zweifel bestehen, dass die Bechtsverhältnisse der alt-
katholischen Kirche nicht unter das Gesetz vom 7. Mai 1874, R.-G.-Bl. Nr. 50,
über die äusseren Rechtsverhältnisse der katholischen Kirche, sondern nur unter
das Gesetz vom 20. Mai 1874, R.-G.-B1. Nr. 68, zu subsumieren sind. Daher
wird beispielsweise die Bestellung eines Hilfspriesters in der altkatholischen
Kirche der Anzeigepflicht im Sinne des § 11 des letztangeführten Geeetxes
unterliegen, während dieser Akt in der katholischen Kirche gemäss § 6 des
erstgenannten Gesetzes nicht anzuzeigen ist, woferne die Hilfspriesterstelle sich
nicht als beneficium darstellt. {Mein Staatskirchenrecht, S. 20.). Die wegen
eines Mangels ungültige Anstellung eines altkatholischen Hülfispriesters hin-
wieder kann durch Ablauf der SOtägigen Frist convalescieren, ein Satz, der so
nicht auch für die katholische Kirche gilt. Andererseits findet der Bechtssatz
über die Einführung in die Temporalien des Amtes durch die staatliche Kultus-
verwaltung (§ 7, Gesetz v. 7. Mai 1874 cit.) nur auf die katholische, nicht auch
auf die altkatholische Kirche Anwendung. Dem Staate steht gegenüber der
altkatholischen Kirche kein Recht darauf zu , von der Erledigung eines kirch-
lichen Amtes in Kenntnis gesetzt zu werden oder die Wiederbesetzunff des-
selben binnen Jahresfrist zu verlangen. Die altkatholisehe Kirche hat keinen
Anteil an den gottesdienstlichen Gebäuden, Gerätschaften, dann am Vermögen
der katholischen Kirche. Von einer besonderen Staatsaufsicht über das alt-
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Mitteilungen, oS7
altkatholische Keligionsgesellschaft ist staatskirchenrechtlich in jeder
Hinsicht sui iuris and sui generis.
Diese Sätze treten in noch helleres Licht, wenn die Verhält-
nisse der Attkatholiken mit denjenigen von Katholiken verglichen
werden, die innerhalb der Kirche selbst vermöge ihres Ritas eine
Sonderstellung einnehmen. Das Leben und die Entwicklung jeder
grossen Religionsgesellschaft stehen geradeso unter den Gesetzen der
DiflFerenzierung und Wiedervereinigung wie die sonstiger gesellschaft-
lichen Organismen. Es ist für die Bedeutung und historische Stellung
der Religionen geradezu bedingend, wie sie sich zu solchen Ab-
spaltungs- und Assimilierungsprozessen verhalten. Je elastischer ihre
Organisation sich solchen Vorgängen gegenüber verhält, desto mehr
sind die Bedingungen für eine gedeihliche Weiterentwicklung der
Kirche bei rituellen, nationalen, partikularistischen Unterströroungen
und Reibungen gegeben.
Li der Tat haben alle zu historischer Bedeutung gelangten
kirchlichen Bildungen auf christlicher Grundlage solche relativ selb-
ständige Dnterorganisationen ausgestaltet. Selbstverständlich kann
für den vorliegenden Zweck darauf nicht weiter im einzelnen einge-
gangen werden. Für ihn genügt es an die Tatsache zu erinnern,
dass in Österreich die katholische Kirche in drei Riten besteht, dass
es in der morgenländischen Kirche autokephale Gemeinden auf natio-
naler Grundlage gibt, dass die evangelische Kirche sich in zwei ver-
schiedene Bekenntnisse scheidet, und dass bei der israelitischen Reli-
gionsgesellschaft innerhalb ihrer einzelnen Gemeinden der Tatsache
ritueller Differenzierungen nach gesetzlicher Vorschrift") Rechnung
zu tragen ist. Bei allen angeführten christlichen Kirchen tritt uns
die angedeutete Unterscheidung in einer abgesonderten Organisation
der Kirchenverwaltung entgegen.
Daraus ergibt sich für das Staatskirchenrecht das Problem, ob
in den Riten der katholischen Kirche, den Bekenntnissen der evangeli-
schen, den autokephalen Gemeinden der morgenländischen ebenso
viele verschiedene Religionsgesellschaften oder aber nur untergeord-
nete Bildungen innerhalb grösserer religiöser Organismen, also ge-
katholische Eirchenvermögen ist keine Bede a. s. w. Eben so sicher gelten die
besonderen Normen über das kirchliche Abgabenwesen, z. B. die Banlast- oder
Stolgebühren, nnr für die katholische Kirche, nar die Geistlichkeit dieser hat
Ansprach aaf ein standesmässiges Mindesteinkommen nach den Gesetzen Tom
7. Jannar 1894, B.-G.-Bl. Nr. 15, und vom 19. September 1898, B.-G.-Bl. Nr. 176,
nnr auf die katholische Kirche beziehen sich die Vorschriften über die Beli-
gioDsfondsbeitr&ge nach dem Gesetze vom 7. Mai 1874, B.-G.-BI. Nr. 51 u. s. w.
22) §§ 25 und 26 des Gesetzes vom 21. März 1890, B.-G.-B1. Nr. 57.
Mein Staatskirchenrecht, 8. 34.
ArehiT mr Kircbrartcbt. LXXXIIL 2!^
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338 MitteÜungen.
Wissermassen Selbstverwaltungskörper höherer Ordnung oder Eirchen-
fragmente vorliegen. Diese Frage wird für die genannten drei christ-
lichen Kirchen kaara einheitlich gelöst werden dürfen. Hier interessiert
nur das Verhältnis der Biten in der katholischen Kirche. Hinsicht-
lich dieses muss man sich meines Erachtens, so weit österreichisches
Staatskirchenrecbt in Frage kommt, für die letztere Alternative ent-
scheiden.
Bei den Biten der katholischen Kirche handelt es sich nämlich
um religionsgesellschaftliche Organismen, deren besondere Verfassung,
Disziplin, liturgischen Eigentümlichkeiten u. s. w. von der Kirche
selbst rechtlich anerkannt und geschützt sind*'). Die kirchliche
Bechtsordnung geht davon aus, dass diese kirchlichen Vereinigungen
nur Teile der Gesamtkirche darstellen, indem diese selbst Sorge da-
für trifft, »das richtige Verhältnis zwischen den Eigentümlichkeiten
und besonderen Ansprüchen der einzelnen Nationalitäten und Völker-
gruppen und dem allgemein Verpflichtenden, Universellen und Katho-
lischen . . . herzustellenc. Die Einheit der Kirche aber kommt be-
sonders darin zum Ausdruck, dass die Kompetenz des obersten kirch-
lichen Jurisdiktionsorgans, des Papstes, sich auf alle diese Biten er-
streckt'^) und dass deren Hierarchie an den allgemeinen Konzilien
der Kirche teilnimmt, wie denn auch sonst zwischen den Angehörigen
verschiedener Biten communicatio in sacris besteht, die ihre Qrenze
wesentlich nur in der kirchlichen Sorge für die Integrität des Bitus
und dem kirchlichen Verbote der permixtio rituum findet.
Dieser Auffassung der Kirche über das Verhältnis der Biten
trägt das staatliche Becht Bechnung, indem es in den allerdings
nur dürftigen Sätzen >^), die auf diesem Gebiete ausdrücklich ausge-
sprochen werden, gedankenmässig von der Einheit der Kirche aus-
geht. Namentlich beziehen sich Akte der Gesetzgebung, welche far
die katholische Kirche als solche ohne weiteren Unterschied erfliessen,
auch auf die einzelnen rituellen Organisationen innerhalb derselben.
28) Hinschiua, K.-R. IV, S. 426 fl^.; Hergenröther im ArchiT VU,
S. 169 flg., S. as? flg., VIII, S. 74 flg. und S. 161 flg., daDD Archiv IX,
S. 199 und XIV, S. 1 flg. ; VeHng, K.-R.. S. 49 und 834 flg. ; Pachmann,
K.-R. (2. Aufl.), I, 8. 40 und A. 2.
24) Hergenröther a. a. 0. S. 348 flg.
25) Die Riten der katholischen Kirche erwähnt § 35 des Ges. Tom 7. Mai
1874, R.-G.-Bl. Nr. 50 und das Ges. vom 31. Dezember 1894, R.-G.-B1. Nr. 7
vom J. 1895, wo als Bedingung der Zugehörigkeit (und Beitragspflicht) zur
Pfarrgemeinde die Identität des Ritus gefordert wira. Auf dem Gebiete des
kirchlichen Dotationswesens werden die Riten gleich behandelt (so schon Art. 26
des Konkordates, dann ausdrücklich Ges. v. 7. Januar 1894, R.-G.-B1. Nr. 15).
Ebenso für die Konkurrenzgesetzgebung. Die Religionsfonds gelten als ihnen
gemeinsam gewidmet.
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MiUHlungen. 339
Dies gilt namentlich von dem Konkordate einerseits, dem Gesetze
vom 7. Mai 1874, E.-G.-Bl. Nr. 50, über die äusseren Rechtsver-
hältnisse der katholischen Kirche, andererseits.
Die altkatholische Kirche dagegen steht nur historisch , nicht
rechtlich mit der katholischen Kirche im Zusammenhange. Die Or-
ganisation , namentlich die Hierarchie und Gemeindebildung jener
sind von dieser nicht anerkannt. Für den Staat aber ist, wie die
früher dargestellte Geschichte ihrer Anerkennung zeigte die altkatho-
lische Kirche eine durchaus selbständige, vollkommen abgespaltete
Religionsgesellschaft.
n.
Diese staatskirchenrechtliche Stellung der Altkatholiken kann
auch auf dem Gebiete des Eherechts nicht ohne Bedeutung sein. In
einem Vorstadium der Arbeiten an dem Gesetze über die Anerken-
nung von Religionsgesellschaften vom 20. Mai 1874, R.-G.-Bl. Nr. 68,
hatte der Plan bestanden, auch eherechtliche Bestimmungen für die
Mitglieder neu entstehender Religionsgenossenschaften aufzunehmen.
Dieser Plan ist fallen gelassen worden. Den Grund deutet der Mo-
tivenbericht zu dem angeführten Gesetze ^^) an. Nach demselben
ging die Regierung von der AuflTassung aus, dass nicht anzunehmen
sei, es werde zur Anerkennung von Religionsgesellschaften kommen,
welche weder dem Christentume noch dem Judentume angehören.
Für alle solchen Religionsgemeinschaften aber bestehe das Eherecht
des b. G.-B. Sollte gleichwohl eine Religionsgesellschaft anerkannt
werden , welche weder auf der christlichen noch auf der mosaischen
Grundlage ruhe, so wäre auf diese nach Analogie des Gesetzes vom
9. April 1870, R.-G.-B1. Nr. 51, das Eherecht der nicht-katholischen
christlichen Religionsverwandten anzuwenden.
Da also eine ausdrückliche und allgemeine gesetzliche Regelung
des Eherechts der sich neu bildenden Religionsgesellschaiten nicht
zustande gekonmien ist, muss die Anwendbarkeit der einzelnen ein-
schlägigen Sätze des älteren Rechts, namentlich des a. b. G.-B. auf
die Altkatholiken geprüft werden. Hiefür ist zunächst zu erinnern,
dass auf dem Rechtsgebiete eine Religion weder als göttliche OfTen-
barung von Glaubens- und Sittenlehren noch als die subjective
seelische Oberzeugung des Einzelnen von seinem Verhältnisse zur
Gottheit in Betracht kommt. Der Jurist hat es nur mit dem
äusseren Handeln und Verhalten der Menschen zu tun. Er kann
mit seinen Mitteln nicht an das Gebiet der Transcedenz hinan- und
26) Beilage 43 der stenogr. Prot, des Abg.-H., Vin. Session.
22/^ T
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340 Mitteilungen,
nicht an tief in der Seele ruhende Gedanken und Gefühle hinab-
reichen, sondern muss seine Kegeln in Verbindung mit sinnenföUigen
Zuständen und Taten bringen. Die religiösen Überzeugungen werden
nur als Religionsbekenntnis, die Vereinigung von Menschen mit
gleichen religiösen Anschauungen zur Betätigung derselben nur als
Keligionsgesellschaft, die Beziehungen des Einzeluen zu solchen Ver-
einigungen nur als Mitgliedschaft rechtlich relevant.
Die Belange, in denen die Unterscheidung der Beligionsbe-
kenntnisse im materiellen österreichischen Eherechte praktisch wird,
sind das Ehescheidungsrecht einschliesslich der durch dasselbe be-
dingten eigentümlichen Ausgestaltung des Ehehindernisses des Ehe-
bandes*'), dann weiters die Ehehindernisse wegen Weihe oder Ge-
lübdes und der Religionsverschiedenheit.
Für das letzterwähnte *») dürfte die Frage am einfachsten zu
lösen sein. Altkatholiken sind ohne Zweifel Christen, können daher
ohne staatliches Hindernis mit allen anderen Christen Ehen ein-
gehen und können dies nicht mit Personen, die sich nicht zur christ-
lichen Religion bekennen, also mit Juden und wohl auch mit Kon-
fessionslosen. Vom Standpunkte des Eherechts des österreichischen
a. b. G.-B. sind die Auffassungen der einzelnen Kirchen über die
Gültigkeit der Taufe in den verschiedenen Religionsgesellschaften
gleichgültig*^). Vielmehr sind alle jetzt in Österreich gesetzlich
anerkannten Bekenntnisse mit Ausnahme des Judentums als christ-
liche und ihre Angehörigen als Christen im Sinne des § 64 a. b.
G.-B. anzusehen.
Etwas weniger einfach ist die Anwendbarkeit des Ehehinder-
nisses wegen Weihe oder Gelübdes, § 63 a. b. G.-B.'®). Hier ist
nicht davon zu handeln, ob der Übertritt eines katholischen Priesters
zum Altkatholizismus die Wirkung hat, demselben die durch den
27) Sog. Ehehindernis des Katholizismus, Rittner, Eherecht, S. 82 flg.
28) Aas der Literatur dieses Ehehindernisses wfiren herrorzuhehen Hacn-
mann, Lehrb. d. K.-R., II, S. 290 flg.; Rittner, Eher., S. 137 flg.; Anders,
Familienrecht, S. 22; vgl. Krainz-Pfaff-Ehrenzvoeig, System, II. S. 383;
Stuhenrauch, Coramentar zu § 67 a. b. G.-B. und Andern, Grundriss d.
P -R S 6
" 29) Hinschius, K.-R., IV, S. 43 flg. ; Heiner, K.-R. II, S. 230; Aichner,
Corapendiura J. E., S. 609, A. 5 a. E.
80) Schulte, Dor Cölibatszwauje, Bonn 1876, S. 20 flg. ; Gauguach, Das
Ehehindernis d. höheren Weihe, S. 56 flg.; Aus der austriacistischeii Literatur,
deren Umfang in keinem Verhältnisse zur praktischen Tragweite und wissen-
schaftlichen Bedeutung dieses Ehehindernisses steht, wären hervorzuheben:
Rittner, Eherecht, S. 86 flg. ; Anders, Familienrecht, S. 20 flg. ; Krasnopolskl
im Archiv Bd. LXXIII, S. 456 flg.; Bd. LXXIV, S. 297 (S. 297 (Seoaratebdr.
März 1895); dann derselbe. Das Ehehindernis der höheren Weihen nach
österr. Recht; endlich Zeiller, Commentar zum a. b. G.-B., I, S. 210: »ohne
Rücksicht auf die verschiedenen Kirchen* Disziplinen c
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Mitteilungen.. 341
Empfang der Weihen verlorene Ehefähigkeit wieder zu geben. Dass
ein solcher Priester eheunföhig bleibt, ist gegenwärtig mit Recht
communis opinio. Wir haben hier nur zu untersuchen, welche
Wirkung die Ordination in der ältkatholischen Kirche für den Ge-
weihten auf eherechtlichem Qebiete hat. Die Entstehungsgeschichte
unserer Gesetzesstelle '>) zeigt, dass das Bhehindernis der höheren
Weihen und der feierlichen Gelübde umschrieben worden ist, nicht
far die katholische Kirche allein, sondern allgemein für alle Ee-
ligionen, welche bezüglich ihres Priester- und Ordenswesens von der
Auffassung ausgehen, dass zum Dienste am Altare eine durch einen
Weiheakt vermittelte besondere übernatürliche Befähigung erfordert
werde, und dass die beim Eintritte in einen Orden feierlich abge-
legten Gelübde eine dauernde, unlösliche Verbindung zwischen dem
Gelobenden und dem Ordensinstitute bewirken. Stehen diese Vor-
aussetzungen fest, so statuiert das staatliche Recht die Eheuntähig-
keit für denjenigen, der höhere Weihen empfangen hat, oder feier-
liche Gelübde abgelegt hat. Es statuiert diese Unföhigkeit ohne
Rücksicht darauf, ob und was darüber das kirchliche Disziplinar-
recht bestimmt. Da die altkatholische Kirche die Ordinationsauf-
fassung mit der katholischen wenigstens in den leitenden Grund-
sätzen noch immer teilt '^), müssen diejenigen, welche in diesen Re-
ligionsgemeinschaft höhere Weihen empfangen haben, nach öster-
reichischem staatlichen Rechte für eheunfähig gelten. Das Disziplinar-
recht der altkatholischen Kirche hat die Cölibatsvorschrift, aber nicht
den Weihebegriff der katholischen Kirche beseitigt ••). Darum ist
es für das staatliche Eherecht ohne Bedeutung.
Am meisten controvers ist das Ehescheidungsrecht der Alt-
katholiken 3*). Nach demjenigen, was diese Religionspartei anläss-
31) KrasnopoUki am erstang. 0. S. 457 flg. ; Ofner, Protokolle , I.
S. 94 flg., S. 104 flg., II, S. 500 flg.
32) Schulte, Lehrb. d. K.-R., IV. Aufl., S. 88, Ä. 21 a. E.
33) Für Oesterreicb durch Beschluss der II. Synode vom »Jahre 1880. —
Dass dieser Synodalbeschluss der österreichischen Regierang weder mitgeteilt
noch von derselben genehmigt worden ist, ist für dessen rechtliche Tragweite
gleichgdltig. Er hat jedenfalls nur Bedeutung als Disziplinarsatz. Darum wird
der Anstellung eines altkatholischen Priesters, der als Ausländer im Auslande
f<ig geheiratet hat, in Oesterreicb nach Erwerb der österreichischen Staats-
ürgerschaft nichts im We^e stehen. Ebensowenig bestände ein Hindernis gegen
die Ordination eines Verheirateten.
34) Die wissenschaftliche Literatur behandelt diese Frage, so viel ich
sehe, nicht ausdrücklich. Die Darstellung bei Anders, Familienrecht, S. 81
und Grundriss, S. 21, lässt annehmen, dass dieser Autor für die Trennbarkeit
altkatholischer Ehen eintritt. Krainz, a. a. 0. S. 398. A. 4 und Stubenrauch,
Coromentar, S. 191 erwähnen nur Protestanten und nichtunirte Griechen.
RUtner, Eher., erschien vor Anerkennung der altkatholischen Kirche. Seine
AasfQhraogea S. 341 scheinen für die Trennbarkeit altkatholischer Ehen zu
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342 Mitteilungen.
lieh ihrer Anerkennung von ihrem Verhältnisse zur katholischen
Kirche behauptet hat, scheint die Meinung, welche in Altkatholiken
doch wieder Katholiken im Sinne des § 111 a. b. G.-B. sieht und
die von ihnen geschlossenen Ehen deshalb unter Lebenden für un-
löslich hält, eine gewisse Berechtigung zu besitzen. Andererseits
aber scheint nach dem oben über die Entstehung des Gesetzes vom
20. Mai 1874, K.-G.-Bl. Nr. 68, Angeführten wieder manches dafür
zu sprechen, dass auf alle Beligionsgesellschafteni welche sich auf
Grundlage dieses Gesetzes bilden und nicht Abzweigungen des
Judentums darstellen, das Ehescheidungsrecht der nichtkatholischen
christlichen Beligionsverwandten anzuwenden ist.
Bei dieser Sachlage wird zunächst zu prüfen sein, wieviel für
die vorliegende Frage aus der Entstehungsgeschichte der einschlägt«
gen Bestimmungen des a. b. G.-B. abzuleiten ist. Das Josefinische
Ehepatent vom 16. Januar 1783'^) und das Josefinische Gesetzbuch
vom 1. November 1786 5«) bedeuten in der Entwicklung des öster-
reichischen Eherechts nicht nur die Übertragung der.Kompetenz zur
Legislative und Judicatur in Ehesachen von der Kirche auf den
Staat 37), sondern auch kraft der Behandlung der Ehe als eines
bürgerlichen Vertrages die Schaffung eines einheitlichen und allge-
meinen Eherechtes für alle Untertanen. Vereinzelte Ausnahmsbe-
stimmungen wurden allerdings auch von diesen Legislationen wegen
der Beligionsverschiedenheit getroffen ; sie stellen sich jetzt aber als
Ausnahmen von höheren und einheitlichen Sätzen dar. Die wichtigste
derselben betrifft das Ehescheidungsrecht. Hier ist die Unlöslich keit
des Ehebandes der Grundsatz. Von ihm wird eine Ausnahme für
diejenigen promiscue gemacht, »welche der katholischen Religion
nicht zugetan sindt. Kücksichtlich ihrer wird nicht weiter unter-
schieden. Vielmehr gilt für alle (christlichen oder nichtchristlichen)
Akatholiken der Grundsatz der ausnahmsweisen Lösung des Ehe-
bandes unter Lebenden aus bestimmten, vom Staate festgestellten
Gründen. In diesem Stadium der Rechtsentwicklung konnte kein
sprechen. Aus der sonstigen Literatur, dann aus der Praxis könnten erwähnt
werden: »Sind Ehen der Altkatholiken trennbar?« »Volksruf«, Jahrg. 1893,
Nr. 3, und die Erkenntnisse der drei Instanzen in Jur. 61., Jahrg. 1902, Nr. 30,
Beil. Der oberste Gerichtshof (E. t. 10. Juni 1902, Z. 5027) scheint anzu-
nehmen, dass für die Trennbarkeit der Ehen ausser § 115 a. b. 6.-B. auch die
Keli gionsbegriffe der betreffenden Religionsgesellschaft massgebend seien. Nach
dieser Richtung wäre gegenwärtig die Lage durch den Beschluss der XXI. alt-
katholischen Synode des Jahres 1902 als geändert anzusehen.
35) §§ 36, 44, 49—52 und 55.
36) III, Hauptst., §§ 98, 104—110.
37) Hittner, Eherecht, S. 20 flg.
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Mitteilungen. 343
Zweifel darüber bestehen, dass, wer nicht Mitglied '») der katho-
lischen Kirche war, staatlicherseits auch nicht nach dem ausnahms-
losen Grundsatze der ünlöslichkeit des Ehebandes zu behandeln war,
mochte die religiöse Überzeugung seiner Sekte in dieser Richtung
diese oder jene sein.
Auch das sogenannte westgalizische 6.-B. '') hat hieran ma-
teriell nichts geändert. Allerdings tritt in diesem Stadium der
Kodifikation das Sonderrecht der Akatholiken dem Rechte der
Katholiken nicht mehr als Ausnahme der Regel gegenüber, sondern
es werden zwei verschiedene Regeln aufgestellt: die eine für Ehen,
in denen wenigstens ein Teil von jenen, die sie geschlossen haben,
»der katholischen Religion zugetan istc, die zweite für »andere Re-
ligionsverwandten c. An dem leitenden Grundsatze hat, soweit Chri-
sten *<*) in Betracht kommen, auch das a. b. G.-B.**) festgehalten
und nur das Einzelne weiter ausgestaltet **). Immer bleibt aber der
Gegensatz zwischen Katholiken einerseits und den nach den einzelnen
christlichen Bekenntnissen nicht weiter differenzierten Akatholiken
anderseits. Man würde das Ehescheidungsrecht des a. b. G.-B. nur
ungenau als ein konfessionell verschiedenes bezeichnen dürfen; denn
das Recht, welches in den einzelnen Kirchen auf diesem Gebiete
ausgebildet worden ist, hat weder unmittelbar noch subsidiär An-
wendung für den Staatsbereich. Es dient der staatlichen Satzung
38). Massgebend für diese Mitgliedschaft waren weder die subjektiven
inneren Überzeugungen des Einzelnen, noch die Anschauungen der verschiedenen
Religionsgesellschaften, sondern einzig und allein das staatliche »Toleranz-
systera«. Dieses stellte den Katholiken die »Altkatholikenc gegenüber, ein
Begriff, der erst mit der Min.-Vdg. vom 30. Januar 1849; R.-G.-Bl. Nr. 107,
als gesetzlicher terminus technicus aufgegeben wurde. S. auch Zeiller, Eom-
nientar, I, S. 286.
39)111. Hauptst., §§ 102, 109—111. Vergl. den Entwurf Martini's,
III. Hauptst, §§ iQ und 49 bei Uarraaowaky , Der Codex Theresianus, V,
S. 39 flg. und 42; insbes. A. 42.
40) Auf die der Judenschaft seit dem Patente vom 3. Mai 1786 ge-
machten Konzessionen bezüglich der Lösung des Ehebandes ist hier nicht weiter
einzugehen. Darüber s. die Bemerkungen Zeiller^s bei der Beratung des Ehe-
hindemisses der Verwandtschaft (Ofner, a. a. 0. I, S. 103) und Rittner, Ehe-
recht, S. 26 flg. Diese Konzessionen bedeuten bis zum a. b. G.-B. nicht die
Aufstellung eines besonderen Ehescheidungsrechts, sondern lediglich weitere
Ausnahmen von dem generellen, bereits durch eine Ausnahme mr sämtliche
(christliche und nicht christliche) Akatholiken durchbrochenen Prinzipe der
Unlöslichkeit der Ehe unter Lebenden.
41) Ofner, Der ürentwurf und die Beratungsprotokolle des österr. a. b.
6.-B., 1. S. 129, II. S. 348 und namentlich S. 509 und 510.
42) Diesem Stadium der Godificationsarbeiten entstammt namentlich die
strengere Behandlung der Ehetrennung im Vergleiche zur Ehescheidung. Auf
die in meiner Schrift, Die familienrechtliche Alimentation, S. 49, angeregte
Frage, ob die Aufzahlung der Trennun^^sgründe in § 115 a. b. G.-B. nicht
ebenso wie in § 109 ebenda die der Scheidun^sgrCinde demonstrativen , nicht
taxativen Chrakter habe, will ich hier nicht näher eingehen.
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344 Mitteilungen.
lediglich als Motiv bei der selbständigen und vom kirchlichen Rechte
unabhängigen Behandlung der einschlägigen Verhältnisse. Vielmehr
werden vom a. b. G.-B. drei Gruppen**) von Ehescheidungsnormen
unterschieden: Solche, welche sich auf Katholiken, solche, welche
sich auf alle übrigen christlichen Religionsverwandten , und solche,
welche sich auf die Judenschaft beziehen. Von der letzten Gruppe,
welche erst in einem verhältnismässig vorgeschrittenen Stadium der
Kodifikationsarbeiten eingerückt worden ist, ist hier nicht näher zu
handeln. Die beiden ersten dagegen finden sich bereits in allen
früheren Stadien der Arbeit am Gesetze. Der Gegensatz, der sie
scheidet, ist Angehörigkeit zur katholischen Kirche nach ihrem
staatskirchenrechtlichen Bestände und Angehörigkeit zu irgend einer
anderen tolerierten (christlichen) Religion. Für die erste Gruppe
gilt der ausnahmslose Grundsatz der ünlöslichkeit des Ehebandes
unter Lebenden**), für die andere Gruppe gilt der Grundsatz der
ausnahmsweisen Löslichkeit des Ehebandes, aber nicht nach ihrem
kirchlichen, sondern in Kraft und nach Massgabe staatlichen Rechts").
Der Beweis dafür liegt darin, dass bei der Superrevision des Gesetz-
buches*«) der Versuch gemacht wurde, die erste Gruppe auszu-
dehnen und in sie auch die »unierte griechische Religionc einzd-
beziehen. Dieser Versuch scheiterte, da die Redaktoren es bei dem
43) Ebenso Ritlner, Eherecht, S. 340; vgl. die Darstellung in ZeUler's
Kommentar bei § 115. I, S. 297, dann das Referat in der Wochenschau der
Jur. Blätter. Jahrg. 1895, S. 135.
44) Dem österreichischen Eherecht ist die Auflösung des matrimonium
ratum nondum consummatum ebenso fremd, wie das Privilegium Paulinum.
Ebenso unlösbar ist die von einem Katholiken staatlich gültig, kirchlich nichtig
eingegangene Ehe, z. B. eine Notzivilehe.
45) Die Worte »nach ihren Religionsbegriffen« sind Motivation des Ge-
setzgebers, nicht Disposition des Gesetzes. S. auch den Beschluss der Gesetx-
gebungskommission, die Beurteilung der Trennbarkeit der Ehe bei Nichtkatho-
liken nicht der Einsicht und Gewissenhaftigkeit der geistlichen Vorsteher zu
überlassen... wie Martini vorgeschlagen hatte. Harrasowahy, a. a. 0. S. 42,
A. 42. Über die au diese Gesetzesworte geknüpfte Kontroverse s. einerseits
Pachmann, K.-R., II, S. 405 flg., andererseits Üolliner, Erläuterung.* des
II. Hauptst. des a. b. G.-B., IV, S. 108 flg. und Hiltner, Eherecht, S. 840.
Die Anschauung Fachmannes kann heute in der Theorie wohl als allgemein
aufgegeben angesehen werden. Gerade sie aber war es, welche den oben S. 409
geschilderten Schritten der Österreichischen Regierung bei Anerkennung der
altkatholischen Kirche zugrunde lag und der A. 34 angeführten oberstricnter-
liehen Entscheidung zugrunde liegt.
46) Ofner, a. a. 0. S. 509 und 510. Für die Augehörigen der gr.-or.
Kirche ist die Frage ausdrücklich durch Hfk. vom 20. November 1820, Z. 34.808
(galiz. Prov.-G.-Slg. Nr. 156, S. 325) entschieden: »Se. Majestät haben über
den von der Hofkomroission in Justizsachen erstatteten Vortrag über die von
dem Bukowinaer griech. n.-u. Bischöfe Wlactiowicz rege gemachte Frage: ob
der § 115 des a. o. G. B. auf die Ehen der n.-u. Griechen anwendbar sei?
unterm 4. September d. J. zu entschliessen befunden, dass es bei der Anord-
nung des § 115 des a. b. G.-B., wo dieses Gesetz Kraft hat, auch in Betreff
der n.-u. Griechen lu verbleiben habe.«
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Mitteilungen. 345
hergebrachten Rechte bewenden lassen und »in das bürgerliche Recht
so wenig als möglich Religionsbegriffec bringen wollten. Es umfasst
also die zweite Qruppe die Anhänger aller übrigen christlichen Re-
ligionen, d. i. nicht nur die Anhänger der evangelischen und griechisch-
orientalischen Kirche, sondern auch die damals schon tolerierten
Lippowaner *^), dann die Mennoniten*«) und orientalischen Armenier**),
endlich zweifellos von den seither anerkannten Religionsgesellschaften
die Anhänger der evangelischen Bruderkirche ^<^). Sie umfasst aber
nach meinem Dafürhalten auch die Altkatholiken.
Der wesentliche Grund, der für die Behandlung der Albkatho-
liken nach dem ausdrücklich nur für Katholiken aufgestellten
Grundsatze der ausnahmslosen Dnlöslichkeit des Ehebandes unter
Lebenden geltend gemacht werden könnte, ist die früher erwähnte,
im Laufe der Verhandlungen über die gesetzliche Anerkennung dieser
Religionsgesellschaft abgegebene Erklärung ihrer Anhänger, dass
ihre Ehe durchaus nach dem katholischen Lehrbegriffe geordnet sei
und auch ihnen als eine untrennbare Verbindung gelte. Dieser Er-
klärung gegenüber ist zu untersuchen, welche Bedeutung sie für die
Tragweite der staatlicherseits für das Eherecht aufgestellten Sätze
habe und ob sie die altkatholische Kirche in der Weiterentwicklung
ihres autonomen Rechts beschränitt.
Eine bloss historische Betrachtung könnte zu der Anschauung
gelangen, dass die eherechtlichen Bestimmungen des*a. b. G.-B
wesentlich in der kirchlichen Lehre wurzeln und dieser letzteren nur
zur bürgerlichen Geltung verhelfen. Juristisch ist der Satz falsch.
Das Eherecht des b. G.-B. ist nicht eine canon civiliter comptus,
sondern eine zwar in Weiterbildung kanonischen Rechtes entstandene,
aber von diesem durchaus losgelöste und selbständige staatliche
Satzung. Materiell bestimmt dieselbe in einer ganzen Reihe von
Dingen durchaus anderes, oft geradezu Entgegengesetztes wie das
47) über die Rechtsverhältnisse dieser rassischen Bauernsekte Mayer-
hofer, Handb. f. d. polit. V.-D., IV, S. 479 flg., wo weitere Literatur ange-
geben ist.
48) Den Mennoniten war unter der Regierung Kaiser Josef IL die Ein-
wanderung gestattet worden. Sie wurden aber als Angehörige der evangeli-
schen Kirche behandelt. Im Jahre 1901 ist dem Statute einer ihrer Kultus-
gemeinden die staaliche Genehmigung erteilt worden.
49) Mayerhofer, a. a. 0. S. 477 flg. Auch das Statut der einzigen
Kultnsgeroeinde dieser Armenier ist staatlich genehmigt worden. Ob die Men-
noniten und orientalischen Armenier als gesetzlich anerkannte selbständige Re-
ligionsgesellschaften und nicht vielmehr als autokephale Bildungen innerhalb
der evangelischen, beziehungsweise morgenl&ndischen Kirche anzusehen sind,
mag hier dahingestellt bleiben.
50) Anerkannt mit Verordnung d. Min. f. K. u. ü. vom 30. März 1880,
R..0..B1. Nr. 40.
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346 Mitteilungen,
kanonische Eherecht, oder, wo Ausnahmen auf konfessioneller Grund-
lage gemacht wurden, wie das konfessionelle Becht der einzelnen
Religionsgesellschaften. In einzelnen Belangen ist der Inhalt des
kirchlichen und der des staatlichen Rechts wenigstens im grossen
und ganzen gleich. Aber auch in diesen Dingen leitet die Geltung
des Rechtssatzes nicht von der Kirche, sondern einzig und allein
vom Staate her^ und das Recht jener verhält sich zu diesem nicht
wie etwa die subsidiäre gemeinrechtliche zur primär-partikular-
rechtlichen Quelle, sondern besten Falles wie ein Motivenbericht
zum Gesetze, wobei nicht zu übersehen ist, dass der Motivenbericht
in mancher Richtung den Gesetzesinhalt nicht voll und allseitig
wiedergibt, unabhängig von dieser ihrer Begründung sind also die
Normen des a. b. G.-B. Recht, weil sie von staatswegen gesetzt sind.
Damit ist auch die Beurteilung für die Tragweite der von den
Altkatholiken vor ihrer Anerkennung als Religionsgesellschaft ab-
gegebenen Erklärung gefunden: die Tragweite dieser professio iuris
ist für das staatliche Eherecht gleich Null. Denn dieses Recht gilt
nicht in Gemässheit der Religionsbegriffe einer Kirche, sondern, wie
die Beratungen der Redaktoren über die Anwendung mehr als eines
Rechtssatzes auf die Angehörigen der morgenländischen Kirche zeigen,
gegebenenfalls auch im Gegensatzes^) zu diesen Religionsbegriffen.
Mag die altkatholische Kirche im Zeitpunkte ihrer Anerkennung im
Staate diese oder jene Anschauung über die Ehescheidung gehabt
haben, für das staatliche Eherecht ist dies ohne Bedeutung. Für
dasselbe entscheidet nur die staatskirchenrechtliche Stellung, welche
dieser Religionsgesellschaft angewiesen worden ist, und diese Stellung
ist die der Trennung von der katholischen Kirche. ~ Es könnte
hier vielleicht die Frage aufgeworfen werden, ob die Anerkennung
der altkatholischen Kirche von einer bestimmten Art ihrer Auf-
fassung der Ehe abhängig gemacht worden ist und abhängig ge-
macht werden durfte. Beides ist aber zu verneinen. Nach dem Ge-
setze vom 20. Mai 1874, R.-G.-Bl. Nr. 68, ist die Anerkennung
nicht eine Erraessenssache der Behörde. Vielmehr ist diese recht-
lich verpflichtet 5«), unter gewissen Voraussetzungen die Anerkennung
51) Namentlich Ofner, a. a. 0. II, S. 501. Die Redaktoren meinten
irrif^erweise, dass der Grundsatz der Unldslichkeit der Ehen nur Jür den > Ritus
der lateinischen Kirchec (0/Vttfr, a. a. 0. II, S. 509) gelte. Darin liegt ein
Argument mehr für die Trennbarkeit der Ehen von Altkatholiken nach staat-
lichem Rechte, da dann die Unlöslichkeit des Ehebandes nicht einmal mehr für
alle Katholiken im staatskirchenrechtlichen Wortsinne gelten würde.
52) Mein Staatskirchenrecht, S. 8; Hinschlug, Staat und Kirche (Mar-
quardsen, Hdb. d. ö. R., I, 1), S. 370 flg.
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Mitteilungen. 347
auszusprechen, und kann diesen Akt nicht von anderen Bedingungen
abhängig machen, als von denjenigen, welche in dem erwähnten Ge-
setze vorgesehen sind. Die Annahme des katholischen Lehrbegriffes
über die Ehe zählt aber nicht zu denselben. In der Tat war bei
der Abforderung der Erklärung der Altkatholiken über diesen Punkt
nicht an eine Bedingung der Anerkennung gedacht, sondern nur be-
absichtigt worden, diese Auffassung klar zu stellen, um in Zukunft
Streit darüber zu verhüten^'). Es bedarf auch wohl nicht näher
ausgeführt zu werden, dass die Regierung gar nicht in der Lage
gewesen wäre, durch Publikation dieser Erklärung oder einer auf
derselben ruhenden Verordnung das Eherecht des a. b. O.-B. zu
modifizieren.
Ebenso wenig vermag diese Erklärung die altkatholische Kirche
an dem Weiterausbau ihres innerkirchlichen Disziplinarrechts in Ehe-
sachen zu hindern. Es ist klar, dass mit der Anerkennung einer
Religionsgesellschaft durch den Staat nicht ein Stillstand ihrer Ent-
wicklung und eine Bindung derselben an denjenigen Zustand der
Lehre, Verfassung und sonstigen Ordnung eintritt, in dem sie sich
im Zeitpunkte der Anerkennung befunden hat^). Gäbe es doch
sonst kein schlimmeres Danaergeschenk für eine Religion als diese
Anerkennung. Sie kann vielmehr danach die ihr eigentümlichen
Kräfte ihres religiösen Lebens nun auch unter staatlichem Schutze
ihrer äusseren Rechtsstellung weiter entfalten; dies [gilt aber ohne
Zweifel auch für die Ausgestaltung ihrer Ehedoktrin ^^). Von staats-
wegen würde sie einer Schranke erst dann begegnen , wenn diese
Weiterentwicklung zu Handlungen führte, welche gesetzwidrig oder
sittlich anstössig wären. Danach kann als sicher angenommen wer-
den, dass die altkatholische Kirche in Oesterreich für ihr innerkirch-
liches Gebiet den von ihr früher rezipierten Lehrbegriff der katho-
53) Massgebend hiefür scheint die Ansicht Fachmannes, Lehrb. d. K.-B.,
II, S. 405 flg. gewesen zu sein, dass in § 115 a. b. G.-B. die Worte »nach
ihren Beligionsbegiiffenc bedeuten: »nur insoweit . . ., als sie den Keligions-
begriffen derselben gemäss sindc. Damit verband sich die weitere Erwägang,
dass znr Zeit, als die Bestimmungen des a. b. G.-B. in Wirksamkeit traten, der
Begriff > Katholiken c auch die nach dem Vatikanum als besondere Gemeinschaft
zu Konstituierenden Altkatholiken umfasste, so dass überall, wo das a. b. G.-B.
Yon » Katholiken € handelt, beide hinfort bestehenden katholischen Beligions-
gemeinschaften verstanden sein müssen.
54) Z. B. ist für die evangelische Kirche im Jahre 1891 eine Verfassungs-
revision durchgeführt worden.
55) Für das katholische Kirchenrecht kommt hier beispielsweise das De-
kret Leo XIII. über die matrimonia praesurapta, Archiv Bd. LXVII, S. 467 flg.,
in Betracht, u. zw. für jenen Teil Schlesiens, in welchem die tridentinische
Eheschliessnngsform für Mischehen und Ehen von Akatholiken nicht gilt,
8. Scheren K.-R. II, S. 214 flg., A. 281 und 235.
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348 Mitteilungen,
lischen Kirche in Ehesachen aufgeben und Sätze auf diesem Gebiete
aufstellen kann, welche mit der katholischen Anschauung unverträg-
lich sind. Vom Staate kann sie daran nicht gehindert werden. Ihm
gegenüber ändert sie dadurch nicht ihren staatskirchenrechtlichen
Bestand. Eine andere Frage ist freilich, ob sich darin nicht eine
Veränderung ihres kirchlichen Wesens manifestiert, ursprünglich
schien der Altkatholizismus nur Negation der vatikanischen Decrete
zu sein. Später haben die protestantisirenden Elemente in ihm eine
grosse Bedeutung erlangt. Man könnte seine Entwicklung populär
dahin kennzeichnen, dass sie auf dem Wege vom Katholizismus minus
Unfehlbarkeitsdogma zum Protestantismus plus Messe vorwärts schreite.
Dies ist hier nicht im einzelnen zu verfolgen *«), sondern nur darauf
zu verweisen, dass hiefur auf dem eherechtlichen Gebiete die Be-
schlüsse der IL Synode vom Jahre 1880, mit welcher der Cölibat
der Geistlichkeit aufgehoben worden ist*^), und der XX. und
XXI. Synode vom Jahre 1900 und 1902, mit welchen zuerst indirekt,
dann direkt für die Löslichkeit der Ehen von Altkatholiken unter
Lebenden Stellung genommen worden ist*«), bedeutsame Marksteine
darstellen. Angesichts dieser Synodalschlüsse mag die Frage auf-
geworfen werden, ob eine Partikularsynode die Kompetenz*®) zur
56) Um hief&r ein ganz unyerfEn^liches Zeognis anzuführen, sei auf das
Schreiben des (jansenistischen) Erzbiscnofs von Utrecht J. Heykamp an die
Sjnode der Altkatholiken des Deutschen Reiches, ddo. 9. Juni 1878 (Verhand-
lungen der fünften Synode der Altkatholiken des Deutschen Reiches,", Amtliche
Ausg.. Bonn 1878, S. 174 flg.) verwiesen; s. auch Kahl, Lehrsystem d. K.-R.,
I, S. 159 fl^.
57) Die parallele Entwicklung im Deutschen Reiche schildert v. Schulte^
Der Altkatholizismus, S. 625 flg.
58) Wortlaut dieses Beschlusses nach der »Neuen Freien Presse« Yom
30. August 1902, Abendblatt: »Die Synode spricht sich daher grundsätzlich für
die Möglichkeit der gänzlichen Trennung einer nach altkatholinchem Ritus ein-
gegangenen Ehe aus, deren rechtskräftige Behandlung und Entscheidung in
einem besonderen Falle den k. k. Staatsbehörden zusteht, erklärt, dass sich die
Bestimmung des § 111 a. B. G. rechtlich und billig auf Angehörige der alt-
katholischen Kirche nicht beziehen kann, wohl aber, dass bezüglich der § 115
a. B. 6. in Anwendung zu kommen hat« Für die Altkatholiken im Deutochen
Reiche gilt meines Wissens noch der Beschluss der 1. und 2. Synode, wonach
die altkatholische kirchliche Einsegnung einer Ehe verwehrtest, «wenn der.eine
oder beide Nupturienten von einem noch lebenden Ehegatten geschieden sind:
Beschlüsse der ersten (zweiten) Synode der Altkatholiken des Deutschen Reiches,
Amtliche Ausgabe. Bonn 1875. S. 62, beziehungsweise S. 20. Schulte ^ Der
Altkatholizismus, S. 623; derselbe, Lehrb. d. K.-R., IV. Aufl., S. 352.
59) Schulte, Lehrb. d. K.-R.. IV. Aufl.,*S. 199 umschreibt die Kompetenz
der altkatholischen Synode dahin, dass sie alle Rechte hat, welche einer nicht
die ganze Kirche vertretenden Versammlung zustehen können, daher insbe-
sondere das Recht der Gesetzgebung soweit es nicht der Bischof hat, oder die
Synodal- oder Gemeindeordnung diesen beschränkt. Vom Standpunkt des österr.
Staatskirchenrechts dürfte die altkatholische Synode wohl zu jedem innerkirch-
lichen Gesetzgebungsakte kompetent anzusehen sein, zu dem sie selbst sich zu-
ständig erachtet. Eine staatliche Genehmigung solcher Synodalbeschlüsse zur
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Mitteilungen. 349
Aufstellung von Satzungen besitzt, die jene Rechtsordnung ein-
schneidend ändern y welche früher von ökumenischen Konzilien ge-
schaffen worden ist. Man mag ferner fragen, wie die Zusammen-
setzung dieser Synoden mit dem historisch gewordenen Rechte der
alten Kirche in Einklang gebracht werden könne, da diesem Eiechte
Synoden gänzlich unbekannt gewesen sind , bei welchen nicht ein
einziges Mitglied die bischöfliche Weihe besass. Aber das sind in-
nerkirchliche Fragen. Ihre Behandlung seitens der altkatholischen
Religionsgesellschaft zeigt wohl, dass die altkatholische Bewegung
nicht eine eigentümliche Weiterentwicklung auf dem Boden der
historisch gewordenen katholischen Kirche bezielt, sondern dieses
Fundament verlassen hat und das, was als Reform angesehen wird,
nicht in und mit, sondern gegen die katholische Kirche anstrebt.
Der Altkatholizismus ist eben nicht eine besondere Entfaltung
katholisch-kirchlichen Lebens, sondern bedeutet einen Gegensatz zu
demselben. Das österreichische Staatskirchenrecht aber hat diesen
Charakter schon längst erkannt und darum dieser Bewegung ihre
rechtliche Stellung nicht in, sondern ausserhalb der Kirche ange-
wiesen. Es würde eine Inkonsequenz, ja einen Rückfall in die am
Beginne der Bewegung vielverbreitete irrige Anschauung von der
Identität des Altkatholizismus mit der katholischen Kirche bedeuten,
wenn diese durchaus losgelöste , selbständige Stellung der Altkatho-
liken nicht auch auf eherechtlichem Gebiete anerkannt würde.
Darum halte ich die Ehe, welche Altkatholiken miteinander
eingegangen haben, für eine nach § 115 a. b. G.-B. trennbare Ver-
bindung*^). Darum kann ferner dem Trennungsbegehren des alt-
katholischen Ehegatten nicht die Bestimmung des § 116 a. b. G.-B.
entgegengesetzt werden. Ebenso steht nach meiner Anschauung dem
Altkatholiken, der eine von ihrem Gatten getrennte Protestantin bei
Lebzeiten dieses Gatten heiraten will, das Ehehindernis des Ehe-
bandes nach Hfd. vom 26. August 1814, J. G.-S. Nr. 1099 und
vom 17. Juli 1835, J. G.-S. Nr. 81, nicht im Wege. Alle diese
Gültigkeit für den kirchlichen Rechtsbereich fordert das österr. Staatskirchen-
recht bezüglich der Altkatholiken nicht. Vgl. Hinschiun, E.-R., III, S. 667
and KahL K.-R.. I, S. 158.
60) Das Gleiche gilt von der Mischehe eines Altkatholiken mit einem
Protestanten n. s. w. Dagegen ist selbstverständlich die Ehe eines Katholiken
mit irgend einem Christen anlöslich, aach wenn der Katholik später sei es anf
dem Wege des Art. 6 des Gesetzes vom 25. Mai 1868, R.-G.-Bl. Nr. 49, sei es
aaf demjenigen des § 7 des Gesetzes vom 20. Mai 1874, R.-G.-Bl. Nr. 68. seinen
Übertritt zum Altkatholizismus vollzogen hat. Der von seinem Ehegatten ge-
trennte Altkatholik kann bei dessen Lebzeiten einen Katholiken nicht ehelighen.
Hfd. V. 17. JoH 1885, J. G.-S. Nr. 61.
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SSO MUteüungen,
Sätze sind nur die notwendigen Schlnssfolgernngen aus der von der
katholischen Kirche durchaus abgesonderten staatskirchenrechtlichen
StelluDg der altkatholischen Religionsgesellschaft.
Diese Sätze sind aber nach meinem Dafürhalten auch für die
katholische Auffassung insoferne folgerichtig, als sie die Stellung
des Altkatholizismus als einer gewissermassen neuprotestantischen
Bewegung klar zum Ausdrucke bringen und damit zu jener rein-
lichen Scheidung von Oegensätzen beitragen, welche gerade auf dem
konfessionellen Oebiete wünschenswert ist. Ich will hier nicht unter-
suchen , ob diese oder jene Norm eine Verbesserung auf dem Wege
der Gesetzgebung bedürftig erscheinen könne, denn diese Frage
könnte nur in einem breiteren Zusammenhange fruchtbringend er-
örtert werden. Die altkatholische Bewegung aber bietet, so hoch
sie sich vielleicht auch selber einschätzen mag, weder nach Zahl
uod Bedeutung ihrer Anhänger noch nach ihrer inneren Abge-
schlossenheit und Festigkeit einen genügend starken Anlass zu einer
allgemeinen Eherechtsretorm.
2. Instruktion Aber die EhescUlessnng unter sogenannter
passlyer Assistenz in Österreieli.
(Genehmigt in der VI. Sitzung der bischöflichen Generalveraammlang
vom 16. November 1901.)
Die Eonfessionsverschiedenheit ist nach dem katholischen Ehe-
recht nur ein Eheverbot, nicht ein Ehehindernis, das ist ein Ehe-
bindernis der Erlaubtheit und nicht ein Ehehindernis der Gültigkeit.
Die vortreffliche »Anweisung für die geistlichen Gerichte des Kaiser-
tums Österreich in Betreff der Ehesachenc vom 8. Oktober 1856
formuliert dieses Ehehindernis im § 66 also: »Die Kirche verab-
scheut die Ehen zwischen Christen und solchen, welche vom Christen-
tum abgefallen sind. Auch missbilligt sie die Heiraten zwischen
Katholiken und nichtkatholischen Christen und mahnt ihre Kinder
vor Schliessung derselben ab.c
Für die Bischöfe der österreichischen Diözesen sind hierin ent-
scheidend und massgebend die Instruktionen Papst Gregor XVI.
»Quum Romanus Pontifexc vom 22. Mai 1841 und Papst Pins IX.
vom 15. November 1858 »Etsi Sanctissimusc. Auf der Unterlage
dieser für Zisleithanien geltenden Normalien sind drei Fälle hinsicht-
lich der sogenannten gemischten Ehen zu unterscheiden:
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Mitteüungen. 351
Erster FaU.
Das Brautpaar erfüllt die geforderten Bedingungen :
1. »ut coniux catholicus ab acatholico perverti non posset, quin
2. potius nie teneri se sciret ad hunc pro viribus ab errore
retrahendum, sed
3. insuper ut proles utriusque sexus ex hisce coningiis pro-
creanda in catholicae religionis sanctitate oronino educetur« (Instr.
vom 22. Mai 1841) und
4. »dummodo neque ante neque post matrimonium coram Pa-
rocho catholico initum partes adeant ministellnm acatholicnmc.
Die 4. Punkt ist Zusatz in der Quinquennal- Fakultät zur Er-
teilung der Dispens von Eheverboten der Religionsverscbiedenheit.
Übrigens ist dies selbstverständlich.
Die beiden päpstlichen Instruktionen vom 22. Mai 1841 und
vom 15. November 1858 präzisieren nämlich die unerlässlichen Vor-
bedingungen, unter denen die Dispensgewährung vom kanonischen
Eheverbot der Konfessionsverschiedenbeit zulässig ist, allein sie ent-
halten keine Direktive über die Form, in welcher die geforderten
Eautelen rechtsverbindlich zugesichert werden sollen. Ob die kon-
fessionell gemischten Nupturienten die Erfüllung der vorgeschriebenen
Bürgschaften mündlich oder schriftlich , ob gesondert oder in einer
gemeinschaftliehen Erklärung versprechen sollen, darüber schreiben
die angezogenen römischen Instruktionen nichts vor. Hier ist also
freier Spielraum gelassen; doch dürfte nachstehender Modus beson-
ders empfehlenswert sein:
Beide Brautteile müssen mit Bezug auf Ä.rt. 1 des Gesetzes
vom 25. Mai 1868, R.-G.-B1. Nr. 49, Abs. 2, noch vor Abschluss
der Ehe einen schriftlichen Vertrag schliessen, dass sämtliche zu er-
hoffende Kinder ohne Unterschied des Geschlechts nur nach katho-
lischem Ritus getauft und in der katholischen Religion erzogen
werden.
In betreff der Form der »Cautiones opportunaec hat die Con-
gregatio S. Officii in dem Schreiben an den Bischof von Ottawa in
Kanada sich dahin ausgesprochen, dass man einen schriftlichen Ver-
trag fordern soll. Er soll dann mit einem Eid bekräftigt werden,
wenn der Bischof die moralische Gewissheit nicht hat, dass die
Nupturienten ihren vertragsmässig angenommenen Verpflichtungen
treu bleiben werden. (Reskr. vom 17. Februar 1875.)
Nach »Responsa Congr. S. Officii ad Vicariura Apost. Gibilterae
de die 14. Dez. 1882« darf der Bischof von der facultas dispensandi
super impedimento mixta^ religionis nur dann Gebrauch machen.
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352 MittHlungen.
wenn der katholische Teil in seiner Diözese ein verum oder ein
quasidomiciUum hat.
Der akatholische Teil muss versprechen und darüber einen
Revers ausstellen, dass er dem katholischen ßrautteil kein Hinder-
nis in der gewissenhaften Aasübung der Pflichten der katholischen
Religion in den Weg legen und alles unterlassen werde, was ihn
vom katholischen Qlauben abwendig machen könnte.
Der katholische Kontrahent muss versprechen und darüber
nötigenfalls auch einen Revers ausstellen, dass er in der bevor-
stehenden Ehe alle Pflichten seiner heiligen katholischen Religion
erfüllen und sich bestreben wolle, dahin zu wirken, dass der akatho-
lische Brautteil zur Erkenntnis der Wahrheit der katholischen Re-
ligion gelange.
Die Ausstellung derartiger zwei Reverse wird durch Art. 1
des obangezogenen Gesetzes nicht berührt, weil sie nicht die religiöse
Erziehung der Kinder betrifft. Die Gültigkeit solcher Reverse wird
zwar in foro^civili nicht anerkannt, aber in foro Ecclesiae gründet
sie sich auf die Verpflichtung, die einem freiwillig gegebenen und
angenommenen sittlich zulässigen Versprechen innewohnt, und wird
daher von der Kirche anerkannt.
Da die k. k. Landwehr der zivilgeistlichen Jurisdiktion unter-
steht, so gelten für ihre Angehörigen hinsichtlich der Eingehung
gemischter Ehen die obdargelegten Bestimmungen. Wenn daher ein
k. k. Landwehroffizier um die Dispens vom Ehehindernis der Re-
ligionsverschiedenheit ansucht, so hat er unter andern Kautelen
auch den ordnungsmässig ausgestellten Vertrag bezüglich der Taufe
und katholischen Erziehung der anzuhoffenden Kinder vorzulegen.
Im Fall das Zustandekommen eines solchen Vertrags aus besonders
gewichtigen Gründen vorderhand nicht möglich, jedoch in kurzer
Zeit, etwa nach der Trauung, zu gewärtigen wäre, würde ein vom
betreffenden Offizier ausgestellter Revers genügen, in welchem der-
selbe auch im Namen seiner Braut auf »Offiziers- Ehrenwort« die
Beibringung des erforderlichen Vertrags zusichert. Der betreffende
Seelsorger müsste sich aber im gegebenen Fall an sein Ordinariat
um die nötigen Weisungen wenden.
unter den obgedachten 3, beziehungsweise 4 Kautelen — und
nur unter diesen — ist nach der vorbezogenen gregorianischen In-
struktion die Schliessung einer gemischten Ehe vor dem katholi-
schen Seelsorger des katholischen Brautteils kirchlich erlaubt. Es
wird demnach :
1. die Dispens vom kirchlichen Eheverbot der Konfessionsver-
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MitiHlungeft. ä&ä
schiedenbeit erteilt kraft päpstlicher Fakultät, welche die Bischöfe
ausser den fiblichen Quinquennal-Fakultäten vom heiligen Apostoli-
schen Stuhl gewöhnlich ffir ein Quinquenninm erhalten, nach dessen
Verlauf sie meistenteils nach Rom zu berichten haben , wie viele
derlei Dispensationen sie erteilt haben. Zu merken aber ist, dass
für die Dispenserteilung immer auch noch die kanonischen Gründe
anzufahren sind. (Cfr. Instructio s. Gongr. de Propag. fide super
dispensationibus matrimonialibus »Cum dispensatioc v. 9. Mai 1877) ;
2. Der Brautunterricht ist mit besonderer Gewissenhaftigkeit
zu erteilen. Der katholische Brautteil ist auf die Gefahren der
Mischehe aufmerksam zu machen. Sie fuhrt notwendigerweise zu
einer communicatio in sacris cum haereticis; denn eine Ehe mit
einem Häretiker eingehen, ist dasselbe, als ein Sakrament mit dem-
selben spenden oder empfangen (Benedicti XIV. De Synodo Dioec.
lib. 6. cap. 5. n. 3). Papst Leo XIII. sagt von den Mischehen:
»Illud etiam cavendum est, ne scilicet coniugia facile appetantur
cum alienis a catholico nomine; animos enim, de disciplina reli-
gionis dissidentes, vix sperari potest fntnros esse quoad caetera con-
Cordes. Quin imo ab huiusmodi coniugiis ex eo maxime perspicitur
esse abhorrendum, quod occasionem praebent vetitae societati et
communicationi rerum sacrarum, periculum religioni creant coniugis
catholici, impedimento sunt bonae institutioni liberorum, et persaepe
animos impellunt, ut cunctarum religionum aequam habere rationem
assuescant, sublato veri falsique discrimine.c (Encycl. »Arcanum di-
vinae sapientiae consiliumc de die 10. Febr. 1885 ad finem);
8. hat die dreimalige Aufkündigung zu erfolgen mit Über-
gebung der Namhaftmachung des Religionsbekenntnisses der Braut-
leute. Sollte sich der akatholische Seelsorger weigern, das Aufge-
bot vorzunehmen oder den Verkündschein auszustellen, so ist der
nichtkatholische Nupturient aufzufordern, sich gemäss § 1 und 2 des
Gesetzes vom 25. Mai 1868, R.-G.-Bl. Nr. 47, wegen Vornahme
dieses Aufgebots an die k. k. Bezirkshauptmannschaft zu wenden,
in deren Amtsbezirk der die Verkündigung verweigernde akatho-
lische Beligionsdiener seinen Amtssitz hat;
4. darf der katholische Pfarrer die Trauung nach katholischem
Ritus vornehmen. Es unterbleibt nur die Benedictio solemnis oder
die Feier der heiligen Messe pro sponsis. >Nec matrimonia mixta
sunt benedicenda, etiamsi obtenta dispensatione ex tolerantia Sanctae
Sedis in Ecclesia celebrentur.c (Coli, rituum dioec. La van t. Mar-
burgi 1896, pag. 195. Vom hl. Stuhl approbiert am 5. Februar 1893,
Nr. 37/9.) Nach den Entscheidungen der römischen Dikasterieu
Archiv flir Kireheorecht LXXXUI. 23^
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3«^4 MiUeUungtn.
darf aach die Messe de die nicht zelebriert werden, wenn dies den
Anschein hätte, dass die Punktion zum Trauungsritus gehöre. Dies
ist zu ersehen aus der Antwort der S. Congr. S. Officii de die 7. Jan.
1877 auf den 5. Punkt der Anfrage des Bischofs von Nancy: »An
tuta conscientia in sua dioecesi tolerare posset, quod Missa non de
sponsalibus, sed de die, omisso omni ritu benedictionis qualiscunqae,
coram talibus coniugibus celebraretur ? — Ad 5^^ detur responsnm
ut in Versaliensi feria IV. diei 16. Jan. 1872, nerape: Propositis a
R. P. Episcopo Versaliensi nonnullis dubiis ad primum ita exposi-
tum: ütrura vigore clausulae: Exclusa tarnen semper Missae
celebratione , quae apponitur in rescriptis de matrimoniis roixtis,
prohibeatur tantum Missa pro sponsis cum orationibus et benedictio-
nibus, uti in Missali Romano, an quaelibet Missa, etiam privata,
quae celebretur coram sponsis et comitibus post matrimonium, licet
sponsis non detur distincta sedes? Emmi. Domini decreverunt re-
spondendum esse: affirmative ad utramque partem, quando Missa
celebretur cum omnibus expositis circumstantiis, ita ut ea habeator
tamquam complementum Caeremoniae matrimonii.c (Qaspari, Tract.
Can. de matrimonio. Paris. 1892. I. pag. 307 et 308);
5. der katholische Brautteil kann ohneweiters zu den heiligen
Sakramenten zugelassen werden;
6. die kirchliche Vorsegnung der katholischen Wöchnerin ist
erlaubt.
Gegenüber diesen sechs angefahrten Punkten herrscht in eini-
gen Diözesen eine strengere Praxis, zufolge welcher auch in diesem
ersten Fall, wo alle erforderlichen Bedingungen erfüllt werden, nur
die sogenannte assistentia passi?a bei der Eheschliessung vom pa-
rochus proprius geleistet wird. Im Sinn der obzitierten römischen
Instruktion vom 22. Mai 1841 ist dieser Modus nicht gelegen.
Dass der heilige Stuhl nicht auf der Durchführung der vollen
Strenge der Bestimmungen über die Mischehen besteht, sondern
duldet, dass den dispensierten Mischehen die aktive Assistenz mit
den im Ritual vorgeschriebenen Zeremonien geleistet werde, be-
kundet die obzitierte Instruktion »Etsi Sanctissimus« vom 15. No-
vember 1858, worin wir lesen: »Quod si in aliquibus locis Sacromm
Antistites cognoverint, easdem conditiones (de mixtis coniugiis absque
parochi benedictione alioque ecclesiastico ritu celebrandis) impleri
haud posse, quin graviora exiode oriantur damna ac mala vitanda,
prudenti eorumdem sacrorum Antistitum arbitrio committit (Sanctitas
Sua), ut ipsi, salvis firmisque semper ac perdiligenter servatis cau-
tionibus . . . iudicent, quando commemoratae conditiones de con-
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Mitteiluwgtn. 855
trahendis mixtis hisce nnptiis extra ecclesiam et absqae parochi
beDedictiooe impleri minime possint, et qnando in promiscuis hisce
coniagiis ioeandis tolerari queat mos adbibendi ritum pro matri-
moDÜs contrahendis in dioecesano Bituali legitime praescriptam,
exclusa tarnen semper Missae celebratione ac diligentissime perpensis
Omnibus reram, locorum ac personarum adiunctis, atqae onerata
ipsoram Antistitum conscientia saper omniam circumstantiaram
yeritate et gravitate. Sammopere autem exoptat Sanctitas Saa, ut
iidem sacroram Antistites huiosmodi indulgentiam seu potias tole-
rantiam, eonim arbitrio et conscientiae commissam, maiori quo fieri
potest, silentio ac secreto serventc (Qaspari op. cit. I. pag. 308 seq.)
Welche jene grössern Nachteile und Übel sind und wie es mit
dem Silentium und secretum zu halten ist, erhellt aus der Ent-
scheidung der S. Congr. S. 0. a. 1862 in epist. S. Congr. de Propag.
fide ad Yicarium apostolicum Maysurii 4. Decembris 1862 (Qaspari
op. cit. L pag. 309 seq.). Darin heisst es:
»Et primo, quid intelligendum sit, sciscitaris per verba, quibus
in laudata instructione innititur et quasi ligatur facultas seu tole-
rantia benedicendi mixta matrimonia, scilicet ad evitanda graviora
mala et damna. Procul dubio graviora inde oriuntur damna et
mala: 1. Quotiescunque ob denegatam matrimoniis mixtis benedictio-
nem facile excitarentur haereticorum quaeremoniae et odia adversus
fideles legesque ecclesiasticas ; 2. quotiescunque denegata a parocho
catholico benedictione sponsi ante vel post coram illo celebratum
matrimonium ministellum adeant vel etiam in heterodoxorum templum
conveniant ad sacrilegam benedictionem obtinendam, parocho catho-
lico omnino posthabito; 3. quotiescumque insuper timendum esset,
quod, recusata ab ipsis expetita benedictione, aut non servarentur
necessariae cautiones de amovendo a coniuge catholico perversionis
pericnlo et de universa prole in catholica religione educanda aut,
quod detestabilius foret, ne pars catholica ad haereticorum castra in
sui et futurae prolis aeternam perniciero transiret. Evidenter haec
et similia sunt gravia illa damna et mala.
Quae tertio loco te anxiura reddebant circa silentium ac secretum
in laudata instructione quoad posse inc^Icatum , non ita presse in-
telligenda videntur, ut nemini innotescat haec S. Sedis indulgentia
seu potius tolerantia in benedicendis mixtis nuptiis. Etenim scias
oportet y quod Sanctitas Sua monitos esse voluit Praesules, ut non
passim et absque delectu matrimoniis mixtis benedictio impertiatur,
nee per publicas instructiones veluti etiam per modum regulae tali
utantur facultate, sed prudenter admodum et caute, ut oblivioni non
^3*
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356 MmeÜunptn.
tradantur saluberrimae ecclesiae conditiones, qaae semper implicite
talibas dispensationibas adianotae iotelligantar.c
Die hervorgehobenen »maiora mala et damnac sind aach in
Österreich za befürchten, namentlich der »aditus acatholici ministellic,
da nämlich das Gesetz vom 31. Dezember 1868 im Art. II, R.-0.-B1.
Nr. 4 ex anno 1869, also vorschreibt:
»Die feierliche Erklärung der Ein willigang zur Ehe ist bei der
Verehelichung zwischen Angehörigen verschiedener christlicher Eon-
fessionen in Gegenwart zweier Zeugen vor dem ordentlichen Seel-
sorger eines der beiden BrauUetde oder vor dessen Stellvertreter
abzugeben.
Dies kann auch in dem Fall geschehen^ wenn das Aufgebot
wegen Weigerung eines Seelsorgers durch die politische Behörde
vorgenommen wurde.
Den Brautleuten steht es in allen Fällen frei, die kirchliche
Einsegnung ihrer von dem Seelsorger des einen der Brautleute ge-
schlossenen Ehe bei dem Seelsorger des andern Teils zu erwirken.c
In allen Fällen, wo der Schliessung einer gältigen und er-
laubten Mischehe nicht bloss das Eheverbot der Eonfessionsver-
schiedenheit , sondern zugleich auch ein anderes kirchliches Ehe-
hindemis, z. B. Verwandtschaft, Schwägerschaft, entgegensteht, hat
sich übrigens der Apostolische Stuhl die Gewährung der erforder-
lichen Dispens vorbehalten und die Bischöfe dürfen nur auf Grund
einer ganz speziellen Fakultät dispensieren. (S. Congr. Inquisit. vom
12. September 1866.)
Zweiter FaU.
Das Brautpaar bietet die nötigen oberwähnten 4 Garantien nicht.
Will das Brautpaar die erforderlichen Bedingungen zur
Schliessung der beabsichtigten gemischten Ehe nicht erfüllen, dann
kann von der Gheverbotsdispens keine Bede sein, doch aber ist es
immerhin noch möglich, dass die Ehe, obwohl unerlaubt, gültig ge-
schlossen wird.
Die diesbezügliche Stelle in der mehrgenannten römischen In-
struktion vom 22. Mai 1841 lautet also: »Sic quandoque ftt, at
conantibus licet contra per debitas suasiones hortationesque sacris
pastoribus catholicus vir aut mulier in contrahendi mixti matrimonii
citra necessarias cautiones sententia persistat et aliunde res absque
gravioris mali scandalique periculo in religionis perniciero interverti
plane non possit, simulque in ecclesiae utilitatem et commune bonam
vergere posse agnoscatur, si huiuscemodi nuptiae, quantumvis lUicitae
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Mitteilungen. 357
ac vetitae, coram parocho catholico potias, quam coram ministro
acatholico, ad quem partes facile fortasse confugerent, celebrentur:
tunc parochus catholicus aliusve sacerdos eins vice fungens poterit
iisdem nuptiis materiali tantnm praesentia, exclnso qaovis ecclesia-
stico ritu, adesse, perinde ac si partes unice ageret meri testis, nt
ainnt, qaalificati sen auctorizabilis, ita scilicet, ut, utriasque coningis
audito consen»a, deinceps pro suo officio actum valide gestum in
matrimoniorum librum referre qneaic
Dies ist die sogenannte assistentia passiva des katholischen
Pfarrers bei gewissen Ebeschiiessungen, so geheissen, weil er bei
dem Akt keine kirchliche, priesterliche Funktion — excluso quoyis
ecclesiastico ritu — ans&bt, sondern sich rein passiv verh< oder
einfach duldet, patitnr, dass eine unerlaubte, aber doch gültige Ehe
geschlossen werde, indem er die Erklärung der Brautleute in forma
Concilii Tridentini anhört und entgegennimmt. Der Pfarrer ist nur
gleichsam klassischer Zeuge, dass die Ehe nach der tridentinischen
Form geschlossen worden und sie deshalb gfiltig ist, während sie
ohne seine Gegenwart wie unerlaubt so auch ungültig wäre. Pen
gültig vorgenommenen Akt hat er in das Trauuogsbuch regelrecht
einzuzeichnen. »Actum valide gestum in matrimoniorum librum re-
ferre queat.«
Dies gilt für die österreichischen Diözesen. In andern Eirchen-
sprengeln gelten andere Bestimmungen, die aber ohne spezielle Er-
laubnis des heiligen Apostolischen Stuhls nicht auch auf Zisleithanieo
ausgedehnt werden dürfen. So gelten fär Ungarn laut des apostoli-
schen Breve vom 30. April 1841 und der beigefugten Instruktion
von demselben Datum die gemischten Ehen, wenn sie auch vor dem
akatholischen Kirchendiener geschlossen werden. »Pro validis, quam vis
illicitis, habenda sint, etiamsi fuerint coram acatholico ministro seu
non servata Concilii Tridentini forma celebrata.€ Desgleichen be-
steht eine solche Eonzession far den österreichischen Anteil der
Breslauer Diözese. Hier ist zwar das Ehehindernis der Klaudestiniät
oder Heimlichkeit aufgehobeo, aber es gilt far die ganze Breslauer
Diözese die Regel, dass in derselben das tridentinische Dekret
»Temetsic nicht Geltung hat. In Dalmatien sind »ex Decreto
sancti Officii de die 16. Febr. 1892c die Ehen zwischen Eatholiken
nnd Schismatikern (aber nicht andern Akatholiken) gültig, wenn sie
auch coram parocho schismatico geschlossen werden.
Der heilige Apostolische Stuhl duldet es, dass in Österreich
— Galizien mit einbegriffen, weil die römische Instruktion auf
Grundlage des päpstlichen Erlasses vom 16. Juli 1842, imprimiert
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358 Mitteüungen.
durch Hofkanzleidekret vom 8. August 1842, auch auf die galizi-
sehen Diözesen, mit Ausnahme der Republik Erakau, die erst im
Jahr 1846 an Österreich kam, ausgedehnt wurde ; nur Dalmatien ist
ausgenommen (F. Rudolf Scherer, »Handbuch des Eirchenrechtsc,
Graz, 1898, II. Bd., S. 420, Anm. 36) — die passive Assistenz ge-
leistet werde in dem Fall, wenn unter schwierigen Verhältnissen es
fdr die katholische Kirche und das allgemeine Wohl immerhin vorteil-
hafter ist, dass die Ehe vor dem katholischen Pfarrer als vor dem akatho-
lischen Religionsdiener geschlossen werde: >Si qnandoque fit, ut . .
aliunde res absque gravioris mali scandalique periculo in religionis
pemiciem interverti plane non possit simulque in ecclesiae utilitatem
et commune bonum vergere posse agnoscatur, si huiuscemodi nuptiae,
quantum vis illicitae ac vetitae, coram parocho catholico potius quam
coram ministro acatholico • . . celebrentur, tunc parochus catholicns
. . . poterit . . .€
In andern Ländern erlaubt der römische Stuhl die passive
Assistenz, z. B. im Herzogtum Cleve, wenn der Pfarrer durch das
bürgerliche Gesetz unter schwerer Strafe zur Assistenz gezwungen
wird. Doch wird in der mehrerw&hnten Instrucktion an die öster-
reichischen Bischöfe der einschränkende Beisatz gemacht: »His ta-
men in circumstantiis haud impari, imo impensiori etiam conatu et
studio per praenuntiatos Antistites et parochos elaborandum erit, ut
a catholica parte perversionis periculum, qitoad fieri possit, amovea-
tur, ut prolis ntriusque sexus educationi in religione catholica quo
meliere liceat modo, prospiciatnr, atque ut coniux catholicae fidei
adhaerens serio admoneatur de obligatione, quae tenetur, curandi
pro viribus acatholici coniugis conversionem , quod ad veniam pa-
tratorum criminum facilius a Deo obtinendam erit opportunissimum.
Ceterum Sanctissimus Pater intime dolens, quod haec tolerantiae
ratio erga ditionem catholicae fidei professione insignem fuerit
ineunda, Antistites ipsos per viscera Jesu Christi, cnius personam in
terris gerit tota animi contentione obtestatur, ut id demum in tarn
gravi negotio agere studeant, quod implorato Spiritus sancti luniine
istiusmodi fini revera censuerint respondere atque ad una simul
satagant, ne tali tolerantiae ratione erga homines mixta connubia
illicite contracturos contingat, ut in catholico populo extenuetur me-
moria Canonum ea matrimonia detestantium et constantissimae curae,
qua sancta mater Ecclesia alios suos avertere studet ab Ulis in
suarnm animarum iacturam contrahendis. Quare eorundem Antistitam
et parochorum erit, in erudiendis sive privatim sive publice fidelibus
flagrantiori in posterum zelo doctrinam et leges ad ea connubia per-
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Mitteilungen, 359
tinentes commemorare accuratamque iilarum custodiam iniungere.
Quae quidem oinnia spectata ipsoram religione, fide et in beaU
Petri cathedram reverentia Sanctitas Saa sibi certissime pollicetur.«
(Dr. Johann Kutschker, »Das Eherecht der katholischen Eirchec.
Wien, 1857. IV. Bd., S. 721-722.)
In den Mischehen, wo nur die passive Assistenz geleistet wer-
den soll, ist folgendermassen vorzugehen:
1. Von einer Eheverbots-Dispens kann keine Bede sein. Die
Bischöfe erhalten über Ansuchen vom hl. Stuhl die Fakultät, vom
Eheverbot der Konfessionsverschiedenheit zu dispensieren, aber immer
nur unter der Voraussetzung, dass die von der Kirche geforderten
»cautionesc zugesichert werden.
2. Der Brautunterricht und das Brautexamen sind wie im
ersten Fall auf das gewissenhafteste vorzunehmen.
3. Das Aufgebot (nnd die Bescheinigung — literae testi-
moniales) ist verboten, wie dies aus dem Schreiben Papst Pius VI.
an den Kardinal-Erzbischof von Mecheln, Heinrich Frankenberg,
vom 13. Juli 1782 folgt: »Proclamationes . . . cum praeordinatae
sint ad futuram celebrationem matrimonii et ex consequenti positivam
eidem cooperationem contineant, quod utique excedit simplicis tole-
rantiae limites, non posse Nos, ut hae fiant, annuere.c (Vgl. J. Weber,
»Die kanonischen Ehehindernissec Freiburg im Breisgau. 1898. Neu
bearbeitet von Dr. Josef Schnitzer. 5. Aufl. S. 259.) Das Verbot
des Aufgebots ist auch aus anderen Dokumenten ersichtlich. Die
S. Congr. de Propag. fide erklärte den 11. März 1891 allgemein:
»Proclamationes . . . non fieri in mixtis connubiis, nisi quando ne-
cessariae et opportunae videantur iudicio Ordinarii detegendis impe-
dimentis.c (F. Dr. Schnitzer, resp. Weber, ibidem; Gaspari op. cit.,
I., S. 305 ; Feije, De impedimentis et dispensationibus matrimoniali-
bus Lovanii 1893, S. 471.) Der Grund dieses Verbots liegt wohl
darin, dass die Vornahme des Aufgebots schon eine aktive Assistenz
oder Kooperation involviert und dass die Gläubigen daran Ärgernis
nehmen und die heilsame Scheu vor solchen Ehen verlieren.
Freilich wird in einigen Instruktionen des Apostolischen Stuhles
das Aufgebot auch bei der assistentia passiva ausdrücklich konzediert,
so z. B. in den Instruktionen an die bayrischen Bischöfe vom
12. September 1834, an die ungarischen Bischöfe vom 30. April
1841. Allein in der Instruktion für die österreichischen Bischöfe
vom 22. Mai 1841 wird das Aufgebot mit keinem Wort berührt und
erwähnt Es ist uicht erlaubt, die für eine Gegend erlassene Kon-
zession mit Umgehung des Apostolischen Stuhls auf eine andere zu
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360 MiUeüungen,
übertragen. Ein derartiger eingeführter Modns könnte mit der Zeit
nur durch die Gewohnheit^ durch das ius consuetudinarium gerecht-
fertigt und geltend gemacht werden. Ausser der seit langem tat-
sächlich in vielen Diözesen bestehenden Praxis, jene Nupturienten,
welche eine Mischehe unter passiver Assistenz eingehen wollen,
kirchlich aufzubieten, spricht für die Beibehaltung dieses Vorgehens
der Umstand, dass von dem Aufgebot die bürgerliche Gültigkeit der
Ehe abhängt und dass Art. II. des Gesetzes vom 22. Mai 1868,
B.-Q.-B1. Nr. 47, den Nuptnrienten das Recht eingeräumt ist, die
Zivileheschliessung schon dann zu begehren, wenn die Verkündigung
seitens des Seelsorgers verweigert wird. Demnach ist es nicht leicht,
das Aufgebot zu unterlassen, sondern ist dasselbe zu tolerieren, zu-
mal sonst etwaige Ehehindernisse nicht aufgedeckt werden können.
In diesem Fall gestattet auch die S. Gongr. de Propag. fide die
Verkündigung : »Proclamationes non fieri in mixtis connubiis,
nisi quando necessariae et opportunae videantur iudicio Ordinarii
pro detegendis impedimentis.c
4. Verboten ist , wie es sich von selbst versteht , die rituelle
Trauung. Es unterbleiben die Gebete, die Einsegnung der Eheringe,
die Fragestellung, kurz alle Zeremonien und Gebräuche, wie das An-
zünden von Kerzen, Aufstellung des Kreuzes, Besprengen mit Weih-
wasser, kurz jeder Ritus, der nach dem Diözesan-Rituale bei
Schliessung der Ehe oder bei der Kopulation beobachtet wird. Der
Pfarrer soll nichts tun, nichts sagen, als nur anwesend die gegen-
seitige Einwilligung hören und sodann die geschlossene Ehe in das
Trauungsbuch eintragen. (Gaspari, op. et loc. cit. ; Feije, op. cit.
pag. 470.) In einigen Ländern, wie in Frankreich und Nordamerika,
fragt der Pfarrer um den Konsens. Aber in der oftgenannten In-
struktion für die österreichischen Bischöfe ist davon keine Rede.
Es heisst vielmehr darin: »quin partes de eorum consensu interroget.c
Freilich macht dieses »quin interrogetc in der Praxis eine Schwierig-
keit. Die Ehewerber kommen und stehen da, ohne ein Wort zu
reden, so dass der Pfarrer geradezu veranlasst wird, durch eine
ganz neutrale Frage, z. B. : Welches Anliegen wollen Sie mir vor-
bringen? oder ähnliches die Parteien zum Sprechen zu bringen, um
so die Einwilligung in die Ehe (auf deren Wortlaut es eben nicht
ankommt, wohl aber auf den richtigen Sinn) zu hören. (Cfr. Gaspari,
op. cit. I. pag. 306; Dannerbauer, »Prakt. Geschäftsbuch«. Wien,
1893, S. 226; Instructio Eystettensis. Eystadii 1877, pag. 372.)
5. Da die Benedictio nuptiaiis zu unterbleiben hat, so hat die
Erklärung der Einwilligung keineswegs am heiligen Ort, in der
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MitteÜungen. 361
Kirche oder in einer Kapelle, zu geschehen, sondern an einem dezenten
Ort, am besten in der Pfarramtskanzlei (Feije, op. cit. pag. 470.)
6. Verboten ist ferner der Gebrauch einer liturgischen Gewandung
vonseite des Pfarrers. Der Pfarrer darf jedoch und soll die seinem
Stand und Rang entsprechende Kleidung (den Talar oder die betref-
fende Auszeichnung) tragen. (Gaspari, op. cit. I. pag. 307 ; Feije, op.
cit. pag. 470.)
Die Form der Eintragung einer unter passiver Assistenz ge-
schlossenen Ehe ist dieselbe wie bei anderen Trauungen, ausser dass
die Rubrik, in welcher angezeigt wird, wer kopuliert habe, leer
bleibt und die Anwesenheit des Pfarrers mit dem Ausdruck be-
zeichnet wird: Coram me N. N., parocho. — In Gegenwart des
Pfaners N. N. In derselben (tabellarischen, nicht narrativen) Form
ist auch der Schein fiber die geschlossene Ehe auszufertigen.
7. Die Trauungstaxe ist nicht anzunehmen, um so das Braut-
paar zu überzeugen , dass der Seelsorger in seinem diesftlligen Be-
nehmen von höheren Motiven geleitet werde.
8. Der katholische Brautteil, welcher die gemischte Ehe nicht
unter den erforderlichen Garantien eingehen will, darf nicht absolviert
werden , weder vor, noch nach geschlossener Ehe. Wenn er jedoch
später den nicht mehr widerruflichen Schritt bereut und den Fehl-
tritt nach Kräften gutzumachen sucht, darf er absolviert werden.
>Si constet, eum revera resipuisse paratumque esse ad opportunam,
quod valuerit, scandali reparationem , tunc sane poterit ipse sacra-
mentorum ecclesiae particeps fieri.c (Gaspari, op. cit I. pag. 314
et 315.)
9. Verboten ist die kirchliche Vorsegnung der katholischen
Wöchnerinnen, deren gemischte Ehe unter passiver Assistenz, ohne
Dispens — also unerlaubt — geschlossen worden ist. Wenn die
katholische Mutter ihre Sünde bereut und wenn das Kind katho-
lisch getauft worden ist und katholisch erzogen wird, so ist die
kirchliche Vorsegnung der Wöchnerin zulässig.
10. Leistet das Ehepaar nachträglich die verlangten Kautelen, so
wird es unter Erteilung der Dispens von der Konfessionsverschieden-
heit (die Anschauung, dass die Dispens nicht nötig wäre, ist zweifel-
haft 1) und vom Aufgebot, wie im ersten Fall ausgeführt worden ist,
behandelt. Im Fall der öffentlich zu erfolgenden Trauung wäre die
Formel zu gebrauchen: »Matrimonium inter vos contractum Dens
1) Beseriptnm S. Congr. Inqn. dd. 12. Martii 1881 reqnirit tantnm , ut
ii, c^oi matrimonia mixta sine dispensatione contraxenint , Eppnm. adeant pro
cautione danda de amoreudo pericalo salatis aeteruae a se et a sna prole.
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362 MiUeüungen.
confirmet et ego in facie Ecclesiae illad solennizo.c (Michael Benger^
Pastoraltheologie. Regensburg. 1868. IIL Bd., S. 869, Note 5.)
Die in den obigen Ausffihrangen erläuterte Praxis, durch die
Instruktion vom 22. Mai 1841 eingeführt, wird in der später er-
flossenen Instruktion »Esti Sanctissimusc vom 15. November 1858
(in Acta S. Sedis, Petri Avanzini, vol. II. pag. 456. Romae 1870)
stillschweigend approbiert. Nach dieser letzteren Instruktion hat
auch die strenge Praxi? etwas für sich, aber die gegenwärtig fast
allgemeine mildere Praxis wird mehr als toleriert.
Schliesslich mögen noch folgende Bemerkungen eingeschaltet
wrerden :
Wenn neben dem impedimentum mixtae religionis ein anderes
impedimentum dirimens platzfindet, ist die assistentia passiva aus*
geschlossen. (Pius VI., Reskr. vom 19. Juli 1793.)
Die protestantische Vor- oder Nachtrauung ist verboten; denn
bereits am 21. April 1847 hat die Congr. S. Officii auf die Frage:
Utrum sacerdos catbolicus salva conscientia matrimonio mixto as-
sistere illudque sollemni benediäione cohonestare possit, si spousi
vel antea vel postea matrimonium ineant in ecclesia protestantica
ritu protestantico? — geantwortet: Negative. Eine Ausnahme findet
nur dann statt, wenn der protestantische Pastor als Zivilbeamter
auftritt. (Pius IX., Schreiben an die hannoverschen Bischöfe vom
16. Februar 1864; Congr. S. Officii de die 22. Martii 1879.)
Nach dem Dekret der Congr. S. Officii vom 22. März 1879,
vom 29. August 1888 und vom 11. Mai 1892 verfällt der katho-
lische Teil, wenn er cum scientia censurae, also cum contumacia der
protestantischen Trauung sich unterzieht, in die excommunicatio
latae sent^ntiae Summe Pontifici specialiter reservata, als haeresi
favens et rea (sc. pars) coromunicationis activae in sacris auf Grund-
lage der Konstitution Pius* IX. »Apostolicae Sedis« vom 12. Okt.
1869, num. 1.
Der Pfarrer ist verpflichtet, vom katholischen Teil unter An-
drohung der Zensur zu fordern, dass derselbe von einer protestanti-
schen Trauung abstehe, wenn dies das Diözesangesetz vorschreibt
oder wenn er von dem katholischen Teil gefragt wird. (Congr. S. Of-
ficii vom 21. April 1847.) Sonst hat er nicht die Pflicht, die Ab-
sichten der Nupturienten im voraus zu erforschen (Congr. S. Officii
vom 22. Januar 1851), ja manchmal kann er dissimulieren, auch
wenn er dies befflrchtet. Instrukt. vom 17. Febr. 1864.)
Instructione S. Roman, et Univ. Inquisitionis de die 17. Fe-
bruarii 1864 constituitur, ut ad gravia praecavenda mala possit pa-
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MitteUungen. 363
rochus certis in adiunctis nnptarientes, qui ministruin acatholicam
forsan adibaot ad renovandum consensum, de re band monere, ne
scilicet peccatum materiale ia formale mutetur.
Wenn der katholische Teil als contnmax der Zensur verfallen
ist, so ist für ihn nachher, wenn er seine Sünde bereut und das
Mögliche zu tun verspricht, die Lossprechung a censura pro foro
interne notwendig.
Endlich sei bemerkt: Im Fall der akatholische Beligionsdiener
den Verkündschein vom katholischen Pfarramt verlangen würde, soll
einfach der Trauungsschein dem Ehepaar ausgefolgt und eingehän-
digt werden.
Dritter Fcdl
Die Brautleute orkl&ren , ihre Ehe nur vor dem akatholiscben
Beligionsdiener schliessen zu wollen.
In diesem Fall und wenn auch die Brautleute die drei erfor-
derlichen Garantien bieten wfirden, darf der katholische Pfarrer zu
dieser kirchlich ungültigen Ehe in keinerlei Weise kooperieren.
Er darf also die Nupturienten nicht verlautbaren und ihnen
kein Dokument behufs Eheschliessung einhändigen, ausgenommen
den Taufschein. Wurde das Aufgebot vom katholischen Pfarrer in
der Meinung, die Ehewerber werden die Ehe vor ihm schliessen,
bereits vorgenommen und erklären sich die Brautleute erst nach ge-
schehenem Aufgebot dahin, ihre Ehe nur vor dem akatholischen
Seelsorger schliessen zu wollen, so darf doch über das bereits vor-
genommene Aufgebot kein Verkündschein ausgestellt werden.
Wohl kann der Pfarrer irgendwelches Dokument der kom-
petenten politischen Behörde auf Verlangen zustellen.
Haben die Brautleute verschiedener Eonfession die Ehe vor
dem nichtkatholischen Seelsorger geschlossen und kommen sie nach-
her zum katholischen Pfarrer mit der Bitte um kirchliche Einseg-
nung ihrer bereits vor dem akatholischen Minister geschlossenen
Ehe, so hat der katholische Seesorger alles genau zu befolgen, was
auf die Eingehung einer gemischten Ehe kirchlich vorgeschrieben
und oben sub »Erster Falle gesagt worden ist.
In diesem Fall kann die Dispens vom kirchlichen Aufgebot
vom bischöflichen Ordinariat eingeholt werden. Die Dispens pro
foro civili ist nicht notwendig, weil die vor dem akatholischen Be-
ligionsdiener geschlossene Ehe schon verkündet war und daher
staatlich gültig ist.
Zu Gültigmachung der in Zisleithanien ungültigen Ehe ist also
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364 MUteÜungen.
erforderlich: Leistung der Eautelen, Gewährung der Dispens super
iropedinaento mixtae religionis, Lossprechung des katholischen Teils
a censura, Schliessung der Ehe coram parocho proprio catholico. Es
könnte aber auch die Sanatio in radice eintreten.
Weigern sich aber die Ehewerber, die von der Kirche ver-
langten cautelae opportunae oder conditiones praescriptae zu leisten,
so hat die passive Assistenz in der Art, wie sub »Zweiter FalU an-
gedeutet, stattzufinden.
Dies die bei der Schliessung gemischter Ehen zu beobachten-
den Hauptregeln, von denen es wohl unter der Deklaration des
heiligen Apostolischen Stuhles Ausnahmen geben kann und gibt.
3. Jnristisehes Ontaehten über Erriohtong von Testamenteii
seitens der Geistlichen.
(Aus: Yerordnangen des FOrstbisch. Gen.-Vik.-Amtes za Breslau. Nr. 400.)
I. An letztwilligen Verffigungen über unsern dereinstigen Nach-
lass haben wir ein naheliegendes Interesse. Die Bechtsordnung trifft
allerdings auch schon Vorkehrungen fär den Fall, dass wir über den
Tod hinaus Bestimmungen zu treffen unterlassen haben. Diese An-
ordnungen sind enthalten in den gesetzlichen Vorschriften über die
Erbfolgeordnung. Alle Gesetzgebungen bezeichnen nämlich diejenigen
Personen, welche einen Anspruch auf den Nachlass des Verstorbenisn
haben. Man nennt diese Personen : »Die durch das Gesetz zur Erb-
schaft Bernfenenc. Von diesen handelt das B. G.-B. §§ 1922—2063.
Sie selbst sind unter sich klassenweise zur Erbschaft berufen, je nach
der Nähe ihrer Verwandtschaft mit dem Erblasser. Alle Gesetz-
gebungen gestatten aber auch, dass der Einzelne seinerseits die-
jenigen Personen, auf welche sein Nachlass übergehen soll, bestimmt,
und diese Bestimmung kann auch von den Vorschriften der gesetz-
lichen Erbfolge abweichen.
Eine solche Berufung geschieht durch das Testament. Die
Bestimmungen über das Testament sind enthalten im B. G.-B.
§§ 2064-2278.
Der Testator kann indessen nicht völlig frei üben seinen Nachlass
im Testamente verfügen. Das Gesetz zieht ihm gewisse Schranken, in-
dem es vorschreibt, dass der sogenannten > Pflichtteilsberechtigten c
im Testamente gedacht werden muss. Pflichtteilsberechtigt sind:
Die ehelichen Kinder — die Eltern — und der Ehegatte des
Testators. Darüber handelt das B. G.-B. SS 2303—2338.
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Mitieüungen. ^65
Verletzung dieser Pflichtteilsbestimmangen, d. b. Nichtberufung
pflicbtteilsberecbtigter Personea, zieht nicht absolute Ungfiltigkeit des
Testaments nach sich, sondern der Pflichtteilsberechtigte hat nur
Anspruch auf Zuwendung des Pflichtteils — im übrigen besteht
das Testament zu Recht.
Aus diesen Gründen ist der im Zölibat Lebende am freiesten
in seiner Verfügung über seinen dereinstigen Nacblass, da er höch-
stens seine Eltern bedenken muss^ diese aber nach dem natürlichen
Laufe der Dinge vielfach nicht mehr in Frage kommen werden, weil
sie entweder verstorben sind, oder ihre Existenz gesichert ist. Die
Übergehung der Eltern im Testamente wird deshalb nur selten zur
Anfechtung desselben führen.
Hat sonach der im Zölibat Lebende regelmässig nur entferntere
Verwandte, so ist seine Verpflichtung, ein Testament zu errichten,
bei ihm um so grösser, je geringer seine Neigung ist, seinen Nach-
lass dereinst an die entfernteren, durch Gesetz berufenen Verwandten
übergehen zu lassen.
II. Die Form der Testamentserrichtung ist durch das B. G.-B.
einfacher geworden, wenigstens soweit Preussen in Betracht kommt.
a. ein öffentliches^ und
b. ein privates Testament.
Zu a.: öffentlich wird ein Testament errichtet: vor dem
Richter oder vor dem Notar,
Die Wahl zwischen diesen beiden öffentlichen Crkundspersonen
steht dem Testator vollkommen frei. Es existiert auch nicht der
geringste Unterschied zwischen dem richterlichen und notariellen
Testamente. Auch bei Blinden, Tauben, Stummen, Analphabeten,
Gelähmten, und bei Personen, die der deutschen Sprache nicht
mächtig sind, ist die notarielle Form ebenso vollgültig, wie die ge-
richtliche.
Die Justizverwaltung nimmt in Preussen an, dass etwa die
Hälfte aller Testamente durch die Notare wird errichtet werden und
hat deshalb die Zahl der zur Aufnahme von Testamenten berufenen
Richter um die Hälfte vermindert.
Die Errichtung des Testamentes vor dem Richter oder Notar
kann auf dreifache Art erfolgen:
Erstens: Der Testator fertigt sein Testament allein in seinem
Studierzimmer, schliesst es ins Kuvert und siegelt es einmal mit
seinem Privatsiegel, erscheint dann vor dem Richter oder Notar und
übergibt das verschlossene Testament zu gerichtlichem oder notariel-
lem Protokoll. Durch dieses tiberg^heprotokoll erhält das Testament
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B6G Mmeilanffen.
die öffenüiche Form. Der Richter oder Notar nimmt das Protokoll
and das verschlossene Testament, legt beides in ein anderes Envert
and gibt dann dieses mit dem Dienstsiegel geschlossene Paket ent-
weder dem Testator zurück za eigener Verwahrnng — oder reicht
es mittels Eingabe dem Amtsgerichte ein zur amtlichen Ver-
wahrang.
Zweitens: Der Testator kann das von ihm — ebenfalls ohne
Zuziehung der Urkundsperson — geschriebene Testament dem Richter
oder Notar auch unverschlossen überreichen. Der Beamte nimntit
dann sein Protokoll und das offene Schriftstück des Testators, leg^
beides in ein Kuvert, verschliesst es und verfährt im übrigen wie
oben zu eins.
Drittens: Der Testator kann auch durch Richter oder Notar
seinen letzten Willen filieren und errichten. Dafür gibt es zwei Wege :
Der Beamte setzt in diesem Falle entweder die Bestimmungen
des Testators direkt in das amtliche Protokoll oder aber — und
das ist der üblichste Modus — der Beamte entwirft vorerst dem
Testator die Testaments-Urkunde in einem besonderen Schriftstücke,
welches der Testator seinerseits unterschreibt und dann formell dem
Beamten überreicht, wie oben zu zwei. Dieser zuletzt beschriebene
Weg empfiehlt sich dann am meisten, wenn es sich um grösseres
Vermögen handelt, der Testator den Entwurf des Beamten prüfen,
abändern oder dritten Personen zur Äusserung vorlegen will. Erst
dann, wenn der auf diese Weise sorgßlltig gefertigte Entwurf dem
Wunsche des Testators entspricht, wird erforderlichenfalls eine
Reinschrift des Entwurfes gefertigt, vom Testator vollzogen und
schliesslich das Testament errichtet durch Übergabe des Schrift-
stückes zu amtlichem Protokoll wie oben zu zwei. Es ist unstreitig,
dass die schliessliche Übergabe des Testaments bei demsdben Be-
amten erfolgen kann, der das die letztwilligen Bestimmungen ent-
haltende Schriftstück entworfen hat.
Zu b: Das private Testament muss vom Testator vom Anfang
bis zum Ende eigenhändig geschrieben^ vollständig nach Ort, Tag,
Monat und Jahr datiert und mit vollem Namen unterschrieben sein.
III. Bezüglich der Hinterlegung und Verwahrung des Testaments
lässt das Qesetz dem Testator die Wahl, ob er dasselbe in eigener
Verwahrung behalten oder in amtliche Verwahrung geben will. Die
amtliche Verwahrung findet in Preussen nur bei den Amisgerichten
statt. Zur Gültigkeit des Testamentes ist die amtliche Verwahrung
nicht mehr, wie bisher in Preussen, erforderlich.
IV. Es ist in jedem Falle empfehlenswert, das Testament öf-
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MUieüungen. 367
fentlich vor Richter und Notar zu errichten. Denn das private
Testament hat, auch wenn es in gerichtliche Verwahrung vom Erb-
lasser gegeben worden ist, keinen öffentlichen Glauben.
Es ist zu unterscheiden zwischen »Geben in Verwahrung des
6erichtS€ und »Errichten des Testaments vor dem Richter« Das
private Testament nimmt der Gerichtsschreiber an, und der Richter
verf> nur die Einschliessung in dem Verwahrnngsraume. Das Ge-
richt registriert also nur die Annahme und unterrichtet dabei den
Testator, dass auf diesem Wege die gerichtliche Errichtung nicht
erfolgen kann. Die Errichtung des Testamentes aber vor dem
Richter kann nur in der oben zu IIa. beschriebenen dreifachen Art
zu richterlichem Protokoll erfolgen. Da nun das private Testament
keinen öffentlichen Glauben hat, so kann auf Grund desselben der
Erbe Aber den Nachlass nur insoweit verfügen, als er sich nicht vor
öffentlichen Behörden als Erbe ausweisen muss. Es ist z. B. un-
möglich, auf Grund eines privaten Testamentes eine Hypothek ab-
zutreten, löschungsfähige Quittungen zu erteilen, ein Grundstück zu
verkaufen und aufzulassen, Gelder aus öffentlichen Kassen zu er-
heben, ja selbst grössere Bankhäuser verlangen Vorlegung einer
öffentlichen Urkunde über die Erbenqualitftt, falls der Erbe ein Depot
seines Erblassers abheben will. Für diese Fälle ergibt sich beim
privaten Testamente ein weitläufiges Verfahren vor dem Nachlass-
richter, welcher andere, nicht bedachte Erbberechtigte um Anerken-
nung des Testaments fragen, und falls ein Erbberechtigter wider-
spricht, den Testamentserben zum Prozesse anweisen muss. Ein
solches Verfahren behindert den Erben natürlich sehr empfindlich,
verursacht erhebliche Kosten und bringt vor allem Zuwendungen zu
frommen und wohltätigen Stiftungen in Gefahr.
V. Die Kosten für Errichtung eines öffentlichen Testaments
können gar nicht in Betracht kommen, da sie seit Beginn dieses
Jahres beinahe um die Hälfte herabgesetzt worden sind gegen die
bisherigen Beträge.
Es verursachen Testamente vor Richter oder Notar gleich-
massig, einschliesslich der Hinterlegnngsgebühren :
a. beim Objekt von 5000 Mark Gebühren etwa 15 Mark
» 19 .
- 25 .
. 30 ,
. 40 .
n 50 ,
, 70 .
b.
,10 000
c.
, 20000
d.
, 30000
e.
, 60000
f.
, 100000
g-
. 240000
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368 MutHlungen.
4. Kommissionsberieht betr. £rla88 eines Geseties Ober die
Ablösung des Klrcbenpatronats in Preossen.
(5. Petit.-Ber. der Kommission f. d. Gemeindewesen; Hans der Abgeordneten
19. Legislaturperiode IV. Sess. 1902.)
Der Landesökonoinierat Eennemann und Gen. in Elenka a. a. O.,
Provinz Posen, welche Inhaber von Eirchenpatronaten sind, bean-
tragen den Erlass eines Gesetzes, welches es ermöglicht, die Eirchen-
patronate abzulösen, and führen zur Begründung dieses Antrages in
der Petition aus: Nach der Verfassungsurkunde vorn 31. Jan aar 1850
Art 42 sei die Teilbarkeit des Grundeigentums und die Ablösbar-
keit der Grundlasten gewährleistet. Wiewohl diese Bestimmung durch
Gesetz vom 14. April 1856 beseitigt ist, sei sie doch durch Spezial-
gesetze derart wieder hergestellt, dass der grösste Teil der Grund-
lasten abgelöst werden könne; nur für die Ablösung der Patronats-
last fehle ein Gesetz. Zwar könne man annehmen, dass nach § 580
Th. II Tit. XI des Allg. Landrechts das Patronat mit Einwilligung
der geistlichen Obern abgelöst werden könne, indess sei das der
Regel nach undurchführbar.
Die Notwendigkeit der Ablösbarkeit trete besonders hervor bei
Parzellirung von Gütern, die mit dem Patronate belastet seien, weil
es dabei häufig vorkäme, dass das Patronatsr^A^ in viele Hände
überginge und die Patrontitspflicht auf zahlreichen Parzellen liege.
Die dadurch entstehenden Verbandlungen, Repartitionen, Beitreibung
der Leistungen u. s. w. verursachten oft die grössten Schwierigkeiten
und führten häufig zu tiefgehenden Differenzen und Hetzereien, welche
jahrelang von nachteiligem Einfluss auf die Seelsorge sein könnten.
Ähnliche Unzuträglichkeiten kämen auch da vor, wo der Patron und
der Geistliche verschiedener Eonfession seien. Einen Beweis für die
Richtigkeit dieser Angaben lieferten die vielen Rechtsstreitigkeiten,
welche dem Patronate entsprängen.
Einen Weg für die gewünschte Gesetzgebung zeige die Eabinets-
ordre vom 9. Januar 1812, welche bestimmt, dass beim Verkauf der
Staatsdomänen und geistlichen Güter die PatronatsrecA^ dem Staate
verbleiben und die PatronatsZo^^ nach ihrem jährlichen Durch-
schnitte veranschlagt als Eanon auf die Güter gelegt und von den
Erwerbern derselben jährlich zum Eirchen- oder Schulunterhaltungs-
fonds an die Regierungen gezahlt werden sollen. In ähnlicher Weise
könne die Sache für alle mit dem Patronate belasteten Güter ge-
macht werden, so etwa, dass das PatronatsrecA^ auf den Staat über-
gehe und an Stelle der PatronatsJos^ ein Eapital durch Vermittelung
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MUteÜungen. S69
der Rentenbanken an die berechtigte Kirche gezahlt werde, welches
von dem Terpflichteten dorch Zahlung einer Amortisations-Rente er-
stattet würde.
Petenten bitten also das Haus der Abgeordneten, die König-
liche Staatsregierung zu ersuchen, dem Landtage eioen Gesetzent-
wurf, welcher die Ablösung des Kirchenpatronats ermöglicht, in
kürzester Frist vorzulegen.
Die Petition kam in der Kommissionssitzung vom 11. April
d. Js. zur Beratung. Nachdem der vorstehende Inhalt vom Re-
ferenten vorgetragen worden, fährte derselbe weiter aus:
All die Übelstände, welche nach der Petition dem Patronats-
verhältnisse entspringen sollten, seien tatsächlich nur zu oft vor-
handen. Wenn der Patron und der Geistliche verschiedener Kon-
fession seien, so sei das kein erwünschter Zustand; auch leuchte es
ein, dass bei der Zerstückelung der Patronatsgüter dadurch, dass
die Pflichten und Rechte an die verschiedenen Erwerber übergingen,
die grössten Schwierigkeiten entstehen könnten.
Zu den in der Petition angegebenen Übelständen käme noch
der, in früher an das Abgeordnetenhaus gelangten Petitionen be-
sonders hervorgehobene Übelstand hinzu, dass durch starke Zunahme
der Bevölkerung so ausgedehnte Erweiterungsbauten an Kirchen,
Pfarrhäusern u. s. w. hervorgerufen werden könnten, dass der Patron
dadurch bis an die Grenze der Leistungsfähigheit kommen könne.
Es unterliege wohl keinem Zweifel, dass die Beseitigung dieser
Übelstände sehr erwünscht und durch die Gesetzgebung anzustreben
sei; auch sei im Artikel 17 der Verfassungsurkunde ja auch schon
eine derartige Gesetzgebung in Aussicht gestellt. Dieser Artikel
laute nämlich: »Über das Kirchenpatronat und die Bedingungen,
unter welchen dasselbe aufgehoben werden kann, wird ein besonderes
Gesetz ergehen«. Es fragt sich nun, ab der geeignete Zeitpunkt für
den Erlass eines solchen Gesetzes gekommen und ein Ablösungs-
modus zu finden sei, der de^ überaus verschiedenen Verhältnissen
gerecht werde.
Der in der Petition gezeigte Weg, das Patronatsr^cA^ an den
Staat übergehen zu lassen und die PatronatsJo^ in Rentenzahlung
zu verwandeln, sei nicht gangbar. Wenn auch für den stark be-
lasteten Patron dieser Modus durchfuhrbar sei und der letztere
gerne sein Recht abgeben würde, wenn er nur seine Pflicht in eine
bestimmte Amortisations-Rente verwandeln könne, so passte doch
dieser Modus durchaus nicht für den wenig belasteten, für den
Arehiv fdr Kirchenreeht LXXXUl. 2^
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370 MUteüungen.
Patron, dessen Lasten im Verhältnis zu den Rechten nur gering
seien; denn auch solche gebe es in manchen Landesteilen.
Übrigens sei auch darauf hinzuweisen, dass schon jetzt eine
Ablösung der Patronate möglich erscheine, die Petition weise ja auch
darauf hin. Der § 580 Th. II Tit. XI des Allg. Landrechts sage:
»Dergleichen Patronat kann von dem Gute, auf welchem es bisher
gehaftet hat, ohne ausdrückliche Einwilligung der geistlichen Obern
nicht abgesondert werden. Daraus gehe doch hervor, dass mit Einwillig-
ung der geistl. Obern eine Ablösung möglich sei. Nun könne man aller-
dings annehmen, dass die geistlichen Obern hierzu wenig geneigt seien,
weil die Verpflichtungen der Patrone vielfach steigend seien, aber man
müsse demgegenüber doch auch hervorheben, dass durch die Ablösung
viele weitläufige und unangenehme Untersuchungen über Bedürfnis,
Ausdehnung n. s. w. der Bauten beseitigt würden und daher auch
die Gemeinden ein Interesse daran hätten, durch Beseitigung des
Patronats diesen aus dem Wege zu gehen. Gesetzliche Bestim-
mungen zu finden, die die vorhandenen Missstände des Patronats
durch Ablösung beseitigten, ohne neue hervorzurufen, scheine über-
aus schwierig zu sein. Die Petition habe schon in der vorigen
Landtags-Session der Kommission zur Beratung vorgelegen und sei
damals beschlossen worden, dieselbe der Königlichen Staatsregierung
als »Materialc zu überweisen; dieser Beschluss sei aber bedeutungs-
los geworden, weil die Petition im Plenum nicht zur Verhandlung
gekommen sei, es sei daher die Petition für diese Session erneut
eingereicht worden. Petitionen mit gleichen oder ähnlichen An-
trägen, welche früher an das Abgeordnetenhaus gelangt seien, seien
teils der Königlichen Staatsregierung als Material überwiesen wor-
den, teils sei über dieselben zur Tagesordnung übergegangen worden.
Der der Beratung beiwohnende Vertreter der Königlichen
Staatsregierung ^ Herr Geheimer Regierungsrat Dr. Oerlach aus dem
Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegen-
heiten führte aus:
Die in der Petition berührte Frage habe die Königliche Staats-
regierung und den Landtag wiederholt beschäftigt. Schon bei der
Beratung der Verfassung sei es strittig gewesen, welche Bestim-
mungen über das Patronatsrecbt und seine eventuelle Aufhebung zu
erlassen seien. Die Verfassungskommission der Nationalversammlung
habe nur ein Prinzip, die Zentralabteilung derselben dieses Prinzip
wenigstens in einer Richtung zur bestimmten Ausführung bringen
wollen. Die Verfassungsurkunde vom 5. Dezember 1848 habe dem-
nächst die obligatorische, aber bedingte Aufhebung des Kirchen-
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Mitteilungen. 371
patronates in Aussicht genommen. Der Artikel 17 des geltenden
Verfassungsgesetzes sehe dagegen nur eine bedingte und fakultative
Aufhebung vor. Zur Regelung der Frage sei es nicht gekommen.
In den Jahren 1856, 1859, 1861 habe das Abgeordnetenhaus An-
träge auf Ausführung des Art. 17 durch Übergang zur Tagesord-
nung erledigt. In Verfolg einer Anregung des Abgeordnetenhauses
im Jahre 1869 sei die Frage von der Königlichen Staatsregierung
erneut erörtert und seien in den 70er Jahren Ermittelungen veran-
lasst worden, welche vor Allem eine möglichst genaue Feststellung
des tatsächlichen Verhältnisses in Bezug auf das Patronat zum
Gegenstande gehabt hätten. Über das Brgebniss liege eine ein-
gehende Äusserung des damaligen Herrn Kultusminister Dr. Falk
ans dem Jahre 1876 auf die Interpellation des Abgeordneten Schmidt
(Sagan) vor (Stenogr. Ber. des Abgeordnetenhauses über die Sitzung
vom 1. März 1876 S. 376 flF.). Das Resultat sei — wie von Herrn
Minister Dr. Falk erklärt worden — gewesen, dass man in die
wirklichen Verhältnisse einen Einblick gewonnen, welcher die Sache
als nicht so leicht darstelle wie vielfach angenommen, dass es in
Bezug auf die Rechte und Pflichten des Patronats keine denkbare
Kombination gäbe, die nicht tatsächlich in grossen und kleinen Be-
zirken existiere, dass eine einfache Kompensation von Rechten und
Pflichten beim Patronate unmöglich sei. Insbesondere sei damals
auch auf die grossen Schwierigkeiten aufmerksam gemacht worden,
welche der Berechnung des Ablösungskapitales für die Patronats-
lasten entgegenständen, da es sich um Pflichten handele, »welche
nur in Zeiträumen zu erfüllen, die nicht bestimmt seien, die ab-
hingen von der Leistungsfähigkeit der Kirchenkassen, von der Be-
schaffenheit der betreffenden Baulichkeiten.«
Spätere Petitionen seien im Abgeordnetenhause 1879 durch
Übergang zur Tagesordnung und 1884 zur Überweisung als Material
erledigt. Im Jahre 1897 habe das Abgeordnetenhaus zuletzt bei der
Beratung über die Petition des Rittergutsbesitzers Fuss den von der
Kommission einstimmig befürworteten Übergang zur Tagesordnung
beschlossen, nachdem der Referent Abg. Bandelow auf die Verhand-
lungen im Jahre 1876 Bezug genommen (Sten. Ber. des Abgeord-
netenhauses über die Sitzung vom 8. April 1892 Seite 2150).
Wenn in der vorliegenden Petition auf Missstände aufmerksam
gemacht werde, welche sich bei der Zerstückelung von Patronats-
gütern ergäben, so sei zu bemerken, dass in solchen Fällen im Wege
von Verhandlungen der beteiligten Behörden für das Patronat ge-
sorgt werden müsse. Auf Dnzuträglichkeiten , welche nach der
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372 MitUÜungen.
Petition bei verschiedener Konfession des Patrons und des Geist-
lichen eintreten sollen, werde nicht näher eingegangen und sei nar
zu bemerken, dass Anträge der Kirchen wegen Aufhebung des Pa-
tronates nicht vorlägen. Die Berufung der Petenten auf die Aller-
höchste Kabinetsordre vom 9. Januar 1812, nach welcher der Fiskus sich
das Patronat bei der Veräusserung von Domänen vorbehalte und von
den Erwerbern derselben an die Kirchen- und Schulunterhaltungs-
fonds bei den Regierungen ein jährlicher Kanon zu entrichten sei,
erscheine nicht zutreffend. Der Vorschlag der Petenten sehe viel-
mehr die Ablösung der Patronatslast durch Zahlung eines Kapitals
an die Kircheogemeinde vor, lasse aber die wesentliche Frage offen,
wie die Entschädigung zu berechnen und festzustellen sei.
Sollte die Kommission wie im vorigen Jahre die Überweisung
der Petition als Material befürworten und das Plenum des Hohen
Hauses dem beitreten, so werde der Herr Minister hieraus Veran-
lassung nehmen, die Frage der Ablösung der Patronatslasten erneot
zu prüfen. Ob eine solche Erörterung zu einem positiven Ergeb-
nisse fuhren werde, könne damit natürlich nicht gesagt werden.
Aus der Kommission wird bemerkt, dasa bei der Verhandlung
der Petition im vorigen Jahre sich eine ausgedehnte Diskussion ent-
wickelt und man allseitig die grosse Schwierigkeit der Lösung dieser
Frage anerkannt habe, dennoch sei der Beschluss gefasst worden,
die Petition der Königlichen Staatsregierung als Material zu über-
weisen, in der Hoffnung, der Königlichen Staatsregierung werde es
endlich gelingen, für diese wichtige Oesetzgebung den richtigen Weg
zu finden.
Es erfolgt einstimmige Annahme des nunmehr vom Referenten
gestellten Antrages:
Das Haus der Abgeordneten wolle beschliessen :
die Petition II 196 der Königlichen Staatsregierung
als Material au überweisen.
Berlin, den 22. April 1902.
5. inlegong von Pfarrchroniken.
(Verordn. des Fürstbisch. 6eneral-yik.-Amtes su Breslau Nr. 402.)
Folgende Verordnung über Anlegung von Pfarrchroniken wird
auch weitere Kreise interessieren:
Die Wichtigkeit und Nützlichkeit einer Pfarrchronik ist ein-
leuchtend. Sämtliche P&rreien mit einer solchen Chronik auszu-
statten, wäre ein Ehrendenkmal, welches der Klerus dem Bistume
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MUieÜungen. S7S
nod sich selbst setzen warde. Der Gedaoke findet, wie alles, was
der Diözese zum Nutzen und zur Ehre gereicht, bei Sr. Eminenz
dem Hochwürdigsten Herrn Kardinal und Fürstbischore seinen vor-
nehmsten Gönner und Förderer. An den Pfarrklerus in erster Linie
ergeht darum die Aufforderung, in edler Betätigung wissenschaft-
lichen Eifers die Mussestuoden zur Sammlung und Zusammenstellung
des chronikalischen Stoffes in den einzelnen Pfarreien zu benutzen
und so zugleich das grosse Werk einer Diözesanchronik vo